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"Am Aschermittwoch ist alles vorbei..." - Leider nicht!
Angie und Matthes zum Hundertsten
Von Mary Ann Christen-Meyer
Die Gedanken fielen über mich her wie ein Vogelschwarm, infizierten mich vogelgrippeartig, ließen mich einfach nicht mehr los. Die Pandemie hatte auch mich erwischt. Also schnappte ich mir meinen Hund, marschierte los...
Woran liegt es wohl, überlegte ich, dass Angie plötzlich so viel beliebter als Matthes ist? Ich forschte verzweifelt in meinen Gehirnwindungen - und plötzlich fielen die verständlichen Sicherungsblockaden ab. Natürlich, das ist es: Angie muss Kostüm- und Maskenbildner zur Seite gestellt bekommen haben. Ach ja, und einen Schauspiellehrer.
Wie anders ist es zu erklären, dass unsere späte Maid nun doch noch ihren ersten Frühling erlebt? Sie erinnern sich an "Kohls Mädchen"? Klar doch: Frisur im Kochtopflook, Kleidung im Das-trug-man-damals-Stil, rundes Babyface mit allzeit konvexem Lippenbogen. Deshalb musste auch noch eine Souffleuse her. Diese Dame pflegt in der ersten Reihe zu sitzen und von dort zu signalisieren, wann Angie ihre Mundwinkel liften muss. Ist doch alles nicht so einfach für unsere First Lady. Schließlich waren die Besagten 50 Jahre abwärts eingefroren.
'Einer von uns' - sagt seine Internetseite
Foto: NRhZ-Archiv
Und der Matthes? Der ist dabei auf der Strecke geblieben, dem hat man seinen einzigen Berater einfach gestrichen. Sparmaßnahme - kann man ja verstehen. Aber nun glaubt der einstige Frauenschwarm doch tatsächlich, ein Dreitagebart sei schick!Ach Gott, er kann einem schon leid tun, der Arme. Natürlich lieben auch heute noch viele Männer und Frauen ein stoppeliges Kinn - aber doch nicht diese selbst ernannten Eliten!
Betrachten wir stellvertretend für alle mal einfach den schönen Guido. Den Westerwelle meine ich, den untalentierten Showmaster von der "Für-Deppen-Partei": Glatt rasiert wie ein Babypopo, Duftwässerchen, genau vermessene Haarlänge, gescheitelt und gegelt, randlose Intelligenzienbrille, Maßanzug und Maßschuhe, Hemd, Krawatte und Socken aus Samt und Seide - ja, so stylen und dressen sich die Auserwählten von heute. Matthes, Matthes, schau hin! Stoppeln und Stangenkleidung sind tabu! So bist du keiner von "ihnen". Lebenslanges Lernen ist angesagt - du weißt schon. Fang endlich damit an!
Ich weiß, Herausputzerei sollte eine Nebenrolle spielen. Leider spielt es aber wohl die Hauptrolle. Denn nur darin unterscheiden sich Angie und Matthes. Nur das entscheidet über ihren Platz auf der dümmlichen "Beliebtheits-Hitparade"! Oder wird diese etwa doch manipuliert - von Hand gefälscht? Ich gestehe, den Gedanken habe ich manchmal. Aber - nein, nein - das kann nicht sein, nicht in unserer "freiheitlichen Demokratie"! Nicht in Deutschland, wo doch auch ich Deutschland bin! Und darauf bestehe ich: Ich fälsche nichts!
Worin sich die beiden Schachfiguren nicht unterscheiden? Nun, in ihren Reden. Diese sind nämlich austauschbar. Man könnte auch die Predigten von Steinbrück, Steinmeier, Schmidt, und wie sie alle heißen, hinzunehmen - sie sind alle gleich, zumeist inszeniert und präsentiert von der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" (INSM): inhaltsleer, voller Phrasen und Parolen.
Und doch haben sie einen Sinn: Sie sind gespickt mit versteckten, aber auch offenen Ressentiments gegen die Öffentlichkeit. Da sich viele Bürger noch immer nicht mit einer Entstaatlichung abfinden wollen, sich gegen die Ausbeutung durch die Wirtschaft wehren, werden sie kontinuierlich als Parasiten, Sozialbetrüger, Faulenzer, Besitzstandswahrer und Ewiggestrige hingestellt. Dass mit jeder dieser Beschimpfungen gegen das Grundgesetz verstoßen wird, sei nur am Rande erwähnt. Da aber die meisten Medien im neoliberalen Boot Platz genommen haben, werden diese Formulierungen kritiklos übernommen und endlos variiert.
Da jedoch gegenwärtig noch zu viele Bürger einer völligen Systemänderung - raus aus der "sozialen Marktwirtschaft" - negativ gegenüber stehen, wird zur Zeit noch meistens mit versteckten Ressentiments gearbeitet. Lediglich hier und da, wo man glaubt, es sich leisten zu können, kommen offener Hass und Verachtung für den Normalbürger deutlich zum Ausdruck. Ich erinnere nur an die unflätigen Beschimpfungen der Arbeitslosen durch den - Gott sei Dank - entledigten Herrn Clement.
Ein weiteres Beispiel, das seinesgleichen sucht, stammt von Peer Steinbrück aus dem Jahr 2003: "Soziale Gerechtigkeit muss künftig heißen, eine Politik für jene zu machen, die etwas für die Zukunft unseres Landes tun: die lernen und sich qualifizieren, die arbeiten, die Kinder bekommen und erziehen, die etwas unternehmen und Arbeitsplätze schaffen, kurzum, die Leistung für sich und unsere Gesellschaft erbringen. Um die - und nur um sie - muss sich Politik kümmern. Einen Kommentar erspare ich mir!
Das Ressentiment hält einer Überprüfung nie stand. Dennoch übt es unmerklich enorme Macht aus. Durch die fortwährende Wiederholung in Medien, Bundestagsreden und Diskussionen gräbt es sich in Gedanken und Seelen der Menschen ein. Schließlich mutiert es zur allgemein anerkannten "Wahrheit". So konnte sich zum Beispiel das 3. Reich entwickeln.
Ein Beispiel: "Arbeitslose sind Sozialschmarotzer! Das Hartz-IV-Geld ist viel zu hoch, es muss gekürzt werden!" Hört man sich in der Bevölkerung um, sind viele Bürger dieser Meinung, obwohl sie oft nicht wissen, worum es sich bei Hartz IV handelt und wie hoch der Betrag tatsächlich ist. Dass die Anzahl der "Sozialschmarotzer" erheblich geringer ist als die der Steuerhinterzieher, bleibt unerwähnt. Zur Information: Durch die so genannten Sozialbetrüger entsteht dem Staat ein jährlicher Schaden von rund 600 Millionen Euro. Durch Steuerhinterziehung entgehen ihm jedoch 140 Milliarden Euro. Peanuts, der Rede nicht wert!
Um diese jährlich in dunklen Kanälen verschwindenden Milliarden wieder hereinzuholen, lässt man also lieber "Überflüssige" - um in der Sprache der Neoliberalen zu sprechen - wie Rentner, Alte, Arme, Arbeitslose, Kranke und Behinderte bluten, statt sich auf die Suche nach den wirklichen Verbrechern zu begeben. Vermutlich müsste man zu viele aus den eigenen Reihen anklagen. Eine Krähe - na, Sie wissen schon!
Aber wer ist für sie 'Deutschland'?
Foto: NRhZ-Archiv
Noch eine Technik beherrschen diese fanatischen Prediger vorzüglich: Lassen sie im allgemeinen auch jede Kreativität missen, wenn es darum geht, ihre Weisheiten zu verkünden, werden sie plötzlich ungeahnt einfallsreich und betätigen sich gar als "Wortschöpfer". So machte sich unser Matthes in einer "Die-Welt-Kolumne" stark "Für eine Partei der Zupacker".
Kommen einem da nicht sofort die "Zupackerinnen" in den Sinn? Wieso grenzt er die holde Weiblichkeit aus? Sollte er die Lächerlichkeit dieses Wortes erkannt haben? Wir werden es nicht erfahren.
Matthes "Zupacker" gipfeln schließlich in dem Satz: "Daher müssen wir daran arbeiten, in Deutschland eine neue Grundhaltung des gemeinsamen Zupackens zu entwickeln. Zupackende Menschen sind die zufriedeneren Menschen. Deshalb muß die SPD eine Partei zupackender und optimistischer Menschen sein. Unser Bild von Deutschland ist das eines zupackenden Landes - eines Landes der tatkräftigen Erneuerung für alle und durch alle." Eine Anhäufung von Phrasen. Mehr nicht!
Im folgenden Satz bereitet uns Mister Dreitagebart dann wohl auf Armut für die breite Bevölkerung vor: "Gebraucht zu werden - das ist für Menschen das Entscheidende. Es schafft Lebenssinn, Zufriedenheit, sozialen Zusammenhang. In Wahrheit sind es nicht nur materieller Erwerb und Besitz, was Zufriedenheit schafft. Es ist gerade auch das gemeinschaftliche Zupacken an sich, das Menschen Befriedigung verschafft." Es ist also völlig gleichgültig, was und wo wir arbeiten und ob wir dafür entlohnt werden. Sinn und Zufriedenheit des Lebens liegen im "gemeinschaftlichen Zupacken" und im "Gebrauchwerden"! Kann ruhig ehrenamtlich sein.
Einen Lacher hat mir die Wortschöpfung "Unterjüngung" entlockt. Sie wissen nicht, was damit gemeint ist? Kein Wunder. Aber ich kläre Sie auf: "Unser Problem heißt nicht "Überalterung", sondern "Unterjüngung." Alles klar? Darauf muss man wirklich erst einmal kommen. Also, Leute, zupacken und Kinder machen! Ehrenamtlich!
Weitere sprachliche Auswüchse sind: "Sicherheitsversprechen", "bildungsreiche Gesellschaften", "sozialnostalgisch". Über die Widersprüche könnte man Romane schreiben.
Eine andere Technik der Globalisierungsfanatiker ist der gezielte Masseneinsatz von sinnlosen Adjektiven. Benutzt man "Wiewörter" im allgemeinen Sprachgebrauch eher selten dafür aber gezielt, um Unterscheidungen Ausdruck zu verleihen, schleudern die selbst ernannten Weltverbesserer sie pausenlos durch die Gegend. Dahinter steckt Kalkül. Adjektive sind sehr aussagekräftig, rufen Gefühle hervor. Mit ihnen können Angst und Unsicherheit verbreitet, ein schlechtes Gewissen erzeugt werden. Die Anhäufung von Adjektiven ist Mittel zum Zweck. Indem Platzeck diese, mit einer Ansammlung von Adjektiven versehenen Forderungen stellt, denunziert er gleichzeitig die, an die sie gerichtet sind.
Sein Schlagwort: 'Freiheit vor Gleichheit'
Foto: NRhZ-Archiv
Hier einige Beispiele: Platzeck fordert eine "bewegungsfreudige, aufgeklärte und weltoffene Politik". "Die erneuerte SPD hat allen Anlass zu erneuerter Zuversicht. Sie besitzt eine schlüssige und zuversichtliche Leitidee für unsere Zeit. - Entwickelt die SPD ihren Leitgedanken vom fruchtbaren Wechselverhältnis wirtschaftlicher Dynamik und erneuerter Sozialstaatlichkeit systematisch weiter, dann haben wir alle Chancen, zur gesellschaftlich prägenden Kraft der kommenden Jahrzehnte zu werden. - Deshalb muss die SPD eine Partei zupackender und optimistischer Menschen sein. Unser Bild von Deutschland ist das eines zupackenden Landes - eines Landes der tatkräftigen Erneuerung."
Weiter wendet sich der Vorsitzende dieser so weltoffenen (besser: wirtschaftshörigen) SPD gegen "dogmatisch Marktgläubige" und "vermeintlich besonders Linke, zutiefst konservative Verfechter mit vorgestrigen Vorstellungen". Beide werden nicht näher benannt, man darf vermuten. Er faselt von "erneuerter Sozialstaatlichkeit" und "sozialer Gerechtigkeit". Was er unter "erneuerter Sozialstaatlichkeit" versteht, bleibt ebenso im Verborgenen wie eine Erläuterung der "unsozialen Gerechtigkeit".
Schließlich gipfelt sein Geschwätz in: "Die Gewinner wären die Menschen in unserem Land!" Man beachte dabei den Konjunktiv! Gewinner wird nur der, der den davor gestellten Forderungen gerecht wird. Und: Besteht die Welt nur aus Menschen? Wo bleiben die Tiere und die Pflanzen?
Erwähnt werden sollen auch noch einige Floskeln, die häufig wiederkehren und bei vielen Bürgern offensichtlich gut ankommen: "Eine Gesellschaft ohne Kinder ist eine Gesellschaft ohne Zukunft!" - "Zugleich müssen wir die Kinder- und Familienpartei in Deutschland sein!" - "Und darum müssen wir im 21. Jahrhundert die Bildungspartei für Deutschland sein!".
Armut und Arbeitslosigkeit werden - wie kann man auch anderes erwarten - auf fehlende Qualifikationen und Fertigkeiten der Betroffenen geschoben. Kein Wort von der grundsätzlichen Ausgrenzung älterer Mitarbeiter und Alleinerziehender. Arme und Arbeitslose tragen selber die Schuld an ihrem Elend, sie bilden sich nicht weiter. Respektlos bezeichnet Platzeck sie als "Outsider" der Gesellschaft.
Dass diese Menschen unter neoliberaler Herrschaft immer mehr aus der Gesellschaft verdrängt werden, ist kein Thema. Jedoch wollen die "Sozialdemokraten eine Gesellschaft mit Lebenschancen für alle!" Genau dieser letzte Satz ist - wenige Wochen nach Erscheinen seiner Kolumne - schon als Lüge enttarnt: Junge Arbeitslose müssen bis 25 Jahre bei ihren Eltern wohnen bleiben, haben kein Recht mehr auf Privatsphäre. Darüber hinaus hat man beschlossen, junge Arbeitslose ohne Schulabschluss und ohne Qualifikation nicht mehr zu fördern. Sind das die Lebenschancen für alle?
Zu befürchten ist auch, dass durch eine dauerhafte medizinische Unterversorgung der ärmeren Bevölkerungsschicht dort auch die Sterblichkeit rapide zunehmen wird. Noch dürfen wir darauf hoffen, dass moralische Grundsätze ein Gesetz zur Euthanasieerlaubnis -wie kürzlich in Hamburg gefordert - verhindern. Da jedoch die Gier nach Kapital ungebrochen ist, da neoliberale Vertreter Moral dem Profit unterordnen, a-sozial denken und handeln, fürchte ich, dass man schon noch einen Weg finden wird, alle "Überflüssigen" rechtzeitig zu entsorgen. - Vielleicht gibt es plötzlich tatsächlich einen mutierten "Vogelgrippevirus"! Vorbereitungen darauf finden ja seit langem statt! Aber - das ist nur so eine Idee!
Online-Flyer Nr. 33 vom 28.02.2006
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Glossen
"Am Aschermittwoch ist alles vorbei..." - Leider nicht!
Angie und Matthes zum Hundertsten
Von Mary Ann Christen-Meyer
Die Gedanken fielen über mich her wie ein Vogelschwarm, infizierten mich vogelgrippeartig, ließen mich einfach nicht mehr los. Die Pandemie hatte auch mich erwischt. Also schnappte ich mir meinen Hund, marschierte los...
Woran liegt es wohl, überlegte ich, dass Angie plötzlich so viel beliebter als Matthes ist? Ich forschte verzweifelt in meinen Gehirnwindungen - und plötzlich fielen die verständlichen Sicherungsblockaden ab. Natürlich, das ist es: Angie muss Kostüm- und Maskenbildner zur Seite gestellt bekommen haben. Ach ja, und einen Schauspiellehrer.
Wie anders ist es zu erklären, dass unsere späte Maid nun doch noch ihren ersten Frühling erlebt? Sie erinnern sich an "Kohls Mädchen"? Klar doch: Frisur im Kochtopflook, Kleidung im Das-trug-man-damals-Stil, rundes Babyface mit allzeit konvexem Lippenbogen. Deshalb musste auch noch eine Souffleuse her. Diese Dame pflegt in der ersten Reihe zu sitzen und von dort zu signalisieren, wann Angie ihre Mundwinkel liften muss. Ist doch alles nicht so einfach für unsere First Lady. Schließlich waren die Besagten 50 Jahre abwärts eingefroren.
'Einer von uns' - sagt seine Internetseite
Foto: NRhZ-Archiv
Und der Matthes? Der ist dabei auf der Strecke geblieben, dem hat man seinen einzigen Berater einfach gestrichen. Sparmaßnahme - kann man ja verstehen. Aber nun glaubt der einstige Frauenschwarm doch tatsächlich, ein Dreitagebart sei schick!Ach Gott, er kann einem schon leid tun, der Arme. Natürlich lieben auch heute noch viele Männer und Frauen ein stoppeliges Kinn - aber doch nicht diese selbst ernannten Eliten!
Betrachten wir stellvertretend für alle mal einfach den schönen Guido. Den Westerwelle meine ich, den untalentierten Showmaster von der "Für-Deppen-Partei": Glatt rasiert wie ein Babypopo, Duftwässerchen, genau vermessene Haarlänge, gescheitelt und gegelt, randlose Intelligenzienbrille, Maßanzug und Maßschuhe, Hemd, Krawatte und Socken aus Samt und Seide - ja, so stylen und dressen sich die Auserwählten von heute. Matthes, Matthes, schau hin! Stoppeln und Stangenkleidung sind tabu! So bist du keiner von "ihnen". Lebenslanges Lernen ist angesagt - du weißt schon. Fang endlich damit an!
Ich weiß, Herausputzerei sollte eine Nebenrolle spielen. Leider spielt es aber wohl die Hauptrolle. Denn nur darin unterscheiden sich Angie und Matthes. Nur das entscheidet über ihren Platz auf der dümmlichen "Beliebtheits-Hitparade"! Oder wird diese etwa doch manipuliert - von Hand gefälscht? Ich gestehe, den Gedanken habe ich manchmal. Aber - nein, nein - das kann nicht sein, nicht in unserer "freiheitlichen Demokratie"! Nicht in Deutschland, wo doch auch ich Deutschland bin! Und darauf bestehe ich: Ich fälsche nichts!
Worin sich die beiden Schachfiguren nicht unterscheiden? Nun, in ihren Reden. Diese sind nämlich austauschbar. Man könnte auch die Predigten von Steinbrück, Steinmeier, Schmidt, und wie sie alle heißen, hinzunehmen - sie sind alle gleich, zumeist inszeniert und präsentiert von der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" (INSM): inhaltsleer, voller Phrasen und Parolen.
Und doch haben sie einen Sinn: Sie sind gespickt mit versteckten, aber auch offenen Ressentiments gegen die Öffentlichkeit. Da sich viele Bürger noch immer nicht mit einer Entstaatlichung abfinden wollen, sich gegen die Ausbeutung durch die Wirtschaft wehren, werden sie kontinuierlich als Parasiten, Sozialbetrüger, Faulenzer, Besitzstandswahrer und Ewiggestrige hingestellt. Dass mit jeder dieser Beschimpfungen gegen das Grundgesetz verstoßen wird, sei nur am Rande erwähnt. Da aber die meisten Medien im neoliberalen Boot Platz genommen haben, werden diese Formulierungen kritiklos übernommen und endlos variiert.
Da jedoch gegenwärtig noch zu viele Bürger einer völligen Systemänderung - raus aus der "sozialen Marktwirtschaft" - negativ gegenüber stehen, wird zur Zeit noch meistens mit versteckten Ressentiments gearbeitet. Lediglich hier und da, wo man glaubt, es sich leisten zu können, kommen offener Hass und Verachtung für den Normalbürger deutlich zum Ausdruck. Ich erinnere nur an die unflätigen Beschimpfungen der Arbeitslosen durch den - Gott sei Dank - entledigten Herrn Clement.
Ein weiteres Beispiel, das seinesgleichen sucht, stammt von Peer Steinbrück aus dem Jahr 2003: "Soziale Gerechtigkeit muss künftig heißen, eine Politik für jene zu machen, die etwas für die Zukunft unseres Landes tun: die lernen und sich qualifizieren, die arbeiten, die Kinder bekommen und erziehen, die etwas unternehmen und Arbeitsplätze schaffen, kurzum, die Leistung für sich und unsere Gesellschaft erbringen. Um die - und nur um sie - muss sich Politik kümmern. Einen Kommentar erspare ich mir!
Das Ressentiment hält einer Überprüfung nie stand. Dennoch übt es unmerklich enorme Macht aus. Durch die fortwährende Wiederholung in Medien, Bundestagsreden und Diskussionen gräbt es sich in Gedanken und Seelen der Menschen ein. Schließlich mutiert es zur allgemein anerkannten "Wahrheit". So konnte sich zum Beispiel das 3. Reich entwickeln.
Ein Beispiel: "Arbeitslose sind Sozialschmarotzer! Das Hartz-IV-Geld ist viel zu hoch, es muss gekürzt werden!" Hört man sich in der Bevölkerung um, sind viele Bürger dieser Meinung, obwohl sie oft nicht wissen, worum es sich bei Hartz IV handelt und wie hoch der Betrag tatsächlich ist. Dass die Anzahl der "Sozialschmarotzer" erheblich geringer ist als die der Steuerhinterzieher, bleibt unerwähnt. Zur Information: Durch die so genannten Sozialbetrüger entsteht dem Staat ein jährlicher Schaden von rund 600 Millionen Euro. Durch Steuerhinterziehung entgehen ihm jedoch 140 Milliarden Euro. Peanuts, der Rede nicht wert!
Um diese jährlich in dunklen Kanälen verschwindenden Milliarden wieder hereinzuholen, lässt man also lieber "Überflüssige" - um in der Sprache der Neoliberalen zu sprechen - wie Rentner, Alte, Arme, Arbeitslose, Kranke und Behinderte bluten, statt sich auf die Suche nach den wirklichen Verbrechern zu begeben. Vermutlich müsste man zu viele aus den eigenen Reihen anklagen. Eine Krähe - na, Sie wissen schon!
Aber wer ist für sie 'Deutschland'?
Foto: NRhZ-Archiv
Noch eine Technik beherrschen diese fanatischen Prediger vorzüglich: Lassen sie im allgemeinen auch jede Kreativität missen, wenn es darum geht, ihre Weisheiten zu verkünden, werden sie plötzlich ungeahnt einfallsreich und betätigen sich gar als "Wortschöpfer". So machte sich unser Matthes in einer "Die-Welt-Kolumne" stark "Für eine Partei der Zupacker".
Kommen einem da nicht sofort die "Zupackerinnen" in den Sinn? Wieso grenzt er die holde Weiblichkeit aus? Sollte er die Lächerlichkeit dieses Wortes erkannt haben? Wir werden es nicht erfahren.
Matthes "Zupacker" gipfeln schließlich in dem Satz: "Daher müssen wir daran arbeiten, in Deutschland eine neue Grundhaltung des gemeinsamen Zupackens zu entwickeln. Zupackende Menschen sind die zufriedeneren Menschen. Deshalb muß die SPD eine Partei zupackender und optimistischer Menschen sein. Unser Bild von Deutschland ist das eines zupackenden Landes - eines Landes der tatkräftigen Erneuerung für alle und durch alle." Eine Anhäufung von Phrasen. Mehr nicht!
Im folgenden Satz bereitet uns Mister Dreitagebart dann wohl auf Armut für die breite Bevölkerung vor: "Gebraucht zu werden - das ist für Menschen das Entscheidende. Es schafft Lebenssinn, Zufriedenheit, sozialen Zusammenhang. In Wahrheit sind es nicht nur materieller Erwerb und Besitz, was Zufriedenheit schafft. Es ist gerade auch das gemeinschaftliche Zupacken an sich, das Menschen Befriedigung verschafft." Es ist also völlig gleichgültig, was und wo wir arbeiten und ob wir dafür entlohnt werden. Sinn und Zufriedenheit des Lebens liegen im "gemeinschaftlichen Zupacken" und im "Gebrauchwerden"! Kann ruhig ehrenamtlich sein.
Einen Lacher hat mir die Wortschöpfung "Unterjüngung" entlockt. Sie wissen nicht, was damit gemeint ist? Kein Wunder. Aber ich kläre Sie auf: "Unser Problem heißt nicht "Überalterung", sondern "Unterjüngung." Alles klar? Darauf muss man wirklich erst einmal kommen. Also, Leute, zupacken und Kinder machen! Ehrenamtlich!
Weitere sprachliche Auswüchse sind: "Sicherheitsversprechen", "bildungsreiche Gesellschaften", "sozialnostalgisch". Über die Widersprüche könnte man Romane schreiben.
Eine andere Technik der Globalisierungsfanatiker ist der gezielte Masseneinsatz von sinnlosen Adjektiven. Benutzt man "Wiewörter" im allgemeinen Sprachgebrauch eher selten dafür aber gezielt, um Unterscheidungen Ausdruck zu verleihen, schleudern die selbst ernannten Weltverbesserer sie pausenlos durch die Gegend. Dahinter steckt Kalkül. Adjektive sind sehr aussagekräftig, rufen Gefühle hervor. Mit ihnen können Angst und Unsicherheit verbreitet, ein schlechtes Gewissen erzeugt werden. Die Anhäufung von Adjektiven ist Mittel zum Zweck. Indem Platzeck diese, mit einer Ansammlung von Adjektiven versehenen Forderungen stellt, denunziert er gleichzeitig die, an die sie gerichtet sind.
Sein Schlagwort: 'Freiheit vor Gleichheit'
Foto: NRhZ-Archiv
Hier einige Beispiele: Platzeck fordert eine "bewegungsfreudige, aufgeklärte und weltoffene Politik". "Die erneuerte SPD hat allen Anlass zu erneuerter Zuversicht. Sie besitzt eine schlüssige und zuversichtliche Leitidee für unsere Zeit. - Entwickelt die SPD ihren Leitgedanken vom fruchtbaren Wechselverhältnis wirtschaftlicher Dynamik und erneuerter Sozialstaatlichkeit systematisch weiter, dann haben wir alle Chancen, zur gesellschaftlich prägenden Kraft der kommenden Jahrzehnte zu werden. - Deshalb muss die SPD eine Partei zupackender und optimistischer Menschen sein. Unser Bild von Deutschland ist das eines zupackenden Landes - eines Landes der tatkräftigen Erneuerung."
Weiter wendet sich der Vorsitzende dieser so weltoffenen (besser: wirtschaftshörigen) SPD gegen "dogmatisch Marktgläubige" und "vermeintlich besonders Linke, zutiefst konservative Verfechter mit vorgestrigen Vorstellungen". Beide werden nicht näher benannt, man darf vermuten. Er faselt von "erneuerter Sozialstaatlichkeit" und "sozialer Gerechtigkeit". Was er unter "erneuerter Sozialstaatlichkeit" versteht, bleibt ebenso im Verborgenen wie eine Erläuterung der "unsozialen Gerechtigkeit".
Schließlich gipfelt sein Geschwätz in: "Die Gewinner wären die Menschen in unserem Land!" Man beachte dabei den Konjunktiv! Gewinner wird nur der, der den davor gestellten Forderungen gerecht wird. Und: Besteht die Welt nur aus Menschen? Wo bleiben die Tiere und die Pflanzen?
Erwähnt werden sollen auch noch einige Floskeln, die häufig wiederkehren und bei vielen Bürgern offensichtlich gut ankommen: "Eine Gesellschaft ohne Kinder ist eine Gesellschaft ohne Zukunft!" - "Zugleich müssen wir die Kinder- und Familienpartei in Deutschland sein!" - "Und darum müssen wir im 21. Jahrhundert die Bildungspartei für Deutschland sein!".
Armut und Arbeitslosigkeit werden - wie kann man auch anderes erwarten - auf fehlende Qualifikationen und Fertigkeiten der Betroffenen geschoben. Kein Wort von der grundsätzlichen Ausgrenzung älterer Mitarbeiter und Alleinerziehender. Arme und Arbeitslose tragen selber die Schuld an ihrem Elend, sie bilden sich nicht weiter. Respektlos bezeichnet Platzeck sie als "Outsider" der Gesellschaft.
Dass diese Menschen unter neoliberaler Herrschaft immer mehr aus der Gesellschaft verdrängt werden, ist kein Thema. Jedoch wollen die "Sozialdemokraten eine Gesellschaft mit Lebenschancen für alle!" Genau dieser letzte Satz ist - wenige Wochen nach Erscheinen seiner Kolumne - schon als Lüge enttarnt: Junge Arbeitslose müssen bis 25 Jahre bei ihren Eltern wohnen bleiben, haben kein Recht mehr auf Privatsphäre. Darüber hinaus hat man beschlossen, junge Arbeitslose ohne Schulabschluss und ohne Qualifikation nicht mehr zu fördern. Sind das die Lebenschancen für alle?
Zu befürchten ist auch, dass durch eine dauerhafte medizinische Unterversorgung der ärmeren Bevölkerungsschicht dort auch die Sterblichkeit rapide zunehmen wird. Noch dürfen wir darauf hoffen, dass moralische Grundsätze ein Gesetz zur Euthanasieerlaubnis -wie kürzlich in Hamburg gefordert - verhindern. Da jedoch die Gier nach Kapital ungebrochen ist, da neoliberale Vertreter Moral dem Profit unterordnen, a-sozial denken und handeln, fürchte ich, dass man schon noch einen Weg finden wird, alle "Überflüssigen" rechtzeitig zu entsorgen. - Vielleicht gibt es plötzlich tatsächlich einen mutierten "Vogelgrippevirus"! Vorbereitungen darauf finden ja seit langem statt! Aber - das ist nur so eine Idee!
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