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Globales
Wenn Geheimdienste Terrorzellen unterwandern
Die „amerikanische Sauerland-Zelle“
Von Alan Schink

„Terroranschlag in New York vereitelt“, jubelte der FOCUS. Und natürlich war am Abend des 21. Mai die vom FBI eingeladene Nachrichtenagentur AP in New York dabei, um von der Festnahme der “amerikanischen Sauerland-Zelle“ Foto um die Welt zu schicken, die natürlich auch Spiegel, Süddeutsche Zeitung u.v.a. veröffentlichten. Unser Autor hat sich Gedanken darüber gemacht, was von diesem Medienknüller zu halten ist. – Die Redaktion.

SZ-Bildunterschrift: „Die Verdächtigen wurden 
festgenommen, als sie gerade Sprengstoff 
kaufen wollten.“
Quelle: http://www.sueddeutsche.de
/politik/773/469331/zoom_0_0/

Foto: AP
Es sollte angeblich Amerikas zweiter 11. September werden: vier islamistische Terroristen, drei davon amerikanische Konvertiten, einer Afghane, planten laut FBI-Aussagen Anschläge auf eine Synagoge und Einrichtungen des Militärs. Das Quartett wurde “rechtzeitig“ festgenommen. Verdrängt durch die übliche Panikmache der Staatsschützer und der Medien wird dabei die Rolle der amerikanischen Bundespolizei, welche die Terrorzelle durch einen V-Mann seit knapp einem Jahr “steuerte“.
 
Am 26. September 1993 ging in New York eine Bombe hoch. Als die Terrorgruppe um den Pakistaner Ramzi Yousef einen Van, beladen mit etwa 700 kg Sprengstoff, in einer der Tiefgaragen des World Trade Center 1 parkte, und anschließend in die Luft jagte, starben sechs Menschen und über 1000 wurden verletzt. Es hätte weitaus schlimmer kommen können damals, hätten Yousef und sein Mitverschwörer Eyad Ismail den Lieferwagen nur näher an einem der tragenden Pfeiler des WTC geparkt.(1) Fraglich ist jedoch bis heute, ob es überhaupt so weit hätte kommen müssen. Denn das FBI hatte einen V-Mann, Emad Salem, in Yousefs Terrorzelle geschleust, der die Islamisten sogar bei der Fertigung der Bombe unterstützte und dem für seine Spitzeltätigkeit Zeugenschutz zugesichert wurde. Im anschließenden Prozess gegen die Verschwörer, sagte Salem, der Anschlag hätte verhindert werden können; die Bundesbehörde (FBI) hätte im Vorfeld über alle Vorgänge Bescheid gewusst, jedoch nichts unternommen. Auch der Plan, entscheidende Elemente der Bombe durch nutzlose Imitate auszutauschen, den Salem ausführen sollte, wurde im letzten Moment durch den zuständigen FBI-Vorgesetzten rückgängig gemacht.(2)
 
„Zu jeder Zeit voll unter Kontrolle“
 
Zu Toten und Verletzten kam es dieser Tage in New York glücklicherweise nicht. In einer nahezu perfekt durchgeführten Operation des FBI wurden die vier mutmaßlichen Terroristen, die Anschläge auf ein Militärflugzeug und jüdische Einrichtungen in New York planten, seit fast einem Jahr auf Schritt und Tritt überwacht: unter anderem auch per Video- und Audioaufzeichungen. Der SPIEGEL schreibt, das „terroristische Komplott“ sei „von Anfang an unter Aufsicht eines FBI-Agenten entstanden“.(3) Dieser hatte sich vor knapp einem Jahr in die Gruppe eingeschleust und den Islamisten anschließend die Bomben- und Raketenattrappen beschafft, durch welche die vier glaubten, das nächste 9/11 herbeiführen zu können. Nachdem dann genügend Beweise gegen die Gruppe gesammelt worden waren, konnte sie am 21. Mai in einer koordinierten Aktion des FBI und der New Yorker Polizei festgenommen werden. Die Operation war, so ein FBI-Agent, „zu jeder Zeit voll unter Kontrolle.“
 
Hausgemachte Terroristen und hasserfüllte Kleinkriminelle
 
Wie im Falle der deutschen “Sauerland-Zelle“', handelte es sich auch bei den in New York festgenommenen Islamisten um sogenannte “Homegrown Terrorists“, also Terroristen, die im Zielland aufgewachsen sind und sich erst dort radikalisierten. Für amerikanische und deutsche Sicherheitskreise hat sich mit dieser Sorte Terroristen, zu denen oft junge und hasserfüllte Männer gehören, die Gefahr für die innere Sicherheit qualitativ erhöht, weshalb auch weitere sicherheitspolitische Maßnahmen, wie etwa eine “Terror-Datenbank“ oder die präventive Speicherung von Kommunikationsverbindungen gerechtfertigt seien. Der Bereich der Gefährder weite sich mit den “hausgemachten Terroristen“, meist Konvertiten, aus, so Wolfgang Schäuble kurz nach dem vereitelten Anschlag in Deutschland. Nicht nur Personen mit islamischem Migrationshintergrund, sondern auch dem Islam zugeneigte Personen geraten nun ins Visier der Staatsschützer.(4) Durch den jüngst vereitelten Anschlag in Amerika fühlen sich die Sicherheitspolitiker einmal mehr in ihren Prophezeiungen bestätigt.
 
Doch nicht nur dass die islamistischen Akteure sich im Zielland radikalisierten, ist den vereitelten Anschlägen von New York und Deutschland 2007 gemein; ebenso wie bei Fritz Gelowicz, Daniel Schneider und Adem Yilmaz, handelt es sich auch bei den nun festgenommenen amerikanischen Konvertiten um blutige Amateure, Kleinkriminelle, deren Unfähigkeit, einen derartigen Anschlag präzise auszuführen, bei näherer Betrachtung offenbar wird.(5) Die Terroristen der “amerikanischen Sauerland-Zelle“ sind allesamt Ex-Häftlinge, die sich unter anderem im Gefägnis kennengelernt und radikalisiert hatten. Ebenso wie Gelowicz und Co. verhielten sie sich alles andere als unauffällig und, bevor sie sich im Gefängnis kennengelernt hatten und zum Islam konvertiert waren, zudem höchst unislamisch: drei von ihnen waren bereits wegen Drogendelikten verurteilt worden, einer wegen Körperverletzung. Über den 55-jährigen Rädelsführer der Gruppe, James Cromitie, wird gesagt, er habe einen „Hass auf Juden“ und sei „wütend über den US-Militäreinsatz in Afghanistan.“(6) Der 27-jährige Laguerre Payen nahm laut seinem Anwalt „Medikamente gegen Schizophrenie und hatte einen sehr niedrigen Intelligenzquotienten“. Zuvor fiel er bereits auf, als er mit seinem Luftgewehr auf Passanten geschossen und Brieftaschen geraubt hatte.
 
Self-fulfilling Prophecy?
 
Nach solchen Erkenntnissen ist es nicht nur fragwürdig, ob die Hysterie in den Medien über den vereitelten Anschlag gerechtfertigt ist. Viel wichtiger ist die Frage nach der genauen Rolle der Geheimdienste in diesem Spiel. Denn was wäre wohl mit den “Crackpots“ aus Newburgh, oder mit den den WTC-Bombern 1993, ebenso wie mit Gelowicz und seinen Komplizen geschehen, hätte man sie nicht vom Geheimdienst aus mit Informationen, Ideen und Zündern ausgestattet und bis zuletzt gewähren lassen?(7) Was hätten sie zustande gebracht? Und haben sich diese - mit Verlaub - “erbärmlichen“ Gestalten nicht letztendlich doch nur von den staatlichen Behörden für politische Zwecke instrumentalisieren lassen?
 
An diesem Punkt stellt sich die Frage, ob nicht viele der hysterischen Terror-Warnungen, die regelmäßig, von Sicherheitspolitikern kommend, über die Massenmedien multipliziert werden, bereits Ausdruck von Insider-Wissen über laufende Geheimdienst-Operationen (Stichwort “V-Männer“, “Agents Provocateurs“) sind. Wenn dem so sei – wovon in vielen Fällen auszugehen ist -, so muss auch die Frage erlaubt sein, inwiefern jene verdeckten Operationen dazu beitragen, die eigens heraufbeschworene Terrorhysterie erst Wirklichkeit werden zu lassen. Denn es sind schon lange nicht mehr nur die Terroristen die von der “Politik der Angst“ profitieren - auch für die Innenminister und die Geheimdienste geht es um Geld, Kompetenzen und Anerkennung, im schlimmsten Falle sogar um die eigene Existenzberechtigung. (PK)

 
(1) http://web.archive.org/web/20050316140649/http://msnbc.msn.com/id/3069653/
(2) http://www.nytimes.com/1993/10/28/nyregion/tapes-depict-proposal-to-thwart-bomb-used-in-trade-center-blast.html siehe auch: http://sander.gnn.tv/blogs/13555/
(3) http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,626195,00.html
(4) http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,504232,00.html
(5) Ein CIA-Mitarbeiter lieferte der Sauerlandzelle den Zünder für ihre Sprengsätze und galt sogar als ihr „Chef“: http://www.stern.de/panorama/:Sauerland-Zelle-Mutma%DFlicher-CIA-Mann-der-Chef/653678.html
Zum Dilettantismus und den Kontroversen um die Sauerlandzelle etwa: „Ein Käfig voller Enten“, von Walter Rossum, Deutschlandfunk, 12.05.09, siehe hier: http://www.dradio.de/aodflash/player.php?station=1&broadcast=641012&/ und das Buch „Terrorziel Europa“ von Jürgen Elsässer, NRhZ 177 vom 17.12.2008, siehe http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=13237
(6) http://www.focus.de/panorama/vermischtes/new-york-terrorismus-geistliche-setzen-zeichen-gegen-hass-und-intoleranz_aid_401579.html
(7) Bis zuletzt stand Yehia Yousif, der Gelowicz beim Bombenbau anleitete und zum Teil für dessen Radikaliserung verantwortlich gemacht werden kann, beim baden-württembergischen Landesamt für Verfassungsschutz auf der Gehaltsliste. Vgl. (5)

 
Alan Schink, Jahrgang 1985, studiert an der Universität Stuttgart Philosophie und Soziologie und interessiert sich seit den Anschlägen vom 11. September 2001 für Terrorismus und dessen Ursachen, für Geopolitik sowie das Entstehen und Wirken von Machtstrukturen. 

Online-Flyer Nr. 199  vom 27.05.2009

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