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Aktueller Online-Flyer vom 22. November 2024  

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Aktuelles
Statt Nothilfe für Diabetikerin:
ARGE – Polizeieinsatz gegen Selbsthilfegruppe
Von Hans-Detlev v. Kirchbach

Dienstag, 9. Juni. Tatort: ARGE Köln-Mitte, Luxemburger Straße. Polizei stürmt in das Gebäude der bekannten sozialen Hilfsvereinigung. Es gilt, ungebetene Eindringlinge zu entfernen. Das Büro der Standortleiterin für die ARGE Köln-Mitte ist besetzt. Zwei der „Besatzer" müssen von den Ordnungskräften zu Boden geworfen und gefesselt werden. Einer leider uneinsichtigen Video-Journalistin müssen Filmmaterial und Kamera mit Gewalt abgenommen werden, da Journalisten bekanntlich zu allererst im Dienst polizeilicher „Beweissicherung" zu stehen haben. Kurzum: Randale, ja, Terroralarm in der ARGE?

ARGE Polizei-Ordnung


Keine Angst – es kam alles in Ordnung. Jedenfalls so, wie man sie bei der Leitung der Kölner ARGE sowie wenigstens bei den am Dienstag eingesetzten Polizeikräften versteht. Aus dem Büro der ARGE–Standortleiterin wurden fünfzehn SozialberaterInnen – meist achtbaren Alters – der Selbsthilfeinitiative „Kölner Erwerbslose in Aktion" (KEA) entfernt. Und die hielten sich dort auch nicht auf, um die hohe ARGE–Dame in ihrer Bürogeruhsamkeit aufzustören, sondern um die sozialgesetzlich erforderliche Nothilfe für eine ARGE-Kundin durchzusetzen. Denn die stand nach Verlust ihrer Geldbörse ohne Bargeld und durch einen Bearbeitungsfehler der ARGE auch ohne Krankenversicherung da. Und das bedeutete für sie akute Gesundheits-und potentielle Lebensgefahr. Denn die Frau ist Diabetikerin, zuckerkrank, und braucht ihre regelmäßige Insulinzuführung. Das heißt aber: Eigenanteil und Zuzahlung, und ohne Krankenversicherung erst recht.

Demütigung statt Nothilfe

Die zuständige Sachbearbeiterin und die schließlich einbezogene Standortleiterin aber verweigerten jede wirksame Soforthilfe. Einen Lebensmittelgutschein wollten sie der Diabetes–Patientin andrehen. Die
Dinger sind DIN-A-4-groß, müssen in Supermärkten an der Kasse vorgelegt werden, während ungeduldige Kunden in der Schlange stehen und den demütigenden Akt mitbekommen – Prangereffekt garantiert. Die
Ausgabe dieser Gutscheine ist nach dem Sozialgesetzbuch auch nur vorgesehen, wenn der betreffende „Klient" beispielsweise der Trunksucht ergeben ist oder als Junkie an der Nadel hängt, also mit Bargeld garantiert nur Unsinn anstellt. Diese Prangerpapiere in einem akuten Notfall statt Bargeld aufzwingen zu wollen, ist gesetzwidrig. Die zwei fachkundigen KEA-Berater, die die Hilfesuchende zunächst begleiteten, wiesen die ARGE-Funktionärinnen auch gebührend auf diesen Umstand sowie auf die Dringlichkeit der Notlage hin. Doch das half alles nichts.


Dein „Freund und Helfer".....

Die ARGE-Standortleiterin wollte, so der Eindruck von KEA-Berater Jochen Lubig, vor allem ihre eigene Machtposition unterstreichen. „Sie wollte zeigen, wer hier die Chefin ist", meint Lubig – und zwar auf Kosten der hilfsbedürftigen „Kundin". Bei diesem weichgespülten Begriff aus der ARGE-Selbstdarstellung darf man freilich nicht vergessen, daß gerade bei der ARGE nicht der Kunde König ist, sondern Sachbearbeiter, Bereichs-und Standortleiter jeweils abgestufte monarchische Gewalt ausüben. So ließ sich denn die ARGE-Fürstin auch nicht durch den Hinweis beeindrucken, daß die Hilfsverweigerung einer Insulinbedürftigen gegenüber, verbunden mit der Abwimmelung, sie möge doch mal „morgen wiederkommen, dann sehen wir weiter", unter Umständen den Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung erfüllen könnte.

Notwendige Nachhilfe durch Beraterkompetenz

Als all diese Verhandlungen nichts fruchteten, riefen die zwei anwesenden KEA-Berater ihre fünfzehn KollegInnen zu Hilfe, die in der benachbarten ARGE Süd gerade mit Begleitungen beschäftigt waren. Dort, so erläutert Jochen Lubig, habe es zwar auch schwierige Fälle, aber einvernehmliche Lösungen gegeben; so gehe es eben auch, wenn sich Beraterpräsenz mit einem Mindestmaß an Einsicht bei den ARGE–MitarbeiterInnen zusammenfinde. Nun aber mußte infolge intensivster Uneinsichtigkeit der Leitung von ARGE Mitte deren Erkenntnisfähigkeit durch Herbeiziehung geballter BeraterInnenkompetenz gefördert werden. Zu diesem didaktischen Zweck betraten denn die fünfzehn zusätzlichen KEA-BeraterInnen, die aus der ARGE Süd herbeigeeilt waren, das Büro der Standortleiterin. Wer dann die Polizei holte, das ist nach Aussagen Beteiligter nicht völlig klar. Jedenfalls erschienen „reichliche Polizeikräfte, zunächst sechs Beamte, später deutlich mehr", auf der Bildfläche.


...im Einsatz gegen ErwerbslosenberaterInnen

Dein Freund und Helfer – gegen Notleidende

Statt sich zunächst kundig zu machen, ob sich die angeblichen Störer des ARGE-Hausfriedens nicht zu Recht und mit einem berechtigten Anliegen in Gebäude und Büro aufhielten, übernahm die Polizei einfach die Rechtsposition der ARGE und räumte unter „mäßigem Gewalteinsatz", so Jochen Lubig, das Büro der Standortleiterin. Und obwohl es die ARGE selbst garnicht verlangt hatte, forderte die Polizei die fünfzehn KEA-BeraterInnen zum Verlassen des Gebäudes auf. Versuche, den Polizeitruppen den Hintergrund der Besuchsaktion zu erläutern, endeten damit, daß zwei KEA-MitarbeiterInnen auf den Boden geworfen und gefesselt wurden. Zwei mit Film-und Fotokamera anwesende JournalistInnen wurden von der Polizei überdies veranlaßt, in das Büro der Standortleiterin zurückzugehen, das doch gerade geräumt werden sollte. Die Polizei beabsichtigte, Kamera und Materialien beider Bildjournalisten ohne Gerichtsbeschluß aus eigener Machtvollkommenheit zu beschlagnahmen. Dieser – heute allerdings schon fast alltägliche – Übergriff gegen die Presse- und Publikationsfreiheit gelang freilich nur im Falle der Videofilmerin, der Material und Kamera einfach entwunden wurden. Dem Fotografen gelang die Flucht.

Abgetrotzte Nothilfe

Der Clou kam allerdings nach Beendigung der Staatsaktion. Endlich nämlich, nachdem auch der oberste Kölner ARGE-Chef Müller-Starmann aufgetaucht war, wurde der zuckerkranken Frau das insbesondere für die

ARGE-Chef Klaus Müller-Starmann:
Diesmal als Retter der Verarmten?
Fotos: R. Bremer
Medikamente erforderliche Bargeld zugestanden. Deren akute Notlage hatte ja den Anlaß für die Polizeiinvasion gegeben, nicht jedoch, um der Bedrängten – Stichwort „Freund und Helfer" – mit uniformierter Fürsorglichkeit beizustehen, sondern um im Gegenteil die engagierten NothelferInnen der KEA aus der ARGE-Zentrale zu werfen. „Was ist das für eine ARGE, in der eine Zuckerkranke erst mit Hilfe einer Meute von Beratern, begleitet von einem Polizeieinsatz, zu ihrem nötigsten Recht kommt?", fragt Jochen Lubig. Den Bericht von Jochen Lubig von der Initiative „Kölner Erwerbslose in Aktion" (KEA) können Sie im Original am Ende des Beitrags als Tondokument hören.

Wir bitten auch um Beachtung des folgenden Terminhinweises: Am Montag, dem 15. 6. 2009, stehen zwei KEA-MitarbeiterInnen vor dem Amtsgericht Köln unter der Anklage u.a. des Hausfriedensbruches, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte etc. Es ging um eine ähnliche Konstellation: KEA-BeraterInnen wollten im Jahre 2007 mit der ersten „Zahltag"-Aktion das ihnen – und insbesondere der ARGE-„Kundschaft" - nach SGB zustehende Recht auf Begleitung durchsetzen, das ihnen von der ARGE-Leitung verweigert wurde. Auch damals gab es einen Polizeieinsatz. „Es wurde abgesperrt, die Aufzüge wurden blockiert, und plötzlich wurden zwei Personen zu Boden geworfen und gefesselt", erzählt Jochen Lubig. Das Recht auf Begleitung konnte zwar gegen die ARGE Köln doch durchgesetzt werden. Die zwei Opfer der damaligen Polizeiaktion müssen sich am Montag gleichwohl vor dem Amtsgericht „verantworten". Dieses Verfahren, meint KEA, richte sich nicht nur gegen die zwei „Angeklagten", sondern gegen die „alle, die am 'Zahltag' beteiligt waren". Termin: 15. 6. 2009, 12 h, Amtsgericht Köln, Luxemburger Straße. Wir werden über das Verfahren aktuell berichten. (HDH)




"Rheinhören" in die NRhZ 
 Jochen Lubig (KEAs) zum ARGE-Zwischenfall



Online-Flyer Nr. 201  vom 11.06.2009

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