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Inland
Reflexionen einer desillusionierten Wessi zu 20 Jahren Mauerfall
Über den „Unrechtsstaat DDR“
Von Sabine Schiffer
Anstatt ursprünglich „Wir sind das Volk“…
NRhZ-Archiv
Dazu Hans Fricke aus Rostock: „Je mehr wir uns - dem 20. Jahrestag der Einverleibung der DDR durch die BRD, als „Tag der deutschen Einheit“ ausgegeben - nähern, umso zahlreicher werden Konferenzen, Symposien, Wanderausstellungen, Fernsehproduktionen, Festakte und dergleichen, die die Bevölkerung davon überzeugen sollen, dass dem 3. Oktober 1990 eine Revolution vorausgegangen sei, auch wenn der soziale Inhalt des Geschehens die Anwendung dieses Begriffes ausschließt. Denn eine Revolution hat stets gesellschaftlichen Fortschritt im Interesse des Volkes zur Voraussetzung und nicht Rückkehr zu einer historisch überlebten, auf gnadenlose Ausbeutung der Mehrheit des Volkes durch eine parasitäre Minderheit beruhenden Gesellschaftsordnung, der nachweislich Kriege und Krisen wesenseigen sind. Die stabsmäßig geplante umfassende Vorbereitung der Jubiläen in diesem und im nächsten Jahr lassen keinen Zweifel daran, dass man weder Kosten noch Mühen scheuen wird, um eine perfekte Gehirnwäsche zu erreichen.“ (1)
Montagsdemonstration Leipzig im Oktober 1989
Quelle: http://de.wikipedia.org/
Statt „blühender Landschaften“ herrscht Enttäuschung. Auch die Nachricht, dass nun im Osten mehr Autos als im Westen fahren, mag nicht recht trösten. Und schon gar nicht die, dass in den Auslandseinsätzen der Bundeswehr überproportional viele junge Leute aus Ostdeutschland eingesetzt sind und sterben. Dabei werden die durch das kürzlich eingeweihte Bundeswehrdenkmal in Berlin immerhin mit geehrt, im Gegensatz zu den NVA-Soldaten, deren Geschichte offensichtlich keine Rolle spielen darf. Der Theologe Friedrich Schorlemmer beklagte den „Kampf um die Deutungshoheit über die DDR“, der eine „Verschleierungs- und Verschiebungsdebatte“ führe, in einem Interview mit der Ostsee-Zeitung. Das hätte Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm besser gelesen, anstatt sich im Berliner Tagesspiegel zu der Forderung zu versteigen, der „Verwahrlosung“ der Ostdeutschen mit dem christlichen Glauben begegnen zu wollen.
„Aufarbeitung der SED-Diktatur“
Vielleicht würde es ein bisschen Anerkennung schon tun, Arroganz jedoch polarisiert nur noch mehr. Gerade jetzt, wo klar wird, dass auch der Kapitalismus gescheitert ist, braucht man den Verweis auf den „Unrechtsstaat DDR“ umso mehr. Darum gibt die Bundesrepublik auch viel Geld aus, um die Erinnerung daran lebendig zu halten. Neben der Bundesstiftung zur „Aufarbeitung der SED-Diktatur“ richtet unter anderem auch Ministerpräsident Roland Koch über seine Landeszentrale für politische Bildung eine Stelle für eben diese Aufarbeitung ein. Welchem Zweck dient diese Fokussierung der DDR-Geschichte in Hessen? Wozu benötigt man den Verweis auf die Missstände anderswo?
Karikatur zur "Wende" und deren Kanzler Kohl von Rainer Hachfeld
Foto: Sabine Schiffer
Was war geschehen? Das Ende der DDR zeugt von der Erkenntnis was passieren kann, wenn eine grunddemokratische Bewegung, die ihr Land reformieren will, überrollt wird von „kapitalen“ Interessen – westlichen Wirtschaftsinteressen. Nicht nur Helmut Kohl war Ende der 80er Jahre politisch am Ende – manche erinnern sich noch an sein dilettantisches Herumeiern um die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl – auch der Kapitalismus als System zeigte erste Risse, denn krebszellenartiges Wachstum verlangt stets nach mehr Konsum und Konsumenten. Welch ein Geschenk hat den beiden Hungrigen also die Bürgerbewegung der DDR gemacht, die montagabendlich für Veränderungen auf die Straße ging?! Dass die um echte Demokratie kämpften, war dem „demokratieverwöhnten“ Westen eher Schnuppe. Zu viele waren in der BRD daran gewöhnt, dass echte Mitsprache gegen Konsumkraft eingetauscht worden war.
Ausverkauf des „Volkseigentums“
Man hätte Deutschland und durchaus Volk vereinigen können, wenn man nicht von Anfang an die Strategie verfolgt hätte, die DDR zu dämonisieren – weit über die kritikwürdigen Fakten hinaus. So konnte man das eigene Tun verschleiern oder gegebenenfalls gar idealisieren: Die Einführung der D-Mark wurde als humanitärer Akt verkauft und nicht als Beginn der Übernahme und des Ausverkaufs der DDR, die immerhin eine Währung besaß, deren Wert mittels Gold gedeckt war. Kredite gab es nach der Wende vornehmlich für Wessis. So konnte etwa der Kreisbaubetrieb Altenburg nur einen solchen erhalten, indem man einen Wessi mit der Geschäftsführung beauftragte. Damit war klar, wem die Ostbetriebe, das gesamte als „Volkseigentum“ bezeichnete Staatseigentum und auch der Löwenanteil des Solidarzuschlags zufallen würden. Heute sind 85 Prozent des sog. Volkseigentums der DDR in Besitz bundesdeutscher Unternehmen, 10 Prozent in der Hand ausländischer Unternehmen und ganze fünf Prozent sind Eigentum Ostdeutscher. Die meisten Ostdeutschen können ihren Kindern also nichts Materielles vererben – etwas Ideelles sowieso nicht, allenfalls das Gefühl „Bürger zweiter Klasse“ zu sein, ohne erwähnenswerte Geschichte.
Edgar Most, Vizepräsident der DDR-Staatsbank und heute der Deutschen Bank zugehörig, entlarvt die Mär vom Staatsbankrott der DDR und verweist auf den aktiven Abwicklungsprozess der DDR-Wirtschaft nach dem Mord an Treuhandchef Rohwedder. Während Most zunächst dachte, dies sei aus Dummheit geschehen, ist er auf Grund seiner Erfahrungen der letzten Jahrzehnte zur Einsicht gekommen, dass alles nach Plan geschah. Heute kann man derlei Informationen in der Jungen Welt, dem ehemaligen FDJ-Blatt finden. Aber wer glaubt im Westen einer solchen Zeitung schon, die wie das „SED-Zentralorgan“ Neues Deutschland auch 20 Jahre nach der sog. Einheit noch diskreditiert wird. Wer sie liest, weiß auch warum.
„Ostalgiker“
Mit dem Verschweigen wichtiger Informationen, konnte man – zumindest im Westen – den Mythos von der Solidarität mittels Solidarzuschlag als netten Bonus für die „armen Ossis“ aufrechterhalten. Dieser bewirkt bis heute, dass viele Menschen im Westen wenig Verständnis für die Desillusionierten im Osten aufbringen können. Dem Unterlegenen hört man folglich auch nicht zu, was er zu berichten hat – man etikettiert ihn als „Ostalgiker“, den man nicht ernst nehmen muss. Damit bleibt der Stachel immerwährender Teilung, der ein Gefühl der Gleichwertigkeit nicht nur politisch von vornherein ausschloss.
Direkt nach der Grenzöffnung setzte die Medienpropaganda das fort, was sie gewöhnt war: den stets negativen Blick nach Osten, wo es freilich genügend negative Funde gab – nicht nur die Stasi. Durch dieses Framing konnte man die anderen Funde leicht ignorieren, weil man sie nicht gewohnt war.
Ehrliche Vergleiche?
Das „menschenverachtende System der DDR“ wurde uns mittels ausgewählten Bildern aus dem Osten plausibel gemacht: da wurden uns schreckliche Bilder von Bitterfeld gezeigt und suggeriert, dass das „die“ DDR ausgemacht hätte. Ein anschauliches Beispiel, wie man mit Fakten lügen kann: für einen Wessi, der aus einem Braunkohleabbaugebiet kommt, dessen Tagebau vielen Dörfern und alten Menschen das Leben gekostet hat, der die Chemiekonzerne in Leverkusen und Ludwigshafen kennt, waren die Bilder aus Bitterfeld wenig überzeugend, weil zu wenig exklusiv. Gerade die Ökobilanz von Ost und West hätte einen Blick gelohnt, denn wenn die Entwicklung des superenergiesparenden Kühlschranks der A-Klasse bedeutet, dass man binnen 40 Jahren mindestens drei Geräte entsorgen musste, dann kam der Westen hier im Vergleich zur DDR gar nicht so gut weg.
Aber wer war und ist schon an ehrlichen Vergleichen interessiert. Dass keine politische Klasse an echter Demokratie interessiert ist, sieht man an der fehlenden direkten Demokratie. Die kann man sich schlicht nicht leisten, denn die Mehrheit im vereinigten Deutschland will die Militarisierung und die Kriege nicht. Da aber der Konsum über dem Recht steht, sind diese eben inklusiv. Sie sichern Ressourcen und wirtschaftliche Einflusssphären. Ohne Soldaten wird bald kein Ausrauben der Meere und fremder Länder mehr möglich sein, denn die Menschen dort beginnen sich zu wehren. Um sie weiterhin zu unterdrücken, brauchen wir kein kommunistisches Regime und auch keine sonstige Diktatur zu sein. Nur eine wirkliche Demokratie können wir uns auf dieser Grundlage eben auch nicht leisten – so will es der Wirtschaftlich-politische Komplex, der uns beherrscht. Und der installiert ganz neue Kontrollsysteme mit neuester Technik, die einer Stasi noch gar nicht zur Verfügung stand – wie dies Ilja Trojanow und Juli Zeh in ihrem Buch „Angriff auf die Freiheit“ beschreiben.
Die rechte Szene im Osten
Da immer mehr Menschen durchschauen, dass unsere Politik zusehends unglaubwürdiger wird, ist es gut, dass es die DDR gab. Denn die braucht man, um von den eigenen Fehlentwicklungen abzulenken. Die Exporte der rechtsradikalen Köpfe aus dem Westen in den Osten und der dort geschaffene Nährboden für radikales Gedankengut angesichts des Raubs von Land, Ressourcen, Geschichte und einem eigenen Wertgefühl werden gerne ignoriert. Stattdessen wird die wachsende rechte Szene im Osten als ein direkt aus der DDR resultierendes Problem ausgemacht – wie so viele andere Probleme auch. Als kürzlich in einem Dresdner Gerichtssaal eine ägyptische Zeugin von einem russlanddeutschen Moslemhasser ermordet wurde, war man schnell zur Stelle, den Islamhass als Problem nach Russland oder aber mindestens nach Ostdeutschland zu verlagern – eine beliebte westdeutsche Übung, die etwa auch im Zusammenhang mit der Ermordung von Kleinkindern einmal den Weg in die Medien fand. Dieser selbstidealisierende Reflex zeugt nicht nur davon, dass man sich nicht als Ganzes empfindet, sondern mental Deutschland stets in Ost und West einteilt – er hilft, dass Probleme „verortet“, aber nicht angegangen werden.
Ideale Projektionsfläche
Der von Kreditnehmern aus dem Westen heruntergewirtschaftete Osten scheint die ideale Projektionsfläche für alle möglichen Probleme zu bilden. Als hätte es die 20 Jahre gemeinsame Geschichte und die Polarisierungen seither nicht gegeben. Um die Mythen zu festigen, gibt es zudem „verdiente Kronzeugen“ wie Vera Lengsfeld, Freya Klier und Angela Merkel. Die Köpfe der demokratischen Bewegung, die Gründer des Demokratischen Aufbruch, des Forums 22 u.a. leben heute im fernen Ausland. Wenige Aufrichtige sind geblieben und ertragen die Umdeutungen oder versuchen gar, etwas dagegen zu stellen – mit mäßigem Erfolg. Dabei wäre es dringend an der Zeit, die Geflohenen zu fragen, warum sie dem angeblich angestrebten Zustand den Rücken gekehrt haben. Natürlich galten sie unter ihren Landsleuten zunächst als Verräter. Aber ist es wirklich unmöglich, glaubhaft zu machen, dass man die DDR reformieren und nicht abschaffen wollte? Nun, sie hätten es nicht leicht, wenn demgegenüber mit viel Geld und Aufwand Ausstellungen auf dem Alexanderplatz in Berlin realisiert werden, die jeder Friedenstaube in der DDR den Impetus der „Regimegegnerschaft“ verleihen. Auch die heutige Friedensbewegung könnte einmal so umgedeutet werden, dabei trifft auf sie das gleiche zu, wie auf die Reformer in der DDR – man beruft sich auf die eigenen Grundsätze und will sie verwirklicht sehen. Auch darum ist es wichtig, eine ehrliche Aufarbeitung der Geschichte anzustreben:
Zu einer ehrlichen Erinnerungs- und Gedenkkultur würde es auch gehören, die nachstehenden berühmt gewordenen Worte des damaligen Vorsitzenden der KPD, Max Reimann, nicht verschämt unter den Teppich der Geschichte der Bundesrepublik zu kehren: „Wir unterschreiben nicht! Es wird jedoch der Tag kommen, wo die Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben.“ (PK)
Online-Flyer Nr. 216 vom 23.09.2009
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Reflexionen einer desillusionierten Wessi zu 20 Jahren Mauerfall
Über den „Unrechtsstaat DDR“
Von Sabine Schiffer
Anstatt ursprünglich „Wir sind das Volk“…
NRhZ-Archiv
Montagsdemonstration Leipzig im Oktober 1989
Quelle: http://de.wikipedia.org/
Statt „blühender Landschaften“ herrscht Enttäuschung. Auch die Nachricht, dass nun im Osten mehr Autos als im Westen fahren, mag nicht recht trösten. Und schon gar nicht die, dass in den Auslandseinsätzen der Bundeswehr überproportional viele junge Leute aus Ostdeutschland eingesetzt sind und sterben. Dabei werden die durch das kürzlich eingeweihte Bundeswehrdenkmal in Berlin immerhin mit geehrt, im Gegensatz zu den NVA-Soldaten, deren Geschichte offensichtlich keine Rolle spielen darf. Der Theologe Friedrich Schorlemmer beklagte den „Kampf um die Deutungshoheit über die DDR“, der eine „Verschleierungs- und Verschiebungsdebatte“ führe, in einem Interview mit der Ostsee-Zeitung. Das hätte Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm besser gelesen, anstatt sich im Berliner Tagesspiegel zu der Forderung zu versteigen, der „Verwahrlosung“ der Ostdeutschen mit dem christlichen Glauben begegnen zu wollen.
„Aufarbeitung der SED-Diktatur“
Vielleicht würde es ein bisschen Anerkennung schon tun, Arroganz jedoch polarisiert nur noch mehr. Gerade jetzt, wo klar wird, dass auch der Kapitalismus gescheitert ist, braucht man den Verweis auf den „Unrechtsstaat DDR“ umso mehr. Darum gibt die Bundesrepublik auch viel Geld aus, um die Erinnerung daran lebendig zu halten. Neben der Bundesstiftung zur „Aufarbeitung der SED-Diktatur“ richtet unter anderem auch Ministerpräsident Roland Koch über seine Landeszentrale für politische Bildung eine Stelle für eben diese Aufarbeitung ein. Welchem Zweck dient diese Fokussierung der DDR-Geschichte in Hessen? Wozu benötigt man den Verweis auf die Missstände anderswo?
Karikatur zur "Wende" und deren Kanzler Kohl von Rainer Hachfeld
Foto: Sabine Schiffer
Was war geschehen? Das Ende der DDR zeugt von der Erkenntnis was passieren kann, wenn eine grunddemokratische Bewegung, die ihr Land reformieren will, überrollt wird von „kapitalen“ Interessen – westlichen Wirtschaftsinteressen. Nicht nur Helmut Kohl war Ende der 80er Jahre politisch am Ende – manche erinnern sich noch an sein dilettantisches Herumeiern um die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl – auch der Kapitalismus als System zeigte erste Risse, denn krebszellenartiges Wachstum verlangt stets nach mehr Konsum und Konsumenten. Welch ein Geschenk hat den beiden Hungrigen also die Bürgerbewegung der DDR gemacht, die montagabendlich für Veränderungen auf die Straße ging?! Dass die um echte Demokratie kämpften, war dem „demokratieverwöhnten“ Westen eher Schnuppe. Zu viele waren in der BRD daran gewöhnt, dass echte Mitsprache gegen Konsumkraft eingetauscht worden war.
Ausverkauf des „Volkseigentums“
Man hätte Deutschland und durchaus Volk vereinigen können, wenn man nicht von Anfang an die Strategie verfolgt hätte, die DDR zu dämonisieren – weit über die kritikwürdigen Fakten hinaus. So konnte man das eigene Tun verschleiern oder gegebenenfalls gar idealisieren: Die Einführung der D-Mark wurde als humanitärer Akt verkauft und nicht als Beginn der Übernahme und des Ausverkaufs der DDR, die immerhin eine Währung besaß, deren Wert mittels Gold gedeckt war. Kredite gab es nach der Wende vornehmlich für Wessis. So konnte etwa der Kreisbaubetrieb Altenburg nur einen solchen erhalten, indem man einen Wessi mit der Geschäftsführung beauftragte. Damit war klar, wem die Ostbetriebe, das gesamte als „Volkseigentum“ bezeichnete Staatseigentum und auch der Löwenanteil des Solidarzuschlags zufallen würden. Heute sind 85 Prozent des sog. Volkseigentums der DDR in Besitz bundesdeutscher Unternehmen, 10 Prozent in der Hand ausländischer Unternehmen und ganze fünf Prozent sind Eigentum Ostdeutscher. Die meisten Ostdeutschen können ihren Kindern also nichts Materielles vererben – etwas Ideelles sowieso nicht, allenfalls das Gefühl „Bürger zweiter Klasse“ zu sein, ohne erwähnenswerte Geschichte.
Edgar Most, Vizepräsident der DDR-Staatsbank und heute der Deutschen Bank zugehörig, entlarvt die Mär vom Staatsbankrott der DDR und verweist auf den aktiven Abwicklungsprozess der DDR-Wirtschaft nach dem Mord an Treuhandchef Rohwedder. Während Most zunächst dachte, dies sei aus Dummheit geschehen, ist er auf Grund seiner Erfahrungen der letzten Jahrzehnte zur Einsicht gekommen, dass alles nach Plan geschah. Heute kann man derlei Informationen in der Jungen Welt, dem ehemaligen FDJ-Blatt finden. Aber wer glaubt im Westen einer solchen Zeitung schon, die wie das „SED-Zentralorgan“ Neues Deutschland auch 20 Jahre nach der sog. Einheit noch diskreditiert wird. Wer sie liest, weiß auch warum.
„Ostalgiker“
Mit dem Verschweigen wichtiger Informationen, konnte man – zumindest im Westen – den Mythos von der Solidarität mittels Solidarzuschlag als netten Bonus für die „armen Ossis“ aufrechterhalten. Dieser bewirkt bis heute, dass viele Menschen im Westen wenig Verständnis für die Desillusionierten im Osten aufbringen können. Dem Unterlegenen hört man folglich auch nicht zu, was er zu berichten hat – man etikettiert ihn als „Ostalgiker“, den man nicht ernst nehmen muss. Damit bleibt der Stachel immerwährender Teilung, der ein Gefühl der Gleichwertigkeit nicht nur politisch von vornherein ausschloss.
Direkt nach der Grenzöffnung setzte die Medienpropaganda das fort, was sie gewöhnt war: den stets negativen Blick nach Osten, wo es freilich genügend negative Funde gab – nicht nur die Stasi. Durch dieses Framing konnte man die anderen Funde leicht ignorieren, weil man sie nicht gewohnt war.
Ehrliche Vergleiche?
Das „menschenverachtende System der DDR“ wurde uns mittels ausgewählten Bildern aus dem Osten plausibel gemacht: da wurden uns schreckliche Bilder von Bitterfeld gezeigt und suggeriert, dass das „die“ DDR ausgemacht hätte. Ein anschauliches Beispiel, wie man mit Fakten lügen kann: für einen Wessi, der aus einem Braunkohleabbaugebiet kommt, dessen Tagebau vielen Dörfern und alten Menschen das Leben gekostet hat, der die Chemiekonzerne in Leverkusen und Ludwigshafen kennt, waren die Bilder aus Bitterfeld wenig überzeugend, weil zu wenig exklusiv. Gerade die Ökobilanz von Ost und West hätte einen Blick gelohnt, denn wenn die Entwicklung des superenergiesparenden Kühlschranks der A-Klasse bedeutet, dass man binnen 40 Jahren mindestens drei Geräte entsorgen musste, dann kam der Westen hier im Vergleich zur DDR gar nicht so gut weg.
Aber wer war und ist schon an ehrlichen Vergleichen interessiert. Dass keine politische Klasse an echter Demokratie interessiert ist, sieht man an der fehlenden direkten Demokratie. Die kann man sich schlicht nicht leisten, denn die Mehrheit im vereinigten Deutschland will die Militarisierung und die Kriege nicht. Da aber der Konsum über dem Recht steht, sind diese eben inklusiv. Sie sichern Ressourcen und wirtschaftliche Einflusssphären. Ohne Soldaten wird bald kein Ausrauben der Meere und fremder Länder mehr möglich sein, denn die Menschen dort beginnen sich zu wehren. Um sie weiterhin zu unterdrücken, brauchen wir kein kommunistisches Regime und auch keine sonstige Diktatur zu sein. Nur eine wirkliche Demokratie können wir uns auf dieser Grundlage eben auch nicht leisten – so will es der Wirtschaftlich-politische Komplex, der uns beherrscht. Und der installiert ganz neue Kontrollsysteme mit neuester Technik, die einer Stasi noch gar nicht zur Verfügung stand – wie dies Ilja Trojanow und Juli Zeh in ihrem Buch „Angriff auf die Freiheit“ beschreiben.
Die rechte Szene im Osten
Da immer mehr Menschen durchschauen, dass unsere Politik zusehends unglaubwürdiger wird, ist es gut, dass es die DDR gab. Denn die braucht man, um von den eigenen Fehlentwicklungen abzulenken. Die Exporte der rechtsradikalen Köpfe aus dem Westen in den Osten und der dort geschaffene Nährboden für radikales Gedankengut angesichts des Raubs von Land, Ressourcen, Geschichte und einem eigenen Wertgefühl werden gerne ignoriert. Stattdessen wird die wachsende rechte Szene im Osten als ein direkt aus der DDR resultierendes Problem ausgemacht – wie so viele andere Probleme auch. Als kürzlich in einem Dresdner Gerichtssaal eine ägyptische Zeugin von einem russlanddeutschen Moslemhasser ermordet wurde, war man schnell zur Stelle, den Islamhass als Problem nach Russland oder aber mindestens nach Ostdeutschland zu verlagern – eine beliebte westdeutsche Übung, die etwa auch im Zusammenhang mit der Ermordung von Kleinkindern einmal den Weg in die Medien fand. Dieser selbstidealisierende Reflex zeugt nicht nur davon, dass man sich nicht als Ganzes empfindet, sondern mental Deutschland stets in Ost und West einteilt – er hilft, dass Probleme „verortet“, aber nicht angegangen werden.
Ideale Projektionsfläche
Der von Kreditnehmern aus dem Westen heruntergewirtschaftete Osten scheint die ideale Projektionsfläche für alle möglichen Probleme zu bilden. Als hätte es die 20 Jahre gemeinsame Geschichte und die Polarisierungen seither nicht gegeben. Um die Mythen zu festigen, gibt es zudem „verdiente Kronzeugen“ wie Vera Lengsfeld, Freya Klier und Angela Merkel. Die Köpfe der demokratischen Bewegung, die Gründer des Demokratischen Aufbruch, des Forums 22 u.a. leben heute im fernen Ausland. Wenige Aufrichtige sind geblieben und ertragen die Umdeutungen oder versuchen gar, etwas dagegen zu stellen – mit mäßigem Erfolg. Dabei wäre es dringend an der Zeit, die Geflohenen zu fragen, warum sie dem angeblich angestrebten Zustand den Rücken gekehrt haben. Natürlich galten sie unter ihren Landsleuten zunächst als Verräter. Aber ist es wirklich unmöglich, glaubhaft zu machen, dass man die DDR reformieren und nicht abschaffen wollte? Nun, sie hätten es nicht leicht, wenn demgegenüber mit viel Geld und Aufwand Ausstellungen auf dem Alexanderplatz in Berlin realisiert werden, die jeder Friedenstaube in der DDR den Impetus der „Regimegegnerschaft“ verleihen. Auch die heutige Friedensbewegung könnte einmal so umgedeutet werden, dabei trifft auf sie das gleiche zu, wie auf die Reformer in der DDR – man beruft sich auf die eigenen Grundsätze und will sie verwirklicht sehen. Auch darum ist es wichtig, eine ehrliche Aufarbeitung der Geschichte anzustreben:
Zu einer ehrlichen Erinnerungs- und Gedenkkultur würde es auch gehören, die nachstehenden berühmt gewordenen Worte des damaligen Vorsitzenden der KPD, Max Reimann, nicht verschämt unter den Teppich der Geschichte der Bundesrepublik zu kehren: „Wir unterschreiben nicht! Es wird jedoch der Tag kommen, wo die Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben.“ (PK)
Online-Flyer Nr. 216 vom 23.09.2009
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