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Inland
Zur WM entdecken die Medien die Zwangsprostitution
Puff und Spiele
Von Hans-Dieter Hey
Die Politik diskutiert "fair sex" und warnt vor unlauteren Angeboten. Die Kirche hat ein neues Thema und die Kripo demnächst vielleicht mehr zu tun. Irgendwer hat für die WM 40.000 neue Huren ermittelt, wie auch immer man das ausgerechnet haben will. Für die aus dem Ausland wird eine Green-Card ins Spiel gebracht. In der Presse werden die verstaubten Sprüche vom "ältesten Gewerbe der Welt" und dem "horizontalen Gewerbe" mit zweideutigen Fotos aufgeheizt. Eine Kampagne wird gestartet.
![Fotocollage: Hans-Dieter Hey](/flyer/media/37_glosse2_01.jpg)
Fotocollage: Hans-Dieter Hey
Klaus Wowereit und Theo Zwanziger vom Fußball möchten anständig im Gespräch bleiben und übernehmen die Schirmherrschaft für die Kampagne "Abpfiff - Schluss mit der Zwangsprostitution". Auch der "Bund sexuelle Dienstleistungen" macht mit. Entsprechende Trillerpfeifchen, T-Shirts und Broschüren befinden sich in der Produktion. Für die Mitternachtsmission gilt Urlaubssperre. Die Bürgermeister der zwölf Austragungsstädte versprechen, alles zu tun, um der Zwangsprostitution entgegen zu wirken. Außer in Hamburg, da braucht es keine besonderen Maßnahmen, weil man das Thema seit Hans Albers kennt. Im WebMart Vote-System entscheiden 21 %, dass die Schweden ihren Spaß damit haben sollten, auch wenn Prostitution im eigenen Land verboten ist. Eine neue mediale Sau wurde geboren.
Nein, lustig ist Zwangsprostitution wirklich nicht. Schon gar nicht plötzlich vor der Fußballweltmeisterschaft. Es wird so getan, als wäre das Problem neu. Deshalb könnten einige Medien sorgfältiger damit umgehen. Niemand kann belegen, dass durch solche Großereignisse die Zwangsprostitution nennenswert ansteigt. Seit Jahren aber werden die Polizeibehörden eines international ansteigenden Verbrechens nur schwer Herr, das in der Regel unentdeckt in dunklen Hinterzimmern stattfindet und Frauen für den Rest ihres Lebens zerstören kann.
Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) werden jährlich weltweit 2,4 Mio. Frauen Opfer von Zwangsprostitution. Jedes Jahr werden 500.000 Frauen und Mädchen zur sexuellen Ausbeutung nach Westeuropa verschleppt, vorwiegend aus den osteuropäischen Ländern. Meist unter Vorspielung der Vermittlung auf normale Arbeitsplätze mit guten Verdienstmöglichkeiten. Schätzungen zufolge gehen in Deutschland täglich rund eine Millionen Männer in den Puff, von denen sich garantiert niemand fragt, ob er es mit einer Zwangsprostituierten treibt.
![Karikatur: Kostas Koufogiorgos](/flyer/media/37_glosse2_02.jpg)
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Die Bordellbesitzer verdienen nicht schlecht, aber mit Zwangsprostitution ist "noch mehr drin". Das motiviert. Dagegen scheint die Höchststrafe von zwei Jahren Knast ein lächerliches Risiko. Strafverfolgungen gibt es ohnehin selten. Verurteilungen noch seltener, weil die Opfer sich aus Angst vor körperlicher und seelischer Gewalt nicht wehren können. Vor allem in Zeiten, in denen Wirtschaft und Lobbyisten den schlanken Staat fordern, fehlt den Ermittlungsbehörden zunehmend das Geld, Fachkräfte können nicht bezahlt werden.
Die öffentliche Diskussion wirkt auch in anderer Weise halbseiden. Nur vereinzelt werden die Ursachen von Zwangsprostitution diskutiert. So hat beispielsweise der Zusammenbruch des Ostblocks zu verheerenden Armutssituationen in diesen Ländern geführt, die anschließend auch noch dem Diktat des Weltmarktes unterlegen sind. Durch Privatisierungen wurden den Menschen Löhne, soziale Versorgung und Kinderbetreuung entzogen. Eine große Chance für Schlepperbanden, in Not geratenen Menschen die Migration in Aussicht zu stellen. Nicht ohne Grund wächst bei den internationalen Organisationen wie z.B. der OSCE (Organization for Security and Cooperation in Europe) oder den Vereinten Nationen die Aufmerksamkeit für Zwangsprostitution und Verschleppung. Das Problem trifft nicht nur Verschleppung aus Osteuropa, sondern auch aus Ländern wie Thailand, Russland oder Indien.
Weltweit wird in Konferenzen, Gremien und Resolutionen Konsens über die Menschenrechtsverletzung durch Zwangsprostitution hergestellt, nennenswerte Ergebnisse in der Eindämmung des Verbrechens gibt es aber bisher nicht. In Deutschland wird das Problem sicher durch die Begrenzung illegaler Einreise eingegrenzt werden können, und vielleicht ist dies ein kleiner Hoffnungsschimmer: Trotz rot-grüner "Visa-Affäre" ist offiziell die Zahl von Zwangsprostitution rückläufig. Laut BKA-Lagebild für das Jahr 2004 gab es einen Rückgang bei den Tatverdächtigen um 12%, bei den Ermittlungsverfahren um 14% und 24% bei den Opfern des Menschenhandels. Abgesehen von der Dunkelziffer.
Ob Frauen durch Abschiebung geholfen wird, ist aber äußerst fraglich. In den Herkunftsländern hilft es den Frauen ohnehin wenig. Entweder fallen sie ihren Peinigern wieder in die Hände, oder sie werden kriminalisiert, gar strafrechtlich verfolgt. Bestenfalls bleiben sie als Opfer allein gelassen. Nur langsam scheint man die Komplexität der Probleme in Deutschland zu erkennen. Vereinzelt gibt es Lebenshilfe und Zeugenschutzprogramme für betroffene Frauen.
Die bundesweite Kampagne ist richtig und sinnvoll, aber als große mediale Entdeckung für die Weltmeisterschaft ungeeignet. Sie muss darüber hinaus fortgesetzt werden, um etwas zu erreichen.
Online-Flyer Nr. 37 vom 28.03.2006
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Inland
Zur WM entdecken die Medien die Zwangsprostitution
Puff und Spiele
Von Hans-Dieter Hey
Die Politik diskutiert "fair sex" und warnt vor unlauteren Angeboten. Die Kirche hat ein neues Thema und die Kripo demnächst vielleicht mehr zu tun. Irgendwer hat für die WM 40.000 neue Huren ermittelt, wie auch immer man das ausgerechnet haben will. Für die aus dem Ausland wird eine Green-Card ins Spiel gebracht. In der Presse werden die verstaubten Sprüche vom "ältesten Gewerbe der Welt" und dem "horizontalen Gewerbe" mit zweideutigen Fotos aufgeheizt. Eine Kampagne wird gestartet.
![Fotocollage: Hans-Dieter Hey](/flyer/media/37_glosse2_01.jpg)
Fotocollage: Hans-Dieter Hey
Klaus Wowereit und Theo Zwanziger vom Fußball möchten anständig im Gespräch bleiben und übernehmen die Schirmherrschaft für die Kampagne "Abpfiff - Schluss mit der Zwangsprostitution". Auch der "Bund sexuelle Dienstleistungen" macht mit. Entsprechende Trillerpfeifchen, T-Shirts und Broschüren befinden sich in der Produktion. Für die Mitternachtsmission gilt Urlaubssperre. Die Bürgermeister der zwölf Austragungsstädte versprechen, alles zu tun, um der Zwangsprostitution entgegen zu wirken. Außer in Hamburg, da braucht es keine besonderen Maßnahmen, weil man das Thema seit Hans Albers kennt. Im WebMart Vote-System entscheiden 21 %, dass die Schweden ihren Spaß damit haben sollten, auch wenn Prostitution im eigenen Land verboten ist. Eine neue mediale Sau wurde geboren.
Nein, lustig ist Zwangsprostitution wirklich nicht. Schon gar nicht plötzlich vor der Fußballweltmeisterschaft. Es wird so getan, als wäre das Problem neu. Deshalb könnten einige Medien sorgfältiger damit umgehen. Niemand kann belegen, dass durch solche Großereignisse die Zwangsprostitution nennenswert ansteigt. Seit Jahren aber werden die Polizeibehörden eines international ansteigenden Verbrechens nur schwer Herr, das in der Regel unentdeckt in dunklen Hinterzimmern stattfindet und Frauen für den Rest ihres Lebens zerstören kann.
Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) werden jährlich weltweit 2,4 Mio. Frauen Opfer von Zwangsprostitution. Jedes Jahr werden 500.000 Frauen und Mädchen zur sexuellen Ausbeutung nach Westeuropa verschleppt, vorwiegend aus den osteuropäischen Ländern. Meist unter Vorspielung der Vermittlung auf normale Arbeitsplätze mit guten Verdienstmöglichkeiten. Schätzungen zufolge gehen in Deutschland täglich rund eine Millionen Männer in den Puff, von denen sich garantiert niemand fragt, ob er es mit einer Zwangsprostituierten treibt.
![Karikatur: Kostas Koufogiorgos](/flyer/media/37_glosse2_02.jpg)
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Die Bordellbesitzer verdienen nicht schlecht, aber mit Zwangsprostitution ist "noch mehr drin". Das motiviert. Dagegen scheint die Höchststrafe von zwei Jahren Knast ein lächerliches Risiko. Strafverfolgungen gibt es ohnehin selten. Verurteilungen noch seltener, weil die Opfer sich aus Angst vor körperlicher und seelischer Gewalt nicht wehren können. Vor allem in Zeiten, in denen Wirtschaft und Lobbyisten den schlanken Staat fordern, fehlt den Ermittlungsbehörden zunehmend das Geld, Fachkräfte können nicht bezahlt werden.
Die öffentliche Diskussion wirkt auch in anderer Weise halbseiden. Nur vereinzelt werden die Ursachen von Zwangsprostitution diskutiert. So hat beispielsweise der Zusammenbruch des Ostblocks zu verheerenden Armutssituationen in diesen Ländern geführt, die anschließend auch noch dem Diktat des Weltmarktes unterlegen sind. Durch Privatisierungen wurden den Menschen Löhne, soziale Versorgung und Kinderbetreuung entzogen. Eine große Chance für Schlepperbanden, in Not geratenen Menschen die Migration in Aussicht zu stellen. Nicht ohne Grund wächst bei den internationalen Organisationen wie z.B. der OSCE (Organization for Security and Cooperation in Europe) oder den Vereinten Nationen die Aufmerksamkeit für Zwangsprostitution und Verschleppung. Das Problem trifft nicht nur Verschleppung aus Osteuropa, sondern auch aus Ländern wie Thailand, Russland oder Indien.
Weltweit wird in Konferenzen, Gremien und Resolutionen Konsens über die Menschenrechtsverletzung durch Zwangsprostitution hergestellt, nennenswerte Ergebnisse in der Eindämmung des Verbrechens gibt es aber bisher nicht. In Deutschland wird das Problem sicher durch die Begrenzung illegaler Einreise eingegrenzt werden können, und vielleicht ist dies ein kleiner Hoffnungsschimmer: Trotz rot-grüner "Visa-Affäre" ist offiziell die Zahl von Zwangsprostitution rückläufig. Laut BKA-Lagebild für das Jahr 2004 gab es einen Rückgang bei den Tatverdächtigen um 12%, bei den Ermittlungsverfahren um 14% und 24% bei den Opfern des Menschenhandels. Abgesehen von der Dunkelziffer.
Ob Frauen durch Abschiebung geholfen wird, ist aber äußerst fraglich. In den Herkunftsländern hilft es den Frauen ohnehin wenig. Entweder fallen sie ihren Peinigern wieder in die Hände, oder sie werden kriminalisiert, gar strafrechtlich verfolgt. Bestenfalls bleiben sie als Opfer allein gelassen. Nur langsam scheint man die Komplexität der Probleme in Deutschland zu erkennen. Vereinzelt gibt es Lebenshilfe und Zeugenschutzprogramme für betroffene Frauen.
Die bundesweite Kampagne ist richtig und sinnvoll, aber als große mediale Entdeckung für die Weltmeisterschaft ungeeignet. Sie muss darüber hinaus fortgesetzt werden, um etwas zu erreichen.
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