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Aktueller Online-Flyer vom 26. Dezember 2024  

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Atheistenverband sorgt sich um Horst Köhler
Lesehilfe für den Präsidenten
Von Hans-Detlev v. Kirchbach

Dass die Trennung zwischen Staat und Kirche hierzulande nur eine „hinkende“ sei, mit diesem selbst etwas schwachfüßigen Bild umschreiben Befürworter wie Gegner den herrschenden staats-kirchenpolitischen Zustand einer faktischen Allianz zwischen Staats- und Kirchenhierarchien. Gängige Beispiele hierfür: Konfessioneller Zwangsunterricht an Staatsschulen, Eintreibung kirchlicher Mitgliedsbeiträge durch Staatsgewalt (Kirchensteuer), Bezahlung der Herren Meisner & Co. aus allgemeinen Steuermitteln, also auch denen der ansonsten verruchten AtheistInnen.
Präsident der Rechtgläubigen?


Horst Köhler
Foto: Roosewelt Pinheiro/A
Anläßlich der 50-Jahr-Feier eines „Instituts für Neutestamentliche Textforschung“ an der staatschristlichen Universität Katholisch-Münster psalmodierte Deutschlands Chefvorbeter, die Bibel sei für ihn das wichtigste Buch, das er kenne. Das könnte man rein wirkungsgeschichtlich so sehen, aber jeglicher Anflug kritischer Sicht war Herrn Köhler weiß „Gott“ fern.

Das kommt, ausweislich des Kommentar-Blogs, sogar Lesern des „Christlichen Medienmagazins“ merkwürdig vor; „Max“ beispielsweise findet Köhlers Bibellese „peinlich“. Freilich schätzt er den obersten Redenhalter der Republik ein bisschen falsch ein, wenn er bekennt: „Von meinem Staatsoberhaupt hab ich mir eigentlich rationalere Beweggründe erhofft.“
„Raymond W.“ mutmaßt: „Vielleicht liest der Bundespräsident zu wenig? Juden und Muslime würden ihm etwas anderes als die Bibel empfehlen. Und religionsfreie Menschen sowieso.“

Und „Stefan“ stellt die wichtigste Frage überhaupt: „Ist Herr Köhler der Präsident der Deutschen oder der Christen?“ Wir mutmaßen: Der „Deutschen Christen“.

IBKA empfiehlt Grundgesetz

So kann das natürlich nicht stehenbleiben, dachten sich auch die wackeren Atheistenverbändler des „Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten“ (IBKA), denn dieser unser Bundespräsident muss ja eigentlich dieser unser aller Bundespräsident sein und nicht nur, oder vorzugsweise, der aller Deutschen Christen. Dies zu bedenken gebend, aber auch als mögliche Lesealternative, schickte der IBKA dem Bibelliebhaber das Grundgesetz zu, auf dass er nicht nur bibelfest, sondern auch in der Verfassung des von ihm repräsentierten Staates mindestens belesen sei. Sollte doch diese Quelle für ihn als Bundespräsidenten eigentlich die wichtigste Lektüre sein, meint jedenfalls der Landessprecher NRW des IBKA, Rainer Ponitka. Im Grundgesetz steht ja unter anderem so ansatzweise aufklärerischer Kram wie der Artikel 3 – bekannt als „Gleichheitsgrundsatz“. Dieser wäre für unseren Bundesbibelpräsidenten insofern interessant, als er Benachteiligungen unter anderem aus Gründen der Religion dem Staat und seinen Repräsentanten verbietet.


Selbiger Übersetzer der Bibel gegen die Bauernaufstände: "Man soll sie zerschmeißen, würgen und stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund zerschlagen muß.“ | Foto: MaryL/Pixelio

Weiterhin wäre auch eine zeitnahe Leseweise des Artikels 4, populär bekannt als Garantie der „Religionsfreiheit“, für das Oberhaupt der säkularen BRD lehrreich. Denn besagte Religionsfreiheit bedeutet keineswegs nur, wie kirchennahe Interpreten immer nahelegen wollen, die staatliche Garantie der Freiheit zur Religion - und schon gar keine implizite Pflicht zur Religion, wie eine ganze Schule von -, sondern ebenso auch die Garantie des Rechts auf Freiheit von Religion.

Bibel mal anders gesehen

Nebst dieser jobrelevanten, verfassungsrechtlichen Lektüre-Alternative aber könnte der um das mentale Wohl seines Präsidenten besorgte Bundesbürger dem höchsten Repräsentanten unserer Lesenation noch anderweitigen Lesestoff antragen. Der IBKA empfiehlt hierzu natürlich, für einen Atheistenverband nicht verwunderlich: „Wir rufen hiermit die Bevölkerung auf: Geben Sie dem Bundespräsidenten eine Bildungschance. Schenken Sie ihm Ihre Lieblingsbücher aus dem Diesseits. Lassen Sie Herrn Köhler teilhaben an den großartigen Ideen der Aufklärer, an Philosophie, Religionsfreiheit, Menschenrechten, Demokratie, Kunst und Wissenschaft.“ Auf dass er sich nicht nur auf sein quellenphilologisch ebenso wie ethisch passagenweise zweifelhaftes „Lieblingsbuch“ angewiesen fühlt. Der Autor möchte dem Empfehlungsaufruf gern folgen. Beispielsweise könnte dem bibeltreuen Horst Köhler die in der Neuen Rheinischen Zeitung auszugsweise erscheinende „Reimbibel“ von Professor Wolfgang Klosterhafen den ersten Ansatz eines für ihn neuen, überraschenden und kritischen Blicks auf sein Vademecum eröffnen, das er bislang wahrscheinlich eher mit treuherziger Naivität geschmökert hat. Und Reime sind ja immerhin als Gedächtnisstütze und Eselsbrücken auch für Menschen geeignet, die man an komplexere Denkvorgänge erst noch behutsam heranführen muss.

Erweitern ließe sich dieser erste Einstieg in eine reflektierte Bibel-Lese durch Professor Franz Buggles Klassiker „Denn sie wissen nicht, was sie glauben“, aus dem Jahre 1992. Darin demonstrierte der mit pathologischen Zuständen vertraute klinische Psychologe Buggle, kritische „Bibelforschung“ konsequent fortsetzend, „durch Zitate, dass die Bibel, unsere ‚Heilige Schrift‘, ‚Gottes Wort‘, ein zutiefst gewalttätig-inhumanes Buch ist, völlig ungeeignet als Grundlage einer heute verantwortbaren Ethik“.

Recht blutrünstige Lieblingslektüre...

So finden sich in Köhlers Lieblingskonvolut, so in den fünf Büchern Mose, mannigfache Exzesse von „Gottes Zorn“, einer Art kindischer Eifersucht eines zu mörderischen Blutbädern neigenden, herrschsüchtigen alten Tyrannen. Etwa in Exodus (2. Buch Mose) 32, 26-29: „So spricht der Herr: Jeder lege sein Schwert an. ... Jeder erschlage seinen Bruder, seinen Freund, seinen Nächsten. ...“ Also halt alle, die nicht „für den Herrn“ sind. Ein wohlfeiles Motiv abendländischer Humanität von den Kreuzzügen bis zum – so unser Kriegspräsident – humanistischen „Friedenseinsatz“ der christlichen Bundeswehr in Afghanistan, könnte man hier vorgegeben sehen.
Weitere kurze Blicke in Moses fünf Bücher offenbaren, dass es in Köhlers Lieblingsbuch namentlich „auf dem Gebiet sexueller Abweichungen eine Menge Arbeit für den Henker“ gibt (Buggle). 

Stellt sich etwa nach der Verheiratung heraus, dass die Braut nicht mehr „unberührt“ war, dann, so befiehlt das „Deuteronomion“ (5. Buch Mose), „... soll man das Mädchen hinausführen und vor die Tür ihres Vaterhauses bringen. Dann sollen die Männer ihrer Stadt sie steinigen und sie soll sterben ...“ (22; 20-21). Die Lieblingslektüre des Bundespräsidenten enthält auch eine „zeitlose“ Empfehlung für den staatlichen Gesetzgeber, wie mit Schwulen zu verfahren sei: „Schläft einer mit einem Mann, wie man mit einer Frau schläft, dann haben sie eine Greueltat begangen; beide werden mit dem Tod bestraft, ihr Blut soll auf sie kommen.“ (Leviticus – 3. Buch Mose -, 20;13).

Verdammte Unzucht

Diese Passage erwies sich als eine der verhängnisvollsten Terroranweisungen in Horst Köhlers Buch der Bücher. Darauf gründete über die Jahrhunderte hinweg mit scheinbar „göttlicher“ Rechtfertigung jedwede Mordgesetzgebung gegen Homosexuelle. Die firmierte stets als Bekämpfung der bis ins 19. Jahrhundert, direkt aus der Bibel abgeleitet, „Sodomie“ genannten, angeblich „widernatürlichen Unzucht“. Noch die Nazis beriefen sich auf diese Passage des Köhler-Lieblingsbuches. Und bis heute berufen sich christliche –  aber auch muslimische – Eifererkreise auf den Levithicus, um öffentlich die Todesstrafe gegen Schwule zu fordern, oder dort, wo sie die Macht dazu haben, wie etwa im Iran, auch zu vollstrecken.

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de


Im angeblich so friedsamen Neuen Testament, so kann man bei Buggle, insbesondere aber auch im enzyklopädischen Werk Karlheinz Deschners, immer wieder nachlesen, ist es mit dem Friedensgebot auch nicht allzu weit her. Kurzer Blick in die Offenbarung des Johannes, das angeblich „visionärste“ aller Bücher des Neuen Testaments. Namentlich hier wird wieder gefoltert und gestraft, was das Zeugs hält, und immer und immer wieder wegen jener einen Teufelei, die Gott und seine Bibelschreiber offenbar seit Äonen nimmer ruhen läßt: Sex, Sex und nochmals Sex. So wird das zur „Umkehr“ nicht bereite „Weib Isebel“, das von „Unzucht nicht ablassen“ will, vom Herrn kurzerhand „auf das Krankenbett“ geworfen, der dann sein Strafwerk im Wege der Sippenhaft vollendet: „Ihre Kinder werde ich töten ...“ (Offenbarung 2; 20-23). Sicher gibt es auch die schöne herzerwärmende Legende von der „Dirne“, die Jesus vor der Steinigung rettet, wenn sie denn hinfort nicht sündige. Aber wenigstens wirkungsgeschichtlich gesehen, unterm Blickwinkel christlicher Realgeschichte, dürfte das Schicksal der Isebel wohl symptomatischer sein.

Unauflöslicher Widerspruch religiöser „Wahrheit“

Was nun die Schwulenbekämpfung betrifft, tritt Moralapostel Paulus in Moses’ Fußstapfen, beispielsweise im 1. Römerbrief: „Männer trieben mit Männern Unzucht und erhielten den ihnen gebührenden Lohn für ihre Verirrung.“ (Röm 1, 26) – natürlich, wie immer, Tod und Verderben. Überhaupt sündhaft und „entgegen Gottes Wille“ sei die Homosexualität, so predigen bis heute professionelle Bibel-Ausleger wie etwa unser deutscher Papst, der Ratzinger Josef, gleich jeglicher Form sexueller Betätigung, die nicht direkt die Erzeugung künftiger KirchensteuerzahlerInnen bezweckt. Nur nebenbei, und hierfür abschließend, eine Denkaufgabe für unseren gottgelehrten Christenpräsidenten und alle Gläubigen: Wenn das – laut Bibel - „Greuel“ der Homosexualität auch modernen Bibelautoritäten wie Ratzinger und Meisner zufolge „sündhaft“ und mithin „gegen Gottes Willen und Schöpfung“ ist, warum kann es gleichwohl aber seit eh und je aller Verfolgung zum Trotz existieren - und warum schafft der Herr es nicht einfach aus der Welt, da er doch, worin ein unerschütterliches Fundament jeglicher Gotteslehre besteht, angeblich „allmächtig“ ist? Oder ist er vielleicht nur so was wie der bloß repräsentative „Bundespräsident“ des Universums?

Über den unauflösliche Widerspruch des gleichzeitig unendlich guten und allmächtigen Gottes, in Fachkreisen seit Leibniz (1710) „Theodizee“ genannt, könnte sich der Bibelgläubige – und damit der letzte bibelkritische Literaturtipp für Herrn Köhler – vertiefend beim Aufklärer David Hume (1711-1776) informieren, dem eine klassische Widerlegung des Gottesglaubens mit Instrumenten „glaubens-immanenter“ Logik zu danken ist: „Ist er willens, aber nicht fähig, Übel zu verhindern? Dann ist er ohnmächtig. Ist er fähig, aber nicht willens? Dann ist er boshaft. Ist er sowohl fähig als auch willens? Woher kommt dann das Übel?“ (David Hume: „Dialoge über die natürliche Religion – Das Theodizee-Problem“). Zuviel sperriges Denken dieser Art freilich behindert, das sei zugegeben, den wohlklingenden präsidialen Redefluss.

Horst Köhler redet für Deutschland

Nun soll unser Bundespräsident allerdings nicht nur bei bibelkritischer Literatur verharren, wir wollen ihm in den festlichen Tagen auch ein bisschen Spaß gönnen. Wie wäre es mit amüsantem Stoff über Ex-Bundespräsidenten? Es muss ja nicht gleich das „Braunbuch“ sein. Etwas um die Ohren mag vorerst genügen. Wir denken an eine akustische Zeitreise zu einem Amtsvorgänger, an dessen legendäre Redekunst Horst Köhler, wenn er sich noch ein klein wenig bemüht, bald wird anknüpfen können.

Unsere Empfehlung also an den Bundespräsidenten für eine dreiviertel Stunde bibelfreier Besinnlichkeit in der Weihnachtszeit: „Heinrich Lübke redet für Deutschland.“ Der sagenumwobene PARDON-Klassiker ist 2005 vom Verlag Antje Kunstmann verdienterweise wieder aufgelegt worden (s. NRhZ 32, 21.02.2006, Ingo Zander: „Heinrich Lübke – Equal goes it loose“). Und passt göttlich gerade in die Tage, in denen der Weihnachtsmann Geschenke verteilt und gelegentlich auch Ansprachen hält. Equal goes it loose. Gottbefohlen, Exzellenz. (HDH)

Online-Flyer Nr. 228  vom 16.12.2009

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