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Inland
„Das Gericht hätte die Ermordung von Marwa El-Sherbini verhindern können“
Familie und Freunde klagen an
Von Peter Kleinert
Vor einem Jahr konnte der 28jährige Russlanddeutsche Alex W. die 32jährige, in Ägypten geborene Apothekerin Marwa El-Sherbini während einer Verhandlung im Dresdener Amtsgericht mit 18 Messerstichen ermorden und ihren Ehemann schwer verletzen, nachdem er sie zunächst auf einem Kinderspielplatz als „Islamistin“ und „Terroristin“ beschimpft hatte, weil sie ein Kopftuch trug. Ihr Mann wurde im Gerichtssaal von einem Polizisten ins Bein geschossen. Zwar wurde der Mörder verurteilt, doch die für den Mord mitverantwortlichen Vertreter der Justiz und der Polizist wurden nicht einmal angeklagt, was - außer der NRhZ, die über den Mord und das was danach (nicht) passierte, ein Dutzend Berichte veröffentlichte - die üblichen Medien aber kaum interessierte. Nun haben sich Marwas Familie und Freunde an die Öffentlichkeit gewandt.
Marwa mit ihrem Sohn Moustafa, der bei der Ermordung seiner Mutter mit im Gerichtssaal war
Marwa und ihr Ehemann Elwy während
ihrer Hochzeit
Zu Beginn möchte die Familie der ägyptischen, arabischen und muslimischen Welt, sowie den Deutschen, die in dieser Zeit großer Trauer ihre Anteilnahme bekundeten, ihren tiefen Dank aussprechen. Die Familie möchte verdeutlichen, dass Marwa El-Sherbiny ermordet wurde, weil sie ihre Religion verteidigte und die Verunglimpfung ihrer Religion nicht duldete, was aus den aktenkundigen Zeugenaussagen hervorgeht.Die Angehörigen möchten auch betonen, dass sie nicht aufgeben werden, und weiterhin Marwas Rechte gegen diejenigen, die auf unterschiedliche Weise zu ihrem Tod beitrugen, durchsetzen werden. Die Familie wird für sie weiterhin die Gerechtigkeit verfolgen, so lange es auch dauert.
Gedenken an Marwa El-Sherbini in
Dresden vor dem Amtsgericht
Ist das wirklich Gerechtigkeit?
Online-Flyer Nr. 257 vom 07.07.2010
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Inland
„Das Gericht hätte die Ermordung von Marwa El-Sherbini verhindern können“
Familie und Freunde klagen an
Von Peter Kleinert
Vor einem Jahr konnte der 28jährige Russlanddeutsche Alex W. die 32jährige, in Ägypten geborene Apothekerin Marwa El-Sherbini während einer Verhandlung im Dresdener Amtsgericht mit 18 Messerstichen ermorden und ihren Ehemann schwer verletzen, nachdem er sie zunächst auf einem Kinderspielplatz als „Islamistin“ und „Terroristin“ beschimpft hatte, weil sie ein Kopftuch trug. Ihr Mann wurde im Gerichtssaal von einem Polizisten ins Bein geschossen. Zwar wurde der Mörder verurteilt, doch die für den Mord mitverantwortlichen Vertreter der Justiz und der Polizist wurden nicht einmal angeklagt, was - außer der NRhZ, die über den Mord und das was danach (nicht) passierte, ein Dutzend Berichte veröffentlichte - die üblichen Medien aber kaum interessierte. Nun haben sich Marwas Familie und Freunde an die Öffentlichkeit gewandt.
Marwa mit ihrem Sohn Moustafa, der bei der Ermordung seiner Mutter mit im Gerichtssaal war
Alle Fotos von: www.marwaelsherbiny.com
Von Tarek el-Sherbiny, dem Bruder der Ermordeten, erhielten wir vergangene Woche zwei Texte zugemailt: einen Brief von Marwas Familie und den Text einer Solidaritätsinitiative, die nun zusammen mit der Familie auf der Internetseite www.marwaelsherbiny.com nicht nur die Erinnerung an Marwa lebendig halten will. Öffentlichkeit und Politik sollen über das Fehlverhalten der Justiz informiert werden und damit diese endlich Konsequenzen zieht, anstatt Menschen vor Gericht zu zerren, die sich - wie die NRhZ-Autorin und Leiterin des Instituts für Medienverantwortung, Sabine Schiffer - darüber öffentlich Gedanken machen.
Hier also zunächst die Mitteilung der Familie Marwa El-Sherbinys anlässlich ihres ersten Todestages und dann der Text der Solidaritätsinitiative:
Marwa und ihr Ehemann Elwy während
ihrer Hochzeit
Wir fordern die ägyptischen Behörden sowohl hier als auch in Ägypten auf, sich auf keinen Fall an der Gedenkveranstaltung für die Märtyrerin in Deutschland zu beteiligen, da diese Veranstaltung nur den Zweck verfolgt, die Fakten zu kaschieren, und weil dies sich auf die Rechte der Familie negativ auswirkt. Eben deshalb sich auch die Familie geweigert, an diesen Veranstaltungen teilzunehmen, solange keine Entschuldigung seitens dieser Stellen erfolgte. Leider hat sich die andere Seite in dieser Hinsicht nicht als glaubwürdig erwiesen.
Und was wollen wir denn jetzt? Wir wollen kein weiteres Leid, aber wir wollen, dass diejenigen bestraft werden, die für diesen Zwischenfall verantwortlich sind und die verantwortungslos gehandelt haben, damit es nie wieder passiert, dass eine Muslimin, die in Europa den Hidschab trägt, ermordet wird, sowie um die Würde der Araber zu wahren, denn unser Leid war gross, und wir wollen nicht, dass andere Menschen so leiden.
Möge Gott Marwa gnädig sein
Zu Gott werden wir zurückkehren
Gedenken an Marwa El-Sherbini in
Dresden vor dem Amtsgericht
Es geht uns nicht darum, das Publikum des Falles Marwa El-Sherbiny emotional zu erpressen, um ihre Anteilnahme zu gewinnen. Wir machen hier keine falsche Propaganda, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf uns zu lenken. Wir weigern uns einfach nur, zu akzeptieren, dass Unrecht als Recht bezeichnet wird. Wir weigern uns, halbe Gerechtigkeit statt voller Gerechtigkeit zu akzeptieren. Wir weigern uns, uns einfach mit der Verurteilung des Mörders zu lebenslanger Freiheitsstrafe zufrieden zu geben, während andere für die Tragödie Verantwortliche ungeschoren, unangeklagt und unbestraft davonkommen. Wir wurden zutiefst verletzt. Wir wollen nicht, dass dies irgendeiner anderen Muslimin in Europa geschieht. Wir wollen unsere Würde schützen, da wir niemandem derartiges Leid wünschen.
Ein Jahr nach dem Mord an Marwa hat die deutsche Staatsanwaltschaft bekannt gegeben, die drei von der Familie Marwa El-Sherbinys erstatteten Anzeigen gegen den Polizeibeamten, den Richter, und das Dresdener Gericht selbst zurückzuweisen, obwohl wir dreimal Widerspruch eingereicht haben. Wir fragen uns, wie die im Verfahren bekannt gewordenen offiziellen Fakten ignoriert und verachtet werden konnten. Liegt es daran, dass die Beschuldigten Amtsträger waren? Soll die Justiz nicht blind sein?
Die von Marwas Familie gegen den Bundespolizeibeamten erstattete Anzeige stützte sich auf folgende Fakten:
- Wie ein erfahrener, körperlich starker Bundespolizist sich an den Tatort begibt, dem Mord am Opfer zusieht, und dann herausgeht, um andere an den Tatort zu rufen, ohne einzugreifen oder gar den Mörder zu warnen.
- Der Ehemann Elwy Okaz wurde von einem Bundespolizisten angeschossen, obwohl er das Messer nicht in der Hand hielt.
- Es erfolgte keine Warnung oder Luftschuss, bevor Marwas Ehemann Elwy Okaz angeschossen wurde.
- Nachdem diesem Polizisten klar wurde, dass er den Falschen angeschossen hatte, schoss er nicht auf den Mörder, um den bislang erfolgten 34 Messerstichen ein Ende zu setzen.
- Obwohl die Beiden völlig verschieden aussahen, einer aus jedem Körperteil blutete und der andere ein Messer hielt und keine einzige Stichwunde hatte, begann der Eingriff des Bundespolizisten damit, den Falschen anzuschießen, obwohl die Beiden von vier Polizisten umstellt waren.
- Vier Polizisten konnten einen Mann nicht davon abhalten, zwei Opfer abzustechen.
Haben diese Polizisten ihre Pflicht getan? Haben sie sich an das Gesetz gehalten, oder wurde einfach der Ausländer angeschossen? Ist diese ganze Szene überhaupt logisch?
Die gegen den Richter erstattete Anzeige stützt sich auf folgende Fakten:
- Neun Monate vor dem Prozess erhielt der Richter einen Brief von Alex W., in dem Marwa bedroht wurde.
- Der Richter traf vor dem geplanten Prozess keine Sicherheitsvorkehrungen für den Saal.
- Dem Richter wurde, als er im Verfahren gegen Alex W. aussagte, vom Richter im Mordverfahren Fahrlässigkeit vorgeworfen.
Ein Richter, ein Vertreter der Justiz, der dafür zuständig ist, die Rechte der Menschen zu schützen, hat Marwa nicht geschützt. Er hat sie nicht einmal gewarnt, obwohl sich der Mörder dem Opfer gegenüber schon wild und aggressiv verhielt, bevor er zum Messer griff und sie abstach.
Letztlich war die gegen das Dresdener Gericht erstattete Anzeige angesichts folgender Fakten offensichtlich begründet:
- Der Drohbrief gelangte in die Hände sowohl des erstinstanzlichen Richters als auch des Staatsanwalts, die beide rechtskundig sind und in solchen Fragen erfahren waren, aber sie dachten gar nicht daran, das Opfer zu warnen oder zu benachrichtigen.
- Der Gerichtshof verfügte weder über Wachleute noch über einen Metalldetektor. Beides hätte diese Tragödie von Anfang an verhindern können. Dadurch, dass nach dem Mord strengere Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden, wird bestätigt, dass sich das Dresdener Gericht bewusst ist, mit einem derart lockeren Sicherheitssystem einen Fehler begangen zu haben.
- Selbst zum Zeitpunkt des Angriffs gab es keine zeitnahen, systematischen Prozeduren, die den Mörder davon hätten abhalten können, auf seine beiden Opfer insgesamt 34mal einzustechen, was bestimmt einige Zeit beanspruchte und auf eine Verzögerung des Eingreifens durch die Sicherheitskräfte hinweist.
- Infolge des Mangels an systematischen Sicherheitsvorkehrungen musste Moustafa, der dreijährige Sohn der Opfer, dem Mord zusehen und vom Blut seiner Mutter getränkt werden, was ihn sein Leben lang verfolgen wird.
- Die Ankunft des Rettungswagens verspätete sich um mehr als eine Stunde.
- Die Wohnung des Opfers wurde auf zutiefst erniedrigende Weise verletzt.
- Letztendlich wurde die Familie der Mutter nicht von Amts wegen über den Mord informiert, und Moustafa wurde in einem fremden Land allein gelassen, bis die Familie durch Zufall von den Geschehnissen erfuhr.
- Wir fragen uns einfach, welchen Grund es haben kann, dass all diese eindeutigen, den entsprechenden Stellen bekannten Tatsachen, wonach Alex W. nicht allen für diese multidimensionale Tragödie verantwortlich ist, ignoriert werden.
- Ist es menschlich, dass nach einer solchen Tragödie, durch die eine ganze Familie zerstört wurde, eine Schwangere mit 18 Stichwunden im Leichenschauhaus lag, der Vater mit einer Schusswunde und 16 Stichwunden zwischen Leben und Tod schwebte, ein vom Blut seiner Mutter durchnässtes dreijähriges Kind bei einer Pflegefamilie gelassen wurde, alle Zuständigen einfach nach Hause gingen, ohne irgendjemanden - nicht den Arbeitgeber, nicht die Nachbarn, nicht die Botschaft - zu informieren, obwohl in ihren Reisepässen ihre persönlichen Daten und Staatsangehörigkeit vermerkt waren? Sie haben lieber geschwiegen.
Das Recht ist die Sprache der Rechte und der Logik. So ein Zwischenfall ereignete sich im 21. Jahrhundert, und zwar ausgerechnet in einem Haus des Rechts. Angesichts der oben dargelegten Fakten müssen diejenigen, die ihre Pflicht nicht taten, bestraft werden, damit ein derartiger Zwischenfall nie wieder vorkommt.Und wir fragen uns immer noch: Ist das wirklich Gerechtigkeit? (PK)
Wir danken Elise Hendrick für die Übersetzung der Texte ins Deutsche
Online-Flyer Nr. 257 vom 07.07.2010
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