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„Ihr Lexikon besteht aus: Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror,Terror, Terror“
Kampfsprache: Die neue Propaganda
Von Robert Fisk
Haben sie das Neueste auf dem Gebiet der Nachrichtensemantik verfolgt? Der Journalismus und die israelische Regierung verstehen sich prächtig. Es ist islamisti- scher Terror, türkischer Terror, Terror der Hamas, Islamischer Jihad Terror, Terror der Hisbollah, Terror der Aktivisten, Krieg gegen den Terror, der palästinensische Terror, muslimischer Terror, der iranische, syrische und antisemitische Terror …
Aber ich tue den Israelis Unrecht. Ihr Lexikon und das des weißen Hauses - meistens - und das unserer Reporter ist dasselbe. Ja, seien wir fair mit den Israelis. Ihr Lexikon besteht aus: Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror.
Wie oft habe ich das Wort “Terror” benutzt? Zwanzig mal. Aber es hätte genauso gut 60 oder 100, oder 1000, oder eine Million mal sein können. Wir sind verliebt in dieses Wort, verführt von ihm, fixiert von ihm, angegriffen von ihm, vergewaltigt von ihm, ihm verpflichtet. Es ist Liebe und Sadismus und Tod in einer Doppel-Silbe, das Prime-Time-Titellied, der Beginn der Fernsehsinfonie, die Überschrift auf jeder Seite, ein Satzzeichen in unserem Journalismus, ein Semikolon, ein Komma, unser mächtigster Punkt. “Terror, Terror, Terror, Terror”. Jede Wiederholung dieses Wortes rechtfertigt seine Vorgänger.
Vor allem geht es um den Terror der Macht und die Macht des Terrors. Macht und Terror sind austauschbar geworden. Wir Journalisten haben dies geschehen lassen. Unsere Sprache wurde nicht nur zu einem minderwertigen Verbündeten, sondern auch zu einem verbalen Partner in der Sprache der Regierungen, Armeen, Generäle und Waffen. Denken Sie an die bunkerbrechenden Waffen - die „Bunker Buster, die „Scud Buster” und an die „zielreiche Umgebung” im Golfkrieg (Teil eins). Vergessen sie die “Massenvernichtungswaffen”. Das ist zu offensichtlich dumm. Aber die “Massenvernichtungswaffen” im Golfkrieg (Teil zwei) hatten so ihre eigene Macht, einen Geheimcode - genetisch, vielleicht, wie die DNA - etwas das Terror, Terror, Terror, Terror, Terror ernten würde. “45 Minuten bis zum Terror”.
Bei Macht und Medien geht es nicht nur um gemütliche Beziehungen zwischen Journalisten und Politikern, Redakteuren und Präsidenten. Es geht nicht nur um eine parasitäre-osmotische Beziehung zwischen den vermeintlich ehrenwerten Reportern und den Zusammenhang von Macht, die zwischen dem Weißen Haus, dem State Department und dem Pentagon verläuft, zwischen der Downing Street und dem Auswärtigen Amt und dem Ministerium für Verteidigung, zwischen Amerika und Israel.
Im westlichen Kontext, bestehen Macht und Medien aus Worten - und der Verwendung von Worten. Es geht um Semantik. Es geht um die Anwendung von Phrasen und ihren eigentlichen Ursprüngen. Und es geht um den Missbrauch von Geschichte und um unsere Ignoranz gegenüber der Geschichte. Wir Journalisten sind heute mehr und mehr zu Gefangenen der Sprache der Macht geworden. Ist es, weil wir uns nicht mehr um Linguistik oder Semantik kümmern? Ist es deshalb, weil die Notebooks unsere Rechtschreibung “korrigieren”, unsere Grammatik “verbessern”, sodass unsere Sätze mit denen unserer Herrschenden identisch sind? Hören sich heute deshalb Leitartikel in Zeitungen wie politische Reden an?
Seit zwei Jahrzehnten verwenden die Herrschenden der USA und Großbritanniens - und auch die israelischen und palästinensischen - den Begriff “Friedensprozess” um die hoffnungslose, unzureichende und unehrenhafte Vereinbarung zu definieren, die den USA und Israel erlaubt, jedes Scheibchen Land zu dominieren, dass man einem besetzten Volk geben würde. Ich hinterfragte zum ersten Mal diesen Ausdruck und seine Herkunft zum Zeitpunkt Oslos - obwohl wir doch leicht vergessen, dass die geheime Kapitulationen in Oslo selbst eine Verschwörung ohne eine Rechtsgrundlage war.
Das arme, alte Oslo, denk ich immer. Was hat Oslo jemals getan, um das verdient zu haben? Es war das Abkommen des Weißen Hauses, das den absurden und dubiosen Vertrag versiegelte - in welchem die Flüchtlinge, Grenzen, israelische Kolonien und auch Fahrpläne zu lange hinausgezögert worden waren, bis sie nicht mehr verhandelt werden konnten.
Und wie leicht wir den Rasen des Weißen Hauses vergessen - obwohl, ja, wir erinnern uns an die Bilder - auf denen Clinton zu sehen war, der aus dem Koran zitierte, und Arafat, der bewusst sagte: “Danke Ihnen, danke Ihnen, danke, Herr Präsident.” Und wie dürfen wir diesen Unsinn benennen? Ja, es war ein “historischer Moment”! War er es? War es so?
Erinnern Sie sich, wie Arafat das nannte? “Der Frieden der Tapferen”. Aber ich erinnere mich nicht, dass irgendjemand von uns darauf hinwies, dass der “Frieden der Tapferen” von General de Gaulle benutzt wurde, um das Ende der Algerienkrieg zu beschreiben. Die Franzosen verloren den Krieg in Algerien. Wir haben die außergewöhnliche Ironie nicht bemerkt.
Heute wieder das Gleiche. Wir westlichen Journalisten - mal wieder benutzt von unseren Anführern - haben über unsere vergnügten Generäle in Afghanistan berichtet, die sagen, der Krieg könne nur mit einer Kampagne aus “Herz und Verstand” gewonnen werden. Niemand stellt ihnen die nahe liegende Frage: War dies nicht derselbe Satz, den man über vietnamesische Zivilisten im Vietnam-Krieg gesagt hat? Und haben wir nicht - wir, der Westen - den Krieg in Vietnam verloren? Doch jetzt bringen wir als westliche Journalisten in Bezug auf Afghanistan Ausdrücke wie “Herz und Verstand” in unsere Berichten ein, als ob es sich um eine neue Wörterbuch-Definition und nicht um ein Symbol der zweiten Niederlage in vier Jahrzehnten handle.
Sehen wir uns nur die einzelnen Wörter an, die wir bereits vom US-Militär kooptiert haben. Wenn wir Westler meinen, dass “unsere” Feinde - z.B. Al-Kaida oder die Taliban - mehr Bomben einsetzen und Anschläge ausüben als üblich, nennen wir es “ein Aufflammen der Gewalt”.
Ja, ein “Auflammen”! “Auflammen” ist das Wort, das nach meinen Unterlagen als erstes in diesem Zusammenhang von einem Brigadegeneral der Grünen Zone in Bagdad im Jahr 2004 benutzt wurde. Jetzt verwenden wir diesen Ausdruck, wir improvisieren damit, wir bringen ihn auf Sendung als sei es unser Ausdruck, unsere journalistische Erfindung. Wir benutzen einen Ausdruck wörtlich, der für uns durch das Pentagon geschaffen wurde. Ein Aufflammen geht natürlich steil nach oben und dann steil nach unten. Ein “Aufflammen der Gewalt” vermeidet deshalb in seltsamer Weise die Verwendung der Worte “Steigerung der Gewalt” - eine Steigerung geht natürlich anschließend nicht wieder herunter.
Noch einmal, wenn die US-Generäle vom plötzlichen Anstieg ihrer Kräfte für einen Angriff auf Falludscha oder Bagdad oder Kandahar berichten - eine Massenbewegung von Soldaten, die zu zehntausenden in die muslimischen Ländern gebracht werden -, bezeichnen sie diesen als „surge“ - als Schwall, als Sprungwelle. Und wie ein Tsunami oder irgendein anderes Naturphänomen kann solch ein „surge“ in seinen Auswirkungen verheerend sein. Diese “surges” sind in Wirklichkeit - um die richtigen Worte des seriösen Journalismus zu verwenden - Verstärkungen. Und Verstärkungen werden in Kriege geschickt, wenn Armeen dabei sind, diese Kriege zu verlieren. Aber unsere Jungs und Mädchen vom Fernsehen reden nur noch über „surges“, ohne die Verwendung irgendwelcher Attribute. Mal wieder gewinnt das Pentagon.
Mittlerweile ist der „Friedensprozess“ zusammengebrochen. Deshalb versuchen unsere Anführer - oder „Schlüsselfiguren“ wie wir sie gerne nennen - ihn wieder in Gang zu bringen. Der Prozess musste wieder „zurück in die Spur“ gebracht werden. Sehen Sie, es war ein Zug. Die Wagons sind vom Weg abgekommen. Die Clinton-Regierung nutzte diese Phrase zuerst, dann die Israelis, dann die BBC. Aber es gab ein Problem, als der „Friedensprozess“ immer wieder „zurück in die Spur“ gebracht wurde - aber immer noch vom Weg abkam. Deshalb produzierten wir einen Fahrplan, eine „Roadmap“, - betrieben von einem Quartett und geleitet von unserem alten Freund Gottes, Tony Blair, den wir in einer Obzönität der Geschichte nun „Friedensbotschafter“ nennen.
Aber der „Fahrplan“ funktioniert nicht. Und jetzt stelle ich fest, dass der alte „Friedensprozess“ wieder zurück in unseren Tageszeitungen und auf unseren Fernsehschirmen ist. Anfang des Monats erzählte uns einer dieser alten Kauze, den die Jungs und Mädchen vom Fernsehen „Experten“ nennen, auf CNN, dass der „Friedensprozess“ wieder „zurück in die Spur“ gebracht wird, da nun mit „indirekten Gesprächen“ zwischen Israelis und Palästinensern begonnen wurde.
Hier geht es nicht nur um Klischees - hier geht es um verdrehten Journalismus. Es gibt keinen Kampf zwischen den Medien und den Mächtigen; durch die Sprache sind wir - die Medien - zu ihnen geworden.
Hier ist ein weiteres Bruchstück medialer Feigheit, das meine 63 Jahre alten Zähne einander abschleifen lässt, nachdem ich 34 Jahre Humus und Tahina im Nahen Osten gegessen habe. Uns wird in vielen Analysebeiträgen erzählt, dass wir uns im Nahen Osten mit „konkurrierenden Schilderungen“ befassen müssen. Wie gemütlich. Es gibt keine Gerechtigkeit, keine Ungerechtigkeit, nur ein paar Leute, die verschiedene Versionen der Geschichte vortragen. „Konkurrierende Schilderungen“ tauchen nun regelmäßig in der britischen Presse auf.
Die Phrase von der anthropologisch falschen Sprache löscht die Möglichkeit aus, dass eine Gruppe von Menschen - z.B. im Nahen Osten - besetzt wird, während eine andere die Besetzung übernimmt. Noch einmal: keine Gerechtigkeit, keine Ungerechtigkeit, keine Unterdrückug oder Unterdrücken, nur einige freundliche „konkurrierende Schilderungen“, ein Fußballspiel wenn Sie mögen, ein ebenes Spielfeld, denn die beiden Seite sind ja - sind sie es etwa nicht? - „im Wettbewerb“. Und beiden Seiten muss bei jeder Geschichte die gleiche Zeit eingeräumt werden.
So wird eine „Besatzung“ zu einem „Streit“. Somit wird eine „Mauer“ ein „Zaun“ oder eine „Sicherheitsbarriere“. Somit werden die israelischen Akte der Kolonialisierung arabischen Landes, die jeglichem internationalen Recht widerspricht, zu „Siedlungen“ oder „Außenposten“ oder „jüdische Nachbarschaften“. Es war Colin Powell in seiner machtlosen Hauptrolle als Außenminister George W. Bushs, der US-Diplomaten vorgab, das besetzte Palästina als „umstrittenes Land“ zu bezeichnen - und das reichte für die meisten US-Medien aus. Es gibt natürlich keine „konkurrierenden Schilderungen“ zwischen US-Militär und den Taliban. Wenn es welche geben sollte, wissen Sie, dass der Westen verloren hat.
Aber ich werde Ihnen ein Beispiel geben, wie „konkurrierende Schilderungen“ ineinander fallen können. Im April hielt ich in Toronto anlässlich des 95. Jahrestages des armenischen Völkermordes von 1915, dem vorsätzlichen Massenmord von 1,5 Millionen armenischen Christen durch die osmanisch-türkische Armee und Milizen, eine Vorlesung. Vor meinem Vortrag wurde ich vom kanadischen Fernsehsender CTV interviewt, dem auch die Tageszeitungen Globe und Mail aus Toronto gehören. Von Anfang an bemerkte ich, dass der Interviewer ein Problem hatte. Kanada besitzt eine große armenische Gemeinde. Aber Toronto besitzt auch eine große türkische Gemeinde. Und wie uns Globe und Mail immer wieder erzählen, „streiten“ die Türken „energisch“ ab, dass es sich dabei um einen Völkermord handelte.
Also nannte die Interviewerin den Völkermord „tödliche Massaker“: Natürlich, erkannte ich ihr spezifisches Problem sofort. Sie konnte das Massaker nicht „Völkermord“ nennen, da die türkische Gemeinde außer sich wäre. Aber sie ahnte, dass „Massaker“ allein - insbesondere mit dem grauenvollen Studiohintergrund aus Fotografien toter Armenier - nicht ausreichen würde, um eineinhalb Millionen ermordete Menschen zu erklären. Daher die „tödlichen Massaker“. Wie sonderbar. Wenn es „tödliche“ Massaker gibt, gibt es dann auch einige Massaker, die nicht „tödlich“ sind, aus denen die Opfer lebendig davon kommen? Es war eine aberwitzige Tautologie.
Noch schreitet der Gebrauch der Sprache der Macht - mit ihren Signalworten und ihren Signalphrasen - voran. Wie oft habe ich westliche Reporter über „ausländische Kämpfer“ in Afghanistan sprechen hören? Sie meinen natürlich die verschiedenen arabischen Gruppen, die vermutlich den Taliban helfen. Die gleichen Geschichten hören wir aus dem Irak. Saudische, jordanische, palästinensische und tschetschenische Kämpfer natürlich. Die Generäle nennen sie „ausländische Kämpfer“. Und sofort taten wir westlichen Reporter es ihnen gleich. Sie „ausländische Kämpfer“ zu nennen, bedeutete, dass es sich bei ihnen um eine einfallende Macht handelt. Aber nicht einmal habe ich jemals einen westlichen Mainstream-Fernsehsender darauf Bezug nehmen hören, dass sich mindestens 150.000 „ausländische Kämpfer“ in Afghanistan befinden und, dass alle von ihnen amerikanische, britische oder andere NATO-Uniformen tragen. „Wir“ sind es, die die wahren „ausländischen Kämpfer sind“.
Ähnlich verhält es sich mit der schädlichen Formulierung „AfPak“, die so rassistisch wie politisch unaufrichtig ist und nun von Reportern genutzt wird, obwohl sie ursprünglich eine Kreation des US-Außenministeriums war - am Tag als Richard Holbrooke zum US-Repräsentanten für Afghanistan und Pakistan ernannt wurde. Aber die Formulierung vermeidet den Gebrauch des Wortes „Indien“ - dessen Einfluss in Afghanistan und dessen Präsenz in Afghanistan ein wesentlicher Teil der Geschichte ist. Indem es Indien außen vor lässt, tilgt „AfPak“ darüberhinaus in wirksamer Weise den gesamten Kaschmir-Konflikt aus dem Konflikt Südostasiens. Somit entzieht es Pakistan jeglicher Erwähnung im Rahmen der US-Kaschmir-Politik. Letzten Endes wurde Holbrooke zum „AfPak“-Gesandten, welcher die Tragödie Kashmirs vollständig umgeht - vielleicht sind es zu viele „konkurrierende Schilderungen“? Dies bedeutet, dass wenn wir Journalisten dieselbe Formulierung benutzen, „AfPak“, welche mit Sicherheit für uns Journalisten erfunden wurde, machen wir die Arbeit des Außenministeriums.
Lasst uns nun einen Blick in die Geschichte werfen. Unsere Anführer lieben Geschichte. Die meisten von ihnen lieben den Zweiten Weltkrieg. 2003 dachte George W. Bush, er wäre Churchill. Wahrlich, Bush verbrachte den Vietnamkrieg damit, den Himmel von Texas vor dem Vietcong zu schützen. Aber jetzt im Jahr 2003 stellte er sich den „Appeasern“, den Beschwichtigern, die keinen Krieg mit Saddam, der wiederum natürlich der „Hitler des Tigris“ war, entgegen. Die „Appeaser“ waren die Briten, die 1938 nicht gegen Nazi-Deutschland kämpfen wollten. Blair schaute natürlich auch, ob ihm Churchills Weste und Jacke passten. Er kein „Appeaser“. Amerika war Großbritanniens ältester Verbündeter verkündete er - und Bush und Blair erinnerten die Journalisten, dass die USA 1940 in Zeiten der Not Seite an Seite mit Großbritannien standen.
Aber nichts davon ist wahr. Großbritanniens ältester Verbündeter waren nicht die Vereinigten Staaten. Es war Portugal, ein neutraler faschistischer Staat während des Zweiten Weltkriegs, welcher seine Flaggen auf Halbmast setzte als Hitler starb (nicht einmal die Iren haben das getan).
Auch kämpfte Amerika nicht an der Seite Großbritanniens in den Zeiten der Not 1940, als Hitler mit einer Invasion drohte und die Luftwaffe London „blitzte“. Nein, 1940 genoss Amerika eine sehr profitable Periode der Neutralität und schloss sich nicht Großbritannien im Krieg an - bis Japan im Dezember 1941 die US-Marinebasis in Pearl Harbor angriff. In ähnlicher Weise nannte Eden 1956 Nasser den „Mussolini des Nils“. Ein schlimmer Fehler. Nasser wurde von den Arabern geliebt, nicht gehasst, wie Mussolini von der Mehrheit der Afrikaner, besonders von den arabischen Libyern. Die Parallele zu Mussolini wurde durch die britische Presse weder bestritten noch in Frage gestellt. Und wir alle wissen, was 1956 am Suezkanal geschah. In Sachen Geschichte lassen wir Journalisten uns gerne von Präsidenten und Premierministern übers Ohr hauen.
Dennoch ist die gefährlichste Seite unseres neuen Semantikkrieges, unseres Gebrauchs machtvoller Worte - obwohl es eigentlich kein Krieg ist, da wir uns ja zum Großteil ergeben haben - die Isolation unserer selbst von Zuschauern und Lesern. Sie sind nicht dämlich. In vielen Fällen - so befürchte ich - verstehen sie die Worte besser als wir. Geschichte auch. Sie wissen, dass wir unseren Wortschatz von der Sprache der Generäle und Präsidenten beziehen, von den sogenannten Eliten, von der Arroganz der Experten des Brooking Institut, oder denen der Rand Cooperation. Auf diese Weise sind wir Teil dieser Sprache geworden.
Während der vergangenen zwei Wochen, als Ausländer - humanitäre Helfer oder „Aktivisten-Terroristen“ - versuchten Nahrung und Medizin über den Seeweg zu den hungrigen Palästinensern Gazas zu bringen, hätten wir Journalisten unsere Zuschauer und Zuhörer an einen weit zurück liegenden Tag erinnern sollen, als Amerika und Großbritannien sich auf den Weg machten, Hilfe zu umzingelten Menschen, Nahrung und Treibstoff zu bringen - unsere eigenen Soldaten starben dabei - um einer verhungernden Bevölkerung zu helfen. Diese Bevölkerung war umgeben von einem Zaun, errichtet durch eine brutale Armee, die vorhatte die Menschen zur Kapitulation zu hungern. Die Armee waren die Russen. Die Stadt war Berlin. Die Mauer sollte später kommen. Die Menschen waren nur drei Jahre zuvor noch unsere Feinde. Dennoch errichteten wir die Berliner Luftbrücke um sie zu retten. Nun schauen Sie sich heute Gaza an: welcher westliche Journalist - da wir ja historische Parallelen mögen - hat jemals das Berlin von 1948 im Kontext Gazas erwähnt?
Was haben wir stattdessen bekommen? „Aktivisten“, die in dem Moment zu „bewaffneten Aktivisten“ wurden, als sie sich der Enterung durch die israelische Armee widersetzten. Wie konnten es diese Männer wagen, das Lexikon durcheinander zu bringen? Ihre Bestrafung war offensichtlich. Sie wurden zu „Terroristen“. Und die israelischen Übergriffe - bei denen „Aktivisten“ getötet wurden (ein weiterer Beleg ihres „Terrorismus“) - wurden zu „tödlichen“ Übergriffen. In diesem Fall war „tödlich“ eher entschuldbar als es auf CTV der Fall war - neun Männer türkischer Herkunft waren etwas weniger als eineinhalb Millionen 1915 ermordete Armenier. Aber es war interessant, dass die Israelis, die sich bisher aus eigenen politischen Gründen in schändlicher Weise der türkischen Leugnung anschlossen, nun plötzlich die Welt über den armenischen Völkermord von 1915 informieren wollten. Verständlicherweise ließ dies viele unserer Kollegen erschaudern. Journalisten, die regelmäßig vor allen Erwähnungen des ersten Holocausts des 21. Jahrhunderts in Deckung gingen - sofern sie nicht auch erwähnen konnten, wie die Türken den Völkermord-Stempel „energisch abstreiten“ (also Toronto Globe und Mail) - konnten nun plötzlich Bezug darauf nehmen. Israels neu entdecktes historisches Interesse legitimierte das Thema, obwohl fast alle Reportagen es schafften, jegliche Erklärung darüber, was 1915wirklich passiert war, zu vermeiden.
Und wozu wurde der israelische Meeresüberfall? Er wurde zu einem „verbockten“ Überfall. „Verbockt“ ist ein reizendes Wort. Das mittelenglische Wort „botched“ entstand aus diesem Wort deutschen Ursprungs „bocchen“ und bedeutet „schlecht reparieren“. Und mehr oder weniger behielten wir die Definition bis unsere Lexikon-Berater seine Bedeutung änderten. Schulkinder „verbocken“ ein Examen. Wir können eine Näharbeit „verbocken“ oder den Versuch, irgendein Material zu reparieren. Wir können sogar den Versuch verbocken, unseren Chef zu einer Lohnerhöhung zu überreden. Aber nun „verbocken“ wir eine Militäroperation. Sie war kein Disaster. Sie war keine Katastrophe. Sie tötete nur ein paar Türken.
Angesichts der schlechten öffentlichen Meinung haben die Israelis den Überfall nur „verbockt“. Merkwürdigerweise war der letzte Mal als Reporter und Regierungen genau von diesem Wort gebraucht machten, Israels Versuch, den Hamas-Anführer Khaled Meshall in den Straßen von Amman umzubringen. In diesem Fall wurden Israels Berufskiller geschnappt nachdem sie versucht hatten Meshaal zu vergiften. König Hussein zwang dann den israelischen Premierminister (einen gewissen B. Netanjahu) das Gegengift bereitzustellen (und eine Menge Hamas-“Terroristen“ aus dem Gefängnis zu entlassen). Meshaals Leben wurde gerettet.
Aber für Israel und seine gehorsamen westlichen Journalisten wurde es zu einem „verbockten Versuch“ gegen Meshaals Leben. Nicht weil er nicht sterben sollte, sondern weil Israel an seiner Ermordung scheiterte. Somit kann man eine Operation „verbocken“ indem man Türken umbringt - oder man kann eine Operation „verbocken“ indem man einen Palästinenser nicht umbringt.
Wie durchbrechen wir diese Sprache der Macht? Sie wird uns mit Gewissheit töten. Dies, so vermute ich, ist ein Grund, warum sich Leser von der „Mainstream“-Presse ab und dem Internet zugewandt haben. Nicht weil das Internet frei ist, sondern weil die Leser wissen, dass sie belogen und betrogen wurden; sie wissen, dass es sich bei dem, was sie sehen und was sie in den Tageszeitungen lesen um eine Erweiterung dessen handelt, was sie vom Pentagon oder der israelischen Regierung hören. Dass unsere Worte mittels der Sprache gleichbedeutend mit einem von der Regierung genehmigten, vorsichtigen Mittelgrund wurden, welcher mit der selben Gewissheit die Wahrheit verdeckt, wie er uns zu politischen - und militärischen - Verbündeten aller großen westlichen Regierungen macht.
Viele meiner Kollegen aus verschiedenen Zeitungen würden letztendlich ihren Job riskieren, wenn sie andauernd die falsche Realität des Nachrichtenjournalismus, den Nexus der Medien-
Online-Flyer Nr. 260 vom 28.07.2010
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Medien
„Ihr Lexikon besteht aus: Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror,Terror, Terror“
Kampfsprache: Die neue Propaganda
Von Robert Fisk
Haben sie das Neueste auf dem Gebiet der Nachrichtensemantik verfolgt? Der Journalismus und die israelische Regierung verstehen sich prächtig. Es ist islamisti- scher Terror, türkischer Terror, Terror der Hamas, Islamischer Jihad Terror, Terror der Hisbollah, Terror der Aktivisten, Krieg gegen den Terror, der palästinensische Terror, muslimischer Terror, der iranische, syrische und antisemitische Terror …
Aber ich tue den Israelis Unrecht. Ihr Lexikon und das des weißen Hauses - meistens - und das unserer Reporter ist dasselbe. Ja, seien wir fair mit den Israelis. Ihr Lexikon besteht aus: Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror.
Wie oft habe ich das Wort “Terror” benutzt? Zwanzig mal. Aber es hätte genauso gut 60 oder 100, oder 1000, oder eine Million mal sein können. Wir sind verliebt in dieses Wort, verführt von ihm, fixiert von ihm, angegriffen von ihm, vergewaltigt von ihm, ihm verpflichtet. Es ist Liebe und Sadismus und Tod in einer Doppel-Silbe, das Prime-Time-Titellied, der Beginn der Fernsehsinfonie, die Überschrift auf jeder Seite, ein Satzzeichen in unserem Journalismus, ein Semikolon, ein Komma, unser mächtigster Punkt. “Terror, Terror, Terror, Terror”. Jede Wiederholung dieses Wortes rechtfertigt seine Vorgänger.
Vor allem geht es um den Terror der Macht und die Macht des Terrors. Macht und Terror sind austauschbar geworden. Wir Journalisten haben dies geschehen lassen. Unsere Sprache wurde nicht nur zu einem minderwertigen Verbündeten, sondern auch zu einem verbalen Partner in der Sprache der Regierungen, Armeen, Generäle und Waffen. Denken Sie an die bunkerbrechenden Waffen - die „Bunker Buster, die „Scud Buster” und an die „zielreiche Umgebung” im Golfkrieg (Teil eins). Vergessen sie die “Massenvernichtungswaffen”. Das ist zu offensichtlich dumm. Aber die “Massenvernichtungswaffen” im Golfkrieg (Teil zwei) hatten so ihre eigene Macht, einen Geheimcode - genetisch, vielleicht, wie die DNA - etwas das Terror, Terror, Terror, Terror, Terror ernten würde. “45 Minuten bis zum Terror”.
Bei Macht und Medien geht es nicht nur um gemütliche Beziehungen zwischen Journalisten und Politikern, Redakteuren und Präsidenten. Es geht nicht nur um eine parasitäre-osmotische Beziehung zwischen den vermeintlich ehrenwerten Reportern und den Zusammenhang von Macht, die zwischen dem Weißen Haus, dem State Department und dem Pentagon verläuft, zwischen der Downing Street und dem Auswärtigen Amt und dem Ministerium für Verteidigung, zwischen Amerika und Israel.
Im westlichen Kontext, bestehen Macht und Medien aus Worten - und der Verwendung von Worten. Es geht um Semantik. Es geht um die Anwendung von Phrasen und ihren eigentlichen Ursprüngen. Und es geht um den Missbrauch von Geschichte und um unsere Ignoranz gegenüber der Geschichte. Wir Journalisten sind heute mehr und mehr zu Gefangenen der Sprache der Macht geworden. Ist es, weil wir uns nicht mehr um Linguistik oder Semantik kümmern? Ist es deshalb, weil die Notebooks unsere Rechtschreibung “korrigieren”, unsere Grammatik “verbessern”, sodass unsere Sätze mit denen unserer Herrschenden identisch sind? Hören sich heute deshalb Leitartikel in Zeitungen wie politische Reden an?
Seit zwei Jahrzehnten verwenden die Herrschenden der USA und Großbritanniens - und auch die israelischen und palästinensischen - den Begriff “Friedensprozess” um die hoffnungslose, unzureichende und unehrenhafte Vereinbarung zu definieren, die den USA und Israel erlaubt, jedes Scheibchen Land zu dominieren, dass man einem besetzten Volk geben würde. Ich hinterfragte zum ersten Mal diesen Ausdruck und seine Herkunft zum Zeitpunkt Oslos - obwohl wir doch leicht vergessen, dass die geheime Kapitulationen in Oslo selbst eine Verschwörung ohne eine Rechtsgrundlage war.
Das arme, alte Oslo, denk ich immer. Was hat Oslo jemals getan, um das verdient zu haben? Es war das Abkommen des Weißen Hauses, das den absurden und dubiosen Vertrag versiegelte - in welchem die Flüchtlinge, Grenzen, israelische Kolonien und auch Fahrpläne zu lange hinausgezögert worden waren, bis sie nicht mehr verhandelt werden konnten.
Und wie leicht wir den Rasen des Weißen Hauses vergessen - obwohl, ja, wir erinnern uns an die Bilder - auf denen Clinton zu sehen war, der aus dem Koran zitierte, und Arafat, der bewusst sagte: “Danke Ihnen, danke Ihnen, danke, Herr Präsident.” Und wie dürfen wir diesen Unsinn benennen? Ja, es war ein “historischer Moment”! War er es? War es so?
Erinnern Sie sich, wie Arafat das nannte? “Der Frieden der Tapferen”. Aber ich erinnere mich nicht, dass irgendjemand von uns darauf hinwies, dass der “Frieden der Tapferen” von General de Gaulle benutzt wurde, um das Ende der Algerienkrieg zu beschreiben. Die Franzosen verloren den Krieg in Algerien. Wir haben die außergewöhnliche Ironie nicht bemerkt.
Heute wieder das Gleiche. Wir westlichen Journalisten - mal wieder benutzt von unseren Anführern - haben über unsere vergnügten Generäle in Afghanistan berichtet, die sagen, der Krieg könne nur mit einer Kampagne aus “Herz und Verstand” gewonnen werden. Niemand stellt ihnen die nahe liegende Frage: War dies nicht derselbe Satz, den man über vietnamesische Zivilisten im Vietnam-Krieg gesagt hat? Und haben wir nicht - wir, der Westen - den Krieg in Vietnam verloren? Doch jetzt bringen wir als westliche Journalisten in Bezug auf Afghanistan Ausdrücke wie “Herz und Verstand” in unsere Berichten ein, als ob es sich um eine neue Wörterbuch-Definition und nicht um ein Symbol der zweiten Niederlage in vier Jahrzehnten handle.
Sehen wir uns nur die einzelnen Wörter an, die wir bereits vom US-Militär kooptiert haben. Wenn wir Westler meinen, dass “unsere” Feinde - z.B. Al-Kaida oder die Taliban - mehr Bomben einsetzen und Anschläge ausüben als üblich, nennen wir es “ein Aufflammen der Gewalt”.
Ja, ein “Auflammen”! “Auflammen” ist das Wort, das nach meinen Unterlagen als erstes in diesem Zusammenhang von einem Brigadegeneral der Grünen Zone in Bagdad im Jahr 2004 benutzt wurde. Jetzt verwenden wir diesen Ausdruck, wir improvisieren damit, wir bringen ihn auf Sendung als sei es unser Ausdruck, unsere journalistische Erfindung. Wir benutzen einen Ausdruck wörtlich, der für uns durch das Pentagon geschaffen wurde. Ein Aufflammen geht natürlich steil nach oben und dann steil nach unten. Ein “Aufflammen der Gewalt” vermeidet deshalb in seltsamer Weise die Verwendung der Worte “Steigerung der Gewalt” - eine Steigerung geht natürlich anschließend nicht wieder herunter.
Noch einmal, wenn die US-Generäle vom plötzlichen Anstieg ihrer Kräfte für einen Angriff auf Falludscha oder Bagdad oder Kandahar berichten - eine Massenbewegung von Soldaten, die zu zehntausenden in die muslimischen Ländern gebracht werden -, bezeichnen sie diesen als „surge“ - als Schwall, als Sprungwelle. Und wie ein Tsunami oder irgendein anderes Naturphänomen kann solch ein „surge“ in seinen Auswirkungen verheerend sein. Diese “surges” sind in Wirklichkeit - um die richtigen Worte des seriösen Journalismus zu verwenden - Verstärkungen. Und Verstärkungen werden in Kriege geschickt, wenn Armeen dabei sind, diese Kriege zu verlieren. Aber unsere Jungs und Mädchen vom Fernsehen reden nur noch über „surges“, ohne die Verwendung irgendwelcher Attribute. Mal wieder gewinnt das Pentagon.
Mittlerweile ist der „Friedensprozess“ zusammengebrochen. Deshalb versuchen unsere Anführer - oder „Schlüsselfiguren“ wie wir sie gerne nennen - ihn wieder in Gang zu bringen. Der Prozess musste wieder „zurück in die Spur“ gebracht werden. Sehen Sie, es war ein Zug. Die Wagons sind vom Weg abgekommen. Die Clinton-Regierung nutzte diese Phrase zuerst, dann die Israelis, dann die BBC. Aber es gab ein Problem, als der „Friedensprozess“ immer wieder „zurück in die Spur“ gebracht wurde - aber immer noch vom Weg abkam. Deshalb produzierten wir einen Fahrplan, eine „Roadmap“, - betrieben von einem Quartett und geleitet von unserem alten Freund Gottes, Tony Blair, den wir in einer Obzönität der Geschichte nun „Friedensbotschafter“ nennen.
Aber der „Fahrplan“ funktioniert nicht. Und jetzt stelle ich fest, dass der alte „Friedensprozess“ wieder zurück in unseren Tageszeitungen und auf unseren Fernsehschirmen ist. Anfang des Monats erzählte uns einer dieser alten Kauze, den die Jungs und Mädchen vom Fernsehen „Experten“ nennen, auf CNN, dass der „Friedensprozess“ wieder „zurück in die Spur“ gebracht wird, da nun mit „indirekten Gesprächen“ zwischen Israelis und Palästinensern begonnen wurde.
Hier geht es nicht nur um Klischees - hier geht es um verdrehten Journalismus. Es gibt keinen Kampf zwischen den Medien und den Mächtigen; durch die Sprache sind wir - die Medien - zu ihnen geworden.
Hier ist ein weiteres Bruchstück medialer Feigheit, das meine 63 Jahre alten Zähne einander abschleifen lässt, nachdem ich 34 Jahre Humus und Tahina im Nahen Osten gegessen habe. Uns wird in vielen Analysebeiträgen erzählt, dass wir uns im Nahen Osten mit „konkurrierenden Schilderungen“ befassen müssen. Wie gemütlich. Es gibt keine Gerechtigkeit, keine Ungerechtigkeit, nur ein paar Leute, die verschiedene Versionen der Geschichte vortragen. „Konkurrierende Schilderungen“ tauchen nun regelmäßig in der britischen Presse auf.
Die Phrase von der anthropologisch falschen Sprache löscht die Möglichkeit aus, dass eine Gruppe von Menschen - z.B. im Nahen Osten - besetzt wird, während eine andere die Besetzung übernimmt. Noch einmal: keine Gerechtigkeit, keine Ungerechtigkeit, keine Unterdrückug oder Unterdrücken, nur einige freundliche „konkurrierende Schilderungen“, ein Fußballspiel wenn Sie mögen, ein ebenes Spielfeld, denn die beiden Seite sind ja - sind sie es etwa nicht? - „im Wettbewerb“. Und beiden Seiten muss bei jeder Geschichte die gleiche Zeit eingeräumt werden.
So wird eine „Besatzung“ zu einem „Streit“. Somit wird eine „Mauer“ ein „Zaun“ oder eine „Sicherheitsbarriere“. Somit werden die israelischen Akte der Kolonialisierung arabischen Landes, die jeglichem internationalen Recht widerspricht, zu „Siedlungen“ oder „Außenposten“ oder „jüdische Nachbarschaften“. Es war Colin Powell in seiner machtlosen Hauptrolle als Außenminister George W. Bushs, der US-Diplomaten vorgab, das besetzte Palästina als „umstrittenes Land“ zu bezeichnen - und das reichte für die meisten US-Medien aus. Es gibt natürlich keine „konkurrierenden Schilderungen“ zwischen US-Militär und den Taliban. Wenn es welche geben sollte, wissen Sie, dass der Westen verloren hat.
Aber ich werde Ihnen ein Beispiel geben, wie „konkurrierende Schilderungen“ ineinander fallen können. Im April hielt ich in Toronto anlässlich des 95. Jahrestages des armenischen Völkermordes von 1915, dem vorsätzlichen Massenmord von 1,5 Millionen armenischen Christen durch die osmanisch-türkische Armee und Milizen, eine Vorlesung. Vor meinem Vortrag wurde ich vom kanadischen Fernsehsender CTV interviewt, dem auch die Tageszeitungen Globe und Mail aus Toronto gehören. Von Anfang an bemerkte ich, dass der Interviewer ein Problem hatte. Kanada besitzt eine große armenische Gemeinde. Aber Toronto besitzt auch eine große türkische Gemeinde. Und wie uns Globe und Mail immer wieder erzählen, „streiten“ die Türken „energisch“ ab, dass es sich dabei um einen Völkermord handelte.
Also nannte die Interviewerin den Völkermord „tödliche Massaker“: Natürlich, erkannte ich ihr spezifisches Problem sofort. Sie konnte das Massaker nicht „Völkermord“ nennen, da die türkische Gemeinde außer sich wäre. Aber sie ahnte, dass „Massaker“ allein - insbesondere mit dem grauenvollen Studiohintergrund aus Fotografien toter Armenier - nicht ausreichen würde, um eineinhalb Millionen ermordete Menschen zu erklären. Daher die „tödlichen Massaker“. Wie sonderbar. Wenn es „tödliche“ Massaker gibt, gibt es dann auch einige Massaker, die nicht „tödlich“ sind, aus denen die Opfer lebendig davon kommen? Es war eine aberwitzige Tautologie.
Noch schreitet der Gebrauch der Sprache der Macht - mit ihren Signalworten und ihren Signalphrasen - voran. Wie oft habe ich westliche Reporter über „ausländische Kämpfer“ in Afghanistan sprechen hören? Sie meinen natürlich die verschiedenen arabischen Gruppen, die vermutlich den Taliban helfen. Die gleichen Geschichten hören wir aus dem Irak. Saudische, jordanische, palästinensische und tschetschenische Kämpfer natürlich. Die Generäle nennen sie „ausländische Kämpfer“. Und sofort taten wir westlichen Reporter es ihnen gleich. Sie „ausländische Kämpfer“ zu nennen, bedeutete, dass es sich bei ihnen um eine einfallende Macht handelt. Aber nicht einmal habe ich jemals einen westlichen Mainstream-Fernsehsender darauf Bezug nehmen hören, dass sich mindestens 150.000 „ausländische Kämpfer“ in Afghanistan befinden und, dass alle von ihnen amerikanische, britische oder andere NATO-Uniformen tragen. „Wir“ sind es, die die wahren „ausländischen Kämpfer sind“.
Ähnlich verhält es sich mit der schädlichen Formulierung „AfPak“, die so rassistisch wie politisch unaufrichtig ist und nun von Reportern genutzt wird, obwohl sie ursprünglich eine Kreation des US-Außenministeriums war - am Tag als Richard Holbrooke zum US-Repräsentanten für Afghanistan und Pakistan ernannt wurde. Aber die Formulierung vermeidet den Gebrauch des Wortes „Indien“ - dessen Einfluss in Afghanistan und dessen Präsenz in Afghanistan ein wesentlicher Teil der Geschichte ist. Indem es Indien außen vor lässt, tilgt „AfPak“ darüberhinaus in wirksamer Weise den gesamten Kaschmir-Konflikt aus dem Konflikt Südostasiens. Somit entzieht es Pakistan jeglicher Erwähnung im Rahmen der US-Kaschmir-Politik. Letzten Endes wurde Holbrooke zum „AfPak“-Gesandten, welcher die Tragödie Kashmirs vollständig umgeht - vielleicht sind es zu viele „konkurrierende Schilderungen“? Dies bedeutet, dass wenn wir Journalisten dieselbe Formulierung benutzen, „AfPak“, welche mit Sicherheit für uns Journalisten erfunden wurde, machen wir die Arbeit des Außenministeriums.
Lasst uns nun einen Blick in die Geschichte werfen. Unsere Anführer lieben Geschichte. Die meisten von ihnen lieben den Zweiten Weltkrieg. 2003 dachte George W. Bush, er wäre Churchill. Wahrlich, Bush verbrachte den Vietnamkrieg damit, den Himmel von Texas vor dem Vietcong zu schützen. Aber jetzt im Jahr 2003 stellte er sich den „Appeasern“, den Beschwichtigern, die keinen Krieg mit Saddam, der wiederum natürlich der „Hitler des Tigris“ war, entgegen. Die „Appeaser“ waren die Briten, die 1938 nicht gegen Nazi-Deutschland kämpfen wollten. Blair schaute natürlich auch, ob ihm Churchills Weste und Jacke passten. Er kein „Appeaser“. Amerika war Großbritanniens ältester Verbündeter verkündete er - und Bush und Blair erinnerten die Journalisten, dass die USA 1940 in Zeiten der Not Seite an Seite mit Großbritannien standen.
Aber nichts davon ist wahr. Großbritanniens ältester Verbündeter waren nicht die Vereinigten Staaten. Es war Portugal, ein neutraler faschistischer Staat während des Zweiten Weltkriegs, welcher seine Flaggen auf Halbmast setzte als Hitler starb (nicht einmal die Iren haben das getan).
Auch kämpfte Amerika nicht an der Seite Großbritanniens in den Zeiten der Not 1940, als Hitler mit einer Invasion drohte und die Luftwaffe London „blitzte“. Nein, 1940 genoss Amerika eine sehr profitable Periode der Neutralität und schloss sich nicht Großbritannien im Krieg an - bis Japan im Dezember 1941 die US-Marinebasis in Pearl Harbor angriff. In ähnlicher Weise nannte Eden 1956 Nasser den „Mussolini des Nils“. Ein schlimmer Fehler. Nasser wurde von den Arabern geliebt, nicht gehasst, wie Mussolini von der Mehrheit der Afrikaner, besonders von den arabischen Libyern. Die Parallele zu Mussolini wurde durch die britische Presse weder bestritten noch in Frage gestellt. Und wir alle wissen, was 1956 am Suezkanal geschah. In Sachen Geschichte lassen wir Journalisten uns gerne von Präsidenten und Premierministern übers Ohr hauen.
Dennoch ist die gefährlichste Seite unseres neuen Semantikkrieges, unseres Gebrauchs machtvoller Worte - obwohl es eigentlich kein Krieg ist, da wir uns ja zum Großteil ergeben haben - die Isolation unserer selbst von Zuschauern und Lesern. Sie sind nicht dämlich. In vielen Fällen - so befürchte ich - verstehen sie die Worte besser als wir. Geschichte auch. Sie wissen, dass wir unseren Wortschatz von der Sprache der Generäle und Präsidenten beziehen, von den sogenannten Eliten, von der Arroganz der Experten des Brooking Institut, oder denen der Rand Cooperation. Auf diese Weise sind wir Teil dieser Sprache geworden.
Während der vergangenen zwei Wochen, als Ausländer - humanitäre Helfer oder „Aktivisten-Terroristen“ - versuchten Nahrung und Medizin über den Seeweg zu den hungrigen Palästinensern Gazas zu bringen, hätten wir Journalisten unsere Zuschauer und Zuhörer an einen weit zurück liegenden Tag erinnern sollen, als Amerika und Großbritannien sich auf den Weg machten, Hilfe zu umzingelten Menschen, Nahrung und Treibstoff zu bringen - unsere eigenen Soldaten starben dabei - um einer verhungernden Bevölkerung zu helfen. Diese Bevölkerung war umgeben von einem Zaun, errichtet durch eine brutale Armee, die vorhatte die Menschen zur Kapitulation zu hungern. Die Armee waren die Russen. Die Stadt war Berlin. Die Mauer sollte später kommen. Die Menschen waren nur drei Jahre zuvor noch unsere Feinde. Dennoch errichteten wir die Berliner Luftbrücke um sie zu retten. Nun schauen Sie sich heute Gaza an: welcher westliche Journalist - da wir ja historische Parallelen mögen - hat jemals das Berlin von 1948 im Kontext Gazas erwähnt?
Was haben wir stattdessen bekommen? „Aktivisten“, die in dem Moment zu „bewaffneten Aktivisten“ wurden, als sie sich der Enterung durch die israelische Armee widersetzten. Wie konnten es diese Männer wagen, das Lexikon durcheinander zu bringen? Ihre Bestrafung war offensichtlich. Sie wurden zu „Terroristen“. Und die israelischen Übergriffe - bei denen „Aktivisten“ getötet wurden (ein weiterer Beleg ihres „Terrorismus“) - wurden zu „tödlichen“ Übergriffen. In diesem Fall war „tödlich“ eher entschuldbar als es auf CTV der Fall war - neun Männer türkischer Herkunft waren etwas weniger als eineinhalb Millionen 1915 ermordete Armenier. Aber es war interessant, dass die Israelis, die sich bisher aus eigenen politischen Gründen in schändlicher Weise der türkischen Leugnung anschlossen, nun plötzlich die Welt über den armenischen Völkermord von 1915 informieren wollten. Verständlicherweise ließ dies viele unserer Kollegen erschaudern. Journalisten, die regelmäßig vor allen Erwähnungen des ersten Holocausts des 21. Jahrhunderts in Deckung gingen - sofern sie nicht auch erwähnen konnten, wie die Türken den Völkermord-Stempel „energisch abstreiten“ (also Toronto Globe und Mail) - konnten nun plötzlich Bezug darauf nehmen. Israels neu entdecktes historisches Interesse legitimierte das Thema, obwohl fast alle Reportagen es schafften, jegliche Erklärung darüber, was 1915wirklich passiert war, zu vermeiden.
Und wozu wurde der israelische Meeresüberfall? Er wurde zu einem „verbockten“ Überfall. „Verbockt“ ist ein reizendes Wort. Das mittelenglische Wort „botched“ entstand aus diesem Wort deutschen Ursprungs „bocchen“ und bedeutet „schlecht reparieren“. Und mehr oder weniger behielten wir die Definition bis unsere Lexikon-Berater seine Bedeutung änderten. Schulkinder „verbocken“ ein Examen. Wir können eine Näharbeit „verbocken“ oder den Versuch, irgendein Material zu reparieren. Wir können sogar den Versuch verbocken, unseren Chef zu einer Lohnerhöhung zu überreden. Aber nun „verbocken“ wir eine Militäroperation. Sie war kein Disaster. Sie war keine Katastrophe. Sie tötete nur ein paar Türken.
Angesichts der schlechten öffentlichen Meinung haben die Israelis den Überfall nur „verbockt“. Merkwürdigerweise war der letzte Mal als Reporter und Regierungen genau von diesem Wort gebraucht machten, Israels Versuch, den Hamas-Anführer Khaled Meshall in den Straßen von Amman umzubringen. In diesem Fall wurden Israels Berufskiller geschnappt nachdem sie versucht hatten Meshaal zu vergiften. König Hussein zwang dann den israelischen Premierminister (einen gewissen B. Netanjahu) das Gegengift bereitzustellen (und eine Menge Hamas-“Terroristen“ aus dem Gefängnis zu entlassen). Meshaals Leben wurde gerettet.
Aber für Israel und seine gehorsamen westlichen Journalisten wurde es zu einem „verbockten Versuch“ gegen Meshaals Leben. Nicht weil er nicht sterben sollte, sondern weil Israel an seiner Ermordung scheiterte. Somit kann man eine Operation „verbocken“ indem man Türken umbringt - oder man kann eine Operation „verbocken“ indem man einen Palästinenser nicht umbringt.
Wie durchbrechen wir diese Sprache der Macht? Sie wird uns mit Gewissheit töten. Dies, so vermute ich, ist ein Grund, warum sich Leser von der „Mainstream“-Presse ab und dem Internet zugewandt haben. Nicht weil das Internet frei ist, sondern weil die Leser wissen, dass sie belogen und betrogen wurden; sie wissen, dass es sich bei dem, was sie sehen und was sie in den Tageszeitungen lesen um eine Erweiterung dessen handelt, was sie vom Pentagon oder der israelischen Regierung hören. Dass unsere Worte mittels der Sprache gleichbedeutend mit einem von der Regierung genehmigten, vorsichtigen Mittelgrund wurden, welcher mit der selben Gewissheit die Wahrheit verdeckt, wie er uns zu politischen - und militärischen - Verbündeten aller großen westlichen Regierungen macht.
Viele meiner Kollegen aus verschiedenen Zeitungen würden letztendlich ihren Job riskieren, wenn sie andauernd die falsche Realität des Nachrichtenjournalismus, den Nexus der Medien-
Regierungsmacht infrage stellen würden. Wie viele Nachrichtenagenturen dachten zur Zeit des Gaza-Disasters darüber nach, Aufnahmen der Luftbrücke, die die Blockade Berlins durchbrechen sollte, zu senden? Tat es die BBC?
Den Teufel haben sie getan! Wir bevorzugen „konkurrierende Schilderungen“. Politiker wollten nicht - das habe ich beim Doha-Treffen vom 11. Mai erzählt - dass die Gaza-Schiffsreise ihr Ziel erreicht, „sei ihr Ende erfolgreich, lächerlich oder tragisch“. Wir glauben an den „Friedensprozess“, den „Fahrplan“. Lasst den „Zaun“ um die Palästinenser. Lasst die „Schlüsselfiguren“ es in Ordnung bringen. Und erinnert euch daran, worum es eigentlich geht: „Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror.“
Der englische Originalartikel von Robert Fisk erschien am 21. Juni 2010 in „The Independent“. Übersetzung: Fabian Köhler & Fatma Derman (ISM)
Robert Fisk ist ein britischer Journalist, der als Nah-Ost-Korrespondent für die britische Zeitung The Independent arbeitet. Fisk, der von der New York Times als „der wohl berühmteste britische Auslandskorrespondent“ bezeichnet wurde, berichtet seit mehr als 30 Jahren über viele Krisenregionen der Welt, wie z. B. den Nordirland-Konflikt, die portugiesische Nelkenrevolution, Afghanistan unter sowjetischer Besatzung und den Guerillakrieg mit den Taliban, den Bürgerkrieg im Libanon, und die drei Golfkriege. Laut wikipedia ist Fisk einer der wenigen westlichen Journalisten, die mit Osama Bin Laden Interviews führen konnten. Sein Name werde in englischen Weblogs auch als Verb verwendet: Fisking bezeichnet dort einen Abschnitt, in dem ein Autor die Aussagen eines Gegners voll zitiert und Absatz für Absatz mit einer eigenen Stellungnahme versieht. (PK)
Der englische Originalartikel von Robert Fisk erschien in „The Independent“, Übersetzung: Fabian Köhler & Fatma Derman für International Solidarity Movement (ISM)
Den Teufel haben sie getan! Wir bevorzugen „konkurrierende Schilderungen“. Politiker wollten nicht - das habe ich beim Doha-Treffen vom 11. Mai erzählt - dass die Gaza-Schiffsreise ihr Ziel erreicht, „sei ihr Ende erfolgreich, lächerlich oder tragisch“. Wir glauben an den „Friedensprozess“, den „Fahrplan“. Lasst den „Zaun“ um die Palästinenser. Lasst die „Schlüsselfiguren“ es in Ordnung bringen. Und erinnert euch daran, worum es eigentlich geht: „Terror, Terror, Terror, Terror, Terror, Terror.“
Der englische Originalartikel von Robert Fisk erschien am 21. Juni 2010 in „The Independent“. Übersetzung: Fabian Köhler & Fatma Derman (ISM)
Robert Fisk ist ein britischer Journalist, der als Nah-Ost-Korrespondent für die britische Zeitung The Independent arbeitet. Fisk, der von der New York Times als „der wohl berühmteste britische Auslandskorrespondent“ bezeichnet wurde, berichtet seit mehr als 30 Jahren über viele Krisenregionen der Welt, wie z. B. den Nordirland-Konflikt, die portugiesische Nelkenrevolution, Afghanistan unter sowjetischer Besatzung und den Guerillakrieg mit den Taliban, den Bürgerkrieg im Libanon, und die drei Golfkriege. Laut wikipedia ist Fisk einer der wenigen westlichen Journalisten, die mit Osama Bin Laden Interviews führen konnten. Sein Name werde in englischen Weblogs auch als Verb verwendet: Fisking bezeichnet dort einen Abschnitt, in dem ein Autor die Aussagen eines Gegners voll zitiert und Absatz für Absatz mit einer eigenen Stellungnahme versieht. (PK)
Der englische Originalartikel von Robert Fisk erschien in „The Independent“, Übersetzung: Fabian Köhler & Fatma Derman für International Solidarity Movement (ISM)
Online-Flyer Nr. 260 vom 28.07.2010
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