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Inland
Wenn die Sonne untergeht oder der
Kampf auf Messers Schneide
Von Victor Vincze
Zum ersten Jahrestag der Ermordung der schwangeren Marwa El Sherbiny stellten Mitglieder des Vereins Bürger.Courage zusammen mit dem Künstler und Bühnenbildner Johannes Köhler 18 große Kunstwerke als stilisierte Stiche in Form großer Betonmesser über das gesamte Stadtgebiet verteilt. Wie Christian Demuth von Bürger.Courage erklärte: „Stellvertretend für die kleinen und großen Stiche, die in Dresden Tag für Tag durch versteckten oder offenen Rassismus solchen Menschen widerfahren.“
Der Verein wollte damit ein Stadtgespräch anregen und insbesondere jene große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger erreichen, die dem Problem bislang gleichgültig gegenüberstanden.
Die Neonazis proklamieren drei Kämpfe: Kampf um die Parlamente, Kampf
Bürger.Courage:
Christian Demuth
um die Köpfe, Kampf um die Straße. Im Kampf um die Parlamente konnten sie bereits erste Erfolge in Sachsen verbuchen: Im Landtag sitzen sie hier seit zwei Legislaturperioden. Der Kampf um die Köpfe gestaltet sich auch nicht besonders schwer, wenn man bedenkt, dass laut Studien ein Großteil der Bevölkerung fremdenfeindlichen Einstellungen zustimmt oder sie stillschweigend billigt.
Nun bleibt der Kampf um die Straße. Um das Stadtbild. Und nun stellt ein Verein Denkmäler für ein Opfer rassistischer Gewalt auf. Eine Provokation? Der Gedenkstein von Jorge Gomondai wird regelmäßig beklebt und beschmiert. Der Mosambikaner war Mitte der 1980er Jahre in die DDR gekommen, hatte im Schlachthof Dresden gearbeitet und wurde 1991 das erste Todesopfer eines fremdenfeindlichen Überfalls in der Stadt nach der “Wende“. Dennoch standen diese Kunstwerke fast zwei Wochen lang unbehelligt. Ist es pures Desinteresse? Sogar Stolz, als Zeichen ihrer „allgegenwärtigen“ Macht? Denken vielleicht viele der Nazis – wie Demuth vermutet - dass man mit dem Umwerfen nur eine noch höhere Medienöffentlichkeit erzeugt? Wollten Sie abwarten, die große mediale Aufmerksamkeit abschwellen lassen?
Drei Messer wurden bislang umgeworfen, eine festgeschraubte Informationstafel mit dem Hinweis auf den antirassistischen Hintergrund der Aktion wurde entwendet. Eines der Kunstwerke brach beim Umsturz auseinander. Dass es sich hierbei nicht um Vandalismus handelt, belegt ein Fund: Ein Täter verlor beim Versuch, die Stele umzukippen, seine mitgebrachte (!) Schaufel. Da erscheint der Gedanke des Vorsatzes mehr als begründet.
Wie soll nun diese Aktion weitergehen? Was soll mit den beschädigten Exponaten passieren? Werden sie erneuert, repariert, so liegen gelassen, eventuell neu aufgestellt? Demuth: Zwei der beschädigten Stelen werden liegengelassen. Eins der Messer wurde jedoch von Unbekannten wieder aufgestellt! Wir werten das als positives politisches Zeichen. Und es hat uns gefreut. Wir haben diese Stele wieder gesichert und werden sie stehen lassen.
Dennoch, nebst dieser nächtlichen Sisyphusarbeit sollte ein offenes Gespräch schon längst an der Tagesordnung sein. Der von den Migrantenorganisationen so intensiv geforderte Dialog findet nur sporadisch statt. Eine stärkere mediale Präsenz über die Anliegen dieses mehrfach benachteiligten Anteils der Bevölkerung wäre sehr notwendig. Nun bleiben Dresden und Sachsen stumm, man hat den Eindruck, die einzige Bewegung im Integrationsprozess wäre nur das nächtliche Krachen vom Umsturz und Wiederaufstellen der Betonmesser.
Fotos: Bürger.Courage e.v.
Außerhalb von Sachsen ist das Zerstören der 600 Kilogramm schweren Stelen kaum bekannt geworden. Aber es gab bei einem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender einen Bericht über eine Hauptschule in Essen, wo die muslimische Mehrheit der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund die wenigen „Deutschen“ terrorisiert. Man sah einen Bericht über Jugendgewalt und Kriminalität junger Migrantinnen und Migranten in Neukölln. Zweifellos ist das real. Ist es die Wut einer Generation aus schlecht integrierten ausländischen Elternhäusern, die sich chancenlos, diskriminiert und unwillkommen fühlt? Aber ist das wirklich alles, was die Medien über Menschen zu berichten wissen, die mittlerweile über ein Viertel der Gesellschaft in der Bundesrepublik ausmachen?
Solche Bilder prägten das Handeln des Mörders von Marwa El Sherbiny. Angstschürerei durch Islam- und Ausländerhetze sind sehr gefährlich, sie festigen alte Stereotype und Feindbilder, stehen sehr kontraproduktiv jeglicher Integrationsmaßnahme gegenüber.
Es gleicht einem Messer, das statt eines Griffs nur eine scharfkantige Klinge hätte. Wer sich daran wagt, schneidet sich in die Hände. Dabei könnte es auch anders sein. Der Zauberformel heißt: Dialog... (HDH)
Victor Vincze, geboren in Ostungarn, ist Doktorand der Kultur- und Sprachsoziologie. Er arbeitet als Referent für ausländische Studierende an der TU Dresden und ist Mitglied im Koordinierungskreises des Sächsischen Migrantenbeirates. Den Beitrag haben wir – etwas ergänzt – seiner Webseite www.kulturdiplomat.de entnommen.
Online-Flyer Nr. 260 vom 28.07.2010
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Inland
Wenn die Sonne untergeht oder der
Kampf auf Messers Schneide
Von Victor Vincze
Zum ersten Jahrestag der Ermordung der schwangeren Marwa El Sherbiny stellten Mitglieder des Vereins Bürger.Courage zusammen mit dem Künstler und Bühnenbildner Johannes Köhler 18 große Kunstwerke als stilisierte Stiche in Form großer Betonmesser über das gesamte Stadtgebiet verteilt. Wie Christian Demuth von Bürger.Courage erklärte: „Stellvertretend für die kleinen und großen Stiche, die in Dresden Tag für Tag durch versteckten oder offenen Rassismus solchen Menschen widerfahren.“
Der Verein wollte damit ein Stadtgespräch anregen und insbesondere jene große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger erreichen, die dem Problem bislang gleichgültig gegenüberstanden.
Die Neonazis proklamieren drei Kämpfe: Kampf um die Parlamente, Kampf
Bürger.Courage:
Christian Demuth
Nun bleibt der Kampf um die Straße. Um das Stadtbild. Und nun stellt ein Verein Denkmäler für ein Opfer rassistischer Gewalt auf. Eine Provokation? Der Gedenkstein von Jorge Gomondai wird regelmäßig beklebt und beschmiert. Der Mosambikaner war Mitte der 1980er Jahre in die DDR gekommen, hatte im Schlachthof Dresden gearbeitet und wurde 1991 das erste Todesopfer eines fremdenfeindlichen Überfalls in der Stadt nach der “Wende“. Dennoch standen diese Kunstwerke fast zwei Wochen lang unbehelligt. Ist es pures Desinteresse? Sogar Stolz, als Zeichen ihrer „allgegenwärtigen“ Macht? Denken vielleicht viele der Nazis – wie Demuth vermutet - dass man mit dem Umwerfen nur eine noch höhere Medienöffentlichkeit erzeugt? Wollten Sie abwarten, die große mediale Aufmerksamkeit abschwellen lassen?
Drei Messer wurden bislang umgeworfen, eine festgeschraubte Informationstafel mit dem Hinweis auf den antirassistischen Hintergrund der Aktion wurde entwendet. Eines der Kunstwerke brach beim Umsturz auseinander. Dass es sich hierbei nicht um Vandalismus handelt, belegt ein Fund: Ein Täter verlor beim Versuch, die Stele umzukippen, seine mitgebrachte (!) Schaufel. Da erscheint der Gedanke des Vorsatzes mehr als begründet.
Wie soll nun diese Aktion weitergehen? Was soll mit den beschädigten Exponaten passieren? Werden sie erneuert, repariert, so liegen gelassen, eventuell neu aufgestellt? Demuth: Zwei der beschädigten Stelen werden liegengelassen. Eins der Messer wurde jedoch von Unbekannten wieder aufgestellt! Wir werten das als positives politisches Zeichen. Und es hat uns gefreut. Wir haben diese Stele wieder gesichert und werden sie stehen lassen.
Dennoch, nebst dieser nächtlichen Sisyphusarbeit sollte ein offenes Gespräch schon längst an der Tagesordnung sein. Der von den Migrantenorganisationen so intensiv geforderte Dialog findet nur sporadisch statt. Eine stärkere mediale Präsenz über die Anliegen dieses mehrfach benachteiligten Anteils der Bevölkerung wäre sehr notwendig. Nun bleiben Dresden und Sachsen stumm, man hat den Eindruck, die einzige Bewegung im Integrationsprozess wäre nur das nächtliche Krachen vom Umsturz und Wiederaufstellen der Betonmesser.
Fotos: Bürger.Courage e.v.
Außerhalb von Sachsen ist das Zerstören der 600 Kilogramm schweren Stelen kaum bekannt geworden. Aber es gab bei einem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender einen Bericht über eine Hauptschule in Essen, wo die muslimische Mehrheit der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund die wenigen „Deutschen“ terrorisiert. Man sah einen Bericht über Jugendgewalt und Kriminalität junger Migrantinnen und Migranten in Neukölln. Zweifellos ist das real. Ist es die Wut einer Generation aus schlecht integrierten ausländischen Elternhäusern, die sich chancenlos, diskriminiert und unwillkommen fühlt? Aber ist das wirklich alles, was die Medien über Menschen zu berichten wissen, die mittlerweile über ein Viertel der Gesellschaft in der Bundesrepublik ausmachen?
Solche Bilder prägten das Handeln des Mörders von Marwa El Sherbiny. Angstschürerei durch Islam- und Ausländerhetze sind sehr gefährlich, sie festigen alte Stereotype und Feindbilder, stehen sehr kontraproduktiv jeglicher Integrationsmaßnahme gegenüber.
Es gleicht einem Messer, das statt eines Griffs nur eine scharfkantige Klinge hätte. Wer sich daran wagt, schneidet sich in die Hände. Dabei könnte es auch anders sein. Der Zauberformel heißt: Dialog... (HDH)
Victor Vincze, geboren in Ostungarn, ist Doktorand der Kultur- und Sprachsoziologie. Er arbeitet als Referent für ausländische Studierende an der TU Dresden und ist Mitglied im Koordinierungskreises des Sächsischen Migrantenbeirates. Den Beitrag haben wir – etwas ergänzt – seiner Webseite www.kulturdiplomat.de entnommen.
Online-Flyer Nr. 260 vom 28.07.2010
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