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Arbeit und Soziales
DBSH: Vor Ort für eine gerechterer Gesellschaft einsetzen
Sozialarbeiterverband schlägt Alarm
Von Hans-Dieter Hey
Hilfe als Marktware
Der Verband weist darauf hin, dass die Sparbeschlüsse der christlich geführten Merkel-Regierung erneut die Ärmsten in dieser Gesellschaft träfen. Während dauernd davon die Rede sei, Deutschland „sterbe aus”, seien vor allem ärmere Familien die Leidtragenden. Bereits im Jahr 2007 hatte man durch die Einführung des Elterngeldes die Bezugsdauer von 24 auf 12 Monate begrenzt. Jetzt müssen „‚Hartz-IV-Empfänger‘ ganz auf Unterstützung für ihre neu geborenen Kinder verzichten”. Es sei nicht die einzige Kürzung, die vor allem Erwerbslose, Gering- und Wenigverdiener träfe, um die Lasten der Krise zu tragen.
Fordert zum aktiv werden auf gegen...
Der Verband sieht sich in der Ausübung sozialer Arbeit mehr und mehr eingeschränkt. Notwendig sei vielmehr eine Verbesserung der Standards in den Bereichen Erziehung, Bildung, Pflege und Gesundheit, denn Hilfe dürfe nicht zur Marktware verkommen. Mit den bisherigen Mitteln seien die Ziele sozialer Arbeit jedenfalls nicht mehr zu realisieren. „Wenn der soziale Frieden in der Gesellschaft erhalten bleiben soll, so bedarf es einer solidarischen Verpflichtung vor allem der Menschen mit höheren Einkommen.
Im eigenen Interesse sollen die Beschäftigten in der sozialen Arbeit deshalb politischer werden, denn es sei „die ethische Verpflichtung der Profession, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen und sich mutig dem Stammtischgeschwätz gegen Arme entgegenzustemmen.” Der Verband verwies auf die jahrelange, beispiellose politische und mediale Hetze gegen Hartz-IV-Empfänger. Erst zuletzt, kurz vor den Landtagswahlen in NRW im April diesen Jahres, hatte Guido Westerwelle auf dem FDP-Parteitag in Köln geäußert: „Nach 11 Jahren staatlicher Umverteilung droht der ganz normale Steuerzahler zum Sozialfall zu werden”. Und sicher meinte er nicht die jahrelange Umverteilung von unten nach oben.
Während Steuerbetrug zum Volkssport für Leistungsträger geworden sei, sei die angeblich hohe Zahl von „Sozialleistungsbetrügern” medial inszeniert worden, so der DBSH. Außerdem schafften die Jobcenter „zum Teil sehr bewusst ‚Sanktionsfallen‘ – etwa wenn vorgegeben wird, wöchentlich 25 Bewerbungen zu schreiben oder für den immer gleichen Vortrag Anwesenheitspflicht eingeführt wird”, die sich im Nachhinein vielfach als rechtswidrig herausstellten. „Wer nicht arbeitet, wer nicht in diese Philosophie passt, wird sanktioniert, hat kein Recht auf ein Dach über dem Kopf, auf Unterstützung und Hilfe”. Im Jahr 2009 hätten 36.000 Jugendliche keinerlei Unterstützung mehr erhalten, ihnen drohte Obdachlosigkeit und ein Abstieg in die Kriminalität.
Tatsache sei aber, dass nach wie vor eine außerordentlich hohe Massenarbeitslosigkeit herrsche. Im Februar 2010 seien 6,2 Millionen Menschen erwerbslos gemeldet gewesen (Anm.: im Juli 2010 waren aktuellen Schätzungen zufolge bei 5,9 Mio. gemeldet) zuzüglich der 1,6 Millionen, die sich in Beschäftigungsmaßnahmen befinden. Demgegenüber stünden nur 480.000 offene Stellen (Anm.: Im Juli 2010 wurden 350.000 offene Stellen gezählt).
Almosen statt Rechte
Vor allem der Druck auf Erwerbslose durch das „Fördern und Fordern” habe dazu geführt, dass inzwischen ein Drittel der Menschen in prekären Lebenssituationen lebt oder von Armut bedroht ist. Die Auswirkung des gescheiterten neoliberalen Projektes sei vor allem die „Zunahme unterbezahlter, prekärer Arbeit vor dem Hintergrund von Erwerbsarmut und anhaltender Massenarbeitslosigkeit, der Abbau der Systeme der sozialen Absicherung und die damit verbundene Umwandlung des kollektiven Anspruchs auf staatliche Ersatzleistungen bei Erwerbs- und Mittellosigkeit in die individuelle Pflicht zur Aufnahme einer bezahlten Tätigkeit und damit ein Mittel zur Durchsetzung entsozialisierter Lohnarbeit als Normalarbeitsverhältnis des neuen Proletariats in den städtischen Dienstleistungssektoren”, zitiert der Verband aus W. Loics Buch „Bestrafen der Armen”.
...weitere Verwahrlosung der Gesellschaft
Foto: H.-D. Hey - gesichter zei(ch/g)en
Die Erfolge des neoliberalen Projekts blieben bisher aus. Statt dessen kamen Finanz- und Wirtschaftskrise, bescheidenes Wirtschaftswachstum und eine weitere Spaltung zwischen arm und reich. In der Gesellschaft sei inzwischen ein Klima der Angst entstanden.
Folgen für die Sozialarbeit
Den Problemen werde nur noch mit „marktwirtschaftlich” gesteuerter Sozialarbeit begegnet mit den Folgen Arbeitsverdichtung, prekärer Beschäftigung, mangelnden Möglichkeiten der Berufsausübung, Zunahme psychosozialer Erkrankungen und frühzeitigem Berufsausstieg. Die Folgen treten immer deutlicher zu Tage und „zeigen die vielen Fälle von Kindesmisshandlung, die immer größere Anzahl von Jugendlichen, die den Anforderungen von Schule und Beruf nicht mehr gerecht werden können, sowie in jüngster Zeit wieder zunehmende Wohnungslosigkeit. „Das Vorhandensein Sozialer Dienste gleicht oftmals nur noch einem Symbol zur Beruhigung von Politik und Öffentlichkeit”, so der DBSH.
Der Verband weist darauf hin, dass in Großbritannien und den USA die Konsequenzen längst eingetreten seien: „Unsichere Straßen und Stadtteile, Zunahme von Kriminalität, ein ausuferndes und teures Polizei- und Justizwesen, Ausbau privater Sicherheitsdienste, vernachlässigte Infrastruktur, Skandale in der öffentlichen Jugendhilfe und im Gesundheitssystem, Menschen in Not auf der Straße, Altersarmut und zugleich Rückgang des privaten Konsums. Deutschland steht – im Vergleich – am Anfang dieser Entwicklung.”
Der DBSH wolle daher nicht mehr untätig zusehen, „wenn ein Drittel der Gesellschaft ausgegliedert und zunehmend in ihren Möglichkeiten der Teilhabe beschnitten wird”. Er fordert deshalb von der Bundesregierung ein langfristiges Armutsbekämpfungskonzept – frei vom Diktat der Finanz- und Güterwirtschaft sowie verbesserte und früh beginnende Bildungschancen mit Durchlässigkeit der Abschlüsse und Abschaffung klassenorientierter Bildungspolitik.
Weiterhin fordert der Verband verstärkte Investitionen in Jugendzentren und Jugendarbeit und eine Generalrevision des SGB II. Das Instrument der Sanktionen sei vor allem nur noch bei Leistungsbetrug oder Arbeitsverweigerung einzusetzen, wenn dabei Qualifikationsschutz und Mindestlöhne berücksichtigt werden. Gefordert wird daher auch die Einführung eines gesetzlichen und armutsfesten Mindestlohnes und die stärkere Beteiligung zur Finanzierung öffentlicher Sozialaufgaben. Dies sei zu erreichen zum Beispiel durch deren Verpflichtung zur Beitragszahlung in die Sozialversicherungen und eine gesellschaftlich gerechtere und höhere Besteuerung von grooßen Einkommen, Vermögen, Erbschaften, Boni und Spekulationsgewinnen.
Offenbar will der Deutschen Berufsverband für Soziale Arbeit e.V. (DBSH) mit seinem Aufruf auch etwas gegen das angeschlagene Image der Sozialarbeit schlechthin tun, das mit der gesellschaftlichen Entwicklung gelitten hatte. Sie gilt manchen als Feigenblatt für die Hinterlassenschaft neoliberaler Verwüstungen oder gar als Handlanger. Und so kommt der Aufruf nach fünf Jahren Hartz IV zwar spät, aber vielleicht nicht zu spät: „Wir fordern die Kolleginnen und Kollegen auf, sich vor Ort für eine gerechtere Gesellschaft einzusetzen”. (HDH)
Online-Flyer Nr. 261 vom 04.08.2010
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Arbeit und Soziales
DBSH: Vor Ort für eine gerechterer Gesellschaft einsetzen
Sozialarbeiterverband schlägt Alarm
Von Hans-Dieter Hey
Hilfe als Marktware
Der Verband weist darauf hin, dass die Sparbeschlüsse der christlich geführten Merkel-Regierung erneut die Ärmsten in dieser Gesellschaft träfen. Während dauernd davon die Rede sei, Deutschland „sterbe aus”, seien vor allem ärmere Familien die Leidtragenden. Bereits im Jahr 2007 hatte man durch die Einführung des Elterngeldes die Bezugsdauer von 24 auf 12 Monate begrenzt. Jetzt müssen „‚Hartz-IV-Empfänger‘ ganz auf Unterstützung für ihre neu geborenen Kinder verzichten”. Es sei nicht die einzige Kürzung, die vor allem Erwerbslose, Gering- und Wenigverdiener träfe, um die Lasten der Krise zu tragen.
Fordert zum aktiv werden auf gegen...
Der Verband sieht sich in der Ausübung sozialer Arbeit mehr und mehr eingeschränkt. Notwendig sei vielmehr eine Verbesserung der Standards in den Bereichen Erziehung, Bildung, Pflege und Gesundheit, denn Hilfe dürfe nicht zur Marktware verkommen. Mit den bisherigen Mitteln seien die Ziele sozialer Arbeit jedenfalls nicht mehr zu realisieren. „Wenn der soziale Frieden in der Gesellschaft erhalten bleiben soll, so bedarf es einer solidarischen Verpflichtung vor allem der Menschen mit höheren Einkommen.
Im eigenen Interesse sollen die Beschäftigten in der sozialen Arbeit deshalb politischer werden, denn es sei „die ethische Verpflichtung der Profession, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen und sich mutig dem Stammtischgeschwätz gegen Arme entgegenzustemmen.” Der Verband verwies auf die jahrelange, beispiellose politische und mediale Hetze gegen Hartz-IV-Empfänger. Erst zuletzt, kurz vor den Landtagswahlen in NRW im April diesen Jahres, hatte Guido Westerwelle auf dem FDP-Parteitag in Köln geäußert: „Nach 11 Jahren staatlicher Umverteilung droht der ganz normale Steuerzahler zum Sozialfall zu werden”. Und sicher meinte er nicht die jahrelange Umverteilung von unten nach oben.
Während Steuerbetrug zum Volkssport für Leistungsträger geworden sei, sei die angeblich hohe Zahl von „Sozialleistungsbetrügern” medial inszeniert worden, so der DBSH. Außerdem schafften die Jobcenter „zum Teil sehr bewusst ‚Sanktionsfallen‘ – etwa wenn vorgegeben wird, wöchentlich 25 Bewerbungen zu schreiben oder für den immer gleichen Vortrag Anwesenheitspflicht eingeführt wird”, die sich im Nachhinein vielfach als rechtswidrig herausstellten. „Wer nicht arbeitet, wer nicht in diese Philosophie passt, wird sanktioniert, hat kein Recht auf ein Dach über dem Kopf, auf Unterstützung und Hilfe”. Im Jahr 2009 hätten 36.000 Jugendliche keinerlei Unterstützung mehr erhalten, ihnen drohte Obdachlosigkeit und ein Abstieg in die Kriminalität.
Tatsache sei aber, dass nach wie vor eine außerordentlich hohe Massenarbeitslosigkeit herrsche. Im Februar 2010 seien 6,2 Millionen Menschen erwerbslos gemeldet gewesen (Anm.: im Juli 2010 waren aktuellen Schätzungen zufolge bei 5,9 Mio. gemeldet) zuzüglich der 1,6 Millionen, die sich in Beschäftigungsmaßnahmen befinden. Demgegenüber stünden nur 480.000 offene Stellen (Anm.: Im Juli 2010 wurden 350.000 offene Stellen gezählt).
Almosen statt Rechte
Vor allem der Druck auf Erwerbslose durch das „Fördern und Fordern” habe dazu geführt, dass inzwischen ein Drittel der Menschen in prekären Lebenssituationen lebt oder von Armut bedroht ist. Die Auswirkung des gescheiterten neoliberalen Projektes sei vor allem die „Zunahme unterbezahlter, prekärer Arbeit vor dem Hintergrund von Erwerbsarmut und anhaltender Massenarbeitslosigkeit, der Abbau der Systeme der sozialen Absicherung und die damit verbundene Umwandlung des kollektiven Anspruchs auf staatliche Ersatzleistungen bei Erwerbs- und Mittellosigkeit in die individuelle Pflicht zur Aufnahme einer bezahlten Tätigkeit und damit ein Mittel zur Durchsetzung entsozialisierter Lohnarbeit als Normalarbeitsverhältnis des neuen Proletariats in den städtischen Dienstleistungssektoren”, zitiert der Verband aus W. Loics Buch „Bestrafen der Armen”.
...weitere Verwahrlosung der Gesellschaft
Foto: H.-D. Hey - gesichter zei(ch/g)en
Die Erfolge des neoliberalen Projekts blieben bisher aus. Statt dessen kamen Finanz- und Wirtschaftskrise, bescheidenes Wirtschaftswachstum und eine weitere Spaltung zwischen arm und reich. In der Gesellschaft sei inzwischen ein Klima der Angst entstanden.
Folgen für die Sozialarbeit
Den Problemen werde nur noch mit „marktwirtschaftlich” gesteuerter Sozialarbeit begegnet mit den Folgen Arbeitsverdichtung, prekärer Beschäftigung, mangelnden Möglichkeiten der Berufsausübung, Zunahme psychosozialer Erkrankungen und frühzeitigem Berufsausstieg. Die Folgen treten immer deutlicher zu Tage und „zeigen die vielen Fälle von Kindesmisshandlung, die immer größere Anzahl von Jugendlichen, die den Anforderungen von Schule und Beruf nicht mehr gerecht werden können, sowie in jüngster Zeit wieder zunehmende Wohnungslosigkeit. „Das Vorhandensein Sozialer Dienste gleicht oftmals nur noch einem Symbol zur Beruhigung von Politik und Öffentlichkeit”, so der DBSH.
Der Verband weist darauf hin, dass in Großbritannien und den USA die Konsequenzen längst eingetreten seien: „Unsichere Straßen und Stadtteile, Zunahme von Kriminalität, ein ausuferndes und teures Polizei- und Justizwesen, Ausbau privater Sicherheitsdienste, vernachlässigte Infrastruktur, Skandale in der öffentlichen Jugendhilfe und im Gesundheitssystem, Menschen in Not auf der Straße, Altersarmut und zugleich Rückgang des privaten Konsums. Deutschland steht – im Vergleich – am Anfang dieser Entwicklung.”
Der DBSH wolle daher nicht mehr untätig zusehen, „wenn ein Drittel der Gesellschaft ausgegliedert und zunehmend in ihren Möglichkeiten der Teilhabe beschnitten wird”. Er fordert deshalb von der Bundesregierung ein langfristiges Armutsbekämpfungskonzept – frei vom Diktat der Finanz- und Güterwirtschaft sowie verbesserte und früh beginnende Bildungschancen mit Durchlässigkeit der Abschlüsse und Abschaffung klassenorientierter Bildungspolitik.
Weiterhin fordert der Verband verstärkte Investitionen in Jugendzentren und Jugendarbeit und eine Generalrevision des SGB II. Das Instrument der Sanktionen sei vor allem nur noch bei Leistungsbetrug oder Arbeitsverweigerung einzusetzen, wenn dabei Qualifikationsschutz und Mindestlöhne berücksichtigt werden. Gefordert wird daher auch die Einführung eines gesetzlichen und armutsfesten Mindestlohnes und die stärkere Beteiligung zur Finanzierung öffentlicher Sozialaufgaben. Dies sei zu erreichen zum Beispiel durch deren Verpflichtung zur Beitragszahlung in die Sozialversicherungen und eine gesellschaftlich gerechtere und höhere Besteuerung von grooßen Einkommen, Vermögen, Erbschaften, Boni und Spekulationsgewinnen.
Offenbar will der Deutschen Berufsverband für Soziale Arbeit e.V. (DBSH) mit seinem Aufruf auch etwas gegen das angeschlagene Image der Sozialarbeit schlechthin tun, das mit der gesellschaftlichen Entwicklung gelitten hatte. Sie gilt manchen als Feigenblatt für die Hinterlassenschaft neoliberaler Verwüstungen oder gar als Handlanger. Und so kommt der Aufruf nach fünf Jahren Hartz IV zwar spät, aber vielleicht nicht zu spät: „Wir fordern die Kolleginnen und Kollegen auf, sich vor Ort für eine gerechtere Gesellschaft einzusetzen”. (HDH)
Online-Flyer Nr. 261 vom 04.08.2010
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