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Herr Broder, Herr Sarrazin und das Juden-Gen
Thilo Sarrazin
Von Werner Jurga
Es ist Sonntag, und Sonntag ist Springer-Tag. Ja, ich weiß: auch die Frankfurter Allgemeine und der Berliner Tagesspiegel erscheinen am Sonntag, aber eben nur in Ausnahmefällen auch beim Bäcker oder bei der Tankstelle um die Ecke. Da beschränkt sich die Auswahl an Sonntagszeitungen in aller Regel auf die BamS und die WamS. Also entweder die Bild oder die Welt am Sonntag. Oder man bleibt schön im Bett und guckt im Internet, was so geschrieben steht. In der BamS oder in der WamS, versteht sich.
Schlimm ist freilich, wenn Texte gar nicht mehr im Original gelesen werden.
Steht gern in der Öffentlichkeit.
Thilo Sarrazin
Quelle: T. Sarrazin/Wiki
Das findet auch der Publizist Henryk M. Broder, der sich gegenüber der BamS geäußert hat, was ich wiederum bei WELT Online gefunden habe. „Ich bezweifle, dass alle, die Thilo Sarrazin jetzt so voreilig kritisieren, sein Buch überhaupt gelesen haben“, hat er gesagt, der Broder. Und was stört ihn daran? Klare Sache: „Es ist der erste Fall von Hexenjagd in Deutschland seit Mitte des 17. Jahrhunderts.“
Nun soll es ja auch im dritten Sechstel des 20. Jahrhunderts in Deutschland zu Fällen von Menschenjagd gekommen sein. Vermutlich handelte es sich hierbei jedoch nicht um Hexen, die verfolgt wurden. Im Gegensatz zu Herrn Sarrazin, der folglich eine Hexe sein müsste. Vermutlich gibt es ein Gen, das Hexen von anderen Menschen unterscheidet.
Ebenfalls in der BamS und ebenfalls zu Herrn Sarrazin äußert sich der Publizist Michel Friedman, wovon ich bei FOCUS Online erfahre. Allerdings anders; Friedman auf Hexenjagd: „Es kann keine Toleranz mehr für diese Intoleranz geben. Wir brauchen Brückenbauer und keine Hassprediger, schon gar nicht im Vorstand der Deutschen Bundesbank.“
Derweil hatte der so Gescholtene bereits weitere Erkenntnisse aus seinen Überlegungen zum Genpool unters deutsche Volk gestreut – via WamS. “Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen”, lässt uns Völkerkundler Sarrazin heute wissen. Das konnten sie freilich noch nicht wissen, der Friedman und der Broder.
“Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen, Basken haben bestimmte Gene, die sie von anderen unterscheiden”, sagte Sarrazin jetzt der Welt am Sonntag, aber auch der Berliner Morgenpost, die ebenfalls im Springer-Verlag erscheint.
Zum besseren Verständnis: alle Menschen haben zu 99 und nochwas Prozent einen identischen „Genpool“, wie Sarrazin dies nennen würde, der wiederum zu 98 nochwas Prozent mit dem der Menschenaffen identisch ist. Doch um diese Gene geht es nicht. Es geht um ein bestimmtes Gen, das Basken-Gen, zum Beispiel. Oder, weitaus interessanter: das Juden-Gen.
Na sicher: das ist absoluter Blödsinn. Auch ohne großangelegte Rassenforschung, die übrigens auch zu ihren besten Zeiten kein Juden-Gen entdecken konnte, lässt sich leicht denken, dass die übergewichtige, aus Äthiopien stammende, Unterschichtsisraelin mit, sagen wir mal: Woody Allen zwar mehr als 99 Prozent aller Gene gemeinsam hat, aber eben nicht das ominöse Juden-Gen.
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de
Na klar redet Sarrazin absoluten Stuss; doch darum geht es gar nicht. Entscheidend ist, dass es mal gesagt wurde: das, was in Deutschland immer noch bei einem nicht ganz unbeträchtlichen Teil des Volkes schichtenübergreifend auf fruchtbaren Boden fällt.
Das Volk, die Rasse, der Genpool. Denn das ist ja klar: ist das Genum proximum und die differentia specifica erst einmal anerkannt, sind wir uns erst einmal einig über die Existenz eines Basken-Gens oder, noch besser: eines Juden-Gens, dann – Hosianna! – gibt es logischerweise auch das Deutschen-Gen. Ein Volk, ein Gen, ein Bundesbanker.
“Wer die Juden über ihr Erbgut zu definieren versucht, auch wenn das vermeintlich positiv gemeint ist, erliegt einem Rassenwahn, den das Judentum nicht teilt”, meint Stephan Kramer, der Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland, dazu. Scheinbar nicht ganz sicher, ob Sarrazin dies nun positiv gemeint hat oder nicht. „Vermeintlich positiv“, okay, aber eben doch Rassenwahn.
Und Henryk M. Broder, der – das muss auch einmal gesagt werden – gar nicht behauptet hat, das Werk des Rassentheoretikers Sarrazin gelesen zu haben, musste einfach davon ausgehen, dass da irgendetwas Positives dran sein müsse. Schließlich war ihm nur bekannt, dass es gegen die Türken und Araber geht. Da konnte ja das Juden-Gen keinen Alarm schlagen. (HDH)
Online-Flyer Nr. 265 vom 01.09.2010
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Herr Broder, Herr Sarrazin und das Juden-Gen
Thilo Sarrazin
Von Werner Jurga
Es ist Sonntag, und Sonntag ist Springer-Tag. Ja, ich weiß: auch die Frankfurter Allgemeine und der Berliner Tagesspiegel erscheinen am Sonntag, aber eben nur in Ausnahmefällen auch beim Bäcker oder bei der Tankstelle um die Ecke. Da beschränkt sich die Auswahl an Sonntagszeitungen in aller Regel auf die BamS und die WamS. Also entweder die Bild oder die Welt am Sonntag. Oder man bleibt schön im Bett und guckt im Internet, was so geschrieben steht. In der BamS oder in der WamS, versteht sich.
Schlimm ist freilich, wenn Texte gar nicht mehr im Original gelesen werden.
Steht gern in der Öffentlichkeit.
Thilo Sarrazin
Quelle: T. Sarrazin/Wiki
Nun soll es ja auch im dritten Sechstel des 20. Jahrhunderts in Deutschland zu Fällen von Menschenjagd gekommen sein. Vermutlich handelte es sich hierbei jedoch nicht um Hexen, die verfolgt wurden. Im Gegensatz zu Herrn Sarrazin, der folglich eine Hexe sein müsste. Vermutlich gibt es ein Gen, das Hexen von anderen Menschen unterscheidet.
Ebenfalls in der BamS und ebenfalls zu Herrn Sarrazin äußert sich der Publizist Michel Friedman, wovon ich bei FOCUS Online erfahre. Allerdings anders; Friedman auf Hexenjagd: „Es kann keine Toleranz mehr für diese Intoleranz geben. Wir brauchen Brückenbauer und keine Hassprediger, schon gar nicht im Vorstand der Deutschen Bundesbank.“
Derweil hatte der so Gescholtene bereits weitere Erkenntnisse aus seinen Überlegungen zum Genpool unters deutsche Volk gestreut – via WamS. “Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen”, lässt uns Völkerkundler Sarrazin heute wissen. Das konnten sie freilich noch nicht wissen, der Friedman und der Broder.
“Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen, Basken haben bestimmte Gene, die sie von anderen unterscheiden”, sagte Sarrazin jetzt der Welt am Sonntag, aber auch der Berliner Morgenpost, die ebenfalls im Springer-Verlag erscheint.
Zum besseren Verständnis: alle Menschen haben zu 99 und nochwas Prozent einen identischen „Genpool“, wie Sarrazin dies nennen würde, der wiederum zu 98 nochwas Prozent mit dem der Menschenaffen identisch ist. Doch um diese Gene geht es nicht. Es geht um ein bestimmtes Gen, das Basken-Gen, zum Beispiel. Oder, weitaus interessanter: das Juden-Gen.
Na sicher: das ist absoluter Blödsinn. Auch ohne großangelegte Rassenforschung, die übrigens auch zu ihren besten Zeiten kein Juden-Gen entdecken konnte, lässt sich leicht denken, dass die übergewichtige, aus Äthiopien stammende, Unterschichtsisraelin mit, sagen wir mal: Woody Allen zwar mehr als 99 Prozent aller Gene gemeinsam hat, aber eben nicht das ominöse Juden-Gen.
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de
Na klar redet Sarrazin absoluten Stuss; doch darum geht es gar nicht. Entscheidend ist, dass es mal gesagt wurde: das, was in Deutschland immer noch bei einem nicht ganz unbeträchtlichen Teil des Volkes schichtenübergreifend auf fruchtbaren Boden fällt.
Das Volk, die Rasse, der Genpool. Denn das ist ja klar: ist das Genum proximum und die differentia specifica erst einmal anerkannt, sind wir uns erst einmal einig über die Existenz eines Basken-Gens oder, noch besser: eines Juden-Gens, dann – Hosianna! – gibt es logischerweise auch das Deutschen-Gen. Ein Volk, ein Gen, ein Bundesbanker.
“Wer die Juden über ihr Erbgut zu definieren versucht, auch wenn das vermeintlich positiv gemeint ist, erliegt einem Rassenwahn, den das Judentum nicht teilt”, meint Stephan Kramer, der Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland, dazu. Scheinbar nicht ganz sicher, ob Sarrazin dies nun positiv gemeint hat oder nicht. „Vermeintlich positiv“, okay, aber eben doch Rassenwahn.
Und Henryk M. Broder, der – das muss auch einmal gesagt werden – gar nicht behauptet hat, das Werk des Rassentheoretikers Sarrazin gelesen zu haben, musste einfach davon ausgehen, dass da irgendetwas Positives dran sein müsse. Schließlich war ihm nur bekannt, dass es gegen die Türken und Araber geht. Da konnte ja das Juden-Gen keinen Alarm schlagen. (HDH)
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