NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 22. Dezember 2024  

zurück  
Druckversion

Lokales
Schul-Plenum: 88% der HauptschülerInnen ohne Ausbildungsplätze
Die Zündschnur brennt auch in Köln
Von Klaus Jünschke

Selbst in der staubtrockenen regierungsamtlichen Wochenzeitschrift "Das Parlament"  konnte man noch jetzt während der Fußballweltmeisterschaft mit Bezug auf die Ereignisse in den Banlieus von Paris und auf die Vorkommnisse an der Berliner Rütli-Schule Sätze lesen wie: "Europa ist ein Pulverfass geworden, dessen Zündschnur brennt" (so am 19. Juni 2006).  Kein Wunder also, dass sich auch der "Kölner Runde Tisch für Integration" dieses Themas annahm. Allerdings ist sein Anliegen, mehr Raum für die Vernunft in dieser Auseinandersetzung um Migration und Integration zu schaffen.

Auf dem jüngsten Plenum waren daher Lehrerinnen und Lehrer verschiedener Schultypen in das Dom-Forum eingeladen, um über den Alltag an den Schulen und die konkrete Probleme zu informieren. Frau Hersebroch, die Leiterin der Tages- und Abendschule Köln (TAS) stellte zunächst mal ihre Schule vor, die ihren Hauptsitz in der Mühlheimer Genovastraße hat und über eine Dependance in Nippes verfügt. An der Schule sind Abschlüsse vom Hauptschulabschluss bis zur Fachhochschulreife möglich. Wer zugelassen werden will, muss mindestens 17 Jahre alt sein. Zurzeit ist das Durchschnittsalter 22, und die 1.190 Schülerinnen und Schüler kommen aus 56 Nationen. Mit 15,4% stellen die TürkInnen die größte Gruppe.

Alle Teilnehmer haben extrem hohen Förderbedarf, auch in sprachlicher Hinsicht. Daher ist die sozialpädagogische Betreuung und Begleitung ein Baustein der Arbeit der TAS. Zur Hausordnung gehören das Verbot von Drogen und Gewalt. Verstöße dagegen können zur Abmeldung führen. Die Schülerinnen und Schüler empfinden das als Schutz. Die Lehrerinnen und Lehrer sind über den Unterricht hinaus in der Schule ansprechbar. Besondere Beratungszeiten gibt es für AusländerInnen und AussiedlerInnen. Dabei wird auch Wert auf Kontakte zu Eltern gelegt. Schülerinnen und Schüler ab 18 Jahren vertreten sich selbst. Die Schule arbeitet mit allen Stellen und Einrichtungen zusammen, die hilfreich für die SchülerInnen sind. Im entsprechenden Verteiler finden sich 800 Adressen.

Die Konflikte unter den SchülerInnen oder zwischen ihnen und den LehrerInnen  sind im wesentlichen Rangordnungs- und Autoritätskonflikte, die situationsbezogen bearbeitet werden. Hin und wieder gibt es tätliche Auseinandersetzungen, wobei die Beteiligten einen Migrationshintergrund haben können oder auch nicht. Rechtsextreme Positionen gibt es genauso bei Deutschen wie bei Nichtdeutschen. Das alles wird nicht dramatisch bewertet. Die positiven Aspekte überwiegen. Es ist eine bunte Schülerschaft zwischen 17 und 39 Jahren alten SchülerInnen, Vielfalt ist die Norm, alle sind anders - das ist ihr Alltag und nichts Besonderes. In der Mensa essen alle an einem Mittagstisch. Die meisten TeilnehmerInnen halten sich gerne in der Schule auf.  

Frau Gröschl unterichtet an der Integrierten Gesamtschule (IGS) Holweide. Mit 1.739 Schülerinnen ist sie die  größte Gesamtschule in NRW. Für jede Jahrgangsstufe von der 5. bis zur 13. Klasse gibt es neun Klassen. 25% aller SchülerInnen sind Ausländer. Jedes Jahr gibt es für die Schule mehr Anmeldungen als Plätze vorhanden sind. Zu einem Ausländeranteil von wenigstens 25% hat sich die Schule selbst verpflichtet. Um Benachteiligungen von schlecht deutsch sprechenden ausländischen SchülerInnen auszugleichen, gibt es Lehrer für die Deutschförderung. Vier LehrerInnen türkischer Herkunft unterrichten türkisch.

An der IGS in Holweide gibt es ein Koala genanntes Projekt, in dem an zwei bis drei Stunden pro Woche eine türkisch-sprechende Lehrerin anwesend ist, um so einen mehrsprachigen Unterricht zu ermöglichen. Ziel ist dabei, auch bei den deutschen SchülerInnen eine größere Offenheit für die ausländischen KlassenkameradInnen zu erreichen. Ab der 9. Klasse kann türkisch als zweite Fremdssprache gewählt werden. Es gibt eine Seiteneinsteigerklasse mit Deutschunterricht, die auf die Integration in die normalen Klassen vorbereitet.

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de


An der Schule sind zwei Sozialarbeiter, aber es fehlt eine türkische Sozialabeiterin bzw. ein türkischer Sozialarbeiter. Frau Gröschl hat betont, wie wichtig "Brückenbauer" sind, die an den Schulen gebraucht werden, auch für die Kontakte zu den Eltern. Inwieweit die Kultur ausländischer SchülerInnen Unterrichtsgegenstand wird, ist von den einzelnen LehrerInnen abhängig.

Alle Probleme, die es in der Gesellschaft gibt, gibt es auch in der Schule, z.B. "Graue Wölfe", Kriminalität, Abzieherei. Aber das hält sich im Rahmen, so Frau Gröschl. Sorgen bereitet ihr, dass viele ausländische Eltern nur in die Schule kommen, wenn ihre Kinder klein sind, und wegbleiben, wenn die Kinder älter werden. Durch die Schüler erfahren die Lehrer von zunehmender Arbeitslosigkeit und wachsenden finanziellen Problemen in türkischen Familien. Sie hebt das so hervor, weil sie sieht, dass sich die türkischen Kinder immer mehr von den anderen absondern, je älter sie werden. In der Freizeit käme es dann zur richtigen Trennung. Hier fällt dann der berüchtigte Begriff "Parallelgesellschaft", wobei sie noch einmal betont, wie sehr sie eine größere Offenheit der deutschen SchülerInnen für die türkische Kultur vermisst.

Bei den Gewaltproblemen an der Schule handelt es sich unabhängig von der Herkunft um Probleme von Jungen. Bei den Mädchen sieht Frau Gröschl neben deren Sprachschwierigkeiten eine zu große Scheu. Jungen schlössen sich dagegen leicht zu Banden zusammen. Wie man solche einmal gebildeten Banden aufknackt, sei ein ungelöstes Problem.
Angesichts ihrer Aufzählung von Problemen mit schwierigen Kindern hat Frau Gröschl selbst erklärt, dass man nicht aus den Augen verlieren darf, dass diese Kinder Opfer gesellschaftlicher Verhältnisse sind: "Opfer dürfen nicht zu Tätern umdefiniert werden."

Nochmals betont Frau Gröschl, dass es auch bei vielen deutschen SchülerInnen Sprachprobleme gibt, zum Beispiel nicht vorhandene grammatikalische Strukturen. Das äußert sich dann auch so, dass sie einfach nichts aufs Papier kriegen, wenn sie was schreiben sollen. Sie verwies auch darauf, dass Kinder auf die Schule kommen, die normale Tagesabläufe nicht kennen, denen Schlüsselqualifikationen fehlen, so dass sie z.B. ihre Schulsachen nicht dabei haben.

Zum Abschluss der Vorträge informierte Frau Fuhrmann über das Kölner Abendgymnasium. Der auch eingeladene Vertreter einer Hauptschule hatte sein Kommen kurzfristig absagen müssen.

In der folgenden Diskussion wurde als wesentlich festgehalten, dass viel mehr getan werden muss, um auch die Eltern der Schüler zu fördern. Einig war man sich auch, dass die Aufteilung der Kinder auf verschiedene Schultypen im Alter von zehn Jahren zu früh stattfindet und das dreigliedrige Schulsystem abgeschafft gehört. Die Leistungsanforderungen und der Leistungsdruck sind so groß geworden, dass Kinder, die ohne Hilfe sind, keine Chance mehr haben.

Karl-Heinz Pütz, ehemals SPD-Ratsmitglied und im Leitungsgremium des Runden Tisches, fasste zusammen, dass es nur vordergründig um ethnische Probleme geht. Tatsächlich sind es soziale Fragen, die von zugewanderten und alteingesessenen KölnerInnen gemeinsam zu lösen sind. Auch bei der Thematisierung von Gewalt unter Jugendlichen sieht er eine Verkehrung der Prioritäten: der eigentliche Skandal  und das eigentliche Problem ist, dass nur 12 % aller HauptschülerInnen einen Ausbildungsplatz finden, also 88% nicht.

Die ernsthafte Auseinandersetzung mit der Situation an den Kölner Schulen wurde an diesem Abend nur einmal von Heiterkeit unterbrochen, nämlich als Frau Fuhrmann berichtete, dass das Abendgymnasium seit Ende der 90er Jahre auch eine kleine Klasse in der Justizvollzugsanstalt hat. Tatsächlich ist das nicht nur witzig, dass man inzwischen an einem Ort, in dem man nur ausnahmsweise AbiturientInnen antrifft, Abitur machen kann. Das Gefängnis als Schule könnte auch dazu anregen, zu einer alten Forderung der Bildungsreformbewegung zurückzufinden: "Abitur für alle" - auch damit es weniger Gefängnisse gibt.

Weitere Infos der vorgestellten Schulen finden sich im Internet unter
www.tas-koeln.de, www.igs-holweide.dewww.abendgymnasium-koeln.de

Online-Flyer Nr. 50  vom 27.06.2006

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FILMCLIP



Video von Georg Maria Vormschlag
FOTOGALERIE