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Lokales
Kölner Demonstration zur Kehrseite der FIFA-Medaille
"Wir schießen zurück!"
Von Hildegard Miensopust

Eigentlich sollte die Kölner Demonstration zum WM-Achtelfinale am Montagabend "nur" gegen den Sozialraub der großen Koalition und gegen die Studiengebühren gerichtet sein. Durch die Teilnahme der Initiative Barmer Viertel erfuhren "die Freunde aus aller Welt" außerdem, dass in Köln 20.000 Menschen eine Wohnung suchen und dass gleichzeitig 260 preiswerte Wohnungen aus der Jugendstilzeit in Deutz abgerissen werden - durch den begonnenen Abbruch des Barmer Blocks in Deutz. So erhielt "die Welt" einen Blick auf die Kehrseite der FIFA-Medaille.

Unter dem Motto "Wir schießen zurück!" versammelten sich direkt neben der "Public-Viewing-Fläche" vor dem Dom einige hundert Menschen aus Kölner, Aachener, Bonner und Dortmunder Erwerbsloseninitiativen, StudentInnen und die obdachlos gemachten Besetzer des Barmer Blocks samt Unterstützern. Sie waren für WM-Viewer und Sportreporter nicht zu übersehen. Selbst TV-Reporter aus Südkorea interessierten sich für Sinn und Zweck der Demonstration. Damit war jedenfalls das Ziel, die Aufmerksamkeit der internationalen Presse auf die hinter der WM versteckten Probleme zu erregen, erreicht. Filmaufnahmen machte auch ein Team, das an  einer Fortsetzung von "Neue Wut" arbeitet.

Zerstörung von 260 Wohnungen
Zerstörung von 260 Wohnungen
Foto: Raphael Haugwitz / Tom Küven / IBV


Der SSK hatte seinen LKW als Bühne zur Verfügung gestellt. Reden und Musikbeiträge verschiedener Kölner Künstler, darunter der Kölner Erwerbslosenchor und Klaus der Geiger,  lösten sich ab. Ein Großbanner "Schluss mit den "Reformen" gegen uns!", das auch schon am 3. Juni in Berlin im Einsatz war, fiel dabei dem Publikum im Umkreis besonders auf. Von Infotischen wurden Flyer für soziale Rechte in Deutschland, Europa und in der Welt verteilt. Einen gab es sogar auf Spanisch und Französisch. Besonders eine Gruppe der FAU sorgte bei der anschließenden Demo für Stimmung. Sprüche wie: "Macht was draus, macht was draus, endlich geht die Arbeit aus!" oder "Repression und Zwangsarbeit - dafür ham wir keine Zeit!" bewegten manche(n) zum Mitrufen.

Die Polizei zeigte von Anfang an massive Präsenz, videografierte die friedlichen DemonstrantInnen und  ließ den Kameraturm erst nach massiven Protesten wieder in den Bus einfahren, kesselte dann aber das nach zweieinhalb Stunden in der Breite Straße angekommene restliche Häuflein ein, um die Personalien von zwei Demonstranten festzustellen. Massive "Haut ab!"-Rufe waren die Folge, und die Polizei zog ab. Im Weggehen sagte einer der Uniformierten: "Wir machen uns lächerlich." Die bereits in Auflösung begriffene Versammlung wurde dann auch offiziell für beendet erklärt.

Die Barmer Initiative hatte in die Demo das Motto "Zu Gast bei Obdachlosen" eingebracht, mit dem sie bereits in der Woche zuvor am Müngersdorfer Stadion auf die von der Stadt Köln erzwungene Räumung und den Abriss der 1913 erbauten Genossenschaftssiedlung des Erbbauvereins aufmerksam gemacht hatte.

Mit einer Trauerfeier hatten die Betroffenen am Freitag, 23. Juni am Barmer Platz darauf aufmerksam, dass dort "wahres Schmuckstück des Genossenschaftsbaus" zerstört wird. Zitat aus dem Flugblatt mit der "Traueranzeige: "Seinen Mietern bot er einen wunderbaren Innenhof, Ruhe vor dem Zug- und Messeverkehr und einen Zusammenhalt fast wie im Dorf.

Die Hinterbliebenen, 20.000 Kölner Wohnungssuchende gedenken in stiller Trauer der 260 schönen und erschwinglichen Wohnungen. Zwei Weltkriege überlebte der Barmer Block. Doch dann wurde er von seinen Eltern schnöde verkauft und verraten. Die Mieter mussten weichen, das ganze Barmer Viertel wurde leer gezogen. Zudem verlangte die Stadt Köln als neuer Eigentümer, dass die Eltern selbst ihr eigenes Kind aus der Welt schaffen. So hat der Erbbauverein eigenhändig den Abriss begonnen. Seit Mittwoch, 21.Juni, legen die Bagger den Barmer Block in Schutt und Asche. Die Profiteure aus Politik, Messe und der Kölner Medienmacht klatschen unverhohlen Beifall."

Obdachlos gemachte BesetzerInnen
Obdachlos gemachte BesetzerInnen
Foto: Raphael Haugwitz / Tom Küven / IBV


Er gehe zurzeit davon aus, das Gelände Ende August der Stadt übergeben zu können, wird Uwe Neuhaus, Vorstand des Erbbauvereins, von der Initiative zitiert. Ob bis dahin auch jenes Haus an der Deutz-Mülheimer Straße abgerissen sein werde, in dem sich eine Gaststätte befindet, sei ungewiss. "Wir verhandeln mit dem Pächter", erklärte Stadtsprecher Dr. Ulrich Höver. Notfalls bleibe das Haus, durch Balken abgestützt, noch eine Weile länger stehen.

Die Gaststätte "Zur Post", Teil des Barmer Blocks und seit April im Eigentum der Stadt Köln, wurde im Zusammenhang mit den Abrissarbeiten, wie es in einem Offenen Brief der Initiative an die Ratsmitglieder heißt, beinahe Opfer eines Brandes. Zitat: "Wie Sie sicherlich wissen, hat der Barmer Block am 12. Juni gebrannt. Was Ihnen nicht bekannt sein wird, weil es nicht in der Presse berichtet wurde, ist, dass das Nachbarhaus neben der Gaststätte am 18.Juni ebenfalls gebrannt hat, und zwar wiederum vom Innenhof her. Brandursache in beiden Fällen sind riesige Holzhaufen, bestehend aus den Dielen, Türen und Balken der ehemaligen Wohnungen. Diese Holzhaufen im Innenhof widersprechen allen Brandschutzvorschriften."
 
Die Initiative fragt, "ob man einen solchen Gefahrenherd noch als grobfahrlässig bezeichnen kann, oder ob darin nicht bereits ein bedingter Vorsatz zu erblicken ist, sprich, dass billigend in Kauf genommen wird, dass der nächste Brand zwangsläufig früher oder später ausbrechen muss, die Gaststätte erfassen und die Existenz der Familie Rüdiger vernichtet. Im Volksmund nennt man so etwas: "warmer Abbruch". Die Familie Rüdiger und die beiden türkischen Familien, die auch noch in dem Haus wohnen, leben jetzt in ständiger Angst vor dem nächsten Brand.

Der Eindruck, dass hier mit fragwürdigen Methoden Mieter vertrieben werden sollen, damit auch ihr Haus endlich abgerissen werden kann, wird auch noch durch andere Vorfälle verstärkt: Am 14.Juni 06 besichtigte der Erbbauverein zusammen mit der Stadt Köln, einem Architekten und mehreren Bauarbeitern das Haus der Gaststätte ZUR POST. Offizieller Zweck des Besuches war, zu prüfen, wie das Haus beim Abriss abgestützt werden müsste. Tatsächlich wurde bei diesem Besuch vom Dachboden aus mit Vorschlaghämmern die Decke zum Wohnzimmer der Familie Rüdiger durchbrochen. Deckentrümmer landeten auf der Wohnzimmercouch, auf der zufällig niemand saß. Das Versprechen, diesen Schaden wieder in Ordnung zu bringen, ist bis heute nicht eingelöst. Eine Entschuldigung und Entschädigung stehen ebenfalls noch aus. Der Wachtdienst des Erbbauvereins stellt sich immer wieder mit seinen scharfen Hunden, die keinen Maulkorb tragen, in den Eingang der Gaststätte "ZUR POST". Zum Teil werden von ihm auch direkt Gäste, die "ZUR POST" wollen, angepöbelt und verscheucht. Auch dies ist eine Methode, um die Familie Rüdiger zur Aufgabe ihrer wirtschaftlichen Existenz zu zwingen."




Online-Flyer Nr. 50  vom 27.06.2006

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