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Sport
Porträt einer Fußballerin: 11 Perspektiven von Steffi Jones
Die Bodenständige
Von Annemarie Fischer

„Meine Beine hatten mich herausgetragen aus dem Frankfurter Problemviertel Bonames, aus der Perspektivlosigkeit, aus dem schwierigen sozialen Umfeld“, schreibt Steffi Jones in ihrer Autobiographie"Der Kick des Lebens", die sie zum Ende ihrer aktiven Fußballer-Karriere im Jahr 2007 veröffentlichte. - Ein Interview mit Steffi Jones finden Sie auch in dieser Ausgabe.

Steffi Jones beim 1. FFC Frankfurt (UEFA-Cup-Finale-Rückspiel 2006)
Foto: Jan Kuppert, Potsdam
 
In ihrer aktiven Zeit in der Bundesliga und als 111-facheNationalspielerin wurde sie sechsmal deutsche Meisterin (mit Triple des 1. FFC Frankfurt 2001/02), dreimalige Europameisterin und Weltmeisterin 2003, sowie US-Meisterin 2003 mit Washington Freedom.

Duell der Weltklasse: Abby Wambach versus Steffi Jones beim Algarve-Cup 2005
Foto: Jan Kuppert, Potsdam
 
Leichtigkeit des Seins
 
Im Fußball-Diskurs des Sommers bewahrte Jones eine Leichtigkeit und agierte unkompliziert und unprätentiös in der Arena des Fußballes. „Sie ist das authentische Gesicht inmitten einer oft künstlich wirkenden Bilderflut, die von den Werbeagenturen auf das Publikum losgelassen wird – mit natürlichem Charme, Offenheit und ihrem manchmal sehr direkten Wesen“, so Christian Kamp in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Schon während der WM bejubelte die US-Nationalspielerin Abby Wambach ihre ehemalige Teamkollegin bei Washington Freedom im FAZ-Interview mit Daniel Meuren: „Steffi, tausend Dank! Du hast diese Weltmeisterschaft schon jetzt zu einem Riesenerfolg gemacht. Das ist das größte Frauensportereignis aller Zeiten“. Auch nach der WM äußerte sich Wambach enthusiastisch über die Gastgeberin in der Pressekonferenz anlässlich der Ballon d’Or-Gala der FIFA.

Steffi Jones mit ihrem „Fels in der Brandung“, Mutter Lieselotte
Foto: A2 Bildagentur Hartenfelser, Frankfurt
 
Deutsch-amerikanischer Background
 
Stephanie Ann Jones wurde als Tochter eines in Deutschland stationierten US-Soldaten und einer Deutschen, „für damalige Frankfurter Verhältnisse kein ungewöhnliches Paar“, wie sie in ihrer Biographie bemerkt, am 22. Dezember 1972 in Frankfurt geboren und wuchs im sozialen Brennpunkt Frankfurt-Bonames auf. In ihrer zweiten Heimat USA werden die Mütter, die kein Heimspiel ihrer Kinder verpassen und sie vom Spielfeldrand aus anfeuern, als „Soccer Mom“ bezeichnet. Doch der soziale Gegensatz zu den Vollzeit-Housewives der wattigen US-Suburbs in ihren Panzer-SUVs könnte nicht größer sein: Ihre Mutter Lieselotte „Lilo“, selbst als Kind von Flüchtlingen aus Ostpreußen in einer „Flüchtlingsbaracke in Flensburg“ geboren, die als Quasi-Alleinerziehende ihre drei Kinder durchboxte, bezeichnet Jones in ihrer Biographie als „Fels in der Brandung“, als „Dreh- und Angelpunkt“ in ihrem Leben: „Ihr habe ich alles zu verdanken, was mich stark gemacht hat.“ Als sich Jones während eines Heimspieles verletzt, stürmt ihre Mutter als „leidenschaftlichster Fan“ mit dem Regenschirm aufs Spielfeld. Jones erlebte ihr Umfeld damals oft jenseits von Akzeptanz und Toleranz: „Nach außen hin bin ich die offene, selbstbewusste Strahlefrau des deutschen Fußballs. Schon sehr früh jedoch musste ich lernen, rassistische Diskriminierungen oder meine unerfüllten Sehnsüchte nach einer heilen Familie mit mir selbst auszumachen“, erinnert sich die Schirmherrin der „Respekt! Kein Platz für Rassismus“-Initiative.
Anlässlich der Veröffentlichung ihrer Autobiographie Der Kick des Lebens kehrt Jones zu ihren Wurzeln zurück, inmitten eines Spielplatzes zwischen Hochhäusern. Sie deutet auf die andere Straßenseite – damals eine No-Go-Area. Offen spricht sie über ihren mit Drogensucht kämpfenden Bruder und die Verletzung ihres jüngeren Bruders, der im Irak-Krieg beide Beine verlor. In ihrer Auto-Biografie beschreibt sie sich als „das einzige Mädchen in einem Haufen von Straßenjungs“, das sich „gegenüber allem Mädchenhaften“ als „Tomboy“ verweigerte. Später absolvierte Jones eine Lehre zur Groß- und Einzelhandelskauffrau – „Buchhaltung war mein bestes Fach“, wie sie sich erinnert.

Jones beim 1. FFC Frankfurt inmitten von Birgit Prinz, Renate Lingor, und Sandra „Smi“ Smisek
Foto: A2 Bildagentur Hartenfelser, Frankfurt
 
Frankfurter Wurzeln
 
Gekickt hat sie anfangs mit den Jungs in der Jugendmannschaft des SV Bonames – ihrem „zweiten Zuhause“. Für die heranwachsende Jones war der Übergang in die Mädchenmannschaft Sportgemeinschaft (SG) Praunheim anfangs „unvorstellbar“, da sie „schließlich kein einziges anderes Mädchen kannte, das Fußball spielte“ – ermöglicht erst durch das persönliche Engagement von Monika Staab, „Herz und Seele und geniale Spielmacherin des Teams“, und geführt von Trainer und Vaterfigur Dieter Hochgesand mit seinen Kabinen-Ansprachen „zwischen Voodoozauber und Kirchenandacht“. Nun spielte sie „umgeben von zwanzig Mädels, die astreine Doppelpässe, flinke Dribblings, gefühlvolle Pässe, und perfekte Kopfbälle beherrschten. Vielleicht nicht ganz so schnell und aggressiv wie die Jungs, dafür aber technisch besser“, erinnert sie sich in ihrer mit Filmemacher Broka Herrmann geschriebenen Biographie.

Steffi Jones und Siegfried „Siggi“ Dietrich auf ihrem „Home Turf“
Foto: A2 Bildagentur Hartenfelser, Frankfurt
 
Spielerin zwischen den Welten: Mainhattan und US-Ostküste
 
Jones’ Vita bleibt eng mit der Sportstadt Frankfurt verwurzelt: Der SV Bonames, FSV Frankfurt und der 1. FFC Frankfurt waren ihre Hausvereine, und Manager Siegfried Dietrich ihr Berater. Jones spielte mit Teamkollegin Abby Wambach in der nordamerikanischen US-Profi-Liga der Women's United Soccer Association (WUSA) – der ersten Frauen-Liga mit Profi-Status weltweit – für Washington Freedom, einst gegründet in Germantown im Bundesstaat Maryland, und fand bei ihren US-Gasteltern Terri und Tres Crawford eine zweite Heimat.

OK-Präsidenten Steffi Jones und Franz Beckenbauer
Foto: A2 Bildagentur Hartenfelser, Frankfurt
 
Vom „Global Player“ zum Gast-Geber
 
Es ist bezeichnend, dass es seitens der Medien keine fassbaren und originalen Metaphern für die Hauptprotagonisten der Weltmeisterschaft gibt. So wurde Jones zwar von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als „Kaiserin“ tituliert und vom SPIEGEL zur „Königin“ gekrönt – Titel, den sie selbst als Kompliment auffasst, sich damit aber nicht identifiziert. Anders als der von ihr bewunderte Franz Beckenbauer schwebte sie zu den Spielen der Weltmeisterschaft nur wenige Male via Hubschrauber als dea ex machina ein.

„WM-Team“: OK-Gesamtkoordinator Ulrich Wolter, OK-Präsidentin Steffi Jones und OK-Pressechef Jens Grittner
Foto: A2 Bildagentur Hartenfelser, Frankfurt

WM-Projekt als „Wir“-Gefühl
 
Fußball lebt von der Dynamik zwischen Spieler und Mannschaft, für Jones zählt letzteres. „Die WM war ein großartiges Gemeinschaftswerk. Viele Menschen haben daran mitgewirkt. Dass ich Teil dieses Teams war, macht mich stolz“, so Jones im FAZ-Rückblick mit Daniel Meuren. Als OK-Chefin war sie das Gesicht und die Gastgeberin der WM, betonte jedoch stets, dass das Projekt WM eine „Gemeinschaftsleistung“ sei, insbesondere von Ulrich Wolter als Gesamtkoordinator, sowie der Abteilungsleitung Heike Ullrich (Turnierorganisation), Doris Fitschen (Marketing), Winfried Naß (Städte und Stadien) und Jens Grittner (Medien und Kommunikation).

„Gesicht der WM“: Gastgeberin Steffi Jones
Foto: A2 Bildagentur Hartenfelser, Frankfurt
 
Gemeinschafts-Geste
 
Eine Geste aus dem WM-Finale Japan gegen die USA visualisiert, wie sehr sie ihr Gemeinschaftsdenken verkörpert: Mit ihrer ehemaligen Mannschaftskameradin aus der Nationalmannschaft und dem 1. FFC Frankfurt, Renate Lingor, präsentiert Jones gemeinsam den WM-Pokal der Welt. Lingor will aus dem Bild gehen und wird von Jones mit einer einladenden Geste wieder zurück ins Fernseh-Bild geholt.

Jones übergibt den WM-Pokal an Japan-Kapitänin und FIFA-Weltfußballerin des Jahres, Homare Sawa
Foto: A2 Bildagentur Hartenfelser, Frankfurt
 
Gesicht der WM
Vom „Global Player“ wurde Jones zum globalen Nenner dieser WM, und bewahrte das Gesicht des deutschen Gastgebers nach der Niederlage der deutschen Nationalmannschaft im Viertelfinale. Es ist bezeichnend, dass Jones die Niederlage des deutschen Gastgebers gegen Japan nicht von den Höhen der Stadion-Tribünen erlebte, sondern sich zum Frankfurter Public Viewing inmitten der Fan-Massen begab. Die persönliche Übergabe des Pokals an die neugekrönte Würdenträgerin, FIFA-Weltfußballerin des Jahres Homare Sawa, erfüllte Jones’ Herzenswunsch.

Autogramme für den Leipziger Fußballerinnen-Nachwuchs
Foto: Annemarie Fischer, Leipzig
 
Basis mit Charisma
 
Wer Jones erlebt, wie sie geduldig Autogramme gibt und sich mit Fußball-Anhängern unterhält, begreift ihre Gabe, mit Menschen umgehen und mit ihnen kommunizieren zu können – bei Jones kommt Charisma vor Image; diese geheimnisvolle Mischung aus Bodenhaftigkeit und Lichtgestalt, aus Verwurzelung mit dem letzten Schritt und Intuition vor der nächsten Etappe.
 
Nun jedoch steht die Basisarbeit und Umsetzung an. Sie sei offen für die Erfahrung anderer in der Männerdomäne Fußball. „Ich habe durch Hannelore Ratzeburg ein Vorbild, das Türen geöffnet hat. Ich versuche, mir Erfahrungen anderer zunutze zu machen“ so Jones im FAZ-Interview mit Daniel Meuren. Sie steht damit für die Große Garde des deutsch-amerikanischen Frauenfußballs, und gleichzeitig für das Abtreten einer prägenden Fußballerinnen-Generation, die nach den „Pionierinnen“ wie Hannelore Ratzeburg als erste Generation zumindest teilweise als (Semi-)Profi davon leben konnte, sich den Weg ins Scheinwerferlicht erarbeitet hat – und nun ihrerseits „Pionierarbeit“ leistet.
„Ich werde nie die Bodenhaftung verlieren, weil ich weiß, was das Leben mit sich bringen kann“, so Jones im Interview mit der Frank Hellmann und Jürgen Ahäuser in der Frankfurter Rundschau. Der Euphorie und der Ernüchterung ist nun der Alltag gewichen. Frauenfußball ist noch kein Selbstläufer, aber Jones ist eine tragende Stütze geworden.

Basisarbeit im Leipziger „Bruno“
Foto: Annemarie Fischer, Leipzig
 
Auf der Sonnenseite des Lebens
 
„Gelegentlich suche ich nach einer Erklärung dafür, warum ich trotz all dieser Schicksalsschläge immer wieder auf die Beine komme, warum gerade ich regelmäßig wieder auf der Sonnenseite des Lebens lande, während andere aus meinem Viertel weniger Glück haben. Wir alle sind auf der Schattenseite geboren, doch nicht alle scheinen teuer dafür bezahlen zu müssen“, resümiert Jones. (PK)


Online-Flyer Nr. 338  vom 25.01.2012

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