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Lokales
Die Stadt Köln stellt sich Fragen zum Programm "Mülheim 2020"
Stunde der Wahrheit
Von Rainer Kippe

Irgendwann musste man es dem Bürger ja einmal sagen, dass das vollmundige Versprechen unseres OB Jürgen Roters, alle Projekte von Mülheim 2020 würden umgesetzt, so nicht erfüllt werden wird. Man werde wohl nicht alle Vorhaben verwirklichen können, räumte er auf Fragen der Presse auf einer überraschend einberufenen Pressekonferenz am letzten Donnerstag im Rathaus ein. Und tatsächlich wird die Liste der Programmpunkte, die nicht mehr zu erfüllen sind, immer länger. Nach dem Baurecyclinghof ist nun auch die wichtige Sprachförderung im Kindergartenbereich weggebrochen.

Vollmundiges Versprechen zu Mülheim 2020, aber… Kölns OB Jürgen Roters
NRhZ-Archiv
 
Das sogenannte "Kompetenznetzwerk Kreativwirtschaft“, mit dem die Zukunft des Stadtteils Mülheims im Bereich der neuen Medien gesichert werden sollte - bereits im Vorfeld breit und laut in der Lokalpresse gefeiert - wird es nicht geben. Überhaupt sind im Bereich der Lokalen Ökonomie riesige Lücken entstanden. Fünf der vorgesehenen elf Millionen Euro können nicht ausgegeben werden. Das Wirtschaftsbüro, welches die Lokale Wirtschaft ankurbeln soll, wird nicht vor 2013 an den Start gehen, ein Jahr vor Programmende. Das Controlling, welches das Programm von Anfang an begleiten sollte, wird erst jetzt ausgeschrieben. Weit in die Ferne gerückt ist das Ziel des Programms, Mülheim bis 2020 in den Bereichen Bildung und Beschäftigung an den städtischen Durchschnitt heranzuführen.
 
Schuld an der Misere sind nach städtischer Lesart allerdings nicht die Stadtverwaltung Köln unter der persönlichen Leitung von OB Roters („Mülheim 2020 Chefsache“), sondern erst die Förderbedingungen der EU, jetzt, nachdem die meisten Ausschreibungen EU-weit veröffentlicht sind, die geänderten Förderrichtlinien der schwarz-gelben Koalition in Berlin.
 
Beide Argumente erweisen sich als vorgeschoben. Was die Ausschreibung anbelangt, so hat die Stadt absichtlich übersehen, dass die EU-Vorschriften in den Bereichen Kultur, Bildung und Soziales gar keine Ausschreibung verlangen, sondern eine freihändige Vergabe durch Verhandlungen mit geeigneten Trägern erlauben - ein Verfahren, das von den Initiatoren des Programms ursprünglich vorgesehen war, dann aber von der Verwaltung unter Amtsleiterin Maria Kröger verworfen wurde. Was die Änderungen der schwarz-gelben Berliner Koalition im Bereiche der Sozialen Stadt betrifft, so hätten diese Änderungen Mülheim 2020 unmöglich treffen können, hätte man die Vergabe nicht über vier Jahre verschleppt. Interessant war in diesem Zusammenhang, dass OB Jürgen Roters sich an sein zweites Versprechen, er werde die Projekte aus städtischen Mitteln weiterführen, wenn der Beginn durch Schuld der Verwaltung zu weit hinausgezögert worden sei, nicht zu erinnern vermochte.

Bürgerprotest gegen die Mülheim 2020-Politik von SPD und CDU
NRhZ-Archiv
 
Von den vorgesehenen 40 Millionen sind fünf Jahre nach Start des Programms und zwei Jahre vor seinem definitiven Ende nämlich gerade mal 1,5 Millionen abgerufen worden - das genaue Gegenteil also von einem Programm, welches mit EU-Mitteln in einem Feuerwerk von fünf Jahren neue Strukturen anreißen und vorhandene Kräfte puschen wollte, um die eigenen Kräfte in einem niedergehenden Viertel zu beleben und neue zu schaffen.
 
Dies war allerdings nie die Absicht der großen Koalition des Bestehenden, welche sich wie ein Eispanzer seit Jahren über den unglücklichen Stadtteil legt. CDU und SPD, die Kräfte der Vergangenheit, haben sich frühzeitig gegen das Programm ausgesprochen. Zu viele lieb gewordene Strukturen werden dadurch in Frage gestellt, die im SPD-Viertel Mülheim auch immer mit der Verwertung brachgefallener Industriegrundstücke zu tun haben, hier insbesondere das 15 ha große Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs, welches im Programm für alternative Betriebe in einem Mischgebiet von Wohnen und Arbeiten vorgesehen war.
 
Verhindert werden musste auch die Verkehrsplanung des Programms Mülheim 2020, welche einen Rückbau des Clevischen Rings um eine Fahrspur und eine Flaniermeile auf der Frankfurter Straße vorsah - alles Projekte, die dem Kern von Mülheim seine Lebensqualität zurückgegeben hätten, aber die Vorstellungen der herrschenden Kräfte in Köln von Mülheim als einem Vorort in Frage stellen, dessen Hauptaufgabe im städtischen Konzept darin besteht, den Verkehr in die Glitzermeile in der Innenstadt mit kulturellen Highlights und attraktiven Geschäften zu ermöglichen und im übrigen die Überflüssigen der Leistungsgesellschaft aufzunehmen.
 
Die Grünen als die kommunale Oppositionsbewegung der 80er und 90er Jahre konnte diesem reaktionären Konzept nie wirklich entgegentreten. Sie beschränken sich unter Barbara Moritz und Jörg Frank darauf, fortschrittliche Konzepte in ihren Hochburgen in der Innenstadt und der Südstadt durchzuführen, in denen es zeitgemäße Verkehrskonzepte mit Kreiseln und Flaniermeilen gibt, in denen Parks angelegt werden und die Macht der Investoren durch Sanierungssatzungen gebremst wird, und wo auch Grunderwerb aus öffentlichen Mitteln möglich ist - alles das also, was in Mülheim nicht sein darf - der Preis für die einvernehmliche Zusammenarbeit von Barbara Moritz von den Grünen und Michael Zimmermann von der SPD im Stadtentwicklungsausschuss, wo es gilt, die Stadt aufzuteilen und andere draußen zu halten.
 
Jürgen Roters, der angetreten war, um das Auseinanderbrechen der Stadt zu verhindern, wird somit ungewollt zum Beförderer und Vollstrecker der Segregation, der Spaltung unserer Städte in Arm und Reich, welches mit dem vermeidbaren aber gewünschten Niedergang der Realwirtschaft zugunsten von Finanzschwindeleien begann und welches mit Massenarmut im Sozialen und im Bereich des Städtebaus mit Gated Areas und Elendsvierteln endet.
 
Mülheim 2020 zeigt, wie die Neoliberalen in allen Parteien es vermögen, soziale Konzepte selbst dann auszuhebeln, wenn sie beschlossen und mit hohen Förderbeiträgen unterlegt sind. Die Pressekonferenz am Donnerstag war nichts anderes als der Versuch, dieses Scheitern zu bemänteln, um den Bürgern eine Erklärung dafür zu liefern, warum Millionen nicht abgerufen werden, während überall in der Stadt gespart werden soll. Sie soll auch den Weg frei machen für weitere Bewerbungen Kölns um EU-Mittel, diesmal im Rahmen des neuen Programms "Europa 2020“. (PK)


Online-Flyer Nr. 362  vom 11.07.2012

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