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Globales
Abenteurertum der US-Außenpolitik auf dem Weg zu neuen Rekorden
Syrien wäre nur der Anfang
Von Christoph R. Hörstel

Wann immer die USA warnen, dass es eine Gefahr unmittelbar bevorstehender Gewalt gebe, sogar ein Massaker oder Grausamkeiten, lohnt sich jede Aufmerksamkeit. Derartige Voraussagen haben eine nahezu schamlose Neigung, sich als zutreffend herauszustellen. Deshalb könnten jüngste „Besorgnisse“ schlechte Nachrichten bedeuten.
 

Die jüngste Militärdoktrin der USA
Die Welt erholt sich gerade vom Schock der Berichte über Massaker, die aus Syrien zu uns gelangen, wie zum Beispiel das in al-Houla von Ende Mai dieses Jahres. Das Neue an der Entrüstung darüber besteht in der erstaunlichen Tatsache, dass, ausgehend von Kirchenquellen und der konservativen deutschen Mainstream-Tageszeitung FAZ (Frankfurter Allgemeine Zeitung) eine Schockwelle über wichtige westliche Medien hereinbrach. Neue, furchtbare Details des Anschlags wurden entdeckt: vor allem, dass insbesondere regierungstreue Familien, die den Rebellen Gehorsam verweigerten, dem Blutbad zum Opfer fielen, einschließlich Kindern, Frauen und Alten. Mitgeschnittenen Telefonaten der Aufständischen zufolge, begehen diese Massaker und andere Grausamkeiten in der erklärten Absicht, diese blutigen Vorkommnisse anschließend der syrischen Regierung anzulasten.
 
Was jedoch am Donnerstag geschah, erscheint als weiterer Hinweis darauf, wie weit die USA zu gehen bereit sind: „Dies ist die Besorgnis, dass wir ein Massaker in Aleppo erleben werden – und das ist, was das Regime vorzubereiten scheint“, sagte die Sprecherin des US-Außenministeriums, Victoria Nuland – und die Nachricht über diese Äußerung verbreitete sich in Blitzesschnelle über den Globus. Die Ankündigung weckte weltweite Befürchtungen ebenso wie Abscheu, denn mehreren internationalen Zusammenkünften in Sachen Syrien aus der letzten Zeit gingen Massenmorde voraus, sei es als Massaker oder als Häuserkämpfe in syrischen Städten: Die Hauptverantwortung dafür wurde stets der syrischen Regierung
untergeschoben – von den „üblichen Verdächtigen“ der westlichen Mainstream-Medien und im üblichen hysterisch kreischenden Tonfall. Als ob die Schatten der kuwaitischen Brutkästen der „Operation Desert Storm“ und der serbischen Konzentrationslager und Massaker der „Operation Deliberate Force“ jedes Mal auftauchen, wenn die Weltgemeinschaft der Völker Entscheidungen treffen muss über Interessensphären, die von den USA beansprucht werden.
 
Deshalb können wir im Rückblick auf die jüngste Geschichte zusammenfassen: Seit Hillary Clintons Amtsvorgängerin, die begabte Klavierspielerin Condoleezza Rice, im Jahre 2008 den gesamten Mittleren Osten mit Einführung der Demokratie bedrohte, haben die USA klar umrissene Schritte unternommen, um diesen Prozess voranzubringen. Rice empfing im persönlichen Gespräch die beiden populärsten ägyptischen Blogger, deren Arbeit mithalf, den Beginn des so genannten „Arabischen Frühlings“ zu ermöglichen, der inzwischen jedoch eher nach einer Blütezeit der CIA und anderer mitwirkender oder verbündeter Dienste aussieht.
 
Wie auch immer, die geheimen Aktionen sehen viel ernster aus: Ein pensionierterhochrangiger Offizier der ägyptischen Armee soll in Tunesien seit 2009 mitgewirkt haben, die Ausbildung US-geführter Söldner und „Al-Qaeda“-Mitglieder zu v ollenden. Im gleichen Jahr kamen die Vorauskommandos von US-Agenten auch in der Türkei an, um sich Land und Leute vertraut zu machen. Diese Informationen haben syrische Offiziere von der nicht geringen Zahl gefangener ausländischer Kämpfer erhalten; deren verschiedenartigste Ausweise unter anderem aus der Türkei, Libyen, Libanon, Jordanien wurden bereits in vielen Fernsehberichten deutlich lesbar gezeigt (im Gegensatz zu den absichtlich schwammigen Filmchen der Opposition).
 
Über die Hundertschaften bewaffneter nicht-uniformierter Kämpfer, die im März 2011 über alle syrischen Grenzen drängten, freizügig, ungezählt und nicht überprüft, haben die desertierten Korrespondenten von al-Jazeera und manche andere umfangreich ausgesagt.
 
Da eine Operation dieser Größenordnung weder so erscheint, als sei sie im Handumdrehen auf die Beine gestellt worden, noch tatsächlich werden kann, wundert es nicht, dass gut informierte Kenner der Geschichte der Ideen und Planungen der US-Außenpolitik wissen, dass die Syrien-Szenarios mehr als 100 Jahre alt sind und komplette Neuziehungen der regionalen politischen Landkarte enthalten.
 
Vor diesem Hintergrund erscheinen die jüngsten Äußerungen des US-Außenministeriums als wenig unterschiedlich von einer dürftig verschleierten Drohung gegen das syrische Volk, seine rechtmäßige Regierung – und allerdings auch gegen seine internationalen Alliierten. Die Drohung trägt alle Merkmale bodenloser Heuchelei, da viele Beobachter sich bewusst sind, dass vor allem das US-amerikanische Politik-Management die meisten Morde in der Region und weit darüber hinaus in den letzten mehr als 20 Jahren organisiert, ungeachtet der Zusammenarbeit mit allen möglichen Arten von Verbündeten.
 
Beginnend auf dem Balkan in den 90ern, zu der immer noch schattenhaften Affäre 9/11 und den erfundenen Rechtfertigungen in der Auseinandersetzung mit Saddam Husseins Irak: Die US-Geschichte weltweiter künstlicher Medien-Brüllarien sieht ziemlich beeindruckend aus. Diejenigen, die sich Fragen stellen über die perfekte Integration von Medien, Politik, Geheimdiensten und Militär mögen sich das höchst interessante Internet-Dokument „Joint Vision 2020“ empfehlen lassen, eine Fortsetzung von „Joint Vision 2010“, die jetzt asymmetrische Kriegführung und intensive Medienarbeit einschließt. Wichtigster Punkt: die hoch integrierte Maschine arbeitet immerzu, „Frieden“ gibt es nicht mehr, die US-Armee erfüllt ständig Aufgaben, Krieg in allen Formen und Farben ist permanent.
 
Von denen, die dieser Herausforderung nicht wehr- und kampflos zum Opfer fallen wollen, wird jetzt dringend eine „Gemeinsame Gegenvision“ benötigt. Genau jetzt ist die erste Herausforderung, die Bewegung der blockfreien Staaten zusammenzuschließen, um amerikanischen, arabischen und Nato-Anstrengungen zu widerstehen, in der UN-Vollversammlung eine Mehrheit für die US-geführte Aggression in der Nah- und Mittelost-Region zu erwirken.
 
Wie dieser Autor festgestellt hat, muss Syrien auf fünf Feldern Erfolge erzielen, um als unabhängiger Staat in der jetzigen Form zu überleben: PR-Kampagne in Nato-Staaten; Rückgewinnung abgesprungener oder enttäuschter Kreise, namentlich aus der Islamischen Bewegung; Großprogramme für den Wiederaufbau nach Kriegsschäden; Großprogramme für verbesserte Staatshilfen für Flüchtlinge und Notleidende; unbezweifelbare Fortschritte gegen Brutalität von Personen aller Art mit staatlicher Rückendeckung sowie gegen die grassierende Korruption. Diese Aufstellung erfolgt mit der sicheren Voraussage, dass bei Nicht-Erfolg auf nur zwei Gebieten aus diesen fünf das Assad-Regime nicht überleben kann.
 
Der Krieg in Syrien wird nicht auf dem Schlachtfeld gewonnen, sondern im
Zivilbereich. Militärische Beiträge können nur Zeit kaufen, um die Verbesserungen einzuführen. Die Drohungen der Aufständischen gegen die russische Marinebasis in Tartus vom Freitag sind nur ein Hinweis darauf, wie stark die Lage sich verschlimmern kann, wenn eine klare, nachhaltige strategische Antwort ausbleibt. Die Äußerung des UN UNSMIS Kommandeurs General Robert Mood über den bevorstehenden Fall der Assad-Regierung zeigt den Weg.
 
Und für alle, die meinen, man könne im Fall Syrien nachgeben: Die Sache liegt ganz schlicht: Fällt Syrien, ist der Iran nicht zu halten; fällt der Iran ist Russland an der Reihe; gerät Russland aus den Fugen, verliert China nach kurzer Blüte erneut seine Unabhängigkeit, Gläubiger-Status hin oder her. Schon bedroht Amerikas Kanonenboot-Politik die chinesischen Küsten. Und dann wird Europa eine Komplettierung der Unterjochung durch die USA erleben, die wie ein Alptraum aussieht. Diese Länder stehen also in der Pflicht, in Syrien endlich für Nägel mit Köpfen zu sorgen, sonst ist Schluss mit lustig.
 
Mittelfristig muss also die „Gemeinsame Gegenvison“ wirksam werden, um der
wildgewordenen Schulden-getrieben Weltmacht im Untergang zu widerstehen.
„Verbrechen lohnen nicht“ ist ein zentraler Satz, um staatliche Ordnungen aufrecht zu erhalten. Das Gleiche gilt für den geschundenen blauen Planeten, ob wir nun dafür kämpfen oder nicht. Probleme lösen sich nicht dadurch, dass man sie ignoriert. Und es gibt wesentlich mehr Nato-Bürger, die sich stabilisierende Maßnahmen wünschen, als es jetzt den Augenschein haben mag. (PK)
 
Den Autor dieses Beitrags Christoph R. Hörstel erreichen Sie über Twitter: @hoerstelc, oder über http://syria-help.blogspot.de und bei facebook.
Der Beitrag erschien am 28. Juli bei Russia Today Op-Ed: http://www.rt.com/news/us-foreign-policy-horstel-277/
Ein Interview von Christoph R. Hörstel mit RT finden Sie unter http://www.youtube.com/watch?v=AMLlSYb2HGE&feature=youtu.be

Ein Interview vom 28.7. mit der freien Journalistin Karin Leukefeld, die seit Anfang Juli aus Damaskus berichtet, finden Sie unter  http://weltnetz.tv/video/363


Online-Flyer Nr. 365  vom 01.08.2012

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