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Arbeit und Soziales
ver.di-Gewerkschafter: Provinzial NordWest Holding AG muss vor Gericht
Klage gegen überhöhte Gewinnausschüttung
Von Frank Schischefsky

Am Montag haben drei Arbeitnehmervertreter des Aufsichtsrates der Provinzial NordWest Holding AG beim Landgericht Münster Klage eingereicht. Ziel der Klage ist es, die Unwirksamkeit des Beschlusses der Hauptversammlung der Provinzial NordWest Holding AG über die Gewinnverwendung für das Geschäftsjahr 2012 gerichtlich feststellen zu lassen.

Provinzial-Gebäude in Münster
Quelle: http://commons.wikimedia.org
 
Die Provinzial NordWest ist die zweitgrößte öffentliche Versicherungsgruppe Deutschlands. Sie ist aus der Fusion der Westfälischen Provinzial (Münster) mit der Provinzial Nord (Kiel) hervorgegangen. Die Gesamtbeitragseinnahme belief sich 2010 auf über 3 Mrd. Euro.[1] Die Versicherungsgruppe hat 500 Geschäftsstellen in Westfalen und über 200 Geschäftsstellen in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern mit gut 3 Millionen Kunden.
 
Der Hauptversammlungsbeschluss vom 28. Mai sieht vor, dass mehr als 70 Millionen Euro an die Eigentümer ausgeschüttet werden sollen. Das entspricht 85,2 Prozent des gesamten Jahresüberschusses und eine Verzinsung des Nenngrundkapitals von 43,9 Prozent. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) kritisiert dieses Vorgehen scharf.
 
„Schon für normale Aktiengesellschaften wäre dies eine exorbitant hohe Dividende. Wir halten diese Ausschüttung für ein zwar unter der Form einer AG firmierendes aber doch fortbestehendes öffentliches Unternehmen unangemessen und rechtswidrig“, so Frank Fassin, der ver.di im Aufsichtsrat als Arbeitnehmervertreter vertritt.
 

Ulrich Rüther, Vorsitzender
des Vorstands der Provinzial
NordWest Holding
„Wir werten diese Ausschüttung als eine politisch unerträgliche Selbstbedienung der Aktionäre. Die Provinzial hat eine gesetzliche Aufgabenstellung im Verhältnis zu Kunden, Mitarbeitern und Öffentlichkeit. Diese Dividende verstößt daher zugleich auch rechtlich gegen die öffentlich-rechtlichen Bindungen des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Westfälischen Provinzial Versicherungen aus dem Jahre 2001, denen die Provinzial in ihrem praktischen Verhalten auch nach ihrer Umwandlung zur Aktiengesellschaft unverändert unterliegt“, so Fassin weiter. 
 
Lorenz Schwegler, Seniorpartner der für die Prozessvertretung mandatierten Rechtsanwaltskanzlei führt zur rechtlichen Bewertung aus: „Unsere Prüfungen der Sach- und Rechtslage haben ergeben, dass wir für die Klage unserer Mandanten überwiegende Erfolgsaussichten sehen. Allerdings wird hier juristisches Neuland betreten, weil erstmalig seit in Kraft treten des Umwandlungsgesetzes die Frage geklärt werden muss, ob und - wenn überhaupt - unter welchen Voraussetzungen ein öffentliches Unternehmen sich durch Überstreifen einer privatrechtliche ‚Hülle‘ zugleich der Substanz seiner öffentlich-rechtlichen Pflichtenstellung, die der Gemeinwohlbindung und des öffentlichen Versorgungsauftrages entledigen kann. In anderen Konstellationen des damit angesprochenen sogenannten Verwaltungsprivatrechts sind zur Lösung dieses Problems differenzierte Wege gestaltet worden, die mit der hier in Anspruch genommenen uneingeschränkten und bindungslosen ‚Aktionärs-Herrlichkeit‘ nicht zu vereinbaren sind“.
 
Albert Roer, der neben seinem Amt als Aufsichtsratsmitglied zugleich seit Jahrzehnten Vorsitzender der personalvertretungsrechtlichen bzw. betriebsrätlichen Arbeitnehmervertretung ist, erklärt dazu: „Wir können als Aufsichtsratsmitglieder nicht tatenlos zusehen, wenn die Aktionäre ohne Rücksicht auf die Interessenlage der Kunden und die zur Absicherung gegenüber künftigen Entwicklungen erforderliche innere Stärkung der Kapitalkraft des Unternehmens sich in einem Maße bedienen, das beispiellos ist. Aus der jetzt angestrebten Entscheidung zum konkreten Sachverhalt der Gewinnverwendung erhoffen wir uns zugleich wichtige Rückschlüsse für die rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen die Provinzial NordWest Holding und ihre Unternehmen in den nächsten Jahren handeln dürfen und können“.
 
Kerstin David, Vorsitzende des Betriebsrates der Provinzial in Kiel und ebenfalls klagendes Mitglied des Aufsichtsrates, stellt fest: „Die Provinzial NordWest als öffentliche Versicherung hat nicht die Gewinnerzielung zum Hauptzweck, sondern einen öffentlichen Auftrag zur Versorgung der Bevölkerung mit guten Versicherungsprodukten unter dem Gesichtspunkt des Gemeinwohls“.
 
ver.di sieht eindeutige Regelungen, wie im nordrhein-westfälischen Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Westfälischen Provinzial Versicherungen festgeschrieben, nicht beachtet. Die Gewerkschaft erwartet, dass die Landesregierung sich zu den Inhalten und der Begründung dieses Gesetzes bekennt, das in besonders positiver Klarheit den öffentlichen Auftrag und die gewollte Verfasstheit des Unternehmens beschreibt, und diesen wieder praktische Wirksamkeit verschafft. 
 
Hintergrund der Klage
 
Das Gesetz und die Begründung wurden 2001 vom damaligen Finanzminister Peer Steinbrück verfasst. Es wurde einstimmig vom Landtag verabschiedet. Dort heißt es im § 5 Abs. 1, dass das Stammkapital aus Jahresüberschuss verzinst werden kann. In der Gesetzesbegründung wird es noch deutlicher. Dort wird klargestellt, „dass bis auf eine angemessene Verzinsung des Stammkapitals aus den Jahresüberschüssen Ausschüttungen an die Gewährträger nicht vorgenommen werden dürfen“.
 
Mit Blick auf die zukünftigen Risiken der Finanzmärkte hatte der Landtag ausdrücklich am öffentlich-rechtlichen Versicherungswesen festgehalten, um im Interesse der Öffentlichkeit ein Gegengewicht zu den freien Kräften des Marktes vorzuhalten. Albert Roer: „Leider ist dann die tatsächliche Entwicklung der Provinzial aus der Kontrolle der Politik geraten, so dass die heutige Situation überhaupt entstehen konnte. Frau Kraft, die auch 2001 dem Kabinett angehörte, kann heute als Ministerpräsidentin diesem Ordnungsrahmen wieder Geltung verschaffen“. 
 
Aktionäre der Provinzial NordWest Holding AG sind der Landschaftsverband Westfalen-Lippe sowie die Sparkassenverbände Westfalen-Lippe, Schleswig-Holstein und Ostdeutschland.
 
(1) http://de.wikipedia.org/

Frank Schischefsky ist ver.di-Pressesprecher
 


Online-Flyer Nr. 412  vom 26.06.2013

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