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Aktueller Online-Flyer vom 26. Dezember 2024  

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Glossen
Noch eine kriminelle Vereinigung: Der Verfassungsschutz
Der NSU-Prozess im Zwielicht
Von Ulrich Gellermann

Der NSU-Prozess geht in die vierte Woche. Sieht man von den anfänglichen Pressepannen ab, scheint es sich um ein ordentliches Verfahren zu handeln. Man rechnet mit einer Verfahrensdauer von mehr als zwei Jahren. Die Medien richten sich ein. Die BILD-Zeitung ist mit der Hauptangeklagten Beate Zschäpe bereits per Du: Sie heißt dort jetzt "Nazi-Braut". Man muss kein Hellseher sein, um anzunehmen, dass der Prozess mit Verurteilungen enden wird. Zwischenseitlich geht alles seinen gewohnten Gang. Fokussiert auf die paar Angeklagten in München.
 

Beate Zschäpe mit ihren inzwischen toten Kumpanen
NRhZ-Archiv
Die NSU-Untersu-chungsausschüsse in Bund und Ländern gehen in die Sommerpause. Der Bundesausschuss wird im September seinen Abschluss-bericht im Bundestag vorlegen. Hier von einem ordentlichen Verfahren zu spre- chen wäre unredlich: Immer wieder hatten es die Abgeordneten mit der geballten, beamteten Verweigerung diverser Zeugen zu tun. Immer wieder wurden Informationen nur auf Druck herausgegeben, vorenthalten oder vernichtet. Das bayerische NSU-Untersuchungsgremium hat seine Arbeit bereits beendet - erkennt-nisfrei. Obwohl oder gerade erst jüngst ein neuer, alter bayerischer Fall aufgetaucht ist: Das Rohrbomben-Attentat auf einen Nürnberg Kneipier im Juni 1999. Damals wurden es, wie auch die meisten anderen NSU- Anschlägen, dem Drogenmilieu zugeordnet. Türke tot, Klappe zu.
 
Die Ausschüsse in Thüringen und Sachsen tagen weiter. Auch weil man alle drei Tage von neuen Erkenntnissen erschreckt wird: Entdeckte doch zum Beispiel die Linkspartei-Abgeordnete Katharina König vor ein paar Tagen in den einschlägigen Akten einen Vermerk über "zwei Blatt Telefonnummern-Verzeichnis", gefunden in einer der Mörderwohnungen. Die ermittelnden Behörden haben ihr den Vermerkt nicht präsentiert, sie musste ihn suchen. Den sächsischen Ausschuss hält der Innenminister des Landes tatsächlich für "Ausschuss", für Makulatur, denn er legte bereits einen Abschlussbericht zum Thema vor, obwohl die Abgeordneten weiter tagen. Im Land Berlin gibt es erst gar keinen Untersuchungsschuss. Zwar ist genau dort ein V-Mann alimentiert worden, der den NSU-Terroristen jede Menge Sprengstoff lieferte und dem Kern der Bande Wohnungen beschaffte. Aber warum sollen die Berliner Behörden und Politiker das untersuchen? Die Leute in Nordrhein-Westfalen untersuchen ja auch nichts.
 
Sehr prompt und ausgesucht höflich antwortet der NRW-Verfassungsschutz auf eine Anfrage der RATIONALGALERIE zu einem Rohrbombenattentat in Düsseldorf. Dort wurde im Juli 2000 bei einem Anschlag auf jüdische und muslimische Menschen aus den GUS-Staaten ein Blutbad angerichtet. Einem Mann wird der Bauch durch Splitter aufgeschlitzt. Ein Fötus wird im Mutterleib tödlich getroffen. Zehn zum Teil schwer verletzte Opfer sind immer noch traumatisiert. Aber der Verfassungsschutz hat diese öffentliche Hinrichtung von Ausländern bis heute nicht in seine Berichte und Publikationen übernommen. Weder dieses Attentat noch das in der Kölner Keupstraße, das spät und widerwillig als NSU-Anschlag wahrgenommen wurde, sind Politik und Behörden in NRW einen Untersuchungsausschuss wert.
 
Die endlosen Schreddereien sind bekannt, verschwundene Akten gehören zum Alltag. Das Wort "Panne" hat eine völlig neue Bedeutung gewonnen. Im Wochen-Rhythmus tauchen weitere düstere Widerlichkeiten auf. Die jüngste: In Akten, die von der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG ausgewertet wurden - nicht von einem Ausschuss, nicht vom Verfassungsschutz oder der Polizei - wird ein Mann entdeckt, der als V-Mann beim baden-württembergischen Verfassungsschutz angestellt gewesen ist. Der als Kontaktperson für den NSU fungierte und ein Klu-Klux-Klan-Chef war. Auch der gezielte Mord des NSU an der Polizistin Michèle Kiesewetter im baden-württembergischen Heilbronn und die Tatsache, dass zwei ihrer unmittelbaren Kollegen im Rassisten-Klan aktiv waren, hat weder die alte CDU-FDP-Regierung noch die neue rot-grüne zu einer Untersuchung bewegen können.
 
Die Sommer-Saison der Placebos hat begonnen. Demnächst darf nur noch nach Vorwarnung geschreddert werden. Schlägt das Bundesamt für Verfassungsschutz vor. Erst nach intensiver Prüfung durch die hauseigene Registratur. Manche aus den Familien der NSU-Mordopfer durften mit dem Bundespräsidenten reden und sogar mit der Bundeskanzlerin. Die beiden haben ihre Rolle als Tröster medienwirksam ausgekostet. Der Nutzen dieser Treffen für die Wahrheitsfindung, für die Aufklärung liegt bei Null. So schreibt eine der Opfer-Töchter, Gamze Kubasik: "Liebe Frau Bundeskanzlerin, wir vermissen Ihren Rückhalt in unserer Angelegenheit, wir vermissen Ihre eindeutige Positionierung zum bestehenden Rassismus-Problem und den Strukturen, die es fördern."
 
Zu den Strukturen des Rassismus im Verfassungsschutz hat das Amt bereits 2009 eine eigene, keine externe Kommission einberufen. Untersucht werden sollte die Nazi-Vergangenheit der Behörde. Die Kommission hat ihre Arbeit dann erst im November 2011 aufgenommen. Ein Bericht liegt bis heute nicht vor. Der Verfassungsschutz wurde nach dem Krieg, unter dem Schutz der USA-Armee, von und mit Nazis gegründet. Ehemalige Gestapo-Verbrecher, SA- und SS-Leute fanden hier ein Refugium bis zu ihrer Pension. Sie haben jene ausgebildet und beeinflusst, die bis heute den Kern des Amtes bilden. Das Amt ist eine Gefahr für die Demokratie. In ihm herrscht ein Spinnennetz von Sympathisanten rechter Ideologie, Agentenführern und V-Mann-Betreuern, deren Handeln kontinuierlich in die sogenannten Pannen führt. Nicht der Münchner NSU-Prozess wird die dringend notwendige Aufklärung herbeiführen. Im Angesicht der Gefahren für die demokratische Substanz der Bundesrepublik ist er, unabsichtlich versteht sich, eine zwielichtige Alibi-Veranstaltung. Die Bundesrepublik braucht einen Prozess gegen die kriminelle Vereinigung, genannt Verfassungsschutz. Herr Generalbundesanwalt: Übernehmen Sie! (PK)

Diese Glosse haben wir mit Dank von www.rationalgalerie.de übernommen.


Online-Flyer Nr. 414  vom 10.07.2013

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