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Medien
Gedanken zum Kampfmittel Sprache
Der Sicherheitszaunfall
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

"Herzlich Willkommen auf derberlinersicherheitszaun.de – Ihre Webseite rund um das Thema: Berliner Sicherheitszaun. Hier finden Sie Dokumentationen und Videos rund um die Geschichte des Berliner Sicherheitszauns, Bilder zum Berliner Sicherheitszaun oder dem Sicherheitszaunfall... Die Stiftung Berliner Sicherheitszaun ist durch Gesetzesbeschluss vom 17. September 2008 als rechtsfähige Stiftung des öffentlichen Rechts errichtet worden. Die Gründung der Stiftung Berliner Sicherheitszaun ist ein wichtiger Schritt zur Realisierung des Gedenkstättenkonzepts des Berliner Senats und des Bundes."


Der Berliner „Sicherheitszaun“, 1990 – in den Tagen seines Falls
Foto: Senne Glanschneider (arbeiterfotografie.com)

Nein, so bekommen wir es nicht zu hören. Die Sprachregelung ist eine andere. Die Berliner Mauer ist und war kein Zaun. Und der Mauerfall ist und war kein Sicherheitszaunfall. Eine Mauer Zaun zu nennen, ist nur in bestimmten Zusammenhängen üblich. Zum Beispiel die Mauer, mit der der Apartheid-Staat Israel Teile Palästinas in ein Gefängnis verwandelt, wird gerne Zaun genannt – Sicherheitszaun. Mauern sind nur Mauern, wenn die herrschende Sprachregelung es zulässt. Ansonsten sind sie Zaun zu nennen.


Der acht Meter hohe israelische „Sicherheitszaun“ in Jerusalem, 2005 – während seines Entstehens
Foto: arbeiterfotografie.com

Auf Entdeckungstour

Was lässt sich nicht alles entdecken! Drei Maskierte entdecken einen Kiosk und nehmen mit der Waffe in der Hand die Tageseinnahmen mit. Jugendliche, die "Stoff" brauchen, entdecken eine alte Frau und entreißen ihr ihre Handtasche. Junge Männer, die auf Beschaffungstour sind, entdecken ihre Beute und bringen deren Besitzer um, als der sich wehren will.

Nein, das ist nicht der gängige Sprachgebrauch. Zumindest nicht in den beschriebenen Fällen. Von Entdeckung wird erst gesprochen, wenn die damit verbundenen Verbrechen eine gewisse Größenordnung überschreiten. Da müssen es schon Tote in einer Größenordnung von 75 Millionen Menschen sein. Erst dann darf der Begriff Entdeckung verwendet werden. Erst bei einem 75-millionenfachen Raubmord ist es üblich, von der Entdeckung der Beute zu sprechen – von der Entdeckung Amerikas. Selbst sechs Millionen reichen nicht aus, um von einer Juden-Entdeckung zu sprechen. Auch ist es nicht üblich, den Holocaust an den Juden zu feiern. Üblich ist es dagegen, die „Entdeckung Amerikas“ zu feiern, zum Beispiel in den USA am Tag des Kolumbus.

Jüdische Gotteskrieger

Es gibt ein Land: das ist das Land jüdischer Gotteskrieger. Zum Beispiel um die Jahreswende 2008/2009 haben jüdische Gotteskrieger weit mehr als 1000 Menschen massakriert. Und 1948 haben jüdische Gotteskrieger dort bei 34 Massakern 13.000 Menschen umgebracht, haben die Hälfte der Ortschaften zerstört (530) und 85 Prozent der Bevölkerung vertrieben (750.000) – aus einem „Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“, wie es hieß und heißt.

Nein, auch das entspricht nicht der herrschenden Sprachregelung. Niemand kommt auf den Gedanken, israelische Täter „jüdische Gotteskrieger“ zu nennen. Die Sprachregelung gilt nur für Feinde. Für die angeblichen Täter vom 11. September zum Beispiel. Oder in Afghanistan. Das ist ein Land voller islamischer, oder besser islamistischer Gotteskrieger. Oder Syrien. Auch hier ist hin und wieder von islamistischen Gotteskriegern die Rede. Kriminellen ein Religionsattribut anzuheften, ist nur dann zulässig, wenn es im Sinne imperialistischer Mächte opportun ist. Auch hat noch niemand das Wort jüdisch weiterentwickelt und daraus so etwas wie jüdistisch fabriziert. Auch dem Wort christlich ist eine solche Erweiterung bislang erspart geblieben. Das gibt es nur in Sachen Islam.

Kampf gegen Großsynagogen

In Köln gibt es seit vielen Jahren die Auseinandersetzung um eine Großsynagoge. Es gibt kein Grundrecht auf den Bau einer Großsynagoge, sagt Ralph Giordano und wird selbstverständlich in die Kölner Universität zu einer 'kritischen Judentumskonferenz' als Eröffnungsredner eingeladen. Und auch 'Pro Köln' läuft mit einem Transparent durch die Stadt, auf dem steht: Es gibt kein Grundrecht auf den Bau einer Großsynagoge.

Nein, das trifft nicht zu. So zu formulieren, ist undenkbar. Niemand richtet sich gegen den Bau von Synagogen – auch Ralph Giordano und Pro Köln nicht. Sie wenden sich gegen den Bau von so genannten Großmoscheen. Die Freiheit der Religion ist grundgesetzlich verbrieft. „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet“, steht in Grundgesetz Artikel 4. Nirgends steht, dass von diesem Grundrecht der Islam ausgeklammert ist.

Die Sprache ist ein Kampfmittel. Mit ihr werden die Gedanken der Massen, aber auch der Intellektuellen gesteuert, ohne dass sie es bemerken (sollen). Das Kampfmittel Sprache macht auch vor den so genannten 'linken' Intellektuellen nicht halt. Selbst in der Tageszeitung 'junge Welt' tobt der Kampf um die Sprache. Dazu ein Leserbrief an die 'junge Welt', der einen Artikel voller Sprach-Trojaner unter die Lupe nimmt.

Menschenrechtskrieger – Leserbrief

Liebe Kollegen, wir haben eine Reihe von Fragen zum Artikel „Massaker in Latakia“ von Gerrit Hoekman auf der Titelseite der Wochenend-Ausgabe vom 12.10.2013:

Entspricht die in dem Artikel verwendete Sprache den Ansprüchen der jungen Welt? Sind Formulierungen wie „syrisches Regime“ oder „Assad-Regime“ nicht Begriffe der in Richtung Feindbild-Produktion operierenden und damit in Richtung Krieg treibenden Kräfte? Wie kommt es zur Verwendung des Begriffs „Gotteskrieger“? Ist das nicht ein Begriff, der das Feindbild Islam bedient? Selbst „Human Rights Watch“ verwendet die neutralere Bezeichnung „bewaffnete Oppositionsgruppen“. Ist es richtig, mit dem Begriff „islamistisch“ zu operieren? Ist es nicht vielmehr problematisch, religiöse Attribute in Zusammenhang mit Verbrechen zu verwenden, da auch damit das Feindbild Islam bedient wird? Wäre es z.B. vertretbar, bei israelischen Soldaten, die Verbrechen an der palästinensischen Bevölkerung zu verantworten haben, von jüdischen Gotteskriegern zu sprechen?

Ist es nicht wichtig, Distanz zu einer kriegstreiberischen Organisation wie „Human Rights Watch“ zu wahren, die sich rühmt, entscheidende Lobbyarbeit zu betreiben, mittels derer das Vorgehen z.B. gegen Libyen oder Syrien gerechtfertigt werden konnte bzw. werden kann? Ist es nicht eine Gefahr, einer Organisation wie „Human Rights Watch“ mit der ungebrochenen Verwendung des Attributs „Menschenrechtsorganisation“ den Anstrich von Neutralität und Seriosität zu geben? Sollte nicht in Betracht gezogen werden, dass eine solche Organisation von Zeit zu Zeit auch die eigene Seite belasten muss, um damit ihre Hauptstoßrichtung, nämlich die gegen die Opfer imperialistischer Politik gerichtete, glaubwürdig erscheinen zu lassen? Ist es nicht auch eine Gefahr, Herrschaftsmedien wie „Spiegel online“ ohne jede Distanz als Quelle zu verwenden? Wird nicht auch diesen Herrschaftsmedien damit der Anstrich von Seriosität gegeben, der ihnen gemäß der Devise „Sie lügen wie gedruckt. Wir drucken, wie sie lügen“ genommen werden müsste?

Artikel, auf den der Leserbrief Bezug nimmt:

junge Welt vom 12.10.2013, Titelseite
Massaker in Latakia – Syrien: Human-Rights-Watch-Bericht über die kaltblütige Ermordung Hunderter Zivilisten durch Gotteskrieger. Jubel bei der vom Westen unterstützten FSA
Von Gerrit Hoekman
http://www.jungewelt.de/2013/10-12/034.php


Veröffentlichung aus der Quartalsschrift DAS KROKODIL, Ausgabe 7 (Dezember 2013) – Grundsatzschrift über die Freiheit des Denkens – bissig – streitbar – schön und wahr und (manchmal) satirisch.



Mehr dazu und wie es sich bestellen lässt, hier: http://www.das-krokodil.com/


Online-Flyer Nr. 439  vom 01.01.2014

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