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Globales
Wie viel kostet ein Staatsstreich, und wer bezahlt die Folgen?
5 Mrd. $ für eine "demokratische Ukraine"
Von Hans Springstein

In meinem Text „Staatsstreich als Strafe für Nein-Sager“ vom 26. Februar habe ich geschrieben: „Wie weit die Unterstützung der US-Regierung für die gewalttätigen Barrikadenkämpfer in Kiew ist derzeit schwer zu belegen.“ Inzwischen bin ich auf einige Belege dafür aufmerksam gemacht worden, die es wert sind, weiter verbreitet zu werden.

Victoria Nuland aus dem US-Außenministerium beim Verteilen von Gebäck an Euro-Maidan-Protestierende in Kiew
Quelle: http://www.voltairenet.org/article181535.html)
 
Einen Beleg lieferte die für Europa und Eurasien zuständige Abteilungsleiterin des US-Außenministeriums Victoria Nuland am 13. Dezember 2013 in Washington vor der „U.S.-Ukraine Foundation“. Sie berichtete nach ihren mehrfachen Auftritten in Kiew stolz, dass die US-Regierung seit 1991 rund fünf Milliarden Dollar für eine „wohlhabende und demokratische Ukraine“ investiert habe. Es sei darum gegangen, alles zu tun, dass die Ukraine die Voraussetzungen erfülle, um der EU angegliedert werden zu können, d.h. das Land aus seiner historischen Beziehung zu Russland herauszureißen und via „Europa“ in die US-Interessensphäre zu führen, wie es die US-Publizistin Diana Johnstone zusammenfasste.
 
Schon 2004 hatte u.a. Ian Traynor in der britischen Zeitung The Guardian die „US-Kampagne hinter den Unruhen in Kiew“ beschrieben. Die damalige „orangene Revolution“ in der Ukraine sei nach dem zuvor in Serbien erprobten Modell von der US-Regierung finanziert und organisiert worden und umgesetzt von US-amerikanischen Beratern, Meinungsforschern, Diplomaten, den beiden großen US-Parteien und sogenannten Nichtregierungsorganisationen aus den USA.
 

Naziparole „88“ =
„Heil Hitler“
NRhZ-Archiv
Neun Jahre später scheinen es nicht mehr vermeintlich gewaltlosen Widerstand leistende Jugendliche zu sein, die von der US-Regierung unterstützt werden. In Washington wurde anscheinend nun auf schlagkräftigere Handlanger gesetzt. Um wen es sich dabei handelt, machte u.a. Michel Chossudovsky am 24. Februar deutlich. Im Online-Magazin GlobalResearch gab er Fotos von den Rechtsextremen der Partei „Swoboda“ wieder, die anscheinend eine führende Rolle bei den gewalttätigen Protesten in Kiew gehabt haben. Neben Fotos der rechtsextremen Schläger mit Schildern, auf denen Runen und die Naziparole „88“ (= „Heil Hitler“) zu sehen sind, und Armbinden ihres an faschistische Symbolik angelehnten Parteizeichens, ebenso Bilder auf denen US-Kriegstreiber John McCain ebenso wie US-Diplomatin Nuland gemeinsam mit dem „Swoboda“-Vorsitzenden Oleh Tjahnibok in Kiew zu sehen sind. Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hatte kein Problem, sich mit dem Rechtsextremen zu treffen und fotografieren zu lassen. Und schon im Dezember 2013 hatte der EU-Botschafter in der Ukraine, Jan Tombinski, die rechtsextreme "Swoboda" als gleichwertigen Partner für Gespräche mit der EU bezeichnet.
 
Welchen Partner sich die west- lichen Kriegstreiber und Regime-wechsler da ausgesucht haben, das machten die Ereignisse vor und nach dem Sturz des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch deutlich. So rief der Rabbiner Moshe Reuven Azman am 22. Februar jüdisch Gläubige dazu auf, Kiew zu verlassen, wie u.a. die israelische Zeitung Haaretz berichtete. Nach Drohungen und angekündigten Angriffen auf jüdische Einrichtungen könne die Sicherheit der Gläubigen nicht mehr gewährleistet werden. "Das muss man sich vorstellen: Die jüdische Bevölkerung in der Ukraine muss um ihre Sicherheit und Unversehrtheit fürchten, und ausgerechnet in Deutschland wird der Grund dafür bejubelt!", sagte die argentinische Publizistin Stella Calloni in einem am 24. Februar veröffentlichten Interview der Tageszeitung junge Welt mit ihr. Calloni warnte auch vor der Kriegsgefahr, die von der aggressiven NATO-Politik ausgehe und den Weg in den 3. Weltkrieg bereite: "Die Kette Irak, Libyen, Syrien und jetzt Ukraine führt geradewegs dahin. Die USA und Europa stecken in einer tiefen Krise, das macht sie so gefährlich. Im Gegensatz zu uns in Lateinamerika ist die europäische Bevölkerung aber nicht auf das vorbereitet, was kommt."
 
Es geht auch wieder gegen Kommunisten, wie Susann Witt-Stahl in einem Beitrag für die Online-Ausgabe der Zeitschrift Hintergrund am 27. Februar aus Kiew schrieb: „Rote Fahnen werden dem Feuer übergeben. Ein junger Mann wirft Lenin-Bilder und -Büsten aus dem Fenster des Büros der Kommunistischen Partei in der westukrainischen Stadt Tschernihiw. … Die Runen, Haken- und Keltenkreuze im öffentlichen Raum sprechen für sich.“ Ein Gesprächspartner habe ihr erzählt, Schläger des „Rechten Sektors“ hätten „Listen mit Namen von ,Feinden‘ aufgestellt …, die eliminiert werden sollen“.
 
Schon 1957 machte US-Präsident Dwight D. Eisenhower klar, dass im Kampf gegen die Kommunisten noch jeder Bündnispartner recht ist, auch die islamistischen Dschihadisten. Der Einsatz der Nazis in US-amerikanischen Diensten nach dem 2. Weltkrieg zeugte ebenfalls davon. Auch sie waren gegen die Kommunisten nützlich. Seit dem Ende des Staatssozialismus geht es gegen Russland. Die Bezeichnungen sind austauschbar, die Prinzipien bleiben die gleichen. Interessantes dazu hatte Albrecht Müller am 19. Februar in seinem Beitrag „Vom Abbau der Konfrontation in Europa zum Wiederaufbau der Konfrontation“ auf den Nachdenkseiten geschrieben.
 
Für Marina Weisband ist das anscheinend alles nur Propaganda der russischen Staatsmedien, „um den Protest zu einem Nazi-Staatsstreich zu stilisieren und ihm damit seine Legitimation zu nehmen“, wie sie erneut in einem Beitrag in der Wochenzeitung Freitag vom 27. Februar schrieb. Für sie handelt es sich bei dem Staatsstreich um eine „urdemokratische Bewegung“, bei der Nationalismus kein Thema sei. Dennoch bezeichnet sie die rechten Gruppen als „echtes Bedrohungspotential“, weil sie „während der Eskalation zu Helden und Beschützern stilisiert werden konnten“. Weisband hält es für eine große Gefahr, dass die Ideen der Rechtsextremen „jetzt in das Vakuum eindringen, das in der Ukraine entstanden ist“. Aus meiner Sicht ist es nicht verwunderlich, dass die frühere führende „Piratin“ die Ereignisse so einschätzt, hält sie doch „Liquid democrazy“ für die Zukunft der Demokratie. Ich habe da einen Lesetipp für die flüssige „Piratin: In der jungen Welt vom 22. Februar berichtete Reinhard Lauterbach, was er in Kiew gesehen hatte. Da war u.a. Folgendes zu erfahren: "Faschistische Aktivisten stellen sicherlich den harten Kern der Straßenschläger. Im bis zu Wochenbeginn besetzten Rathaus beherrschen sie bei meinem Besuch die Szene mit Bildern des Nazikollaborateurs Stepan Bandera und einem Banner des von seiner Partei aufgestellten Bataillons »Nachtigall«, das für den ersten großen Judenpogrom in Lwiw nach dem deutschen Einmarsch im Sommer 1941 verantwortlich war. An den Säulen im Treppenaufgang hängt eine antisemitische Karikatur im »Stürmer«-Stil gegen den Bürgermeister von Charkiw, wo der Maidan kein Bein auf den Boden bekommt. Aber es gibt eine offenbar beachtliche Sympathisantenszene im Kiewer Bürgertum."
 
Die Ukrainer werden die Rechnung bekommen. Aber nicht nur jene, die den gewalttätigen Putschisten im Wege stehen oder als nichtukrainisch gelten, werden bedroht. Den Ukrainern, egal auf welcher Seite sie stehen, droht das Gegenteil dessen, was sie sich von der EU erhoffen und ihnen von westlichen Politikern versprochen wird. Es geht nicht um ihre Wünsche nach Demokratie, Freiheit und Wohlstand, sondern um die Interessen der herrschenden wirtschaftlichen Kräfte des Westens. Darauf hatte ich auch schon hingewiesen.
 
Was der Ukraine und den Ukrainern jetzt droht, hat Ewald Böhlke, Direktor des Berthold-Beitz-Zentrums in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, am 26. Februar gegenüber Deutschlandradio Kultur so erklärt: "Erste Situation, der IWF hat ja schon im letzten Jahr angeboten, der Ukraine über 15 Milliarden Kredit zu geben. Das wurde vonseiten der Ukraine abgelehnt mit der Begründung, da sind zu viele Sozialkosten dahinter, da sind zu viele Forderungen dahinter, die in der Bevölkerung nicht durchsetzbar sind. Nun kommt das gleiche Thema wieder hoch. Also, das Modell Griechenland in der Ukraine werden wir in jedem Fall finden. Also, das gehört dazu, Aufhebung der Subventionen, Festschreibung der Löhne und Gehälter et cetera, et cetera."
 
Im Radiosender Stimme Russlands wurde am gleichen Tag das "serbische Rezept für die Ukraine" beschrieben: "Nach der Revolution 2000 versprachen die Politiker in Belgrad, dass Serbien bereits im Jahr 2004 EU-Mitglied werde. Nun schreiben wir das Jahr 2014, und Serbien steht nach wie vor am Anfang seines Weges. Die damalige Bundesrepublik Jugoslawien ist mittlerweile mit Hilfe ihrer „Freunde“ aus den USA und der EU in zwei Teile zerfallen und Serbien hat 15 Prozent seines Territoriums verloren.
 
Angesichts der kritischen Finanzsituation baten das Finanzministerium und die Zentralbank der Ukraine kürzlich andere Länder, darunter Polen und die USA, um einen 35 Milliarden US-Dollar schweren Kredit. Für diese Zwecke plädierte die Ukraine für eine Geberkonferenz. Am 29. Juni 2001 hatte eine solche Konferenz auch mit Blick auf Jugoslawien stattgefunden. Die Regierung in Belgrad bekam damals rund 1,2 Milliarden Dollar. Der damalige Regierungschef Zoran Djindjic kommentierte: „Der erste Zuschuss sollte rund 300 Millionen Euro betragen. Uns wurde jedoch gesagt, 225 Millionen davon brauche man, um alte Schulden aus der Tito-Ära sowie angehäufte Verzugszinsen aus der Milosevic-Zeit zu tilgen. Es blieben also nur 75 Millionen übrig.“ Seit 13 Jahren auf dem „europäischen Weg“ bekam Serbien zwar 15 Milliarden US-Dollar Investitionen, doch mehr als 60 Milliarden Dollar verließen dagegen das Land. Serbien verlor auf diesem Weg rund 500.000 Arbeitsplätze, seine Staatsschuld verdreifachte sich. Das Land tat alles, was die EU und die USA forderten."
 
Auf ein anderes Beispiel machte kürzlich der Wirtschaftswissenschaftler, von 1998 bis 1999 beamteter Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, Heiner Flassbeck, in einer Studie aufmerksam: „Kroatien – oder wie die osteuropäischen Länder in eine tückische Falle geraten sind und niemand ihnen heraushilft“. Darin wird der Niedergang eines Landes beschrieben, dass unbedingt unabhängig werden wollte und dafür auch einen Krieg samt aller Folgen in Kauf nahm, unterstützt vom Westen. Das Ergebnis fasste Albrecht Müller auf den Nachdenkseiten am 26. Februar so zusammen: „Bei vielen betroffenen Menschen geht es schon um die nackte Existenz. Das Land hat vier Jahre Krise hinter sich und steht, wenn nichts geändert wird, wie andere südliche Länder Europas vor einer Deflation, vor weiter stagnierenden Löhnen, vor Arbeitslosigkeit und Depression. Junge gut ausgebildete Leute verlassen das Land.“
 
Sollte es der Ukraine und den Ukrainern anders ergehen, wäre das als Wunder zu bezeichnen. Hinweise, dass dieses möglich ist, nehme ich gern entgegen. Sicher bin ich mir, dass die sozialen Probleme der Menschen in der Ukraine, die den Nährboden für die Proteste bildeten und bilden, auch von den neuen Machthabern nicht gelöst werden. Ihr Kurs auf die EU deutet eher daraufhin, dass sie verschärft werden. Aber wen kümmert das schon in Berlin, Brüssel und Washington?
 
Nachtrag angesichts der aktuellen Nachrichten, dass Russland einen möglichen Militäreinsatz auf der Krim vorbereitet: Als ich im Herbst 2013 folgende Schlagzeilen las: "Putin durchkreuzt Obamas Syrien-Mission" und "Putin spielt Katz und Maus mit Obama" war mir klar, dass die westlichen Kriegstreiber das nicht tatenlos hinnehmen werden, egal, ob Obama Putin heimlich dankbar war, dass er den offenen Krieg gegen Syrien durchkreuzte. Ich war mir sicher, dass der Westen bzw. die daran interessierten Kreise im Westen die nächsten Chancen ergreifen würden, um zu versuchen, Russland in die Schranken zu weisen und Putin mit Problemen vor der eigenen Haustür zu beschäftigen. Allein die Aussicht, dass Russland auch nur ansatzweise befürchten könnte, den Zugang zum Schwarzen Meer über die Krim zu verlieren, weil in Kiew einer russlandfeindliche Regierung den Zugang sperrt, und die zu erwartende russische Reaktion, sich das nicht gefallen lassen zu wollen, und so wieder mal zu zeigen, vor allen jenen in den eigenen Ländern, die das schon immer glaubten, wie vermeintlich gefährlich der russische Bär und Putin sind, ja, da muss doch bei den Kriegstreibern und Regimewechslern in den westlichen Regierungen gewissermaßen Hochstimmung geherrscht haben, wie es so schön heißt ... Nun gehen die Schlagzeilen wieder andersrum: "Obama droht Putin"
 
Hier noch der Hinweis auf einen interessanten Text eines anderen Bloggers zum Thema:
"Legitimer russischer Schutzeinsatz vor Banditen und illegitimen Putschisten … Die Situation in der Ukraine eskaliert. Nach der illegalen Machtergreifung durch die Maidan-Opposition wird die zentrale und die westliche Ukraine von neofaschistischen bewaffneten Banden kontrolliert, die Polizisten halten sich bedeckt. Bereits auf dem Maidan waren der ultranationalistische Flügel, der Nazi-Kollaborateur Stepan Bandera verehrt und die Speerspitze des gewaltsamen Umsturzes. Die Paramilitärs verprügeln Andersdenkende, platzen in die Regionalverwaltungen rein und diktieren ihren Willen. ...
Im Internet kursiert ein Stenogramm des Treffens von Swoboda-Führer Tjahnibok
und des Anführers des Rechten Sektors, Jarosch, wo vor allem der letztere von seinen Plänen erzählt, den Sicherheitsdienst SBU zu übernehmen, mit der "fünften Kolonne" im Land aufzuräumen, die russische Schwarzmeerflotte durch Morde und Terrorakte zu vertreiben und danach in Abstimmung mit den kaukasischen Kampfgenossen zu den Anschlägen auf dem Gebiet Russlands überzugehen, das angeblich ukrainische Landstriche besitzt. ..." (PK)
 
Diesen Beitrag haben wir mit Dank aus dem Blog des Journalisten Hans Springstein übernommen - http://springstein.blogspot.de/.
 


Online-Flyer Nr. 448  vom 05.03.2014

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