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Wirtschaft und Umwelt
Vollständige Akteneinsicht im Streit um gefährliches Kältemittel R1234yf gefordert
Deutsche Umwelthilfe verklagt EU-Kommission
Von Peter Kleinert

Die Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH) hat am 3. Juli beim Europäischen Gericht (EuG) in Luxemburg Klage auf vollständige Einsicht in die Akten der Europäischen Kommission zum umstrittenen chemischen Kältemittel R1234yf eingereicht. Die Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation hatte die Herausgabe der dokumentierten Kommunikation zwischen der Europäischen Kommission und der Automobil- sowie der Chemieindustrie bereits im Januar 2014 beantragt.
 

DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch
NRhZ-Archiv
Obwohl die EU-Umweltinfor-mationsrichtlinie die Brüsseler Behörden zur Auskunft verpflichtet, erhielt die DUH nur Teile der angeforderten Unterlagen. Das Generalsekre-tariat der Europäischen Kommission begründete dies mit dem „Schutz geschäftlicher Interessen“ und dem „Schutz der laufenden Untersuchungen“.
 
Wie die NRhZ am 18.12.2013 berichtete, fordern die DUH und der Berufsverband Feuerwehr einen deutlich sichtbaren Warnhinweis auf allen Pkw, die mit dem neuen und gefährlichen Kältemittel R1234yf befüllt sind. Ihr Grund: Die Anzahl der mit R1234yf befüllten Fahrzeuge steigt kontinuierlich an, seit im Januar 2013 die EU-Richtlinie zu umweltfreundlicheren Kältemitteln in Autoklimaanlagen in Kraft getreten ist. Nach Angaben des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) waren bis Ende November bereits rund 90.000 Pkw in Deutschland zugelassen, die das brennbare Kältemittel nutzen.
 
„Das ist das größte Experiment in der Geschichte der Chemieindustrie. Und die Autofahrer sind die Versuchskaninchen. Die wenigsten aber wissen, dass in ihrem Fahrzeug eine Chemikalie zum Einsatz kommt, die sich in zahlreichen Tests als brandgefährlich erwiesen hat“, sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. R1234yf entzünde sich bei weitaus niedrigeren Temperaturen als das bislang eingesetzte R134a und setze bei einem Unfall mit Brandfolge Fluorwasserstoff (HF) frei. Das gefährde nicht nur die Insassen, sondern auch die Rettungskräfte. Schon unterhalb der Entzündungstemperatur könnten sich durch R1234yf beträchtliche HF-Mengen bilden, die mit der Umgebungsfeuchtigkeit zu stark ätzender Flusssäure reagieren. Ein kürzlich veröffentlichter Untersuchungsbericht des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) bestätigt diese Risiken des neuen Kältemittels bei schwereren Kollisionen.
 
„R1234yf kann bei Unfällen für Ersthelfer und Polizisten aber auch für uns Rettungskräfte lebensgefährlich werden. Gemeinsam mit der DUH fordern wir deshalb für die bereits im Verkehr befindlichen Fahrzeuge mit R1234yf eine deutliche Gefahrenkennzeichnung auf der Windschutzscheibe“, erklärt der stellvertretende Bundesvorsitzende des Berufsverbandes Feuerwehr, Daniel Dahlke. Beide Verbände fordern darüber hinaus den schnellstmöglichen Umstieg auf das natürliche, nicht brennbare Kältemittel CO2.
 
„Die Kommission stellt die wirtschaftlichen Belange der Automobil- und Chemieindustrie über den Umweltschutz und die Sicherheit der Menschen. Zugleich erhärtet sich durch diese fehlende Transparenz der Verdacht, dass die entsprechende Generaldirektion und der zuständige Industriekommissar Antonio Tajani bei der Bewertung des Kältemittels R1234yf alles andere als unbefangen sind“, kritisiert DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. In Dokumenten fand die DUH außerdem rund ein Dutzend Hinweise auf Treffen zwischen Kommissions- und Industrievertretern. Dass hierzu keine Gesprächsprotokolle oder sonstige Aufzeichnungen existieren, wie die Brüsseler Behörden behaupten, hält die Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation für ausgeschlossen.
 
Die Kommission räumt selbst ein, dass eine Freigabe der unter Verschluss gehaltenen Dokumente die „Anpassungsfähigkeit und Stabilität der Unternehmen sowie ihre mittelfristigen Pläne“ beeinträchtigen würde. Die verwehrten Dokumente beziehen sich unter anderem auf die R1234yf-Produzenten Honeywell und DuPont sowie den Autohersteller Ford. Zudem betreffen sie jenen Zeitraum, in dem die Kommission aufgrund von angeblichen Lieferschwierigkeiten von R1234yf den gesetzlich verankerten Starttermin zur Umstellung auf umweltfreundliche Kältemittel um zwei Jahre nach hinten verschoben hat.
 
Für Resch lässt dies nur eine Schlussfolgerung zu: „Die Umsetzung der geltenden Richtlinie wurde willkürlich an die Verfügbarkeit von R1234yf angepasst. Mit dieser Maßnahme hat sich die Kommission zum Handlanger der Chemieindustrie und der Autohersteller gemacht. Den Pfad der Technologieneutralität hat sie damit endgültig verlassen.“
 
Neben der großzügigen Ausnahmegenehmigung bei der Umstellung auf nachhaltige Kältemittel steht auch das Vorgehen der Kommission bei der Sicherheitsbewertung von R1234yf in der Kritik: Trotz alarmierender Ergebnisse der von der DUH durchgeführten Brandversuche und weiterer Tests mit der hoch umstrittenen Chemikalie beschränkte sich die Gemeinsame Forschungsstelle der Kommission lediglich darauf, die Untersuchungen des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) zu begutachten. Eigene Tests, wie vom KBA empfohlen, wurden hingegen nicht durchgeführt – eine umfassende Sicherheitsanalyse durch die Kommission fehlt nach wie vor.
 
„Die Klage auf vollumfängliche Akteneinsicht soll nicht nur helfen, die Vorgehensweise der Kommission zu klären. Die Rechtssache tangiert die grundsätzliche Frage, ob Informationsansprüche von Umweltverbänden, die dem öffentlichen Wohl dienen, gegenüber geschäftlichen Interessen Vorrang haben“, erläutert Rechtsanwalt Remo Klinger.
 
Die DUH setzt sich für das natürliche Kältemittel CO2 als Alternative ein, das sich hervorragend für mobile und stationäre Anwendungen eigne und im Gegensatz zu R1234yf nicht brennbar ist. Für Busse steht eine entsprechende Regelung noch aus. Die DUH macht sich aber auch hier mit Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) für einen schnellen Umstieg auf nachhaltige Klimatechnik stark. (PK)


Online-Flyer Nr. 466  vom 09.07.2014

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