NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

zurück  
Druckversion

Globales
Im Krieg ist Mord obligatorisch, im Zivilen wird er strengstens geahndet
Gefängnisstrafen machen krank
Von Heinrich Frei

26. Juni 2014, Urteil des Bezirksgerichtes Zürich: Der 23-jährige Shivan M. muss für 16 Jahre ins Gefängnis. Er hatte in Zürich vor dem Nachtklub "KAUFLEUTEN" am 15. Juli 2012 einen jungen Mann erstochen und dessen Bruder lebensgefährlich verletzt. (1) 1. Juli 2014: Das Strafmass ist dem Ankläger, dem Staatsanwalt Michael Scherrer zu mild. Deshalb wird nun das Obergericht die Höhe des Strafmasses von Shivan M. noch einmal überprüfen. (2) Die Frage stellt sich, ob es sinnvoll ist, Menschen wie den 23-jährigen Shivan M einzusperren. Vielleicht wird man in Zukunft auf Grund von Erfahrungen und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen mit solchen Tätern anders umgehen, sie nicht mehr wie heute mit eher mittelalterlichen Praktiken bestrafen. - Eine Zukunft ohne Gefängnisse und Zuchthäuser also?

Bild unter der Autobahnbrücke des Nordrings in Zürich-Affoltern
Foto Heinrich Frei
 
„Heute verfolgt der Strafvollzug zwei Ziele: Auf der einen Seite soll die Gesellschaft vor Wiederholungstätern geschützt werden, auf der anderen Seite sollen Häftlinge zu Menschen erzogen werden, welche die Rechtsnormen achten und nach Verbüßung ihrer Strafe wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden.“ Aus den didaktischen Unterlagen einer Ausstellung des Jahres 2011 im Historischen Museum in Bern, (3)
 
Artgemäße Haltung von Tieren. Menschen in Gefängnissen?
 
Im Tierschutzgesetz der Schweiz wird darauf hingewiesen, dass bei der Tierhaltung „das artgemäße Verhalten innerhalb der biologischen Anpassungsfähigkeit gewährleistet sein muss. Schmerzen. Leiden. Schäden und Angst müssen vermieden werden“. (4) Betreffen diese Regeln zur Tierhaltung nur Wellensittiche und Kaninchen, nicht aber Menschen die im Gefängnis sitzen?
 
„Wellensittiche und Kaninchen sind soziale Tiere. Deshalb wird empfohlen Wellensittiche und Kaninchen nicht einzeln zu halten. Der soziale Kontakt mit Artgenossen ist für Wellensittiche wie für Kaninchen ein Grundbedürfnis. Wellensittiche und Kaninchen leiden, wenn sie keine Artgenossen haben. Das Gehege muss es Kaninchen ermöglichen, ihr normales Verhalten zu zeigen und dadurch ihre Bedürfnisse zu decken und Schäden zu vermeiden. So bleiben die Kaninchen gesund und Verhaltensstörungen kommen kaum vor.“
 
Die Frage stellt sich, ob es sinnvoll ist Menschen einzusperren. Vielleicht wird man in Zukunft auf Grund von Erfahrungen und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen mit Tätern anders umgehen, sie nicht mehr wie heute mit eher mittelalterlichen Praktiken bestrafen. Eine Zukunft ohne Gefängnisse und Zuchthäusern also?
 
Gefängnisstrafen vergleichbar mit Teufelsaustreibung
 
Bleibt bei einem Gefängnisaufenthalt das „artgemäße Verhalten innerhalb der biologischen Anpassungsfähigkeit des sozialen Tieres Menschen gewährleistet“, wie es im Tierschutzgesetz der Schweiz gefordert wird? Nein! Ein Gefängnisaufenthalt mit der damit verbundenen wochen- ja monatelangen Isolation, mit der Trennung vom Leben, kann einen Menschen zerstören, hilft ihm nicht weiter. Eine Gefängnisstrafe ist fast zu vergleichen mit der früher praktizierten Austreibung des bösen Geistes, des Teufels, bei psychisch Kranken. Nicht wenige Menschen, die eingesperrt werden, ertragen die Isolation nicht, drehen durch oder werden körperlich krank. Auch Suizide sind in Gefängnissen häufig. Mit dem Einsperren hilft man niemandem, auch die Wiedergutmachung ist so nicht möglich: Vergeltung hilft den Opfern von Verbrechen nicht.
 
Isolationshaft ist Folter
 
Ärzte warnen besonders davor Inhaftierte zu isolieren, ob sie nun psychisch krank oder gesund sind. Der Mensch als soziales Wesen erträgt es nicht, in eine schallgedämmte Betonkiste gesperrt zu werden. Untersuchungen zeigen, dass schon ein Gefängnisaufenthalt, ohne Isolationshaft einen Menschen für immer traumatisieren und lebensunfähig machen kann. Sehr starke psychische Störungen bis hin zu Geisteskrankheit sind besonders in Einzelhaft sehr häufig: Halluzinationen treten auf, Wahnvorstellungen, unkontrollierte Aggressionen, rasende Kopfschmerzen, psychosomatische Erkrankungen usw. Selbstmorde in Isolationshaft sind noch häufiger als sonst in Gefängnissen. Nicht zu Unrecht wird Isolationshaft als Folter bezeichnet. (5)
 
Im Krieg ist Mord obligatorisch, im Zivilen streng verboten
 
Der 23-jährige Shivan M. muss für Jahre ins Gefängnis, weil er einen Mann ermordet hat. Im Krieg ist Mord jedoch obligatorisch, wie Kurt Tucholsky es nach dem 1. Weltkrieg formulierte: „…Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war.“ (Tucholksy 1931, im Text „Der bewachte Kriegsschauplatz“) Und Bischof Cyprian von Karthago (200 - 258) schrieb einst: „Mord ist ein Verbrechen, wenn ein einzelner ihn begeht;" - wie dieser Mord beim Nachtklub "KAUFLEUTEN" in Zürich - „aber man ehrt ihn als Tugend und Tapferkeit, wenn ihn viele begehen! Also nicht mehr Unschuld sichert Straflosigkeit zu, sondern die Grösse des Verbrechens!“. – Ein Drohnenpilot in den USA wurde ausgezeichnet, nachdem er 1600 Menschen getötet hatte. Interview mit diesem Drohnen-Operateur: (6) Filme zum US-Drohnenkrieg: Die Wunden von Waziristan, von Ein Film von Madiha Tahir, Paregon Films 2013 (7) und American Drone, Operation Paul Revere, veröffentlicht 20.05.2013 (8)
 

Bradley Manning
NRhZ-Archiv
Bradley Manning, geboren 1987, deckte via Wikileaks Geheimnisse und furchtbare Verbrechen der USA auf. Er kassierte dafür eine Freiheitsstrafe von 35 Jahren. (9) Also: Nicht die Politiker, die im Afghanistan- und im Irakkrieg Befehle für Verbrechen erteilten, wurden bestraft, sondern Manning, der solche schrecklichen Taten ans Tageslicht brachte. Durch Manning gelangte ein Video-Film an die Öffentlichkeit, in dem zu sehen war, wie US-Soldaten von einem Helikopter aus elf Zivilisten erschossen, darunter auch Kinder und den 22-jährigen Reuter-Fotografen Namir Noor-Eldeen. Wikileaks veröffentlichte eine kurze und die volle Version des Filmes “Colleteral Murder” und der US Soldat Ehtan McCord’s, ein Augenzeuge des Massakers, nimmt Stellung. (10) (11)
 
Selten Rechenschaft für Politiker und Militärs nach einem Krieg
 
Im Krieg galten schon immer eigene Regeln: Die Mächtigen dieser Erde durften töten lassen. Nur selten wurden Politiker nach einem Krieg zur Rechenschaft gezogen, wie die deutschen Hauptkriegsverbrecher, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Nürnberg vor Gericht gestellt wurden. (12) Nach dem Vietnamkrieg wurden zwar die Verbrechen dieses Krieges eingehend untersucht, vor allem durch das „Vietnam War Crimes Tribunal“, an dem auch die Philosophen Bertrand Russel und Jean Paul Sartre teilnahmen. (13) Die Untersuchungen des nichtstaatlichen „Vietnam War Crimes Tribunal“ hatten aber keine Folgen, obwohl der Krieg in Vietnam, Laos und Kamboschdas über 50.000 US Soldaten und drei bis vier Millionen Menschen das Leben gekostet hatte.
 
Gehilfenschaft zum Mord, zivil oder bei Kriegen – auch nicht dasselbe
 
Einem Kollegen des Nachtklub "KAUFLEUTEN"-Mörders Shivan M. in Zürich konnte nicht nachgewiesen werden, dass er dem Messerstecher das Butterflymesser für die Tat gegeben hatte. Falls diesem Mann hätte schlüssig nachgewiesen werden können, dass er dem Mörder das Messer gegeben hatte, wäre auch er zu einer hohen Gefängnisstrafe wegen Beihilfe zum Mord verurteilt worden.
 
Das Urteil vom 1. Juli des Bezirksgerichtes will Staatsanwalt Michael Scherrer vom Zürcher Obergericht noch einmal überprüfen lassen. Nichts zu befürchten haben in der Schweiz hingegen grosskalibrige Waffenlieferanten. – Wie sollte man sie auch belangen? Ehrbare Geschäftsleute, die ihre Waffen mit dem Segen des Bundesrates und des Parlamentes verkaufen, eben auch an Regimes im Nahen Osten und an Nato-Staaten, die immer wieder Kriege führen, wie in Afghanistan, in Libyen vor drei Jahren, vorher im Irak, auf dem Balkan usw.? Hunderttausende starben in diesen Kriegen.
 
225.162 RUAG Handgranaten an die Arabischen Emirate verkauft
 
Schon lange bekannt ist, dass Staaten wie Saudi-Arabien und andere Diktaturen im Nahen Osten fundamentalistische islamistische Gruppierungen mit Geld und Waffen versorgt haben: An Organisationen, die in Libyen kämpften, die in Syrien operieren, und jetzt an die ISIS-Truppen, die im Irak für einen „Islamischen Staat im Irak und in Syrien“auf dem Vormarsch sind. Trotzdem wurden die Waffenexporte der neutralen Schweiz nach diesen Staaten im Pulverfass des Nahen Ostens fortgesetzt. Die Waffenfabrikanten in unserem Land wurden nicht belangt, ihre Deals waren ja von Bern abgesegnet. Handgranaten vom Typ OHG92 und HG85 des Schweizer Rüstungskonzerns RUAG wurden von den Arabischen Emiraten an die Aufständischen in Syrien weitergeleitet. Insgesamt hatte die bundeseigene RUAG 225.162 Hand-Granaten an die Armee der Emirate verkauft. Die Regierung der Emirate hatte vorher zwar eine Nichtwiederausfuhr-Erklärung unterzeichnet…(14). (PK)
 
(1) http://www.bluewin.ch/de/news/vermischtes/2014/7/1/zum--kaufleuten--mord-zieht-der-staatsanwalt-die-u.html
(2) http://www.bhm.ch/de/ausstellungen/ausstellungsarchiv/mord-und-totschlag-eine-ausstellung-ueber-das-leben/
(3) (http://www.admin.ch/opc/de/federal-gazette/2006/327.pdf
(4)                                                                                                                                                                           (Volkart R., Rothenfluh T., Kobelt W., Dittrich A., Ernst K. Psychiatria clin. 1983;16:365–377 (DOI:10.1159/000284167)
(5) http://investigations.nbcnews.com/_news/2013/06/06/18787450-former-drone-operator-says-hes-haunted-by-his-part-in-more-than-1600-deaths
(6) http://www.alternativ.tv/us-drohnenkrieg-die-wunden-von-waziristan/
(7) http://www.youtube.com/watch?v=j5eD2PW2ks4
(8) http://www.BradleyManning.org
(9) http://collateralmurder.com,
(10)                 http://www.youtube.com/watch?v=5rXPrfnU3G0
(11)                  http://www.srf.ch/news/regional/zuerich-schaffhausen/urteil-im-kaufleuten-prozess-es-war-mord
(12)                  http://de.wikipedia.org/wiki/N%C3%BCrnberger_Prozess_gegen_die_Hauptkriegsverbrecher
(13)                  http://de.wikipedia.org/wiki/Russell-Tribunal
(14)                  http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/Wie-die-Schweizer-Handgranaten-in-Syrien-landeten/story/12866738

Heinrich Frei, (1941), geboren und aufgewachsen in Biel, pensionierter Architekt HTL, Mitarbeiter bei Somalia Hilfsprojekten (www.swisso-kalmo.ch und www.nw-merka.ch) und Mitglied bei verschiedenen antimilitaristischen Gruppierungen. Wohnhaft in Zürich.
 


Online-Flyer Nr. 466  vom 09.07.2014

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE