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Aktueller Online-Flyer vom 13. Dezember 2024  

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Sport
Was wir uns für den Weltmeistertitel kaufen können
Nicht einmal ein Eis
Von Harald Schauff

Deutschland ist Weltmeister. Wir alle, 80 Millionen Staatsbürger, sind Weltmeister. Wir huldigen dem Götze, der seinen Dienst pflichtgetreu versah und das Runde ins Eckige wuchtete. Und dem Neuer, der seine Arme ausbreitete wie der Christus von Rio, wodurch das deutsche Tor den Gegnern unendlich klein vorkam. Und natürlich dem Bundes-Löw, der am Spielfeldrand tobte, brüllte und in die Mikros schwäbelte. Gemeinsam waren sie stark und erfolgreich. Die gemeinsame Freude darüber schweißte wiederum die tief gläubige Fangemeinde zusammen. Alle wurden wir eins: Ein Team, ein Chor, eine Nation, eine Kanzlerin, ein Bundes-Gauck, eine Einpeitscher-Schwadron, ein Wille (mit Promille), ein Sieg, ein Titel, ein Pott.

Weltmeister Michel
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
 
Stellt sich die Frage: Was hat die Anhängerschaft davon? Wo bleibt der Lohn für die Mühen wochenlangen Mitfieberns, Anfeuerns, Trikottragens, Fahnenschwenkens, Gesichtbemalens, Schimpfens, Jubelns, Feierns und ausgiebigen Konsums von Brauerei-Erzeugnissen?

Das Mindeste wäre wohl ein Zusatzeintrag in jeden Personalausweis: Fußball-Weltmeister 2014. Nebst Nachtrag der bereits gewonnenen Titel von 1954, 1974 und 1990, jeweils mit Stern versehen.
 
Da freut sich der Bürger auf jede Ausweiskontrolle, um das Kärtchen voller Stolz zu zücken. Schade, dass die Regierung hier nicht über den Schatten des Adlers springt und die Einwohnermeldeämter entsprechend anweist.
 
Man könnte sich auch auf andere Art großzügig zeigen und jedem Bürger ein Weltmeistergeld von 100 Euro überweisen. Als kleine Entschädigung für den finanziellen und zeitlichen Aufwand der Fankultur und besonders für das stundenlange Ertragen der minder schlauen Reporter-Kommentare von Delling & Co.
 
Doch der Bundesadler mit dem gut gefüllten Steuersäckel trägt keine Spendierhosen. Das Spargefieder will uns nichts gönnen. Keine Weltmeister-Konsumgutscheine, nicht einmal ein Champions-Eis in den Nationalfarben, bestehend aus den Geschmacksrichtungen: Dunkle Schokolade oder schwarze Johannisbeere, Kirsch oder Himbeer und Mango oder Aprikose. Alternativ wäre die Ausgabe von Champions-Cheeseburgern denkbar: Zuunterst der Käse, dann der Ketchup, ganz oben der Fleisch(?)fladen, etwas dunkler als sonst gebraten.
 
So könnte die patriotische Fußball-Liebe durch den Magen gehen. Doch nicht einmal für solche Nahrungsersatzmittel lässt Schäuble einen springen. Mehr als das angesoffene Gemeinschaftsgefühl der TV-gesteuerten Massenhypnose gibt es nicht. Bereits einen Tag nach dem Finale weicht der Rausch des Erfolgspatriotismus der Nüchternheit des Alltags. Die letzte verstreute nationalstolze Anhängerschaft in Trikots, mit bemalten Wangen und Girlanden wirkt bereits wie ein Fremdkörper im Straßenbild.
 
Von der Endspiel-Übertragung bleibt vor allem ein Eindruck, ein recht ästhetischer, haften: Nicht der des deutschen Siegtores, sondern jener der Christus-Statue über Rio mit der untergehenden Sonne im Hintergrund. Den geistigen (Rest-) Sonnenuntergang hatte das WM-Fieber schon lange vorher herbei geführt. (PK)
 
Harald Schauff ist Redakteur der Arbeits- Obdachlosen- Selbsthilfe- Mitmach-Zeitung "Querkopf" die monatlich in Köln erscheint und dort auf der Straße verkauft wird. Mehr Informationen http://www.querkopf-koeln.de/


Online-Flyer Nr. 468  vom 23.07.2014

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