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Analyse einer Meldung in einer Tageszeitung
Wir leben in einer jungen "marxistischen" Welt
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

So ist das immer. Herrschaftsmedien berichten im Auftrag und im Interesse der Herrschenden. Sonst wären es keine Herrschaftsmedien. Die Verbrechen der Herrschenden werden als Reaktionen dargestellt. So war es im Jahre 2001 beim so genannten "Krieg gegen den Terror". So begann der Zweite Weltkrieg. Ab 5 Uhr 45 wurde zurück geschossen. So war es bei vielen anderen Kriegen. Auch die Verbrechen Israels sind nur "Reaktionen".


Foto: arbeiterfotografie.com

„Als Reaktion auf mehrere Raketenangriffe hat die israelische Armee Artillerie- und Luftangriffe auf Stellungen der syrischen Armee auf den Golanhöhen gestartet. Es habe sich um fünf bis sechs Angriffe gehandelt, verlautete aus Militärkreisen... Zuvor waren auf den Norden Israels und auf den von Israel besetzten Teil der Golanhöhen vier Raketen niedergegangen, die allerdings niemanden verletzten.“ So meldet die Nachrichtenagentur AFP am 21. August 2015, als wäre sie Sprachrohr der IDF, der "Israel Defence Forces".

Wie gesagt: Herrschaftsmedien berichten im Auftrag der Herrschenden. Das ist normal! Die Elite dieser Welt wäre keine Elite, wenn ihre Medien nicht ihre Sicht vermitteln würden. Und bei militärischen Operationen gilt das erst recht. Ihr Militär muss einen Angriff als Reaktion darstellen. Und ihre Medien haben selbstverständlich die Pflicht, diese Darstellung zu vermitteln. Es drängt sich die Frage auf: wie sollen sich kritische Medien dazu verhalten? Diese Frage ist schnell beantwortet. Wir brauchen nur zu lesen:

„Als Reaktion auf mehrere Raketenangriffe hat die israelische Armee... Artillerie- und Luftangriffe auf Stellungen der syrischen Armee auf den Golanhöhen gestartet. Es habe sich um fünf bis sechs Angriffe gehandelt, verlautete aus Militärkreisen... Zuvor waren auf den Norden Israels und auf den von Israel besetzten Teil der Golanhöhen vier Raketen niedergegangen, die allerdings niemanden verletzten.“

Aha! Das ist derselbe Wortlaut wie der in der AFP-Meldung – erkennen wir. Wo ist dieser Wortlaut zu finden? In einer Tageszeitung des folgenden Tages. Wo in dieser Zeitung stehen diese Zeilen? Versteckt in ihrem tiefsten Innern? Nein! Auf ihrer Titelseite. Und in welcher Zeitung? In einer, die sich das Motto "Sie lügen wie gedruckt. Wir drucken, wie sie lügen" gegeben hat. In einer, die sich als "marxistisch" definiert. Damit ist auch der letzten Leserin und dem letzten Leser der "jungen Welt" klar, was kritische Medien auszeichnet. Nichts ist "marxistischer", als die Sichtweise der Herrschenden zu transportieren.

„Zuvor waren auf den Norden Israels und auf den von Israel besetzten Teil der Golanhöhen vier Raketen niedergegangen“, ist zu lesen. Ein Abschussort ist – geschickterweise – nicht genannt. Woher mögen die Raketen gekommen sein? Hat Israel sie vielleicht selbst abgeschossen? Das zu fragen, wäre unmarxistisch. Zitiert wird deshalb der israelische "Verteidigungsminister". In der "jungen Welt" heißt er "Verteidigungsminister Moshe Yaalon". In der AFP-Meldung heißt er "Verteidigungsminister Mosche Jaalon". „Teheran wolle“ – so heißt es in der "jungen Welt" – „eine neue terroristische Front gegen Israel auf den Golanhöhen eröffnen“. „Die Islamische Republik wolle“ – so heißt es in der AFP-Meldung – „eine neue terroristische Front gegen Israel auf den Golanhöhen eröffnen“.

Damit besteht Klarheit auch hinsichtlich des Feindbildes. Es ist der Iran. Auch das ist erkenntnisreich. Wir lernen: das Transportieren von Äußerungen, die Feindbilder transportieren, ist "marxistisch". Einen Minister, in dessen Verantwortung Angriffskriege geführt werden, als "Verteidigungsminister" zu bezeichnen, ist "marxistisch". Und selbst eine Agentur wie AFP, die sich wie kaum eine andere in den Dienst der herrschenden Eliten stellt, verdient das Attribut "marxistisch", denn wir finden ihre Meldungen regelmäßig in einer "marxistischen" Zeitung. Es ist wunderbar! Die Revolution hat bereits stattgefunden. Der "Marxismus" hat gesiegt. Orwell jubiliert. Wir leben in einer jungen "marxistischen" Welt.


Vorab-Veröffentlichung aus der Quartalsschrift DAS KROKODIL, Ausgabe 14 (September 2015) – Grundsatzschrift über die Freiheit des Denkens – bissig – streitbar – schön und wahr und (manchmal) satirisch.



Mehr dazu und wie es sich bestellen lässt, hier: http://www.das-krokodil.com/


Online-Flyer Nr. 528  vom 16.09.2015

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