Inland
Konzernchefin der TRUMPF GmbH + Co. KG und in einigen Aufsichtsräten
Getragene Leistungsträgerin
Von Harald Schauff
Warum, fragt Kabarettist Erwin Pelzig in seiner Live-Show (13.8.15), heißen die Superreichen in Russland ‘Oligarchen’ und bei uns ‘Leistungsträger’? Vielleicht, weil sie so bescheiden, bodenständig, diszipliniert und verantwortungsbewusst auftreten bei öffentlichen Stellungnahmen und so tun als würde ihre Privilegiertheit in ihrem Leben nicht die geringste Rolle spielen. So in etwa wie Nicola Leibinger-Kammüller, 55, die von ihrem Vater den Milliardenkonzern ‘Trumpf’ übernommenhat.
Im SPIEGEL-Interview (18/ 2015) ist sie bemüht, eine normalen, mittelschichtskompatibelen Eindruck zu hinterlassen. Das Vermögen hätte im Alltag nie eine Rolle gespielt, war für sie als Kind nie ‘präsent’. Die Hotels mögen schöner gewesen sein, dafür gab es weniger Urlaube. Außerdem habe man überschaubar gewohnt, sei mit dem Bus zur Schule gefahren, denn man hatte keinen Chauffeur. Als Student musste man in den Semesterferien arbeiten.
Die Firma gehe vor, immer, immer, immer. Man hab sich anzustrengen, zu kümmern, Privates hintenanzustellen. Ja, es ist ein hartes Brot, ein langer Leidensweg voller Entbehrung und Selbstkasteiung bis zum Antritt des Firmenerbes. Die Firmenerbin selbst räumt ein, das alles klinge etwas ‘freudlos’ und ‘säuerlich’. Doch auch die Kinder dürfen den sauren Drop lutschen. Die Firmenanteile fallen ihnen nicht automatisch in den Schoß. Sie dürfen sich dieser erst als ‘würdig erweisen’. Z.B. indem sie ihr ‘erstes eigenes Geld verdienen’ wie die jüngste Tochter, die nach dem Abitur für ein Jahr in Neuseeland verweilt.
Zum straffen Regiment gesellt sich Frömmigkeit: Leibinger-Kamüllers Familie lebt in der Tradition des schwäbischen Pietismus. Das schließt tägliche Tischgebete und sonntägliche Kirchgänge mit ein. Zu deren Teilnahme hätte man die Kinder nie gezwungen, höchstens ‘besonders animiert’. Da durften sich diese wohl gleich zwei Sonntagspredigten anhören. Ob das der Sonntagsruhe bekam?
Christlich und loyal will man auch den Mitarbeitern gegenüber sein. Deshalb würde man auch nie das Land verlassen, aus steuerlichen Gründen etwa. Deshalb habe man während der Lehman-Krise keine Mitarbeiter entlassen, trotz 40 % Umsatzeinbußen. Stattdessen habe man 75 Milliarden Euro ins Unternehmen gesteckt. Das findet auch der SPIEGEL-Reporter ehrenwert’. Soll man glauben, dass dieses Unternehmen wie so viele andere nicht von derKurzarbeiter-Regelung profitierte, bei welcher die Arbeitsagenturen den größten Teil des Lohnes übernehmen?
Die Steuerprivilegien von Familienunternehmen verteidigt Leibinger-Kammüller vehement. Allenfalls erkennt sie einen gewissen ‘Justierungsbedarf’ an. Doch sollte die ‘Generallinie’ beibehalten werden. Schließlich trügen Familienunternehmen zum ‘Wohl des Landes’ bei. Müssten ihre Kinder Hunderte Millionen Euro Erbschaftssteuer bezahlen, wäre die Firma in ihrer ‘Handlungsfähigkeit extrem eingeschränkt’, es könnte weniger investiert werden. Dabei würden wir in diesem Land gerade von Investitionen und Innovationen leben. Zauberwort ‘Investition’: Auch arme Familien würden durch Investitionen in Bildung besser gefördert als durch eine Erhöhung der Erbschaftssteuer, befindet Leibinger-Kammüller. Die eigentliche Ungerechtigkeit liege darin, dass in den Familien der Oligarchen, pardon, ‘Leistungsträger’ am Tisch bei den Mahlzeiten andere Themen zur Sprache kämen als in ‘bildungsfernen’ Haushalten. Da würde nicht auf Bücher hingewiesen, nicht über politische Themen diskutiert, es gäbe kein Gebet. Amen.
Aha, die Bildungsfrage ist also eine Glaubensfrage. Dahinter steckt nämlich der Glaube, die ‘Bildungsfernen’ müssten nur ausreichend ‘qualifiziert’ sein, schon stünden gut bezahlte Stellen für sie parat, schon würden sie gebraucht, wenn nicht als Fachkräfte sogar händeringend gesucht. Und wenn nicht, dann waren sie halt nicht gottesfürchtig genug. Tatsächlich befinden sich unter den Erwerbslosen nicht wenige Techniker, Ingenieure und andere Hochschulabsolventen. Haben diese zu wenig Stoßgebete gen Himmel gerichtet oder gar den sonntäglichen Kirchenbesuch geschwänzt?
Eindringlich betont Leibinger-Kammüller die Tradition der Familienunternehmen, um welche Deutschland in der Welt beneidet werde. Die meisten seien loyal, würden weder aus Kosten noch aus steuerlichen Gründen das Land verlassen. Eigentlich haben sie dazu auch keinen Grund: Sie sind nicht nur bei der Erbschafts-, sondern bereits seit den 90ern auch bei der Vermögenssteuer außerordentlich begünstigt, mehr als sonst wo in der EU. Nicht zuletzt deshalb sind sie so exportstark und wettbewerbsfähig. Viele davon nennen sich ‘Mittelständler’, obwohl es sich beim näheren Hinsehen eindeutig um Großunternehmen handelt wie z.B. den ‘Schraubenkönig’ Würth oder die Müller-Molkerei.
Sie sind champions-league- Teilnehmer oder zumindest Anwärter, doch tun so als kämpften sie andauernd gegen den Abstieg. Sie geben sich mittelschichthaft bieder, anspruchslos, fromm, sparsam und fleißig und sind über die Maßen privilegiert. Vielleicht spielt ihr Reichtum im Alltag keine Rolle. Jedoch sorgt er im Hintergrund für Sicherheit.
Mit dieser Sicherheit im Rücken bewegt man sich von innen heraus in anderen Sphären als ein normalsterbliches von Geldsorgen geplagtes Wesen. Darauf werden die Firmenerben ungern angesprochen. Ein Abgeordneter habe ihr mal gesagt, sie hätte doch ein Haus in der Schweiz, es bliebe trotz Erbschaftssteuer immer noch genug übrig, bemerkt Leibinger-Kammüller. Diese Tonlage betrübe sie. Teile der Öffentlichkeit würden bei der Debatte um die Erbschaftssteuer über sie hinweg gehen, ihnen mit einer gewissen Kälte begegnen.
Dabei täten sie doch so viel, die Familienunternehmen, handelten besonders nachhaltig, hielten das Land mit am Laufen. Man soll froh sein, das sie ihren Kuchen hier backen lassen und damit viele Menschen beschäftigen. Wie kann man sich erdreisten, ihnen auch nur den kleinsten Krümel abzuverlangen?
Interessant ist allerdings, was Leibiger-Kammüller auf die SPIEGEL-Frage entgegnet, ob es für die Gesellschaft zum Problem werden könnte, wenn eine Generation von Erben heranwachse, die es nicht nötig habe zu arbeiten und Außergewöhnliches zu leisten. Hier meint die Firmenerbin, es sei eine falsche Annahme, dass die Menschen es sich bequem machen wollten und lieber nicht arbeiteten. Es sei umgekehrt: Die meisten wollten sich anstrengen und etwas gut machen. Man solle nicht immer vom Schlechten ausgehen.
Dem lässt sich voll und ganz zustimmen. Dies ist eines der Hauptargumente für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Der Mensch will von sich aus etwas tun, etwas leisten. Er braucht nicht dazu gezwungen zu werden. Zwang ist kontraproduktiv. Dennoch dürfte sich die Gewichtsklasse von Leibinger-Kammüller damit schwer tun. Denn sie müsste dazu ein deutlich größeres Stück vom Kuchen beitragen. (PK)
Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf" und hat diesen Beitrag in deren aktueller Oktoberausgabe veröffentlicht.
Online-Flyer Nr. 532 vom 14.10.2015
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