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Medien
Buchbesprechung "ARD & Co."
Empfehlenswert. Denkapparat eingeschaltet lassen
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
„In diesem ersten Band in der Reihe 'ARD & Co.' beschreiben 17 Autoren und Autorinnen ... Beispiele und Strukturen von zielgerichteter Informationsvermittlung und Manipulationen aus den letzten Jahren...“ Ob mensch auf weitere Bände des Hintergrundmagazin-Herausgebers Ronald Thoden gespannt sein darf, wollen wir anhand des ersten Bandes beleuchten.
Hamburg, 7.8.2014 - "Stoppt die Kriegspropaganda jetzt - Empört Euch jetzt!" - Protest vor dem Spiegel-Gebäude (Foto: arbeiterfotografie.com)
"Krebsgeschwür" der Informationsgesellschaft
Volker Bräutigam beklagt schwindende „Qualität“ im Journalismus: früher war alles besser. Auch die Rechtschreibung. Die Aufklärung wohl kaum, denn erst unter dem Druck und im Umfeld der politisch aufgewachten (Studenten-)Bewegung wurde die NS-Vergangenheit zum möglichen Thema. Rückschau und Kritik heißt der Beitrag in Form eines teil-anonymen Interviews (der, die Fragesteller-in-nen bleiben unbenannt). Das Problem des Schlechterwerdens sei mit dem Aufkommen der vielfach so genannten Privatsender entstanden. Nicht bei dem ehemaligen NDR-Nachrichten-, d.h. Tagesschau-Redakteur (1975-1985) Volker Bräutigam: „Der Kommerzfunk ist das ‘Krebsgeschwür’ der Informationsgesellschaft. Er gehört bekämpft und abgeschafft.“ Bis dahin galt die Tagesschau als nahezu konkurrenzloses Flaggschiff im Informations-Tagesablauf. Die Glocken läuteten die Abendnachrichten mit Sprecherpersönlichkeiten ein, deren Glaubwürdigkeit in jeder bundesdeutschen Familie Vorrang hatte, selbst wenn der Spross aus eigener Anschauung von einer Prügeldemo unter Polizeischlagstöcken zu berichten wusste. Herr Köpcke wusste es besser.
Selbstverständliche journalistische Grundsätze, die später unter dem Label des „Friedensjournalismus“ als quasi neue Erfindung eingeführt wurden, hatten in einem herrschaftlich besetzten Elitejournalismus (hervorgegangen aus Besatzerstatut) auch nur bei den zuvor ausgesiebten Themen Geltung. Aber, so Bräutigam: „Seit diese Regeln nicht mehr gelten, zitieren sich Journalisten manchmal (!) sogar ausschließlich gegenseitig. Im Extremfall nennen ARD-Tagesschau oder ZDF-heute als einzige Quelle die Bild-Zeitung. Recherche und Gegenrecherche, das Handwerkszeug der ordentlichen (!) Journalisten, verschwinden aus dem redaktionellen Alltag. Der ähnelt häufig einer Gerichtsszene, in der schon geurteilt wird, bevor ein Beweis erbracht ist. Behauptungen werden da einfach als Realität wiedergegeben.“
Mord-Trio: wenn Behauptungen zur Realität werden
Das ist in der Tat keine Seltenheit. Auch nicht bei medienkritischen Kleinpublikationen ohne grossen Apparat im Hintergrund. Verurteilung als Täterin, Täter oder „Trio“ (genauer: „Mord-Trio“!) ist das, wonach auch die engagierte Volksseele lechzt und der sachkundige altersweise (?) Schreiber lustvoll in die Kerbe schlägt. Die neutral distanzierte Bezeichnung „mutmaßlich“ aus dem Repertoire jeder journalistischen Grundausbildung wird als Zumutung zurückgewiesen. Denn seit immerhin zehn Jahren schon fahndet das Fernsehen mit Eduard Zimmermann in YX spannungsgeladen mit. So geriert es zum Publikumserfolg, wenn das mutmaßliche (sorry) „Mord-Trio“ (per Rundum-Schuldspruch) geschnappt oder zumindest als hauptverdächtig (sorry) enttarnt wird.
Wording: die moderne Form der Sprachregelung
„Wording“ lautet ein Begriff und der Titel des Beitrages von Ossietzky-Gründer Eckart Spoo, der die bekannten Gepflogenheiten in neuer Verpackung einem vorwiegend jugendlichen Zielkonsumenten schmackhaft machen soll. Nach achteinhalb Seiten – am Ende des Beitrages – kommt die Aufklärung über den affigen Begriff aus dem Munde von Tagesschau-Chefredakteur Kai Gniffke, man stimme mit dem „Wording“ der Nachrichtenagenturen und der „Qualitätszeitungen“ überein. Spoo: „Wording – das klingt doch gleich viel besser und moderner als Sprachregelung.“ Oder Sprachgebrauch. So verkündete die Tagesschau im Zusammenhang der Ukraine-Berichterstattung, das Gewerkschaftshaus in Odessa sei „in Brand geraten“, ohne dem Publikum Angaben über Täter und Opfer zu bieten. Nun wußte schon Aristoteles um die Tücken der Sprache und der Auslassung. Spoo macht in markanten Beispielen deutlich, wie das „Wording“ funktionieren kann. Besonders sinnfällig sind Paarwörter, die, sobald sie ausgetauscht werden, deutlich machen, welche Position der Botschaften-Verkünder vertritt: sind Freiheitskämpfer oder Terroristen in der Arabellion (das war vorgestern) oder der Ukraine (das war gestern) oder in Syrien (noch heute) unterwegs. Bewaffnete „Aktivisten“ werden als engagierte „Regime“-Kritiker (eigenes Beispiel aus ZDFneo) vorgestellt, wobei das Attribut bewaffnet nicht genannt werden muß.
Besonders interessant werden Spoos Beispiele, wenn das Sprach-Muster auf andere Fälle übertragen wird. Bekannt sind die Verteufelungen und Hitlerinflationen zur Einstimmung auf den nächsten Eroberungsfeldzug der Responsibility-to-Protect-Truppen, der „Irre“ der „Schlächter“ (aktuell der gewählte Präsident Syriens) entbindet die Journalisten von der Pflicht, die Gegenseite zu Wort kommen zu lassen. Es gebietet Politikerinnen in geradezu dankenswerter Weise, sich von derlei Gestalten zu distanzieren. Landen wir aber auf dem bundesdeutschen Teppich der um Aufklärung Bestrebten, z.B. „Linken“, sind die gleichen Muster mit anderen Begriffskeulen – ganz zum Vergnügen der Destabilisateure – höchst erfolgreich im Einsatz. Spoo: „Hauptleistung der Propaganda ist die Verteufelung der anderen Seite“. Wollte man das destruktive Spiel mit treiben, ließen sich problemlos an einer Hand die Hauptteufel aufzählen und an der anderen Hand die „Argumente“, die zu ihrer Verunmenschlichung führen sollen. „Psychologische Kriegsvorbereitung“ oder schon psychologische Kriegsführung? Kostet nicht viel (außer Nerven). Und (fast) alle machen mit.
Embedded Feminism: Schlüsselformel für den Krieg
Von den Teufeln zu den vor ihnen (von einer „guten“ Macht) zu schützenden Opfern ist es nicht weit: Frauen haben als Opfer in diesen Zeiten Hochkonjunktur. Think Tanks und Spin-Direktoren auch. Schlagwörter und Chiffren der jüngsten medial aufbereiteten Ereignisse rufen allein mit dem Städtenamen „Köln“ ganze Erzählkonstrukte auf. Kölner Dom oder Karneval – das war einmal. Silvester ist heute. Jörg Becker und Jens Wernicke greifen (wie die meisten im Buch vertretenen Autorinnen) in die jüngere Historie: „Konservative und Antifeministen verschiedener politischer Couleur wiesen unvermittelt auf die Unterdrückung dieser (afghanischen) Frauen hin und machten sich, flankiert durch die Massenmedien, für die ‘Befreiung’ derselben stark.“ Déjà vu? Der Marburger Politikwissenschaftler mit Forschungsschwerpunkt Medienpolitik et.al., Jörg Becker, ist 2006 Co-Autor von „Operation Balkan“ – zusammen mit Mira Beham, die 1996 mit ihrem Buch „Kriegstrommeln“ bekannt wurde.
Becker und der Kulturwissenschaftler Jens Wernicke (Jahrgang 1977) bringen Beispiele, welche Frauen aus dem selben Kontext sich für Kriegszwecke eignen, welche nicht. Die zu Tränen rührende Geschichte der Pakistanerin Malala, die ganze Bücher aufweicht und die als Heldin zur Krönung den Nobelpreis (logisch im Bunde mit den führenden Kriegstreibern) erhält, steht dem Profil der afghanischen Feministin Malalei Joya gegenüber, die sich gegen militärisches Eingreifen in ihrem Land ausspricht. Der Bekanntheitsgrad der Malalei und ihres eigenständigen Wirkens in der Organisation OPWAC (Promoting Afghan Women’s Capabilities) ist für die Lobby-Journalisten nicht förderungswürdig. Es widerspricht dem Programm eines 2010 bekannt gewordenem CIA-Dokumentes: „Die afghanischen Frauen sind der ideale Botschafter, um den Kampf der ISAF-Truppen gegen die Taliban human erscheinen zu lassen...“ (Trojaner inklusive: ISAF-Tuppen = gut, Taliban = böse) Wie Frauen, Frauenrechte, Frauenrechlerinnen sich in die Kämpfe nutzbringend integrieren – genauer: sich instrumentalisieren lassen, bringt die kanadische Feministin und Politikwissenschaftlerin Krista Hunt in Anlehnung an die eingebetteten Journalisten (seit Irak-Krieg 2003) mit „Embedded Feminism“ in eine Schlüsselformel. (siehe auch Sabine Schiffer, Vortrag "Islamophobie und Kriegsmobilmachung" bei der DFV-Islam-Konferenz)
Medien: Kriege anheizen anstatt aufzuklären
Medien als ahnungslose Kriegstreiber oder als ausführende Organisationen politischer Direktiven? Nah-Ost-Expertin Karin Leukefeld erhebt in ihrem Beitrag „...wie Medien Kriege anheizen anstatt aufzuklären“ den schwerwiegenden Vorwurf: „Die deutschen Leit- und Massenmedien und auch Menschenrechts- und Hilfsorganisationen wurden zu Erfüllungsgehilfen der anhaltenden Zerstörung Syriens.“ Leukefeld liefert glänzende Beispiele über das „Versagen“ oder das „Funktionieren“ (Begriffspaar, s.o.) der medialen Gewalt. „Die Darstellung des Krieges in Syrien wird in den deutschen Medien fast ausschließlich aus der Sicht der ‘Opposition’ (siehe oben) gespiegelt, die sich im Ausland befindet, anonym äußert oder bewaffneten Gruppen angehört... Und sollten doch Äußerungen der Regierung verbreitet werden, geschieht das selten in der gebotenen Neutralität. Stattdessen sind diffamierende Untertöne und verächtliche Charakterisierungen (siehe oben) an der Tagesordnung.“ Definitionshoheit statt Journalismus?
Leukefeld: „Der Staat Syrien, der nach wie vor existiert und eine funktionierende Regierung hat, der UNO-Gründungsmitglied (!) ist und mit der UNO vertragsgemäß zuverlässig kooperiert, der die Mehrheit der syrischen Bevölkerung zu beschützen und zu versorgen sucht, wird medial isoliert und ausgegrenzt.“ Bereits 2012 lassen sich politische Direktiven des deutschen Regierungs-Think-Tanks „Stiftung Wissenschaft und Politik“ (SWP) aus dem gemeinsamen Projekt mit dem US-Think-Tank „Institut für Frieden“ (!?), „The Day After“, erahnen wenn nicht ablesen. Und mehr noch zeichnet sich eine erweiterte Strategie auf dem Rücken menschlicher Leidtragender ab: Leukefeld: „Fast die Hälfte der syrischen Bevölkerung ist innerhalb des Landes vertrieben. Mehr als vier Millionen Menschen leben als Flüchtlinge im Ausland.“ Déjà vu (in Ungarn)? „Der Exodus, der im Spätsommer 2015 nach Zentraleuropa organisiert (!) wurde, entzieht Syrien die gut ausgebildete junge Mittelschicht, die für einen politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau gebraucht würde.“
Weitere informative Beiträge geschätzter Autorinnen und Autoren. Prädikat empfehlenswert. Denkapparat eingeschaltet lassen.
ARD & Co.
Wie Medien manipulieren (Band 1)
herausgegeben von Ronald Thoden
Broschiert, 300 Seiten, Selbrund-Verlag, 2015, EUR 16,80
Online-Flyer Nr. 554 vom 23.03.2016
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Buchbesprechung "ARD & Co."
Empfehlenswert. Denkapparat eingeschaltet lassen
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
„In diesem ersten Band in der Reihe 'ARD & Co.' beschreiben 17 Autoren und Autorinnen ... Beispiele und Strukturen von zielgerichteter Informationsvermittlung und Manipulationen aus den letzten Jahren...“ Ob mensch auf weitere Bände des Hintergrundmagazin-Herausgebers Ronald Thoden gespannt sein darf, wollen wir anhand des ersten Bandes beleuchten.
Hamburg, 7.8.2014 - "Stoppt die Kriegspropaganda jetzt - Empört Euch jetzt!" - Protest vor dem Spiegel-Gebäude (Foto: arbeiterfotografie.com)
"Krebsgeschwür" der Informationsgesellschaft
Volker Bräutigam beklagt schwindende „Qualität“ im Journalismus: früher war alles besser. Auch die Rechtschreibung. Die Aufklärung wohl kaum, denn erst unter dem Druck und im Umfeld der politisch aufgewachten (Studenten-)Bewegung wurde die NS-Vergangenheit zum möglichen Thema. Rückschau und Kritik heißt der Beitrag in Form eines teil-anonymen Interviews (der, die Fragesteller-in-nen bleiben unbenannt). Das Problem des Schlechterwerdens sei mit dem Aufkommen der vielfach so genannten Privatsender entstanden. Nicht bei dem ehemaligen NDR-Nachrichten-, d.h. Tagesschau-Redakteur (1975-1985) Volker Bräutigam: „Der Kommerzfunk ist das ‘Krebsgeschwür’ der Informationsgesellschaft. Er gehört bekämpft und abgeschafft.“ Bis dahin galt die Tagesschau als nahezu konkurrenzloses Flaggschiff im Informations-Tagesablauf. Die Glocken läuteten die Abendnachrichten mit Sprecherpersönlichkeiten ein, deren Glaubwürdigkeit in jeder bundesdeutschen Familie Vorrang hatte, selbst wenn der Spross aus eigener Anschauung von einer Prügeldemo unter Polizeischlagstöcken zu berichten wusste. Herr Köpcke wusste es besser.
Selbstverständliche journalistische Grundsätze, die später unter dem Label des „Friedensjournalismus“ als quasi neue Erfindung eingeführt wurden, hatten in einem herrschaftlich besetzten Elitejournalismus (hervorgegangen aus Besatzerstatut) auch nur bei den zuvor ausgesiebten Themen Geltung. Aber, so Bräutigam: „Seit diese Regeln nicht mehr gelten, zitieren sich Journalisten manchmal (!) sogar ausschließlich gegenseitig. Im Extremfall nennen ARD-Tagesschau oder ZDF-heute als einzige Quelle die Bild-Zeitung. Recherche und Gegenrecherche, das Handwerkszeug der ordentlichen (!) Journalisten, verschwinden aus dem redaktionellen Alltag. Der ähnelt häufig einer Gerichtsszene, in der schon geurteilt wird, bevor ein Beweis erbracht ist. Behauptungen werden da einfach als Realität wiedergegeben.“
Mord-Trio: wenn Behauptungen zur Realität werden
Das ist in der Tat keine Seltenheit. Auch nicht bei medienkritischen Kleinpublikationen ohne grossen Apparat im Hintergrund. Verurteilung als Täterin, Täter oder „Trio“ (genauer: „Mord-Trio“!) ist das, wonach auch die engagierte Volksseele lechzt und der sachkundige altersweise (?) Schreiber lustvoll in die Kerbe schlägt. Die neutral distanzierte Bezeichnung „mutmaßlich“ aus dem Repertoire jeder journalistischen Grundausbildung wird als Zumutung zurückgewiesen. Denn seit immerhin zehn Jahren schon fahndet das Fernsehen mit Eduard Zimmermann in YX spannungsgeladen mit. So geriert es zum Publikumserfolg, wenn das mutmaßliche (sorry) „Mord-Trio“ (per Rundum-Schuldspruch) geschnappt oder zumindest als hauptverdächtig (sorry) enttarnt wird.
Wording: die moderne Form der Sprachregelung
„Wording“ lautet ein Begriff und der Titel des Beitrages von Ossietzky-Gründer Eckart Spoo, der die bekannten Gepflogenheiten in neuer Verpackung einem vorwiegend jugendlichen Zielkonsumenten schmackhaft machen soll. Nach achteinhalb Seiten – am Ende des Beitrages – kommt die Aufklärung über den affigen Begriff aus dem Munde von Tagesschau-Chefredakteur Kai Gniffke, man stimme mit dem „Wording“ der Nachrichtenagenturen und der „Qualitätszeitungen“ überein. Spoo: „Wording – das klingt doch gleich viel besser und moderner als Sprachregelung.“ Oder Sprachgebrauch. So verkündete die Tagesschau im Zusammenhang der Ukraine-Berichterstattung, das Gewerkschaftshaus in Odessa sei „in Brand geraten“, ohne dem Publikum Angaben über Täter und Opfer zu bieten. Nun wußte schon Aristoteles um die Tücken der Sprache und der Auslassung. Spoo macht in markanten Beispielen deutlich, wie das „Wording“ funktionieren kann. Besonders sinnfällig sind Paarwörter, die, sobald sie ausgetauscht werden, deutlich machen, welche Position der Botschaften-Verkünder vertritt: sind Freiheitskämpfer oder Terroristen in der Arabellion (das war vorgestern) oder der Ukraine (das war gestern) oder in Syrien (noch heute) unterwegs. Bewaffnete „Aktivisten“ werden als engagierte „Regime“-Kritiker (eigenes Beispiel aus ZDFneo) vorgestellt, wobei das Attribut bewaffnet nicht genannt werden muß.
Besonders interessant werden Spoos Beispiele, wenn das Sprach-Muster auf andere Fälle übertragen wird. Bekannt sind die Verteufelungen und Hitlerinflationen zur Einstimmung auf den nächsten Eroberungsfeldzug der Responsibility-to-Protect-Truppen, der „Irre“ der „Schlächter“ (aktuell der gewählte Präsident Syriens) entbindet die Journalisten von der Pflicht, die Gegenseite zu Wort kommen zu lassen. Es gebietet Politikerinnen in geradezu dankenswerter Weise, sich von derlei Gestalten zu distanzieren. Landen wir aber auf dem bundesdeutschen Teppich der um Aufklärung Bestrebten, z.B. „Linken“, sind die gleichen Muster mit anderen Begriffskeulen – ganz zum Vergnügen der Destabilisateure – höchst erfolgreich im Einsatz. Spoo: „Hauptleistung der Propaganda ist die Verteufelung der anderen Seite“. Wollte man das destruktive Spiel mit treiben, ließen sich problemlos an einer Hand die Hauptteufel aufzählen und an der anderen Hand die „Argumente“, die zu ihrer Verunmenschlichung führen sollen. „Psychologische Kriegsvorbereitung“ oder schon psychologische Kriegsführung? Kostet nicht viel (außer Nerven). Und (fast) alle machen mit.
Embedded Feminism: Schlüsselformel für den Krieg
Von den Teufeln zu den vor ihnen (von einer „guten“ Macht) zu schützenden Opfern ist es nicht weit: Frauen haben als Opfer in diesen Zeiten Hochkonjunktur. Think Tanks und Spin-Direktoren auch. Schlagwörter und Chiffren der jüngsten medial aufbereiteten Ereignisse rufen allein mit dem Städtenamen „Köln“ ganze Erzählkonstrukte auf. Kölner Dom oder Karneval – das war einmal. Silvester ist heute. Jörg Becker und Jens Wernicke greifen (wie die meisten im Buch vertretenen Autorinnen) in die jüngere Historie: „Konservative und Antifeministen verschiedener politischer Couleur wiesen unvermittelt auf die Unterdrückung dieser (afghanischen) Frauen hin und machten sich, flankiert durch die Massenmedien, für die ‘Befreiung’ derselben stark.“ Déjà vu? Der Marburger Politikwissenschaftler mit Forschungsschwerpunkt Medienpolitik et.al., Jörg Becker, ist 2006 Co-Autor von „Operation Balkan“ – zusammen mit Mira Beham, die 1996 mit ihrem Buch „Kriegstrommeln“ bekannt wurde.
Becker und der Kulturwissenschaftler Jens Wernicke (Jahrgang 1977) bringen Beispiele, welche Frauen aus dem selben Kontext sich für Kriegszwecke eignen, welche nicht. Die zu Tränen rührende Geschichte der Pakistanerin Malala, die ganze Bücher aufweicht und die als Heldin zur Krönung den Nobelpreis (logisch im Bunde mit den führenden Kriegstreibern) erhält, steht dem Profil der afghanischen Feministin Malalei Joya gegenüber, die sich gegen militärisches Eingreifen in ihrem Land ausspricht. Der Bekanntheitsgrad der Malalei und ihres eigenständigen Wirkens in der Organisation OPWAC (Promoting Afghan Women’s Capabilities) ist für die Lobby-Journalisten nicht förderungswürdig. Es widerspricht dem Programm eines 2010 bekannt gewordenem CIA-Dokumentes: „Die afghanischen Frauen sind der ideale Botschafter, um den Kampf der ISAF-Truppen gegen die Taliban human erscheinen zu lassen...“ (Trojaner inklusive: ISAF-Tuppen = gut, Taliban = böse) Wie Frauen, Frauenrechte, Frauenrechlerinnen sich in die Kämpfe nutzbringend integrieren – genauer: sich instrumentalisieren lassen, bringt die kanadische Feministin und Politikwissenschaftlerin Krista Hunt in Anlehnung an die eingebetteten Journalisten (seit Irak-Krieg 2003) mit „Embedded Feminism“ in eine Schlüsselformel. (siehe auch Sabine Schiffer, Vortrag "Islamophobie und Kriegsmobilmachung" bei der DFV-Islam-Konferenz)
Medien: Kriege anheizen anstatt aufzuklären
Medien als ahnungslose Kriegstreiber oder als ausführende Organisationen politischer Direktiven? Nah-Ost-Expertin Karin Leukefeld erhebt in ihrem Beitrag „...wie Medien Kriege anheizen anstatt aufzuklären“ den schwerwiegenden Vorwurf: „Die deutschen Leit- und Massenmedien und auch Menschenrechts- und Hilfsorganisationen wurden zu Erfüllungsgehilfen der anhaltenden Zerstörung Syriens.“ Leukefeld liefert glänzende Beispiele über das „Versagen“ oder das „Funktionieren“ (Begriffspaar, s.o.) der medialen Gewalt. „Die Darstellung des Krieges in Syrien wird in den deutschen Medien fast ausschließlich aus der Sicht der ‘Opposition’ (siehe oben) gespiegelt, die sich im Ausland befindet, anonym äußert oder bewaffneten Gruppen angehört... Und sollten doch Äußerungen der Regierung verbreitet werden, geschieht das selten in der gebotenen Neutralität. Stattdessen sind diffamierende Untertöne und verächtliche Charakterisierungen (siehe oben) an der Tagesordnung.“ Definitionshoheit statt Journalismus?
Leukefeld: „Der Staat Syrien, der nach wie vor existiert und eine funktionierende Regierung hat, der UNO-Gründungsmitglied (!) ist und mit der UNO vertragsgemäß zuverlässig kooperiert, der die Mehrheit der syrischen Bevölkerung zu beschützen und zu versorgen sucht, wird medial isoliert und ausgegrenzt.“ Bereits 2012 lassen sich politische Direktiven des deutschen Regierungs-Think-Tanks „Stiftung Wissenschaft und Politik“ (SWP) aus dem gemeinsamen Projekt mit dem US-Think-Tank „Institut für Frieden“ (!?), „The Day After“, erahnen wenn nicht ablesen. Und mehr noch zeichnet sich eine erweiterte Strategie auf dem Rücken menschlicher Leidtragender ab: Leukefeld: „Fast die Hälfte der syrischen Bevölkerung ist innerhalb des Landes vertrieben. Mehr als vier Millionen Menschen leben als Flüchtlinge im Ausland.“ Déjà vu (in Ungarn)? „Der Exodus, der im Spätsommer 2015 nach Zentraleuropa organisiert (!) wurde, entzieht Syrien die gut ausgebildete junge Mittelschicht, die für einen politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau gebraucht würde.“
Weitere informative Beiträge geschätzter Autorinnen und Autoren. Prädikat empfehlenswert. Denkapparat eingeschaltet lassen.
ARD & Co.
Wie Medien manipulieren (Band 1)
herausgegeben von Ronald Thoden
Broschiert, 300 Seiten, Selbrund-Verlag, 2015, EUR 16,80
Online-Flyer Nr. 554 vom 23.03.2016
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