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Kommentiertes junge-Welt-Interview mit Tobias Pflüger
Wer nur die Bundeswehr sieht, lenkt berechtigte Ängste vor einem bissigen Hund auf dessen Stummelschwanz
Von LUFTPOST
Am 02.07.2016 ist in der Tageszeitung "junge Welt" unter dem Titel "Wer nur die USA sieht, entschuldigt den deutschen Imperialismus" ein Interview erschienen, das Johannes Supe mit Tobias Pflüger, einem der stellvertretenden Vorsitzenden der Partei DIE LINKE, geführt hat. Es enthält diffamierende Äußerungen gegen Teile der Bewegung. "LUFTPOST - Friedenspolitische Mitteilungen aus der US-Militärregion Kaiserslautern/Ramstein" hat den Teil des Gesprächs, der sich mit dem "seit Jahren schwelenden Streit in der Friedensbewegung" beschäftigt, kommentiert. Auf die Fragen der Zeitung "junge Welt" und die Antworten von Tobias Pflüger folgt jeweils der LUFTPOST-Kommentar.
junge Welt: Die Bilder, die Kinder an Waffen zeigen, waren empörend. Sie gingen auch durch die bürgerliche Presse. Spiegel online titelte etwa: "Bundeswehr lässt Kinder mit Gewehren spielen". In der Folge traf die Bundeswehr ein Sturm der Entrüstung.
Tobias Pflüger: Wir haben dem Militär einen Strich durch die Rechnung gemacht. An den meisten der 16 Standorte fanden Proteste statt, etwa 1.000 Menschen haben an ihnen teilgenommen. Wir konnten also mit gar nicht so vielen Menschen ihre Propagandaschau verderben. Nun wirdin der Öffentlichkeit endlich über Waffen diskutiert. Die Bundeswehr hat hier Grenzen überschritten. Und das an einem Tag, an dem sie an Akzeptanz gewinnen wollte. Zudem war die Aktion gut für die Zusammenarbeit in der Friedensbewegung.
LUFTPOST: Über die Proteste gegen die Hauptkriegsdrehscheibe U.S. Air Base Ramstein am 10. und 11.06.2016 wurde weltweit berichtet (siehe ramstein-kampagne.eu). An der als Große Abschlussprotestaktion "Kein Tag der Bundeswehr" vor der Wehrtechnischen Dienstelle Trier (siehe gf-trier.de) angekündigten Veranstaltung, sollen nach Meldungen in der Lokalpresse, die leider nicht mehr aufzurufen sind, rund 100 Personen teilgenommen haben, was bei 16 Veranstaltungen mit insgesamt 1.000 Teilnehmern (das sind durchschnittlich 63 Teilnehmer pro Veranstaltung) vermutlich zutrifft. Die Behauptungen, "jetzt endlich werde in der Öffentlichkeit über Waffen diskutiert" und mit "etwa 1.000 Menschen" habe man die Propagandaschau gestört, die Zehntausende unkritische, teilweise sogar begeisterte Besucher angelockt hat, und der "der Bundeswehr einen Strich durch die Rechnung gemacht", sind nicht nur leicht übertrieben.
junge Welt: Welche Absprachen gab es im Vorfeld unter den verschiedenen Gruppen?
Tobias Pflüger: Die DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, jW) und das Netzwerk Friedenskooperative haben die Koordination übernommen und die Informationen gesammelt. So wussten wir jeweils, was an anderen Orten stattfindet und konnten uns darüber austauschen. Etwa ein Dutzend Organisationen hat sich dann beteiligt. So hat etwa Die Linke zu den Protesten aufgerufen, aber auch Jugendorganisationen wie die SDAJ oder die Linksjugend solid. Auch Pax Christi war in die Aktion involviert.
LUFTPOST: Es ist sehr bedauerlich, dass Organisationen wie die DFG-VK, das Netzwerk Friedenskooperative, DIE LINKE, die SDAJ, die Linksjugend und Pax Christi nur 1.000 friedensbewegte Menschen mobilisieren konnten.
junge Welt: Sie haben eben von der "Zusammenarbeit in der Friedensbewegung" gesprochen. Während Sie und andere gegen die Bundeswehr aktiv wurden, folgten andere Aktivisten einem Aufruf der Kampagne "Stopp Ramstein". Zwischen 1.500 und 5.000 Menschen forderten die Schließung der US-Basis in Ramstein, die für die Drohnenkriege der USA von großer Bedeutung ist. Die Teilnehmerzahlen von Polizei und Veranstaltern unterschieden sich hier, blieben aber deutlich unter den 12.000, auf die die Organisatoren vorab gehofft hatten. Haben sich dieser und Ihr Protest gegenseitig ergänzt, oder sich die Teilnehmer weggenommen?
Tobias Pflüger: Es ist etwas skurril, dass das gleichzeitig stattfand. Wie die "Stopp Ramstein"-Kampagne ihren Termin festgelegt hat, weiß ich nicht. Der "Tag der Bundeswehr" wird ja von der Armee bestimmt. Natürlich gibt es einzelne Aktivisten, die sich dann überlegen, wo sie hingehen. Aber im großen und ganzen würde ich sagen, dass sich die Proteste gegenseitig nicht viel genommen haben. Sie haben unterschiedliche Spektren angezogen. Auch die Organisation lief voneinander fast gänzlich unabhängig.
LUFTPOST: Auf einem Planungstreffen der Kampagne Stopp Ramstein am 13.12.15 in Offenbach, zu dem bundesweit eingeladen wurde, haben sich die 120 Teilnehmer darauf verständigt, am 10./11.06.16 ein Aktionswochenende in Stadt und Landkreis Kaiserslautern durchzuführen. Dass am 11.06.16 auch ein "Tag der Bundeswehr" stattfinden würde, war damals noch nicht bekannt, weil Verteidigungsministerin Frau von der Leyen den Termin erst am 31.03.2016 veröffentlicht hat (siehe bundeswehr.de). Herr Pflüger erwähnt leider nicht, dass bei diesem Planungstreffen auch ein Vertreter der sechs Friedensinitiativen aus Rheinland-Pfalz und dem Saarland anwesend war, die im Februar 2016 die als Alternativunternehmen organisierte Kampagne "Krieg beginnt hier" gestartet haben, sich dazu aber nicht äußerte. Herr Pflüger hat auch nicht erwähnt, dass diese Gruppierung am 08.02.16 ein Dossier für die "Interne Diskussion in der Friedensbewegung" mit "Einschätzungen regionaler Friedensvertreterinnen zur 'Stopp Ramstein Kampagne 2016' in Umlauf brachte, in dem mit unbewiesenen Behauptungen und Verleumdungen Stimmung gegen die Kampagne Stopp Ramstein und einzelne Mitglieder des Organisationsausschusses dieser Kampagne gemacht wurde.
junge Welt: Die Kampagne wird hauptsächlich von Einzelpersonen getragen, hinter den Aktionen zum »Tag der Bundeswehr« standen hingegen Organisationen. Woher rührt der Unterschied in der Organisationsform?
Tobias Pflüger: Unter den Aufruferinnen und Aufrufern zum Protest gegen die US-Basis sind umstrittene Persönlichkeiten. Dort sind auch Akteure der Montagsmahnwachen mit dabei. Deshalb hätte dieser Protest gar nicht anders als von Einzelpersonen organisiert werden können. Jede Organisation, die man nach ihrer Teilnahme gefragt hätte, hätte eine längere interne Debatte geführt. Eben die, ob man gemeinsam mit jenen von den Montagsmahnwachen auftritt. Wenige Organisationen hätten sich dazu entschieden. Das weiß ich von einer ganzen Reihe von Verbänden, aus denen aber Einzelpersonen zum Protest in Ramstein aufgerufen haben.
LUFTPOST: Die Behauptung, unter den zum Protest gegen die U.S. Air Base Ramstein Aufrufenden befänden sich auch "umstrittene Persönlichkeiten aus den Montagsmahnwachen" hat Herr Pflüger ungeprüft aus den bereits erwähnten "Einschätzungen" übernommen, für die folgende Personen verantwortlich zeichnen: Pfarrer Detlev Besier von der Friedensinitiative Westpfalz, Meike Capps-Schubert vom "GI-Café" in Kaiserslautern, Hermann Anell von der AG Frieden e.V. Trier, Markus Pflüger, der Bruder von Tobias Pflüger, der die AG Frieden Trier und die DFG-VK vertritt, Waltraut Andruett von Pax Christi Saar und Kalle Kress, der als "ehem. Gegen das Vergessen Ramstein / Friedens-Aktivist" firmiert. Dieses Papier wird sogar in englischer Sprache verbreitet und sorgt mittlerweile auch in der Anti-War Movement der USA für Verwirrung (siehe davidswanson.org ab Minute 14:40). Wer sich für das an ein Dossier des Verfassungsschutzes erinnernde Pamphlet interessiert, kann es sicher über eine/n der genannten Unterzeichner/innen beziehen. Die Kampagne Stopp Ramstein wurde von Anfang an als Personenbündnis und nicht als Bündnis von Organisationen angelegt, damit sich auch nicht organisierte Mitmenschen einbringen können.
junge Welt: Es wird immer noch über die Montagsmahnwachen gestritten? Vor zwei Jahren mag das ja angemessen gewesen sein, aber heute kommt ihnen doch kaum noch eine Bedeutung zu.
Tobias Pflüger: Im Grunde weiß jeder, dass dieses Spektrum atomisiert wurde. Aber die Frage bleibt, mit welchen Themen man wen anzieht. Das ist die Kerndebatte, die derzeit in der Friedensbewegung geführt wird. Bei den Protesten gegen den "Tag der Bundeswehr" ist völlig eindeutig, gegen wen man sich richtet und wo man steht. Auch im Fall der US-Basis in Ramstein kann man die Proteste inhaltlich gut aufziehen. Man kann dort aber auch Formulierungen finden, die sehr problematisch sind.
LUFTPOST: Warum machen Leute, die der Friedensbewegung offensichtlich ein von ihnen erfundenes "Reinheitsgebot" verordnen wollen, immer noch so viel Aufhebens von einem "Spektrum", das sich nach ihrer eigenen Meinung bereits "atomisiert", also selbst aufgelöst hat? Die Frage ist auch nicht, wer wen mit welchen Themen anzieht, sondern mit welchen Themen sich eine Friedensbewegung zu beschäftigen hat, die den Dritten und letzten Weltkrieg verhindern muss? Glaubt Herr Pflüger wirklich, man könne einen von den USA mit Hilfe der NATO gegen Russland inszenierten Krieg abwenden, wenn sich einige friedliebende Menschen mit roten Farbflecken auf weißen Hemden vor Kasernen und anderen Bundeswehreinrichtungen kurzzeitig auf den Boden legen? Warum nennt er nicht wenigsten eine der zur U.S. Air Base Ramstein erhoben Forderungen, die er "sehr problematisch" findet? Warum sind er und die von ihm so geschätzten sechs Friedensinitiativen aus Rheinland-Pfalz und dem Saarland nicht in die Kampagne Stopp Ramstein eingestiegen, um die "Proteste inhaltlich nicht nur gut", sondern noch besser "aufzuziehen"? Sie waren zu allen Vorbereitungsgesprächen eingeladen.
junge Welt: "Die Beteiligung Deutschlands an Interventionskriegen muss beendet und alle Aufrüstungsprogramme müssen gestoppt werden", heißt es auf der Website von "Stopp Ramstein". Dieser Formulierung wird doch auch die Informationsstelle Militarisierung zustimmen können.
Tobias Pflüger: Ja klar. Doch bei der gesamten Debatte um die Montagsmahnwachen war und ist es so, dass die Aufrufe zu den Aktionen nicht das wirkliche Problem sind. In ihnen gibt es immer eine antifaschistische Passage, auch eine, die sich auf die deutsche Regierung bezieht. Gleichzeitig spielen dann aber Akteure eine Rolle, die für eine Öffnung nach rechts stehen und auch ansonsten zweifelhafte Positionen beziehen. Zwei Beispiele dazu: Anneliese Fikentscher ist Teil der Organisation Arbeiterfotografie. Das sind die, die sagen, dass der rechte Österreicher Jörg Haider von einem Geheimdienst umgebracht worden sei. Er habe gestört. Fikentscher saß dann auf einem Podium bei Stopp Ramstein. Das zweite Beispiel ist Willy Wimmer, der auch bereits bei der Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen Welt gesprochen hat. Er scheint aber immer weiter nach rechts gerückt zu sein. Im Zuge von Stopp Ramstein hat er formuliert, dass die Drohnenmorde mit den Erschießungskommandos der Wehrmacht am Ende des Zweiten Weltkriegs zu vergleichen wären. Da muss man doch sagen: Beides ist zwar fürchterlich, aber eben nicht miteinander zu vergleichen. Warum organisiert man sich eine Veranstaltung so, dass man Gefahr läuft, dieses Spektrum mitzubedienen? Darüber wird immer wieder diskutiert. Diejenigen, die anfingen, mit den Akteuren der Montagsmahnwachen zu arbeiten, haben den Spaltpilz in die Friedensbewegung gebracht.
LUFTPOST: Lernt man nicht in jeder politischen "Grundausbildung", dass Aufrufe Vereinbarungen von Menschen sind, die eine ganz bestimmte Forderung, die sie für wichtig halten, mit vorher vereinbarten Mitteln durchsetzen wollen. Mit jedem Aufruf sollen andere Menschen, denen die erhobene Forderung auch wichtig ist und die mit den vereinbarten Mitteln einverstanden sind, als Mitstreiter gewonnen werden. Die sonstigen Ansichten der Unterzeichner/innen und Mitstreiter/innen sind deren Privatsache, so lange sie nicht versuchen, sie anderen Mitstreiter/innen unterzujubeln. Kann Herr Pflüger wenigstens e i n zutreffendes Beispiel dafür benennen, dass bei Verlautbarungen oder Veranstaltungen der Kampagne das irgendjemand versucht und damit gegen antifaschistische oder andere Passagen in dem Kampagnen-Aufruf verstoßen hat? Was haben die Meinung der Frau Fikentscher zum Tod Jörg Haiders und die sonstige politische Positionierung des CDU-Mitglieds Willy Wimmer mit ihrem Auftreten auf Veranstaltungen der Kampagne Stopp Ramstein zu tun? Herr Pflüger hat die Meinung, dass Drohnenmorde und standrechtliche Erschießungen nichts miteinander zu tun haben. Das ist sein gutes Recht. Er kann von Herrn Wimmer aber nicht verlangen, dass der deshalb seine Meinung ändert. Merkt Herr Pflüger nicht, dass er eine Art "Gesinnungstüv" installieren will und letztendlich die Abschaffung der Meinungsfreiheit propagiert?
junge Welt: Aber bedeutende Organisatoren der "Stopp Ramstein"-Kampagne sind selbst seit langem für den Frieden engagiert.
Tobias Pflüger: Ja. Zum Beispiel Reiner Braun von den Juristinnen und Juristen gegen nukleare, biologische und chemische Waffen, IALANA. Er arbeitet seit Jahren in der Friedensbewegung. Und ich habe ja auch überhaupt nichts dagegen, vernünftige Menschen aus den Montagsmahnwachen herauszulösen. Doch es geht darum, wen man sich mit welchen Themen einlädt. So gab es laut Programm der Kampagne eine Veranstaltung zur Bilderberg-Konferenz. Grundsätzlich ist das spannend. Aber wir wissen doch genau, dass es nicht nur eine Kritik von links an dieser Konferenz gibt. Statt dessen sollte man Leute einladen, bei denen man weiß, wo sie politisch stehen. Dann kommt man nicht in die Gefahr, Unsinn zu hören und die falschen Leute zu mobilisieren.
LUFTPOST: Will Herr Pflüger der Kampagne Stopp Ramstein wirklich allen Ernstes vorschreiben, wie sie welche Themen anzupacken und welche Referenten sie dazu einzuladen hat? Die Diskussion zu dem Thema "Bilderberger – Eine Konferenz wird demaskiert" haben Pedram Shahyar (Blogger) und Reiner Braun (IALANA) geleitet. Wer von beiden hat die Bilderberger "nicht von links" kritisiert? Wer bestimmt, was "Kritik von links" ist? Sind Themen und Sachverhalte, die auch "von rechts kritisiert" werden, für Linke verbrannt und damit tabu? Weiß man so genau, wo Herr Pflüger "politisch steht"? Ist er ganz sicher, dass von ihm nicht auch schon "Unsinn zu hören" war, und "die falschen Leute mobilisiert" und unterstützt wurden?
junge Welt: Nun haben Sie Reiner Braun genannt. Um ihn scheint es auch eine Kontroverse zu geben. Man kreidet ihm an, Ende Januar den Bautzener Friedenspreis entgegengenommen zu haben. Warum?
Tobias Pflüger: Es ist ein Riesenproblem, dass er den angenommen hat. Ursprünglich wurde von der Website des Bautzener Friedenspreises auf die Montagsmahnwachen verwiesen. Dort fand man sowohl linke als auch rechte Inhalte. Das ging bis hin zu Hitler-Sprüchen. Mittlerweile ist diese Website geändert. Dann gibt es die Geschichte, dass der Moderator der Preisverleihung bei einer der Mahnwachen einen nach eigenem Bekunden "bekennenden Nationalsozialisten" reden ließ. Es dürfe ja jeder sprechen. Da hört dann irgendwann der Spaß auf. Aus der Friedensbewegung gibt es deshalb den Wunsch, dass Reiner Braun den Preis zurückgibt.
junge Welt: Und was sagen Sie?
Tobias Pflüger: Er soll den Preis zurückgeben.
junge Welt: Gab es darauf eine Reaktion?
Tobias Pflüger: Er sagte, er habe unsere Kritik an die Verleiher des Preises weitergegeben. Aber ich habe ihn bisher so verstanden, dass er den Preis behalten will.
LUFTPOST: Grundsätzlich darf in der Bundesrepublik Deutschland jeder reden, weil nach Art. 5 unseres Grundgesetzes jeder das Recht hat, "seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten". In einem demokratischen Diskurs kann und muss die Rede eines "bekennenden Nationalsozialisten" mit einer demokratischen Grundsätzen entsprechenden Gegenrede richtiggestellt werden. Wenn das dazu führt, dass "Hitler-Sprüche von einer Website entfernt" werden, ist das ein positiv zu wertender Lernerfolg. Dürfen Menschen jetzt nicht mehr selbst entscheiden, ob sie verliehene Preise behalten oder zu rückgeben wollen? Hat Herr Pflüger eigentlich schon den US-Präsidenten Obama aufgefordert, den Friedensnobelpreis zurückzugeben?
junge Welt: Es gibt also Spannungen in der Friedensbewegung. Hat sich darüber auch der Umgang der Organisationen und Personen untereinander geändert?
Tobias Pflüger: In vielen Organisationen gibt es eine Dauerdebatte, die nicht mehr aufhört. Auch innerhalb des selben Verbands verhalten sich die Menschen unterschiedlich zu den Montagsmahnwachen. Manche wollen mit ihnen arbeiten, andere nicht. Gerade dadurch werden viele Dinge heikel. Zum 8. Oktober wollen wir etwa eine gemeinsame, bundesweit organisierte Friedensdemonstration auf die Beine stellen. Dabei gibt es immer das Bemühen, miteinander zusammenzuarbeiten. Doch dabei bleibt dieses Problem bestehen. Dieser Konflikt stellt eine ernste strukturelle Schwächung der Friedensbewegung dar.
junge Welt: Sehen Sie einen Ausweg aus dieser verfahrenen Situation?
Tobias Pflüger: Nein.
LUFTPOST: Herr Pflüger und der Interviewer von der jungen Welt sollten sich auf die eigene Brust klopfen und einmal ernsthaft darüber nachdenken, wer die spaltende "Dauerdebatte" in der Friedensbewegung entfacht hat und sie mit den immer gleichen Halb- oder Unwahrheiten und haltlosen Verleumdungen oder Unterstellungen in Gang hält und wem sie einzig und allein nutzt. Beide könnten sehr viel dazu beitragen, diese unsägliche Spalterdebatte noch vor der bundesweiten Friedensdemo am 08.10.16 in Berlin zu beenden. Das kategorische "Nein" des Herr Pflüger ist da allerdings wenig hilfreich.
junge Welt: Offenbar macht sich diese Auseinandersetzung an Personen und der Themenwahl fest. Aber steckt dahinter nicht die tiefer gehende Frage, ob die Friedensbewegung in Deutschland hauptsächlich gegen den deutschen oder in erster Linie gegen den US-Imperialismus vorgehen soll?
Tobias Pflüger: Das ist in der Tat eine der Grundfragen. Allerdings würde ich Organisatoren wie Reiner Braun den Vorwurf nicht machen: Er hat mit mir entwickelt, dass die EU-Militarisierung kritisiert werden muss, ebenso die Entwicklung innerhalb Deutschlands. Doch in den Reden einiger gibt es nur US-Kritik, US-Kritik, US-Kritik. Bei der Kritik von rechts heißt es dann, dass sich die deutsche Armee nicht für US-Interessen einbinden lassen dürfe. Da wird von den "deutschen Jungs" gesprochen. Das kann nicht unsere Kritik sein, wir müssen antimilitaristisch argumentieren.
LUFTPOST: Herr Pflüger brüstet sich damit, er habe Reiner Braun davon überzeugt, dass auch die Militarisierung der EU und die geplante Aufrüstung der Bundeswehr kritisiert werden müssten. Wer schafft es, Herrn Pflüger endlich zu der Einsicht zu verhelfen, dass auch und vor allem die gefährliche Kriegstreiberei der US-Regierung kritisiert und die Bevölkerung darüber aufgeklärt werden muss. Seine Informationsstelle Militarisierung e.V. hat sich da bisher nicht besonders hervorgetan. Wenn "Rechte" fordern, die Bundeswehr dürfe sich nicht für die Durchsetzung von US-Interessen einbinden lassen, kann das doch nicht bedeuten, dass diese Forderung damit für "Linke" tabu ist. Das ist eine faule Ausrede für alle, die sich nicht mit den neokonservativen Kriegstreibern in den USA anlegen wollen und bedeutet de facto die widerstandslose Aufgabe unserer Souveränität und die bedingungslose Kapitulation vor dem "Freund USA" – schon vor dem letzten Krieg.
junge Welt: Von Deutschland aus betrachtet sind die USA ein wenig weit entfernt. Der deutsche Imperialismus liegt als Ziel doch viel näher.
Tobias Pflüger: Das sehe ich auch so, da bin ich völlig Liebknechtianer: "Der Hauptfeind steht im eigenen Land." Um den müssen wir uns primär kümmern. Doch auf jeder Veranstaltung erlebe ich Menschen, die nur die USA sehen. Gerade weil sie so weit weg sind – und es weniger konkret wird, etwas zu tun und zu ändern. Und natürlich ist die US-Außenpolitik verheerend. Doch wer nur sie kritisiert und nichts sonst, der entschuldigt den Imperialismus Deutschlands. Und das geht nicht.
LUFTPOST: Was soll das Gerede vom "deutschen Imperialismus". Der hat mit dem Untergang des Kaiserreiches eine schwere Niederlage erlitten und ist mit dem Nationalsozialismus untergegangen. Selbst eine von Frau von der Leyen mit vielen Milliarden Euro aufgerüstete Bundeswehr würde als "Hilfstruppe" des sterbenden US-Imperialismus mit diesem untergehen. Richtig verstanden, hat Karl Liebknecht auch heute noch recht: Der Hauptfeind des Weltfriedens, die USA, stehen mit ihren vielen Kommandozentralen, Nachschublagern und der Hauptkriegsdrehscheibe Air Base Ramstein tatsächlich in unserem Land – auch wenn Tobias Pflüger das aus unerfindlichen Gründen nicht wahrhaben will.
Quellen:
Das von LUFTPOST kommentierte junge-Welt-Interview mit Tobias Pflüger
http://luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_16/LP08416_030716.pdf
Das Interview mit Tobias Pflüger in der Tageszeitung "junge Welt"
https://www.jungewelt.de/2016/07-02/060.php
Online-Flyer Nr. 569 vom 06.07.2016
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Kommentiertes junge-Welt-Interview mit Tobias Pflüger
Wer nur die Bundeswehr sieht, lenkt berechtigte Ängste vor einem bissigen Hund auf dessen Stummelschwanz
Von LUFTPOST
Am 02.07.2016 ist in der Tageszeitung "junge Welt" unter dem Titel "Wer nur die USA sieht, entschuldigt den deutschen Imperialismus" ein Interview erschienen, das Johannes Supe mit Tobias Pflüger, einem der stellvertretenden Vorsitzenden der Partei DIE LINKE, geführt hat. Es enthält diffamierende Äußerungen gegen Teile der Bewegung. "LUFTPOST - Friedenspolitische Mitteilungen aus der US-Militärregion Kaiserslautern/Ramstein" hat den Teil des Gesprächs, der sich mit dem "seit Jahren schwelenden Streit in der Friedensbewegung" beschäftigt, kommentiert. Auf die Fragen der Zeitung "junge Welt" und die Antworten von Tobias Pflüger folgt jeweils der LUFTPOST-Kommentar.
junge Welt: Die Bilder, die Kinder an Waffen zeigen, waren empörend. Sie gingen auch durch die bürgerliche Presse. Spiegel online titelte etwa: "Bundeswehr lässt Kinder mit Gewehren spielen". In der Folge traf die Bundeswehr ein Sturm der Entrüstung.
Tobias Pflüger: Wir haben dem Militär einen Strich durch die Rechnung gemacht. An den meisten der 16 Standorte fanden Proteste statt, etwa 1.000 Menschen haben an ihnen teilgenommen. Wir konnten also mit gar nicht so vielen Menschen ihre Propagandaschau verderben. Nun wirdin der Öffentlichkeit endlich über Waffen diskutiert. Die Bundeswehr hat hier Grenzen überschritten. Und das an einem Tag, an dem sie an Akzeptanz gewinnen wollte. Zudem war die Aktion gut für die Zusammenarbeit in der Friedensbewegung.
LUFTPOST: Über die Proteste gegen die Hauptkriegsdrehscheibe U.S. Air Base Ramstein am 10. und 11.06.2016 wurde weltweit berichtet (siehe ramstein-kampagne.eu). An der als Große Abschlussprotestaktion "Kein Tag der Bundeswehr" vor der Wehrtechnischen Dienstelle Trier (siehe gf-trier.de) angekündigten Veranstaltung, sollen nach Meldungen in der Lokalpresse, die leider nicht mehr aufzurufen sind, rund 100 Personen teilgenommen haben, was bei 16 Veranstaltungen mit insgesamt 1.000 Teilnehmern (das sind durchschnittlich 63 Teilnehmer pro Veranstaltung) vermutlich zutrifft. Die Behauptungen, "jetzt endlich werde in der Öffentlichkeit über Waffen diskutiert" und mit "etwa 1.000 Menschen" habe man die Propagandaschau gestört, die Zehntausende unkritische, teilweise sogar begeisterte Besucher angelockt hat, und der "der Bundeswehr einen Strich durch die Rechnung gemacht", sind nicht nur leicht übertrieben.
junge Welt: Welche Absprachen gab es im Vorfeld unter den verschiedenen Gruppen?
Tobias Pflüger: Die DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, jW) und das Netzwerk Friedenskooperative haben die Koordination übernommen und die Informationen gesammelt. So wussten wir jeweils, was an anderen Orten stattfindet und konnten uns darüber austauschen. Etwa ein Dutzend Organisationen hat sich dann beteiligt. So hat etwa Die Linke zu den Protesten aufgerufen, aber auch Jugendorganisationen wie die SDAJ oder die Linksjugend solid. Auch Pax Christi war in die Aktion involviert.
LUFTPOST: Es ist sehr bedauerlich, dass Organisationen wie die DFG-VK, das Netzwerk Friedenskooperative, DIE LINKE, die SDAJ, die Linksjugend und Pax Christi nur 1.000 friedensbewegte Menschen mobilisieren konnten.
junge Welt: Sie haben eben von der "Zusammenarbeit in der Friedensbewegung" gesprochen. Während Sie und andere gegen die Bundeswehr aktiv wurden, folgten andere Aktivisten einem Aufruf der Kampagne "Stopp Ramstein". Zwischen 1.500 und 5.000 Menschen forderten die Schließung der US-Basis in Ramstein, die für die Drohnenkriege der USA von großer Bedeutung ist. Die Teilnehmerzahlen von Polizei und Veranstaltern unterschieden sich hier, blieben aber deutlich unter den 12.000, auf die die Organisatoren vorab gehofft hatten. Haben sich dieser und Ihr Protest gegenseitig ergänzt, oder sich die Teilnehmer weggenommen?
Tobias Pflüger: Es ist etwas skurril, dass das gleichzeitig stattfand. Wie die "Stopp Ramstein"-Kampagne ihren Termin festgelegt hat, weiß ich nicht. Der "Tag der Bundeswehr" wird ja von der Armee bestimmt. Natürlich gibt es einzelne Aktivisten, die sich dann überlegen, wo sie hingehen. Aber im großen und ganzen würde ich sagen, dass sich die Proteste gegenseitig nicht viel genommen haben. Sie haben unterschiedliche Spektren angezogen. Auch die Organisation lief voneinander fast gänzlich unabhängig.
LUFTPOST: Auf einem Planungstreffen der Kampagne Stopp Ramstein am 13.12.15 in Offenbach, zu dem bundesweit eingeladen wurde, haben sich die 120 Teilnehmer darauf verständigt, am 10./11.06.16 ein Aktionswochenende in Stadt und Landkreis Kaiserslautern durchzuführen. Dass am 11.06.16 auch ein "Tag der Bundeswehr" stattfinden würde, war damals noch nicht bekannt, weil Verteidigungsministerin Frau von der Leyen den Termin erst am 31.03.2016 veröffentlicht hat (siehe bundeswehr.de). Herr Pflüger erwähnt leider nicht, dass bei diesem Planungstreffen auch ein Vertreter der sechs Friedensinitiativen aus Rheinland-Pfalz und dem Saarland anwesend war, die im Februar 2016 die als Alternativunternehmen organisierte Kampagne "Krieg beginnt hier" gestartet haben, sich dazu aber nicht äußerte. Herr Pflüger hat auch nicht erwähnt, dass diese Gruppierung am 08.02.16 ein Dossier für die "Interne Diskussion in der Friedensbewegung" mit "Einschätzungen regionaler Friedensvertreterinnen zur 'Stopp Ramstein Kampagne 2016' in Umlauf brachte, in dem mit unbewiesenen Behauptungen und Verleumdungen Stimmung gegen die Kampagne Stopp Ramstein und einzelne Mitglieder des Organisationsausschusses dieser Kampagne gemacht wurde.
junge Welt: Die Kampagne wird hauptsächlich von Einzelpersonen getragen, hinter den Aktionen zum »Tag der Bundeswehr« standen hingegen Organisationen. Woher rührt der Unterschied in der Organisationsform?
Tobias Pflüger: Unter den Aufruferinnen und Aufrufern zum Protest gegen die US-Basis sind umstrittene Persönlichkeiten. Dort sind auch Akteure der Montagsmahnwachen mit dabei. Deshalb hätte dieser Protest gar nicht anders als von Einzelpersonen organisiert werden können. Jede Organisation, die man nach ihrer Teilnahme gefragt hätte, hätte eine längere interne Debatte geführt. Eben die, ob man gemeinsam mit jenen von den Montagsmahnwachen auftritt. Wenige Organisationen hätten sich dazu entschieden. Das weiß ich von einer ganzen Reihe von Verbänden, aus denen aber Einzelpersonen zum Protest in Ramstein aufgerufen haben.
LUFTPOST: Die Behauptung, unter den zum Protest gegen die U.S. Air Base Ramstein Aufrufenden befänden sich auch "umstrittene Persönlichkeiten aus den Montagsmahnwachen" hat Herr Pflüger ungeprüft aus den bereits erwähnten "Einschätzungen" übernommen, für die folgende Personen verantwortlich zeichnen: Pfarrer Detlev Besier von der Friedensinitiative Westpfalz, Meike Capps-Schubert vom "GI-Café" in Kaiserslautern, Hermann Anell von der AG Frieden e.V. Trier, Markus Pflüger, der Bruder von Tobias Pflüger, der die AG Frieden Trier und die DFG-VK vertritt, Waltraut Andruett von Pax Christi Saar und Kalle Kress, der als "ehem. Gegen das Vergessen Ramstein / Friedens-Aktivist" firmiert. Dieses Papier wird sogar in englischer Sprache verbreitet und sorgt mittlerweile auch in der Anti-War Movement der USA für Verwirrung (siehe davidswanson.org ab Minute 14:40). Wer sich für das an ein Dossier des Verfassungsschutzes erinnernde Pamphlet interessiert, kann es sicher über eine/n der genannten Unterzeichner/innen beziehen. Die Kampagne Stopp Ramstein wurde von Anfang an als Personenbündnis und nicht als Bündnis von Organisationen angelegt, damit sich auch nicht organisierte Mitmenschen einbringen können.
junge Welt: Es wird immer noch über die Montagsmahnwachen gestritten? Vor zwei Jahren mag das ja angemessen gewesen sein, aber heute kommt ihnen doch kaum noch eine Bedeutung zu.
Tobias Pflüger: Im Grunde weiß jeder, dass dieses Spektrum atomisiert wurde. Aber die Frage bleibt, mit welchen Themen man wen anzieht. Das ist die Kerndebatte, die derzeit in der Friedensbewegung geführt wird. Bei den Protesten gegen den "Tag der Bundeswehr" ist völlig eindeutig, gegen wen man sich richtet und wo man steht. Auch im Fall der US-Basis in Ramstein kann man die Proteste inhaltlich gut aufziehen. Man kann dort aber auch Formulierungen finden, die sehr problematisch sind.
LUFTPOST: Warum machen Leute, die der Friedensbewegung offensichtlich ein von ihnen erfundenes "Reinheitsgebot" verordnen wollen, immer noch so viel Aufhebens von einem "Spektrum", das sich nach ihrer eigenen Meinung bereits "atomisiert", also selbst aufgelöst hat? Die Frage ist auch nicht, wer wen mit welchen Themen anzieht, sondern mit welchen Themen sich eine Friedensbewegung zu beschäftigen hat, die den Dritten und letzten Weltkrieg verhindern muss? Glaubt Herr Pflüger wirklich, man könne einen von den USA mit Hilfe der NATO gegen Russland inszenierten Krieg abwenden, wenn sich einige friedliebende Menschen mit roten Farbflecken auf weißen Hemden vor Kasernen und anderen Bundeswehreinrichtungen kurzzeitig auf den Boden legen? Warum nennt er nicht wenigsten eine der zur U.S. Air Base Ramstein erhoben Forderungen, die er "sehr problematisch" findet? Warum sind er und die von ihm so geschätzten sechs Friedensinitiativen aus Rheinland-Pfalz und dem Saarland nicht in die Kampagne Stopp Ramstein eingestiegen, um die "Proteste inhaltlich nicht nur gut", sondern noch besser "aufzuziehen"? Sie waren zu allen Vorbereitungsgesprächen eingeladen.
junge Welt: "Die Beteiligung Deutschlands an Interventionskriegen muss beendet und alle Aufrüstungsprogramme müssen gestoppt werden", heißt es auf der Website von "Stopp Ramstein". Dieser Formulierung wird doch auch die Informationsstelle Militarisierung zustimmen können.
Tobias Pflüger: Ja klar. Doch bei der gesamten Debatte um die Montagsmahnwachen war und ist es so, dass die Aufrufe zu den Aktionen nicht das wirkliche Problem sind. In ihnen gibt es immer eine antifaschistische Passage, auch eine, die sich auf die deutsche Regierung bezieht. Gleichzeitig spielen dann aber Akteure eine Rolle, die für eine Öffnung nach rechts stehen und auch ansonsten zweifelhafte Positionen beziehen. Zwei Beispiele dazu: Anneliese Fikentscher ist Teil der Organisation Arbeiterfotografie. Das sind die, die sagen, dass der rechte Österreicher Jörg Haider von einem Geheimdienst umgebracht worden sei. Er habe gestört. Fikentscher saß dann auf einem Podium bei Stopp Ramstein. Das zweite Beispiel ist Willy Wimmer, der auch bereits bei der Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen Welt gesprochen hat. Er scheint aber immer weiter nach rechts gerückt zu sein. Im Zuge von Stopp Ramstein hat er formuliert, dass die Drohnenmorde mit den Erschießungskommandos der Wehrmacht am Ende des Zweiten Weltkriegs zu vergleichen wären. Da muss man doch sagen: Beides ist zwar fürchterlich, aber eben nicht miteinander zu vergleichen. Warum organisiert man sich eine Veranstaltung so, dass man Gefahr läuft, dieses Spektrum mitzubedienen? Darüber wird immer wieder diskutiert. Diejenigen, die anfingen, mit den Akteuren der Montagsmahnwachen zu arbeiten, haben den Spaltpilz in die Friedensbewegung gebracht.
LUFTPOST: Lernt man nicht in jeder politischen "Grundausbildung", dass Aufrufe Vereinbarungen von Menschen sind, die eine ganz bestimmte Forderung, die sie für wichtig halten, mit vorher vereinbarten Mitteln durchsetzen wollen. Mit jedem Aufruf sollen andere Menschen, denen die erhobene Forderung auch wichtig ist und die mit den vereinbarten Mitteln einverstanden sind, als Mitstreiter gewonnen werden. Die sonstigen Ansichten der Unterzeichner/innen und Mitstreiter/innen sind deren Privatsache, so lange sie nicht versuchen, sie anderen Mitstreiter/innen unterzujubeln. Kann Herr Pflüger wenigstens e i n zutreffendes Beispiel dafür benennen, dass bei Verlautbarungen oder Veranstaltungen der Kampagne das irgendjemand versucht und damit gegen antifaschistische oder andere Passagen in dem Kampagnen-Aufruf verstoßen hat? Was haben die Meinung der Frau Fikentscher zum Tod Jörg Haiders und die sonstige politische Positionierung des CDU-Mitglieds Willy Wimmer mit ihrem Auftreten auf Veranstaltungen der Kampagne Stopp Ramstein zu tun? Herr Pflüger hat die Meinung, dass Drohnenmorde und standrechtliche Erschießungen nichts miteinander zu tun haben. Das ist sein gutes Recht. Er kann von Herrn Wimmer aber nicht verlangen, dass der deshalb seine Meinung ändert. Merkt Herr Pflüger nicht, dass er eine Art "Gesinnungstüv" installieren will und letztendlich die Abschaffung der Meinungsfreiheit propagiert?
junge Welt: Aber bedeutende Organisatoren der "Stopp Ramstein"-Kampagne sind selbst seit langem für den Frieden engagiert.
Tobias Pflüger: Ja. Zum Beispiel Reiner Braun von den Juristinnen und Juristen gegen nukleare, biologische und chemische Waffen, IALANA. Er arbeitet seit Jahren in der Friedensbewegung. Und ich habe ja auch überhaupt nichts dagegen, vernünftige Menschen aus den Montagsmahnwachen herauszulösen. Doch es geht darum, wen man sich mit welchen Themen einlädt. So gab es laut Programm der Kampagne eine Veranstaltung zur Bilderberg-Konferenz. Grundsätzlich ist das spannend. Aber wir wissen doch genau, dass es nicht nur eine Kritik von links an dieser Konferenz gibt. Statt dessen sollte man Leute einladen, bei denen man weiß, wo sie politisch stehen. Dann kommt man nicht in die Gefahr, Unsinn zu hören und die falschen Leute zu mobilisieren.
LUFTPOST: Will Herr Pflüger der Kampagne Stopp Ramstein wirklich allen Ernstes vorschreiben, wie sie welche Themen anzupacken und welche Referenten sie dazu einzuladen hat? Die Diskussion zu dem Thema "Bilderberger – Eine Konferenz wird demaskiert" haben Pedram Shahyar (Blogger) und Reiner Braun (IALANA) geleitet. Wer von beiden hat die Bilderberger "nicht von links" kritisiert? Wer bestimmt, was "Kritik von links" ist? Sind Themen und Sachverhalte, die auch "von rechts kritisiert" werden, für Linke verbrannt und damit tabu? Weiß man so genau, wo Herr Pflüger "politisch steht"? Ist er ganz sicher, dass von ihm nicht auch schon "Unsinn zu hören" war, und "die falschen Leute mobilisiert" und unterstützt wurden?
junge Welt: Nun haben Sie Reiner Braun genannt. Um ihn scheint es auch eine Kontroverse zu geben. Man kreidet ihm an, Ende Januar den Bautzener Friedenspreis entgegengenommen zu haben. Warum?
Tobias Pflüger: Es ist ein Riesenproblem, dass er den angenommen hat. Ursprünglich wurde von der Website des Bautzener Friedenspreises auf die Montagsmahnwachen verwiesen. Dort fand man sowohl linke als auch rechte Inhalte. Das ging bis hin zu Hitler-Sprüchen. Mittlerweile ist diese Website geändert. Dann gibt es die Geschichte, dass der Moderator der Preisverleihung bei einer der Mahnwachen einen nach eigenem Bekunden "bekennenden Nationalsozialisten" reden ließ. Es dürfe ja jeder sprechen. Da hört dann irgendwann der Spaß auf. Aus der Friedensbewegung gibt es deshalb den Wunsch, dass Reiner Braun den Preis zurückgibt.
junge Welt: Und was sagen Sie?
Tobias Pflüger: Er soll den Preis zurückgeben.
junge Welt: Gab es darauf eine Reaktion?
Tobias Pflüger: Er sagte, er habe unsere Kritik an die Verleiher des Preises weitergegeben. Aber ich habe ihn bisher so verstanden, dass er den Preis behalten will.
LUFTPOST: Grundsätzlich darf in der Bundesrepublik Deutschland jeder reden, weil nach Art. 5 unseres Grundgesetzes jeder das Recht hat, "seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten". In einem demokratischen Diskurs kann und muss die Rede eines "bekennenden Nationalsozialisten" mit einer demokratischen Grundsätzen entsprechenden Gegenrede richtiggestellt werden. Wenn das dazu führt, dass "Hitler-Sprüche von einer Website entfernt" werden, ist das ein positiv zu wertender Lernerfolg. Dürfen Menschen jetzt nicht mehr selbst entscheiden, ob sie verliehene Preise behalten oder zu rückgeben wollen? Hat Herr Pflüger eigentlich schon den US-Präsidenten Obama aufgefordert, den Friedensnobelpreis zurückzugeben?
junge Welt: Es gibt also Spannungen in der Friedensbewegung. Hat sich darüber auch der Umgang der Organisationen und Personen untereinander geändert?
Tobias Pflüger: In vielen Organisationen gibt es eine Dauerdebatte, die nicht mehr aufhört. Auch innerhalb des selben Verbands verhalten sich die Menschen unterschiedlich zu den Montagsmahnwachen. Manche wollen mit ihnen arbeiten, andere nicht. Gerade dadurch werden viele Dinge heikel. Zum 8. Oktober wollen wir etwa eine gemeinsame, bundesweit organisierte Friedensdemonstration auf die Beine stellen. Dabei gibt es immer das Bemühen, miteinander zusammenzuarbeiten. Doch dabei bleibt dieses Problem bestehen. Dieser Konflikt stellt eine ernste strukturelle Schwächung der Friedensbewegung dar.
junge Welt: Sehen Sie einen Ausweg aus dieser verfahrenen Situation?
Tobias Pflüger: Nein.
LUFTPOST: Herr Pflüger und der Interviewer von der jungen Welt sollten sich auf die eigene Brust klopfen und einmal ernsthaft darüber nachdenken, wer die spaltende "Dauerdebatte" in der Friedensbewegung entfacht hat und sie mit den immer gleichen Halb- oder Unwahrheiten und haltlosen Verleumdungen oder Unterstellungen in Gang hält und wem sie einzig und allein nutzt. Beide könnten sehr viel dazu beitragen, diese unsägliche Spalterdebatte noch vor der bundesweiten Friedensdemo am 08.10.16 in Berlin zu beenden. Das kategorische "Nein" des Herr Pflüger ist da allerdings wenig hilfreich.
junge Welt: Offenbar macht sich diese Auseinandersetzung an Personen und der Themenwahl fest. Aber steckt dahinter nicht die tiefer gehende Frage, ob die Friedensbewegung in Deutschland hauptsächlich gegen den deutschen oder in erster Linie gegen den US-Imperialismus vorgehen soll?
Tobias Pflüger: Das ist in der Tat eine der Grundfragen. Allerdings würde ich Organisatoren wie Reiner Braun den Vorwurf nicht machen: Er hat mit mir entwickelt, dass die EU-Militarisierung kritisiert werden muss, ebenso die Entwicklung innerhalb Deutschlands. Doch in den Reden einiger gibt es nur US-Kritik, US-Kritik, US-Kritik. Bei der Kritik von rechts heißt es dann, dass sich die deutsche Armee nicht für US-Interessen einbinden lassen dürfe. Da wird von den "deutschen Jungs" gesprochen. Das kann nicht unsere Kritik sein, wir müssen antimilitaristisch argumentieren.
LUFTPOST: Herr Pflüger brüstet sich damit, er habe Reiner Braun davon überzeugt, dass auch die Militarisierung der EU und die geplante Aufrüstung der Bundeswehr kritisiert werden müssten. Wer schafft es, Herrn Pflüger endlich zu der Einsicht zu verhelfen, dass auch und vor allem die gefährliche Kriegstreiberei der US-Regierung kritisiert und die Bevölkerung darüber aufgeklärt werden muss. Seine Informationsstelle Militarisierung e.V. hat sich da bisher nicht besonders hervorgetan. Wenn "Rechte" fordern, die Bundeswehr dürfe sich nicht für die Durchsetzung von US-Interessen einbinden lassen, kann das doch nicht bedeuten, dass diese Forderung damit für "Linke" tabu ist. Das ist eine faule Ausrede für alle, die sich nicht mit den neokonservativen Kriegstreibern in den USA anlegen wollen und bedeutet de facto die widerstandslose Aufgabe unserer Souveränität und die bedingungslose Kapitulation vor dem "Freund USA" – schon vor dem letzten Krieg.
junge Welt: Von Deutschland aus betrachtet sind die USA ein wenig weit entfernt. Der deutsche Imperialismus liegt als Ziel doch viel näher.
Tobias Pflüger: Das sehe ich auch so, da bin ich völlig Liebknechtianer: "Der Hauptfeind steht im eigenen Land." Um den müssen wir uns primär kümmern. Doch auf jeder Veranstaltung erlebe ich Menschen, die nur die USA sehen. Gerade weil sie so weit weg sind – und es weniger konkret wird, etwas zu tun und zu ändern. Und natürlich ist die US-Außenpolitik verheerend. Doch wer nur sie kritisiert und nichts sonst, der entschuldigt den Imperialismus Deutschlands. Und das geht nicht.
LUFTPOST: Was soll das Gerede vom "deutschen Imperialismus". Der hat mit dem Untergang des Kaiserreiches eine schwere Niederlage erlitten und ist mit dem Nationalsozialismus untergegangen. Selbst eine von Frau von der Leyen mit vielen Milliarden Euro aufgerüstete Bundeswehr würde als "Hilfstruppe" des sterbenden US-Imperialismus mit diesem untergehen. Richtig verstanden, hat Karl Liebknecht auch heute noch recht: Der Hauptfeind des Weltfriedens, die USA, stehen mit ihren vielen Kommandozentralen, Nachschublagern und der Hauptkriegsdrehscheibe Air Base Ramstein tatsächlich in unserem Land – auch wenn Tobias Pflüger das aus unerfindlichen Gründen nicht wahrhaben will.
Quellen:
Das von LUFTPOST kommentierte junge-Welt-Interview mit Tobias Pflüger
http://luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_16/LP08416_030716.pdf
Das Interview mit Tobias Pflüger in der Tageszeitung "junge Welt"
https://www.jungewelt.de/2016/07-02/060.php
Online-Flyer Nr. 569 vom 06.07.2016
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