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Kommentar
Französische Präsidentschaftswahlen 2017: Debakel für traditionelle Parteien
Frankreich und Europa
Von Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait

Der erste Wahlgang endete in Frankreich am Sonntag 23.4.2017 mit einer hohen Wahlbeteiligung von knapp 80%, ungefähr genauso hoch wie vor fünfzehn Jahren, als die Franzosen für Jacques Chirac stimmten. Das Resultat der ersten Runde besiegelt ein Debakel für die traditionellen Parteien Frankreichs, die Konservativen und die Sozialisten. Die extrem korrupte und schädliche Sarkozy-Regierung hat definitiv die konservativ-republikanische Partei diskreditiert und zum allgemeinen Niedergang verurteilt. Die inkompetente neoliberal-unsoziale Hollande-Regierung führte bei den Menschen zu tiefer Verachtung der sozialistischen Partei und ihrem völligen Misskredit. Beide Parteien haben das Vertrauen der Franzosen verspielt. Sie zählen nicht mehr, weil sie nichts mehr zu sagen haben. Man spricht deshalb vom Ende der 5. Republik. Der französische Staat ist durch die zwei letzten erbärmlichen Präsidenten Sarkozy und Hollande durch und durch korrupt geworden, so dass das politische System nicht mehr erkennbar ist. Die alte Mitte ist weggefegt. Mehr als 40% der Franzosen stimmten am vergangenen Sonntag 23.4.2017 für einen substantiellen Wandel und zwar die Wähler des Front National von Marine Le Pen und die Wähler der Linkspartei (Partie de Gauche) von Jean-Luc Mélenchon.

Wechsel des herrschenden, gescheiterten Systems ist angesagt

Ein Wechsel des herrschenden, aber gescheiterten Systems, das die Franzosen seit Jahrzehnten immer mehr verarmt, ist angesagt. Es ist zu wünschen, dass die überwältigende Mehrheit der Franzosen so aufgeklärt ist, um einzusehen, dass der Kandidat, der bei der ersten Runde die meisten Stimmen auf sich vereinte, Emmanuel Macron (23,7%), nicht vorhat, das Land aus der neoliberalen Misere herauszuführen, denn er selbst ist Teil und Instrument dieses krisenhaften Geld-Systems und verstrickt mit dem mächtigen Establishment Washingtons, Brüssels und Berlins. In der Tat repräsentiert Macron die Kontinuität des neoliberalen Systems Sarkozy-Hollande, mit der letztendlichen Zerstörung des Sozialstaates. Daher der Jubel in Brüssel und die Erleichterung in Berlin, deren Eliten an demselben zerfallenden Krisen-System verzweifelt-rabiat festhalten, koste es, was es wolle.

"Umso ermutigender ist deshalb das außergewöhnliche Ergebnis Jean-Luc Mélenchons... nur Mélenchon steht für einen grundlegenden politischen Wechsel und eine Politik, die wieder die Mehrheit der Erwerbstätigen, der Arbeitslosen und Rentner in den Blick nimmt und ein demokratisches und soziales Europa will. Er hat die Notwendigkeit einer neuen Wirtschafts- und Währungsordnung in Europa erkannt. ...Ganz im Gegensatz dazu der smarte Rothschild-Banker Macron. Er steht für eine Fortsetzung der Austeritätspolitik, für einen weiteren Abbau des Arbeitsrechts, für eine weitere Kürzung sozialer Leistungen und für eine Unterstützung der Interessen von Banken und Konzernen. Kein Wunder, dass er in Deutschland von den neoliberalen Einheitsparteien CDU, CSU, SPD, FDP und Grünen unterstützt wird... Die Fortsetzung der bisherigen Politik durch einen Präsidenten Macron wird den Front National weiter stärken und den europäischen Zusammenhalt weiter schwächen." (Leitartikel „Dilemma in Frankreich – Macron stärkt Le Pen – Gastkommentar von Oskar Lafontaine, junge Welt, 25.4.2017)

Linke und konservative Katholiken kongruent nebeneinander: Eine Politik für die Menschen und nicht für die Finanzwelt

Die andere Alternative für Frankreich, der Front National mit der Kandidatin Marine Le Pen steht dagegen für ein souveränes Frankreich, das die primären Bedürfnisse des Volkes an erster Stelle beachtet und sie sogar in der französischen Verfassung verankert und garantiert sehen will, darunter das Recht auf Arbeit. Der Linkskandidat Jean-Luc Mélenchon mit 19,6% der Stimmen und Marine Le Pen mit 21,7% Stimmen liegen so in der Sachlage kongruent nebeneinander. Eine Politik für die Menschen und nicht für die Finanzwelt ist die Devise für alle Franzosen, die mit Sorge in die Zukunft blicken.

Beide, Le Pen und Mélenchon, sind die einzigen Politiker Frankreichs, die die Souveränität des Landes und die Rechtsstaatlichkeit hoch gepriesen haben und hochhalten wollen. Beide werden von den Mainstream-Medien als „Populisten“ oder „Extremisten“ diffamiert, Medien, die das Establishment Sarkozy-Hollande-Macron mit Furore gegen eine Alternative zum Wandel verteidigen.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und deutscher Außenminister mit Parteinahme zu Frankreichs Präsidentschaftswahl entgegen jeder Ethik


In Brüssel konnte sich ein Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Sonntag 23.4.2017 nicht an die Regeln der Zurückhaltung halten. Er brach mit diesen anständigen besonnenen Regeln, sich vor einer Wahl in einem EU-Mitgliedsstaat herauszuhalten, griff zum Telefon und gratulierte Macron zu seinem Sieg bei der ersten Runde der französischen Präsidentenwahl. „Nicht einmal formell will Juncker vor der Stichwahl in zwei Wochen Unparteilichkeit wahren“ kommentieren treffend die Journalisten der Süddeutschen Zeitung (SZ) Daniel Brössler und Alexander Mühlauer in ihrem Artikel „Duo mit Dissonanz – Warum Macrons Sieg nicht so sicher ist“, SZ 25.4.2017. Denselben Faux-Pas beging auch ein unbesonnener deutscher Außenminister Gabriel als kakophonisches Echo eines gescheiterten Präsidenten Hollande. Auch Gabriel ergriff sofort Partei entgegen jeder Ethik und versucht, die Präsidentschaftswahl Frankreichs zu präjudizieren, bevor sie zu Ende ist. Hollande demaskierte sich als falscher Sozialist, der statt für die Interessen der Mehrheit Politik für Banken und Konsortien betreibt. Somit hat dieser falsche Sozialist Hollande das Linke Lager gespalten. Daher sein eklatantes Versagen und sein Versinken in völligem Misskredit.

Pragmatisch und politisch völlig verständlich wäre es unter den gegebenen Umständen der bevorstehenden Wahl, dass die linke Wählerschaft von Jean-Luc Mélenchon für Marine Le Pen am 7. Mai 2017 stimmen würde, veranlasst durch die nackte Erkenntnis, dass sich nur mit dem Front National von Marine Le Pen als Präsidentin und nicht mit Macron der Bruch mit dem korrupten System der vorherigen Regierungen bewerkstelligen lässt. Nur dann öffnet sich die Tür zu einer besseren Zukunft Frankreichs und Europas. Marine Le Pen gibt der jungen Generation die Hoffnung wieder zurück. Die junge Generation will gewiss den Wandel.

Die Kandidatin des Front National ist keine „Feindin“ Europas. Diese Darstellung ist eine weitere infame Lüge der Mainstream-Medien, die dem Status-Quo des Establishment und seiner Lügen-Politik dienen. Doch ist Marine Le Pen eine entschlossene Gegnerin der undemokratischen EU, die sich anmaßt, im Namen Europas den europäischen Ländern ihre Regeln zu diktieren, obwohl sie nicht Europa, sondern lediglich die Interessen der herrschenden europäischen Konsortien und Banken repräsentiert.
 
Böse Lügen von Leuten, die ihre Felle davonschwimmen sehen

Marine Le Pen kämpft für ein anderes Europa. Sie und ihre Partei sehen ein Europa, das in der Souveränität aller europäischen Völker verankert sein muss, das Wohlstand und Frieden für sie alle verschafft. Die verlogene Sprache eines luxemburgischen Juncker, der nicht weiß, wofür Europa steht, zieht nicht mehr. Es ist eine böse Lüge eines Repräsentanten von Leuten, die ihre Felle davonschwimmen sehen, wenn er Marine Le Pen unterstellt, Europa zerstören zu wollen. Was Juncker fürchtet, ist Macht und Einfluss zu verlieren zusammen mit seinen Gönnern und christdemokratischen Pöstchen-Jägern.

Linke-Wähler wollen bestimmt nicht das weitere Diktat der Konsortien, Banken und ihr ausplünderndes neoliberales System. Das geht aufgeklärten konservativen Katholiken genauso. Erst recht werden sich enttäuschte Sozialisten, die sich von Hollande betrogen fühlen, nicht von der Propaganda der Medien irritieren lassen. Die meisten von ihnen werden mit Sicherheit für Marine Le Pen stimmen.

Auf den sicheren Säulen der Rechtsstaatlichkeit

Das finale Rennen hat schon begonnen und mit ihm eine Zeit der Aufklärung, eine Zeit der Erkenntnis. Die gesamte Wählerschaft Frankreichs wird sich bewusst werden, dass ihr Gesellschaftssystem gescheitert ist. Es funktioniert nicht mehr, fremde Länder auszubeuten. Die Länder wehren sich und finden dafür Verbündete. Syrien ist das eklatanteste tragische Beispiel, aber auch in Mali geht es nur noch mit brutaler Militärgewalt. Es ist Zeit, dass sich alle Franzosen endlich von dem tradierten veralteten Denken befreien und ihre humanistischen, ja christlichen Wurzeln auf den sicheren Säulen der Rechtsstaatlichkeit wiederfinden.

Politik und Wirtschaft im Dienst des menschlichen Lebens

Schon Papst Franziskus bezeichnete das herrschende Wirtschaftssystem als tödlich für den Menschen. Sein Hinweis ist hoch aktuell:

"Die Politik darf sich nicht der Wirtschaft unterwerfen, und diese darf sich nicht dem Diktat und dem effizienzorientierten Paradigma der Technokratie unterwerfen... Im Hinblick auf das Gemeinwohl besteht für uns heute die dringende Notwendigkeit, dass Politik und Wirtschaft sich im Dialog entschieden in den Dienst des Lebens stellen, besonders in den des menschlichen Lebens. Die Rettung der Banken um jeden Preis, indem man die Kosten dafür der Bevölkerung aufbürdet, ohne den festen Entschluss, das gesamte System zu überprüfen und zu reformieren, unterstützt eine absolute Herrschaft der Finanzen, die keine Zukunft besitzt und nach einer langwierigen, kostspieligen und scheinbaren Heilung nur darauf neue Krisen hervorrufen kann."

Es geht um die ethischen Grundsätze für eine dem Menschen gewidmete Wirtschaft und für eine Regelung der spekulativen Finanzaktivitäten und des fiktiven Reichtums. Das gilt auch für Frankreich. Doch es gibt bisher keine Reaktion in den traditionellen Führungskreisen, die dazu führte, die veralteten Kriterien zu überdenken, so dass sich Frankreich von seinem Krieg der Lügen befreit, sich erneuert und erneut ein Land des Friedens und Wohlstandes wird, fern von der Misere, fern von kriminellen Überfällen auf andere Länder und Aggression.


Verfasst am 30.4.2017 nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen in Frankreich am 23.4.2017


Luz María de Stéfano Zuloaga de Lenkait ist chilenische Rechtsanwältin und Diplomatin (a.D.). Sie war tätig im Außenministerium und wurde unter der Militärdiktatur aus dem Auswärtigen Dienst entlassen. In Deutschland hat sie sich öffentlich engagiert für den friedlichen Übergang der chilenischen Militärdiktatur zum freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat, u.a. mit Erstellen von Gutachten für Mitglieder des Deutschen Bundestages und Pressearbeit, die Einheit beider deutschen Staaten als ein Akt der Souveränität in Selbstbestimmung der beiden UN-Mitglieder frei von fremden Truppen und Militärbündnissen, einen respektvollen rechtmäßigen Umgang mit dem vormaligen Staatsoberhaupt der Deutschen Demokratischen Republik Erich Honecker im vereinten Deutschland, für die deutsche Friedensbewegung, für bessere Kenntnis des Völkerrechts und seine Einhaltung, vor allem bei Politikern, ihren Mitarbeitern und in Redaktionen. Publikationen von ihr sind in chilenischen Tageszeitungen erschienen (El Mercurio, La Epoca), im südamerikanischen Magazin “Perfiles Liberales”, und im Internet, u.a. bei Attac, Portal Amerika 21, Palästina-Portal. Einige ihrer Gutachten (so zum Irak-Krieg 1991) befinden sich in der Bibliothek des Deutschen Bundestages.


Weitere Einschätzungen zu den französischen Präsidentschaftswahlen:


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Online-Flyer Nr. 611  vom 03.05.2017

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