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Aktueller Online-Flyer vom 24. November 2024  

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Krieg und Frieden
Afrin und andernorts - eine Einschätzung aus Syrien
Der Imperialismus lässt sich nicht instrumentalisieren, der Imperialismus instrumentalisiert
Von Markus Heizmann

Den Nachrichten und dem Internet entnehmen wir, dass die türkische Armee in Afrin einmarschiert sei, um die YPG zu zerschlagen. Dies in Übereinstimmung mit Russland. Das Syrische Parlament protestiert in aller Form gegen diesen Akt der Aggression seitens der türkischen Regierung. Soweit die aus den Medien bekannten Fakten. Wir hatten hier vor Ort in Damaskus (noch) keine Gelegenheit, mit einer dazu kompetenten Person über diese Zusammenhänge zu diskutieren. Deshalb an dieser Stelle unsere eigene Meinung dazu: Die kurdischen Verbände der YPG in Afrin und andernorts in Nordsyrien arbeiten direkt mit den USA und den NATO-Aggressoren zusammen. Sie erhalten von den USA Waffen, Geld, Logistik und Ausrüstung. Im Gegenzug erlauben diese kurdischen Kämpfer den USA und der NATO die Stationierung von Militärbasen auf syrischem Staatsgebiet, welches zur Zeit unter Kontrolle dieser sogenannten „kurdischen Kämpfer“ ist. Mittlerweile 13 US Basen, weitere sind geplant. Bis dahin gab es überhaupt keine US/NATO-Basen in Syrien.

Großteil der kurdischen Kämpfer: von den USA finanzierte Söldner

Wie wir von Elias Samman, einem Syrischen Politiker der oppositionellen SSNP (Syrian Socialist National Party) erfahren haben, handelt es sich bei diesen kurdischen Kämpfern nicht vorwiegend um Syrer, nur eine Minorität von ihnen sind laut Samman Syrier. Beim Großteil von ihnen handelt es sich um ausländische Kämpfer, von denen wiederum eine Minderheit ideologische Gründe für ihren Kampf hat, der Großteil sind jedoch von den USA finanzierte Söldner. Vor diesem Hintergrund greift nun also die türkische Armee die kurdischen Verbände auf Syrischem Boden an.

Diese Konstellation ist nur auf den ersten Blick verwirrend. Eigentlich wäre zu erwarten gewesen, dass entweder die Syrische Armee, die Russische Armee oder die Kräfte der Hizbullah die kurdischen Kämpfer aus dem Syrischen Gebiet rund um Afrin, Qamischli, Ain al Arab etc. vertreiben. Dies hätte jedoch, da sich die kurdischen Kämpfer ja dazu entschlossen haben, mit den USA und der NATO zusammen zu arbeiten, eine direkte Konfrontation mit den USA bedeutet. Weder Syrien, noch Russland, noch die Hizbullah wollten offenbar ein derartiges Risiko eingehen.

Die Türkei ihrerseits kann keinerlei Interesse an einem wie immer gearteten „kurdischen Staat“ oder auch nur einer „kurdischen Autonomie“ an ihrer Grenze haben. Dies um so mehr, als es sich bei der YPG um eine relativ unberechenbare Kraft handelt. Barzani und Talabani im Irak waren verglichen damit relativ handzahm. Es entbehrt daher nicht einer gewissen Logik, dass die türkische Armee nun mit Duldung Russlands in Nordsyrien einmarschiert, um die kurdischen Verbände zu schlagen. Die gefährlichen Fragen sind nun:
  • Was passiert, wenn diese kurdischen Verbände von der türkischen Armee geschlagen oder vertrieben sein werden?
  • Was passiert, wenn sich die türkische Armee direkt mit ihren US- und NATO-"Verbündeten" konfrontiert sieht?
Dass sich die Türkei und die USA auf Syrischem Boden bekämpfen werden, darf wohl ausgeschlossen werden.

Ausschließen dürfen wir wohl auch, dass diese kurdischen Verbände der türkischen Armee lange standhalten werden. (Sie werden keiner Armee lange standhalten, sofern sie nicht die Rückendeckung der USA haben). Jede Armee jedoch, welche sich mit diesen kurdischen Verbänden anlegt, legt sich mit den USA und der NATO an – außer eben die türkische Armee, da diese ja selbst NATO Mitglied ist. Daher kann nur die Türkei und niemand anders die kurdischen Kämpfer aus Nordsyrien vertreiben.

Genialer Schachzug?

Ein echtes Dilemma also für die USA, die NATO und die Zionisten. Man ist geneigt, diese Entwicklung als genialen Schachzug zu interpretieren, möglicherweise eine Zusammenarbeit zwischen Damaskus und Moskau? Die türkische Armee soll nun also anstelle von Syrien und dessen Verbündeten gegen diese sogenannt kurdischen Milizen im Norden des Landes kämpfen.

Die USA und die NATO können sich dann überlegen, ob sie in der Tat ihren eigenen Komplizen, die Türkei, angreifen wollen, anders lässt sich die türkische Regierung kaum in die Schranken weisen. Das ist auch durchaus verständlich, denn ein kurdischer Staat im Norden Syriens wäre für Ankara eine höchst gefährliche Angelegenheit. Dann schon lieber temporär aus dem NATO-Verband ausscheren und scheinbar eigenmächtig gegen die Kurden kämpfen.

Bleibt einmal mehr die Rolle der Kurden in Afrin und in anderen Orten Syriens zu bedauern und zu beklagen. Und darauf wird es schlussendlich mit aller Wahrscheinlichkeit hinauslaufen: Einmal mehr werden die Kurden die Opfer sein. Leider ist dies eine voraussehbare Katastrophe: Für die bewaffneten Kräfte innerhalb der kurdischen Bewegung gab es von Beginn an keine Alternative. Der einzige Weg den sie realistischer Weise hätten einschlagen können, ist der gemeinsame Weg des anti-imperialistischen Widerstandes, gemeinsam mit der regulären Syrischen Armee, der Russischen Armee, den Kräften der Hizbullah und allen anderen Kräften in der Region, die Widerstand gegen Zionismus und Imperialismus leisten. Das haben sie nicht getan, das tun sie heute nicht. Vielmehr haben sie sich entschlossen den „Imperialismus zu instrumentalisieren“ wie sie das auch schon nannten. Das ist weder notwendig noch Schicksal. Vielmehr ist es die freie Entscheidung der Führung der kämpfenden kurdischen Verbände.

Syrien mit dem Ministerium für Versöhnung unter dem Oppositionellen Minister Ali Haidar reicht ehemals Bewaffneten im Norden Syriens ebenso die Hand zur Versöhnung und Lösung der Probleme, wie allen anderen kämpfenden Verbänden in Syrien, die die Waffen ablegen. Das Programm der Versöhnung, des Wiederaufbaus und der Rückkehr der Flüchtlinge ist erfolgreich. Ebenso werden die Kurden auf internationaler Ebene eingeladen und integriert.

Am 28. Januar 2018 finden in Sotschi erneut Friedensgespräche bezüglich Syriens statt. Der russische Außenminister Sergei Lawrov hat am 22. Januar betont: „Kurden sollen an syrischen Friedensgesprächen teilnehmen“. (Siehe dazu: https://deutsch.rt.com/international/63969-lawrowkurden-sollen-an-syrischen/)

Was soll man von einer kurdischen Führung halten, die derart günstige Bedingungen für eine friedliche Lösung in den Wind schlägt und den bewaffneten Kampf weiter führen will?

Wir sind nicht so zynisch zu sagen, „jetzt bezahlen sie die Rechnung“. Wir sagen jedoch was wir schon zu Beginn der Krise in Syrien sagten: Der Imperialismus lässt sich nicht instrumentalisieren, der Imperialismus instrumentalisiert. Es gibt für die Völker und Regierungen global keine Alternative zum anti-zionistischen und zum anti-imperialistischen Widerstand. Dieser Widerstand wird von Einzelpersonen geführt, von Bewegungen, von Parteien, in der Hauptsache aber von Staaten und Regierungen, die sich weigern, sich und ihre Völker zu Lakaien des Imperialismus machen zu lassen. Zu dieser Achse des Widerstandes gehören das Syrische Volk und die Syrische Regierung.

NATO, USA und Zionismus: das ist die andere Seite der Barrikade

Wir sind auch nicht so zynisch zu sagen, „wir haben es immer gesagt“. Es gibt keine Alternative für die Kurden in Syrien und anderswo, als sich in den anti-imperialistischen Widerstand einzureihen. Die Seite der NATO, die Seite der USA, die Seite des Zionismus, das ist die andere Seite der Barrikade.

PS: Kurz bevor ich diesen Artikel aus Damaskus abschickte, erzählte ich einem hier lebenden Freund, dass nun in Europa Demonstrationen stattfinden, weil die türkische Armee die Kurden angreift. „Das ist schön“, antwortete er, „warum demonstriert ihr nicht für uns Syrier, uns greifen sie seit 2011 an“. Dem ist nichts hinzuzufügen, außer vielleicht: Solidarität ist internationale Solidarität oder es ist keine Solidarität.


Von Markus Heizmann vom "Bündnis gegen Krieg - Hände weg von Syrien" verfasst am 23. Januar 2018 in Damaskus


Veranstaltungshinweis:

Freitag, 2. Februar 2018, 19 Uhr, Darmstadt
Eva und Markus Heizmann:
Versöhnung, Rückkehr, Wiederaufbau, Reisebericht Syrien im Oktober 2017
Bessunger Knabenschule, Teestube, Ludwigshöhstraße 42



Eva und Markus Heizmann von der Gruppe „Hände weg von Syrien“
Basel berichten in ihrem Vortrag mit Präsentation (z.B. vom Wiederaufbau in Aleppo siehe Bild) und Diskussion von ihren vielen Gesprächen mit Menschen aus allen gesellschaftlichen und religiösen Schichten, von ihren Begegnungen, ihrer Einschätzung der Lage und den Perspektiven.

Veranstalter: Bundesverband Arbeiterfotografie, Deutscher Freidenker-Verband, Frankfurter Solidaritätskomitee für Syrien, Vereinigung für Internationale Solidarität VIS


Siehe auch:

Protest gegen türkische Militäroperation im kurdischen Norden Syriens
Solidarität mit dem US-Imperium?
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NRhZ 645 vom 31.01.2018
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24528

Die türkische Aggression gegen Afrin und die Problematik der Solidarität mit den syrischen Kurden
Kurden im Zwielicht
Von Joachim Guilliard
NRhZ 645 vom 31.01.2018
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24539

Ein neues Verständnis für unsere „gemeinsamen" Werte
Kommentar von Evelyn Hecht-Galinski
NRhZ 645 vom 31.01.2018
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24536

ARD-aktuell berichtet tendenziös über die türkische Invasion in Syrien
Gegen die Macht um Acht - Beschwerden gegen manipulierende Berichterstattung von ARD-aktuell mit ihrer Tagesschau
Von Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer
NRhZ 645 vom 31.01.2018
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24547



Online-Flyer Nr. 645  vom 26.01.2018

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