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Wirtschaft und Umwelt
Aktionstag Schwarzer Freitag am 13. April 2018
Deliveroo: Das ist Stücklohn-Knechtschaft! Die muss gestoppt werden!
Rede von Werner Rügemer

Rund 70 Personen demonstrierten am Freitag, 13. April 2018, vor dem Deliveroo-Büro in der Venloer Straße 239a in Köln-Ehrenfeld. Aufgerufen hatte die "aktion ./. arbeitsunrecht" zum Protest gegen die Arbeitsbedingungen beim Gastronomie-Lieferservice Deliveroo. Insgesamt waren es zwischen 200 bis 300 Personen, die sich in mehreren deutschen Städten sowie in Amsterdam am Aktionstag unter dem Motto "Shame on you, Deliveroo!" beteiligten und gegen die systematische Entrechtung von Deliveroo-Kurieren durch Schein-Selbständigkeit und Lohn-Dumping protestierten. Zu den Rednern gehörte der Vorstandsvorsitzende der aktion ./. arbeitsunrecht e.V. Werner Rügemer. Die NRhZ dokumentiert seine Rede.


Werner Rügemer vor dem Deliveroo-Büro in Köln am Freitag, 13. April 2018 (Fotos: arbeiterfotografie.com)

Immer mehr Fahrer von Deliveroo in Großbritannien, Belgien, Frankreich haben gegen ihre Behandlung protestiert, haben gestreikt, sind vor Gericht gegangen. Die Konzernzentrale in London hat mit der „Erklärung gegen moderne Sklaverei“ reagiert. Da heißt es: „Unser wichtigstes Ziel ist der Aufbau des besten Essens-Lieferdienstes der Welt. Wir verfolgen dies mit allen unseren Werten; wir sind gegen alle Formen der Sklaverei, Knechtschaft, Pflicht- und Zwangsarbeit und des Menschenhandels.“ (1)

Wie sehen nun die hohen Werte und zum Beispiel die Arbeitsplätze ohne Sklaverei und Menschenhandel aus? Dazu erklären uns die Chefs von Deliveroo: „Wir gewähren gut bezahlte flexible Arbeit für tausende Fahrer, die stolz darauf sind, allen Kunden das Essen aus den lokalen Restaurants so schnell wie möglich nachhause zu liefern.“

Aha, gut bezahlt? Und gleichzeitig flexibel? Und worauf sollen die Fahrer stolz sein? Etwa darauf: Sie werden nicht nach Stundenlohn bezahlt, sondern pro Lieferung. Eine Lieferung in Deutschland bringt 5,50 Euro.

Wenn keine Bestellung kommt, wird für die Wartezeit nichts bezahlt, ganz flexibel. Das Fahrrad müssen die Fahrer selbst bezahlen, einschließlich Reparaturen, auch das Smartphone und den Mobil-Tarif, ganz flexibel. Eine Berufshaftpflicht kostet 70 Euro im Monat – also dann lieber nicht versichert und bei Rot gerade noch über die Ampel hetzen: Ganz flexibel.

Übrigens – der Deutschland-Chef von Deliveroo, Felix Chrobog, rechnete vor: Bisher dauert es im Durchschnitt von der Bestellung bis zu Anlieferung beim Kunden 32 Minuten. Das ist zu lang. Wir müssen auf 10 bis 12 Minuten kommen! (2)

Anfangs hatte die Hälfte der Fahrer eine sogenannte geringfügige Beschäftigung, also mit Beiträgen von Deliveroo für die Sozialversicherungen. Aber damit ist jetzt Schluss.

Beiträge zur Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung? Nichts davon. Bezahlung bei Krankheit? Nichts davon – dann lieber auch mit Grippe die Pizza ausliefern. Da ist Deliveroo ganz unflexibel und zahlt gar nichts. Die Fahrer sind ja jetzt „selbständige Unternehmer“. Unternehmer mit Aussicht auf Armut jetzt und im Alter sowieso.

Das ist zwar keine Lohnsklaverei aus der Frühzeit des Kapitalismus. Aber das ist digitale Stücklohn-Knechtschaft unter ständiger Kontrolle über GPS und Smartphone.

Auch wenn die Fahrer ihre Interessen anmelden und einen Betriebsrat gründen wollen – da sind die Deliveroo-Chefs ganz unflexibel. Die schon gewählten Betriebsräte hatten bisher einen geringfügigen Arbeitsvertrag. Der war befristet. Der wird nicht verlängert. Und schon sind sie keine Betriebsräte mehr. Und die angeblich „selbständigen“ Fahrer dürfen sowieso keinen Betriebsrat wählen, denn sie sind ja selbständige Unternehmer, sagt die von Deliveroo beauftragte Großkanzlei Gleiss Lutz. (3)

Die Fahrer bekommen also 5,50 Euro pro Lieferung. Die Endkunden zahlen zwischen 2,50 bis 4,90 pro Lieferung. Von den Restaurants zieht Deliveroo 25 Prozent ein, Mindestbestellwert ist 12.- Euro. Die Fahrer werden gedrückt, die Restaurants werden gedrückt. Und Deliveroo macht immer noch Verluste. Aber Hedgefonds und Wall Street-Banken finanzieren das. Sie hoffen nach einigen Jahren auf den großen Gewinn, zum Beispiel beim Börsengang.

Damit der bald kommt, werden die Chefs von Deliveroo in London und Hongkong und Berlin kräftig gemästet. Konzernchef Will Shu, ein Banker, gönnte sich 2016 mitten im Streik der Fahrer eine 22prozentige Gehaltserhöhung. Und mit seinen 12 Prozent Aktienanteil ist er schon Multimillionär. Die paar Topmanager in London mit Dan Warne an der Spitze bekamen zusammen eine Gehaltserhöhung um fast 500 Prozent, und noch 4,5 Millionen Pfund an Aktien dazu.1 Damit sie die knechtische Arbeit bei den Fahrern gnadenlos durchziehen.4

Das asoziale Geschäftsmodell von Deliveroo betrifft nicht nur die Kuriere. Die Investoren hocken in Finanzoasen. Deliveroo forscht die Kunden aus und gibt die Daten „an sorgfältig ausgewählte Marketingfirmen“ weiter. Deliveroo will die Kosten für die Essenszubereitung senken, betreibt in London schon bewegliche Küchen in den Stadtteilen und will Koch-Roboter einsetzen.5

Wir protestieren gegen die Dienstboten-Knechtschaft bei Deliveroo. Aber nach diesem und ähnlichem Muster werden weitere Lieferdienste betrieben, zum Beispiel Lieferando. Und selbst wenn der Konkurrent Foodora Stundenlöhne bezahlt, ist das immer noch prekäre Arbeit.

Alle diese Lieferdienste sind ein Testlabor für moderne Wegwerf-Arbeitsplätze. Das muss gestoppt werden, heute bei Deliveroo! In anderen Ländern ist der Widerstand längst im Gange. In Deutschland haben sich Fahrer auch schon zusammengetan. Los geht’s!


Werner Rügemer vor dem Deliveroo-Büro in Köln am Freitag, 13. April 2018


Fußnoten:

1 https://deliveroo.de/de/modern-slavery-act-statement, abgerufen 19.3.2018

2 Chef von Deliveroo: »Die Proteste der Fahrer sind nicht repräsentativ«, Tagesspiegel 30.7.2017, http://digitalpresent.tagesspiegel.de/die-proteste-der-fahrer-sind-nicht-repraesentativ

3 Betriebsratsbehinderung, Scheinselbständigkeit, Lohndumping. Aktionstag Freitag der 13. April gegen Deliveroo, www.arbeitsunrecht.de 16.3.2018

4 Deliveroo boss Will Shu gives himself 22,5 % rise amid battle over riders’ pay, The Guardian 21.9.2017; Deliveroo: Where’s the money? https://corporatewatch.org 24.10.2017

5 Siehe Fußnote 4


Siehe auch:

Fotogalerie zum Aktionstag Schwarzer Freitag am 13. April 2018
"Shame on you, Deliveroo!"
Von Arbeiterfotografie
NRhZ 654 vom 18.04.2018
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24784

GRUSS an die Leserinnen und Zuschauer der Neuen Rheinischen Zeitung
Deliveroo, shame on you
Von Mario Drapela, Bundesjugendvorsitzender (Österreich) von vida.at
NRhZ 654 vom 18.04.2018
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24785

Online-Flyer Nr. 655  vom 18.04.2018

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