NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

zurück  
Druckversion

Medien
Programmkritik an der manipulierenden Berichterstattung von ARD-aktuell mit ihrer Tagesschau
Gegen die Macht um Acht
Von Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer

Was entsteht, wenn deutsche Großmaul-Außenpolitik und Hamburger Qualitätsjournalismus miteinander kopulieren? Dieser Frage geht in dieser Woche die Programmkritik von Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer nach. "Die ARD-Nachrichten sind der Taktgeber für die meisten Medien der Bundesrepublik Deutschland. Wer sich kritisch mit ihnen auseinandersetzt, der kritisiert den Kern des deutschen Journalismus. Die Tagesschau-Maschine ist weder verlässlich noch neutral und keinesfalls seriös. Sie ist nur wenig Anderes als eben fünfzehn Minuten Staatsfunk." So heißt es im Vorwort des im Mai 2017 erschienenen Buches "Die Macht um acht – Der Faktor Tagesschau" von Uli Gellermann, Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam.

"Wenn deutsche Großmaul-Außenpolitik und Hamburger Qualitätsjournalismus miteinander kopulieren" - Programmkritik an den Artikeln "Bebauungspläne in Syrien - Will Assad Flüchtlinge enteignen?" und "Neues Gesetz des Assad-Regimes - Hunderttausenden Syrern droht Enteignung" in tagesschau.de vom 27.04.2018 sowie Tagesthemen vom 27.04.2018


Screenshot aus tagesschau.de vom 27.04.2018


Screenshot aus tagesschau.de vom 27.04.2018


Screenshot aus Tagesthemen vom 27.04.2018

Wenn deutsche Großmaul-Außenpolitik und Hamburger Qualitätsjournalismus miteinander kopulieren, erzeugt das Mist wie diesen hier: „Die Bundesregierung hat ihren Widerstand gegen Wiederaufbaupläne von Syriens Machthaber Assad angekündigt, die zur Enteignung syrischer Flüchtlinge führen könnten. Man werde das Vorhaben nicht dulden und die Vereinten Nationen einschalten, kündigte die Bundesregierung an. Assad hatte ein Dekret unterzeichnet, das bei der Ausweisung von Neubaugebieten vorschreibt, dass sich frühere Eigentümer binnen 30 Tagen vor Ort melden müssen. Das dürfte den meisten Flüchtlingen aber nicht möglich sein.“ (“Syrisches Dekret als Enteignung kritisiert”, Tagesthemen, 27.04.2018, Sendeminute 17’40”)

Wobei gleichgültig ist, wer da eigentlich wen befruchtet hat. SPD-Außenminister Maas und seine Behörde erachten es, so scheint es, ebenso wenig für erforderlich, sich über das “Dekret” erst einmal zu informieren, wie die Tagesschau-Redaktion Recherche und Nachprüfung für nötig hält, ehe sie solchen bösartigen Propagandamüll verbreitet.

Auf tagesschau.de heißt es: "Dem Gesetz zufolge werden in jedem Bezirk Ämter für den Wiederaufbau geschaffen. Nachdem dann ein Bebauungsplan erlassen wurde, müssen die Besitzer von Land, Häusern und Wohnungen ihre Eigentumsrechte bei dem Amt nachweisen. Das müssen sie innerhalb von 30 Tagen machen. Doch dazu dürften Hunderttausende Syrer nicht in der Lage sein."

Bösartige Fälschung. Richtig ist hingegen: Die beauftragten Wiederaufbau-Behörden bekommen die Eigentumsnachweise von den Grundbuchämtern "von Amts wegen" zugeleitet. Nur dort, wo die Besitzverhältnisse unklar sind, werden Eigentumsnachweise verlangt. Sie können von Bevollmächtigten, Verwandten oder beauftragten Agenturen erbracht werden.

Es handelt sich also um ein rechtlich einwandfreies Verfahren wie es auch in Deutschland üblich ist. Die kurze Frist von 30 Tagen setzt zudem nicht sofort ein, sondern wird projektbezogen aufgerufen. Im Zeitalter von Internet und Smartphone sollte sie kein Problem sein.

"Ein zentrales Missverständnis des neuen Stadterneuerungsgesetzes 10/2018 in Syrien ist, dass niemand sein Eigentum nachweisen muss, ehe eine neue Zonenentwicklung per Dekret eingeführt wird. Und diese Anforderung gilt nur für Personen, deren Eigentum nicht im Grundbuch eingetragen ist." Quelle: "Syrian Law Journal"

Das neue Gesetz 10/2018 in Syrien erlaubt auch keine Enteignung von Privateigentum; Behauptungen dieser Art sind nur Spekulation mit agitatorischer Absicht. Vielmehr wandelt das Gesetz den Grundbesitz eines Eigentümers in Anteile an der neuen Entwicklung um. Und diese Beteiligung entspricht einem Eigentum an einem bestimmten Grundstück nach erfolgter Rekonstruktion.

Schon nach den ersten propagandistischen Gerüchten über das angebliche „Dekret“ zur „Enteignung hunderttausender Flüchtlinge” (Tagesschau) stellte der syrische Parlamentspräsident Khaled Abboud klar: “Es gibt dieses Dekret nicht. Eine solche Anordnung würde die syrische Verfassung verletzen. Viele syrische Bürger wurden in den Jahren des Bürgerkriegs von Terroristen gezwungen, ihren Besitz zu verlassen und zu fliehen. Viele Gegenden wurden komplett zerstört. Noch hat die syrische Armee die Befreiung Syriens nicht beendet. Wenn es soweit ist – übergeben selbstverständlich die syrischen Behörden jedem syrischen Bürger seinen Besitz. ...” (1)

Für unsere Könner im Auswärtigen Amt und in der ARD-aktuell-Zentralredaktion wäre es ein Leichtes gewesen, sich über den Sachverhalt an der Quelle zu informieren, wenn nicht bei den Behörden in Damaskus selbst, dann auf deren Internet-Seiten und über diplomatische Vertretungen außerhalb Syriens sowie bei den UN. Doch lieber informiert sich ein Qualitätsjournalist bei einer NATO- und US-affinen niederländischen „Denkfabrik“ und zitiert vorgebliche „Experten“ – diesmal "Senior Fellow" Erwin van Veen. Der macht sich schon seit geraumer Zeit umfassend und aus streng transatlantischer Sicht trübe Gedanken über den "Wiederaufbau Syriens": Er sieht offensichtlich die Felle westlicher Investoren davonschwimmen. (2)

Nach Schätzungen der Weltbank werden 200 MRD Dollar für den Wiederaufbau Syriens erforderlich sein. Selbstverständlich möchte die Westliche Werte Gemeinschaft das größte Stück von diesem Kuchen. Präsident Assad hat will jedoch am Wiederaufbau nur befreundete oder unbelastete Länder beteiligen und nicht diejenigen, die für die Zerstörung seines Landes verantwortlich sind. (3)

Die Bundesrepublik gehört dazu. Tornados der Bundesluftwaffe sind führend bei der Luftaufklärung und Zieldatenerfassung für die Bombenangriffe der westlichen Koalition in Syrien. Deutschland ist politischer Feind Syriens und auch hauptverantwortlich für das mörderische Finanz-, Handels- und Wirtschafts-Embargo der Europäischen Union über Damaskus.

Unser Volljurist und kleiner Gernegroß Maas will, folgt man der Tagesschau, das syrische Durchführungsgesetz für den Wiederaufbau “nicht dulden” und “die Vereinten Nationen einschalten”. Vor solchem Maulaufreißen wäre es für ihn ratsam gewesen, die Rechtsgrundlage und Zuständigkeitsfragen zu betrachten. Artikel 17 der Menschenrechtserklärung garantiert zwar das Eigentum und schützt vor “willkürlicher” Enteignung. Enteignung aufgrund eines Gesetzes ist jedoch das Gegenteil von “willkürlich”, sie folgt geltenden Rechtsnormen. (4)

Jeder, der sich zwei Minuten Zeit nimmt für einen Blick auf die deutsche “Treuhand”-Geschichte, weiß das. Unser Volljurist und Verfechter größenwahnsinniger Einmischungspolitik in die Angelegenheiten anderer Länder weiß es anscheinend aber nicht. Oder es ist ihm gleichgültig, weil es ihm von vornherein nur darauf ankam, eine dummdreiste Journaille zu seinen Propagandazwecken zu instrumentalisieren.

1 Quelle: https://sputniknews.com/middleeast/201804281063989077-syria-parliament-assad-deny-property-confiscation/
2 Quelle: https://www.joshualandis.com/blog/creating-a-new-syria-property-dispossession-and-regime-survival-by-erwin-van-veen/
3 Quelle: https://de.sputniknews.com/politik/20180213319522182-syrien-wiederaufbau/
4 Quelle: https://www.menschenrechtserklaerung.de/eigentum-3639/

Online-Flyer Nr. 658  vom 09.05.2018

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE