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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Kultur und Wissen
Gegen Armut, Ungleichheit und Krieg
Das hätte sich Marx nicht träumen lassen
Von Harald Schauff

Wie meinte Karl Marx in Anspielung auf Hegel so treffend: Geschichte wiederholt sich, das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce. Am 5. Mai 2018 ist es genau 200 Jahre her, dass der Vater aller Kapitalismuskritik in Trier das Licht der Welt erblickte. Es war die Phase der Restaurationszeit, auch "Vormärz" genannt in Anspielung auf die spätere Märzrevolution von 1848. Nach Napoleons Niederlage bei Waterloo 1815 hatte sich Europa neu geordnet. In Deutschland hielt das Fürstentum das Heft fest in der Hand und führte seine Kleinstaaterei fort. Diese fand erst ein gutes halbes Jahrhundert später ihr Ende, als Bismarck mit drei Kriegen die deutsche Einheit bewerkstelligte.

Beinahe weitere 50 Jahre dauerte es bis zur Abschaffung der Monarchie zu Ende des I. Weltkrieges, im Jahr von Marxens 100. Geburtstag. November 1918 kam es zu einer Revolution, die trotz der Abdankung des Kaisers im Endeffekt scheiterte und zur Spaltung der Linken führte. Wenn man so will, die Farce nach der 1848er Tragödie. Ein besonderes Kapitel nimmt darin die Münchner Räterepublik vom Frühjahr 1919 ein. Sie wurde wesentlich von Literaten und Schöngeistern getragen und wirkte wie der Versuch einer romantischen Utopie. Den Dichter-Herrschern mochte die Bodenhaftung fehlen, doch ihre Grundausrichtung stimmte. Sie hatten das Allgemeinwohl im Blick, wollten allen den Zugang zur Bildung ermöglichen und von oben nach unten umverteilen. Berlin entsandte Freikorps-Soldaten, das Experiment wurde blutig niedergeschlagen. Die ‘Träumer’ flohen (etwa Rilke), landeten im Gefängnis (wie Ernst Toller) oder wurden ermordet (wie Gustav Landauer und vorher Kurt Eisner). Die Utopie endete im Fiasko. Jenes bereitete einer noch unvorstellbareren Katastrophe die Bahn: Nationalsozialismus, II. Weltkrieg, Holocaust. Tragödie und Farce, gesteigert zur Apokalypse.

Sie hätte auch Marx sich nicht träumen lassen. ‘Revolutionen sind die Lokomotive der Geschichte’, lautet ein weiteres Zitat von ihm. Die deutschen Loks kriegten nie die Kurve, sondern entgleisten. Geschichte würde sich nicht wiederholen, jedoch sich reimen, meinte Mark Twain. Nicht alle Reime gefallen. Dazu gehören Armut, Ungleichheit und Krieg.


Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe Mai 2018, erschienen.


Online-Flyer Nr. 660  vom 23.05.2018

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