NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 23. November 2024  

zurück  
Druckversion

Inland
Die Evangelische Kirche sagt in Karlsruhe einen Vortrag des Journalisten Andreas Zumach ab – Das Thema „Israel – seine wahren und falschen Freunde“ ist offenbar zu gefährlich für Christen
Wieder ein bedenklicher Fall von Zensur, Intoleranz und Unterdrückung der Meinungsfreiheit
Von Arn Strohmeyer

Wenn es nicht so traurig wäre, müsste man eigentlich darüber lachen: Der Journalist Andreas Zumach, der heute in Genf u.a. für die TAZ tätig ist, der zuvor Jahre lang als Freiwilliger und dann als hauptamtlicher Mitarbeitet für die Aktion Sühnezeichen / Friedensdienste gearbeitet hat (die sich gegen jede Form von Judenfeindlichkeit und für die Überlebenden des Holocaust engagiert) und der schon zahlreiche Vorträge im Rahmen der Kirche gehalten hat, darf in Karlsruhe vor einem Kirchenpublikum nicht sprechen. Sein für den 6. Dezember 2018 geplanter Vortrag zum Thema „Israel – seine wahren und falschen Freunde“ wurde von der „dienstaufsichtsführenden Ebene der Evangelischen Kirche in Karlsruhe“ abgesagt, weil es nach der Ankündigung des Vortrages „Irritationen unterschiedlicher Art“ gegeben habe.

Es bedarf keiner großen Spekulationen, wer der Initiator der „Irritationen“ war: die Jüdische Kultusgemeinde der Stadt, namentlich deren stellvertretende Vorsitzende, Solange Rosenberg, die in der Gemeinde für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist und mit dreisten, diffamierenden Falschbehauptungen über Andreas Zumach die Veranstaltung zu verhindern suchte. Sie hat aber ganz offensichtlich so überzogen, dass sie inzwischen einen Rückzieher machen und ihre Behauptungen zurücknehmen musste.

Das Problem ist ja nicht neu, man muss fragen: die wievielte Veranstaltung ist dies, die auf Intervention der Israel-Lobby in Deutschland abgesagt wurde? Hier maßt sich eine sehr kleine Gruppe der deutschen Gesellschaft inquisitorisch an drüber zu entscheiden, ob und wie deutsche Staatsbürger sich zum Thema Israel/Palästina im öffentlichen Diskurs informieren und ihre Meinung äußern dürfen. Hier wird von dieser Minderheit ein elementares demokratisches Grundrecht – vielleicht das elementarste überhaupt – in Frage gestellt: das Recht auf Meinungs-, Informations-, Presse- und Wissenschaftsfreiheit (Grundgesetz Artikel 5). Die Folge ist, dass die politische Debattenkultur in diesem Land in perfider Weise vergiftet wird, ja sogar die Demokratie gefährdet ist.

Jedes Mittel ist Recht

Die Kampagne gegen die Kritiker der israelischen Politik verfolgt nur ein Ziel: jede öffentliche Auseinandersetzung über die brutale, menschenverachtende und völkerrechtswidrige Politik Israels gegenüber den Palästinensern zu verhindern. Um dieses Ziel zu erreichen, ist jedes Mittel Recht: Unterstellungen, Diffamierungen und Denunziationen. Und da diese Inquisitoren die Realität des israelisch-palästinensischen Konflikts (dass Israel hier der Täter und nicht das Opfer ist) nicht anerkennen wollen, setzen sie die stärkste Waffe ein, über die sie verfügen: den verleumderischen Antisemitismus-Vorwurf. Dabei ist allgemein bekannt und gar nicht zu leugnen, dass es sich bei dem Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern gar nicht um ein Antisemitismus-Problem handelt, sondern um einen Territorial-Konflikt: Hier ist einem ganzen Volk (den Palästinensern) von den israelischen Siedlerkolonialisten ihr Land und damit ihre Existenzgrundlage geraubt worden. Damit ist diesem Volk aber auch sein völkerrechtlich verbürgtes Recht auf Selbstbestimmung und Souveränität genommen worden. Verleumderisch ist der Antisemitismus-Vorwurf in diesem Fall, weil ein Engagement für Menschen- und Völkerrecht niemals „antisemitisch“ sein kann.

Nun ist die völkerrechtswidrige Politik des zionistischen Staates Israel das Eine, das Andere ist, dass deutsche Entscheidungsträger – Politiker, Kirchenführer und Publizisten – sich aus vom deutschen Mega-Verbrechen Holocaust herrührenden Schuldgefühlen zu blinder Solidarität (Kanzlerin Merkel: „Staatsräson“) gegenüber Israel verpflichtet fühlen, wobei sie in höchst fahrlässiger Weise übersehen, dass Judentum, Zionismus und Israel (natürlich auch  umgekehrt: Antisemitismus, Antizionismus und Kritik an Israels Politik) nicht dasselbe, sondern grundverschiedene Dinge sind. Aus berechtigten Schuldgefühlen gegenüber Juden (wobei hier nicht die Kollektivschuldthese verteidigt werden soll) und im Bestreben, Sühne zu erlangen, ist man zum Philosemitismus übergewechselt und glaubt so, das zionistische System mit seiner Unrechtspolitik unterstützen zu müssen. Dass es gerade wegen dieser Politik mit Israel keine gemeinsamen Werte geben kann, wird dabei geflissentlich verdrängt.

Diese Ausgangslage zwingt zu einer permanenten Unaufrichtigkeit im Verhältnis der Deutschen zu Juden bzw. Israel. Der Grund für diesen Missstand liegt in einer verfehlten Aufarbeitung der NS-Zeit. Dazu schreibt der israelische Philosoph und Soziologe Moshe Zuckermann treffend: „Sollte sich etwa die abstrakte Solidarität mit einem völkerrechtlich verkommenen und verbrecherischen Israel als eine psycho-ideologisch motivierte Entlastung der historischen Schuld der Deutschen erweisen? Man misst diese Möglichkeit normalerweise der deutschen Solidarität mit den Palästinensern bei. Muss man nicht annehmen, dass sie sich viel gravierender, wenngleich auch glänzend kaschiert, in der überbordenden Solidarität mit dem Judenstaat niedergeschlagen hat?

Dies ist ein sehr wichtiger, vielleicht der wichtigste Grund, wenn Entscheidungsträger (wie jetzt die Evangelische Kirche in Karlsruhe) Vorträge, die sich kritisch mit Israels Politik auseinandersetzen, nicht zulassen bzw. absagen oder verbieten. Wobei dabei völlig außer Acht gelassen wird, dass die deutsche Schlussfolgerung aus den monströsen Verbrechen der Nazis nicht die Komplizenschaft mit einem Staat sein kann, der eine in jeder Hinsicht unmenschliche Politik gegenüber einem anderen Volk betreibt, sondern sich überall auf der Welt für Menschenrechte einzusetzen, wo sie gefährdet sind oder verletzt werden.

Protestantische Nach-Auschwitz-Theologie

Die Kirchen haben dabei noch ein Sonderproblem, und der für die Absage von Andreas Zumachs Vortrag in Karlsruhe verantwortliche Dekan Thomas Schalla wird das sehr genau wissen: die protestantische Nach-Auschwitz-Theologie. Wegen der Sünden, die die Kirche Jahrhunderte lang mit ihrem Anti-Judaismus und später der Unterstützung der Nazis begangen hat, hat sie nach 1945 als Sühne eine Theologie entwickelt, die sie zu rückhaltloser Identifikation mit dem heutigen Israel verpflichtet, weil man in diesem Staat immer noch in Kontinuität mit den antiken, biblischen Israeliten das „Volk Gottes“ sieht. Diese Theologie unterstützt konsequenterweise (eben aus alttestamentarischen Gründen) den heutigen israelischen Anspruch auf das Land Palästina. Der amerikanisch-jüdische Autor Mark Braverman schreibt über diese Theologie in seinem Buch „Verhängnisvolle Scham. Israels Politik und das Schweigen der Kirche“: „Palästina wurde dem jüdischen Volk als modernes Schuldopfer dargebracht.“

Die Kirche scheut also eine offene Debatte über den Palästina-Konflikt aus zwei Gründen: erstens fürchtet sie, dass durch ein Eintreten für Gerechtigkeit für die Palästinenser die nach 1945 mühsam aufgebauten christlich-jüdischen Beziehungen gefährdet würden; und zweitens fürchtet sie natürlich den Antisemitismus-Vorwurf der Israel-Lobby in Deutschland. Mark Braverman hat angemahnt, was in dieser Hinsicht die eigentliche Aufgabe der Kirche sein müsste: „Die Herausforderung [für die Theologie und die Kirche] besteht nicht länger darin, die Vergangenheit in Ordnung zu bringen. Die dringende Herausforderung besteht darin, nach vorne zu sehen. Die Aufgabe, der sich die Glaubensgemeinschaften heute gegenübersehen, ist es nicht, einen christlich-jüdischen Dialog um seiner selbst willen zu führen oder eine Versöhnung im Hinblick auf vergangene Sünden und Tragödien zu erreichen. Vielmehr ist gewissenhaft und bewusst das Augenmerk darauf zu richten, die Grundursache für den israelisch-palästinensischen Konflikt zu beseitigen: die Vertreibung der Palästinenser und die Etablierung von Apartheidstrukturen der Diskriminierung. Wir stehen vor einer prophetischen Herausforderung, die uns vereinigen muss – dabei ist es ohne Bedeutung, ob wir Christen, Juden, Muslime, Amerikaner, Deutsche, Südafrikaner oder Israelis sind.“ Dass die Kirche wegen ihres Schweigens zum Palästina-Konflikt neue schwere Schuld auf sich lädt, darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben.

Aber die Kirche verharrt (der Fall Karlsruhe ist ein Musterbeispiel dafür) auf ihren erstarrten theologischen Positionen und bewegt sich in Bezug auf Israel nicht von der Stelle – ganz im Gegensatz zu ihrem eigentlichen Auftrag: für die Schwachen, Benachteiligten und Unterdrückten da zu sein. Und was den jüdisch-christlichen Dialog angeht, auf den sich die Absage von Andreas Zumachs Vortrag ausdrücklich bezieht, sollte man an einen großen jüdischen Denker erinnern: an den Aufklärer und Humanisten Moses Mendelsohn (1729 – 1786), der sich rückhaltlos für Toleranz und ungebundene Gedankenfreiheit einsetzte und ganz besonders die damaligen Zensurmaßnahmen der Kirche gegen alle aufklärerischen Tendenzen radikal ablehnte. So gesehen sind Veranstaltungsverbote oder -absagen wie jetzt in Karlsruhe nicht nur ein schlimmer Verstoß gegen das Grundgesetz, sondern ein Rückfall in voraufklärerische Zeiten.


Siehe auch:

Kommentar vom Hochblauen
Leitkultur der Verlogenheit
Von Evelyn Hecht-Galinski
NRhZ 685 vom 05.12.2018
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25440

Online-Flyer Nr. 685  vom 05.12.2018

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE