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Aktueller Online-Flyer vom 16. April 2024  

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Kommentar
Kommentar vom Hochblauen
Nicht alles durch die "jüdisch-christliche" Brille sehen
Von Evelyn Hecht-Galinski

Es ist beängstigend, dass die deutsche Regierung und Politik immer wieder gern die Menschenrechte bemüht, aber in Wirklichkeit längst in die Tonne getreten hat. Die Dämonisierung von Putin, Erdogan, Maduro sind dabei besondere Beispiele für die politische und mediale Macht der hetzenden Fehlinformationen. Während geistige Brandstifter immer weiter medial zündeln und versuchen, die transatlantische Freundschaft hervorzuheben, hat sich die Mehrheit der deutschen Bürger längst in eine andere Richtung entwickelt. Sie misstrauen inzwischen den USA mehr als China(!), einem Land, das ebenfalls die Menschenrechte missachtet. Dissidenten sitzen in Gefängnissen, und Kritik wird aufs schärfste bekämpft. Die Türkei hat China zu Recht beschuldigt, Konzentrationslager für die muslimische Minderheit der Uiguren zu betreiben und ihm vorgeworfen, es betreibe eine Auslöschung von Religion und Kultur. Nichts anderes versucht der "Jüdische Staat" in Palästina. Auch als Besatzungsmacht führt der "Jüdische Staat" das Konzentrationslager Gaza und betreibt Völkermord und Repressalien gegen Palästinenser. Woche für Woche werden Palästinenser beim Versuch, aus dieser Einsperrung zu fliehen, brutal von der israelischen Staatsmacht ermordet.

Ägypten, das mehr als 60.000 politische Gefangene in unmenschlichen Gefängnissen hält, wird von Kanzlerin Merkel und deutschen Politikern und Industriebossen gelobt, ebenso der ägyptische "Führer" al-Sisi. Alles wird dafür getan, um diese Länder bei Laune zu halten, damit die deutsche Industrie und ihr Export floriert.

An Respektlosigkeit gegenüber den hier lebenden Muslimen nicht zu überbieten

Was ist nur aus der deutschen Politik geworden? Wenn die Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, Widmann-Mauz, "Respekt gegenüber der Art wie wir leben" fordert und dafür die "jüdisch-christliche Tradition, die den Wert des Humanismus geprägt haben“, bemüht, dann ist das an Respektlosigkeit besonders gegenüber den hier lebenden Muslimen nicht zu überbieten.

Was will sie damit erreichen? Dass sich Migranten ausgegrenzt fühlen und darauf hingewiesen werden, wie sie am "deutschen Wesen genesen"? Was hat uns diese "jüdisch-christliche" Tradition gebracht? Eine Erhöhung dieser Kultur, die immer wieder in "Un-Kultur" umschlägt, wie wir es gerade erleben. Wenn also die Kulturen zusammenprallen und nicht so genommen werden, wie sie sind, dann wird es zu einem Knall kommen.

Wenn wir einseitig immer wieder von den "negativen Seiten des Islam" lesen, von so genannten Ehrenmorden, von Frauenunterdrückung und von mittelalterlichen Strukturen, und immer wieder Angst geschürt wird vor "islamistischem Terrorismus", dann wird mit Bedacht eine Islam-Hetze geschürt. Warum wurde die einzige muslimische Kita geschlossen? Mit fadenscheinigen Argumenten, dass der Träger der Kita, der Moscheeverein Arab Nil-Rhein, der den Mainzer Al-Nur Kindergarten trägt „Inhalte der Muslimbruderschaft und des Salafismus vertritt und damit nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes steht? Gegenfrage: Stehen jüdische Kitas noch auf dem Boden des Grundgesetzes, wenn sie Inhalte des „Jüdischen Staates“ vertreten, der eindeutig gegen das Völkerrecht und Menschenrechte verstößt? Eindeutige Doppelstandards und Diskriminierungen!

Diffamierende Einschüchterungs-Symbiose

Während der "angebliche" Antisemitismus medial immer mehr aufgebauscht wird, und demnächst Antisemitismusbeauftragte in jedem Rathaus sitzen werden, tatsächlich aber die rassistischen Übergriffe gegen Muslime ansteigen, ist der Posten eines Rassismusbeauftragten immer noch nicht besetzt.

Das aber scheint die Politik nicht weiter zu interessieren, versucht sie doch mit aller Gewalt, zusammen mit der Israel-Lobby den Augenmerk immer nur auf den angeblich ansteigenden Antisemitismus zu lenken, der in Wirklichkeit gar nicht angestiegen ist, sondern mit gezielten Aktionen in den Vordergrund geschrieben wird. Täglich erscheinen neue Artikel und Fernsehsendungen, die sich darin überbieten auf den Anstieg hinzuweisen. Was suggeriert das? Zuerst einmal die Gefährlichkeit der "muslimischen Einwanderung" und zweitens das "Antisemitische“ jeder Israel-Kritik. Es ist schon erstaunlich, wie inzwischen die Diffamierung von Anti-Zionismus zu Antisemitismus zu einer Einschüchterungs-Symbiose geworden ist. Immer neue Formeln für Anschuldigungen werden bemüht, um auf die Gefährlichkeit hinzuweisen. Während Rechtsextremistische Horden inzwischen pöbelnd durch Dörfer und Städte ziehen und es AfD-Strömungen gibt, die ganz klar in antisemitischen Wässern fischen, während die AfD als Partei ganz explizit versichert, an der Seite der Juden und Israels zu stehen. Ich kann nur immer wieder davor warnen, diese Partei zu wählen, auch wenn die verständliche Politikverdrossenheit über die Politik der anderen Parteien immer mehr ansteigt, was ich voll nachvollziehen kann, geht es mir doch genauso.

So geht es der Israel-Lobby mit ihrer Politik nur noch darum, mit massiven Kampagnen Israel-Kritiker im öffentlichen Leben zu diffamieren. Dabei schrecken sie auch vor fragwürdigen Mitteln nicht zurück und das verbindet sie dann tatsächlich wieder mit der rechtsextremen Politik des "Jüdischen Staates".

In Deutschland läuft etwas falsch

Inzwischen wird auch der angesehene Historiker und Antisemitismusforscher Benz, der bis 2011 an der Technischen Universität Berlin lehrte, verunglimpft, weil er sich weigert einen Anstieg des Antisemitismus zu bestätigen und die neue Meldestelle für Antisemitismus kritisierte. Benz hat Recht, wenn er diese "RIAS"-Stelle als etwas Denunziatorisches kritisierte, schließlich sei Antisemit der schwerste Vorwurf in Deutschland. Wirklich? Ist dieser Begriff inzwischen durch den inflationären Gebrauch nicht unglaubhaft "entwertet"? Wenn jüdische Bürger zu Antisemiten gemacht werden, nur weil sie den Anstand haben, den "Jüdischen Staat" für seine entrechtende Besatzungs- und Apartheidpolitik zu kritisieren, und Juden in Deutschland Auftrittsverbot haben, dann läuft in Deutschland etwas falsch.

Wenn nur noch Juden hofiert werden, die sich mit der israelischen Politik solidarisieren, dann sind wir an einem Punkt angelangt, der wieder an eine Zeit in Deutschland erinnert, die schon einmal ein Unheil anrichtete. Wenn Juden heute wieder von philosemitischen Politikern und Vertretern der Israel-Lobby zu Außenseitern gemacht werden, dann ist das ein nicht wieder gut zu machendes Verbrechen. Nein, es ist ganz sicher kein Antisemitismus, den "Jüdischen Staat" zu kritisieren und ein Ende der Besatzung zu fordern oder die BDS-Bewegung zu unterstützen. Wenn jüdische Bürger ihre Verantwortung für Palästina übernehmen, während deutsche Politiker diese sträflich ignorieren und sich stattdessen lieber mit dem "Jüdischen Staat" verbünden, dann stimmt etwas nicht in Deutschland.

BDS richtet sich nicht gegen Juden

Die US-Professorin Judith Butler, eine vorbildhafte jüdische Kämpferin für die Freiheit Palästinas, schreibt im neu erschienenen Sammelband "Neuer Antisemitismus", Suhrkamp-Verlag, sie sehe die BDS-Kampagne "als neue solidarische Allianz für mehr soziale Gerechtigkeit, die dazu aufruft, sich durch BDS (Boykott, Divestment, Sanctions) mit der palästinensischen Nationalbewegung zu solidarisieren und den antirassistischen Kampf voranzutreiben, mit dem Argument: "Der Boykott richtet sich nicht gegen Juden, er zielt nicht auf israelische Bürger. Er zielt auf israelische Institutionen, die über die Macht verfügen, Druck auf die die Regierung auszuüben, ihre verwerflichen Gesetze und politischen Maßnahmen bezüglich Palästinas zu beenden".

Soviel zu dem immer wiederkehrenden Fake-Argument "kauft nicht beim Juden".

Nur 74 Jahre nach Befreiung und Kriegsende wird das Feindbild Russland wieder aufgebaut. Was im Falle der Krim-Heimholung nach einem korrekt abgelaufenen Referendum(!) zu Sanktionen und Protesten führte, tut der Freundschaft mit den jüdischen Besatzern keinen Abbruch. Sie dürfen weiter seit Jahrzehnten ungestraft, völkerrechtswidrige Annexionen sowie Menschenrechtsverletzungen der schlimmsten Art begehen, und die Lebensbedingungen der Palästinenser immer unerträglicher machen, Mauern und Checkpoints bauen, um so die Endlösung eines judaisierten Palästina zu erreichen. Dafür werden sie mit immer weiter reichenden Kooperationen bedacht und belohnt.

Wir brauchen keine US-Stützpunkte, Atomwaffen und Erpressungen

Was muss eigentlich noch geschehen, bis die deutsche Politik aufwacht und sich besinnt? Davon scheinen wir allerdings weiter entfernt denn je, immer mehr wird die Wichtigkeit transatlantischer Freundschaft bemüht, die angeblich so wichtig für unseren Schutz sein soll. Was für ein Schutz und vor wem? Diese Frage sollten wir uns alle stellen, wenn die deutsche Regierung ganz nach Trumps Befehl, aber gegen die Interessen ihrer Bevölkerung die Rüstungsausgaben immer mehr erhöht, unterstützt von der deutschen Regierungspolitik. Die deutsche Regierung lässt sich erpressen von dem US-Botschafter Grenell, der gegen jede diplomatische Gepflogenheit die unsägliche Forderung nach dem Ende von Nordstream 2 stellt oder des Iran-EU-Abkommen. Es geht im Grunde nur um das „Amerika first“ mit dem Erpressungsversuch, überteuertes US-Flüssiggas nach Deutschland und Europa zu verkaufen. Wir brauchen beide Abkommen dringend, aber keine US-Stützpunkte, Atomwaffen und Erpressungen, die der deutschen Wirtschaft schaden.

Was ist das für eine deutsche Außenpolitik, die ganz auf den Spuren von Trump und seinem Venezuela-Regime-Change-Versuch den selbsternannten „Interims-Präsidenten“ anerkannt hat und sich damit auch lt. eines Gutachtens des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags einen fragwürdigen Einmischung in "innere Angelegenheiten" Venezuelas schuldig macht, die Zweifel an der völkerrechtlichen Legitimität weckt. (1)

Wenn schließlich Bundespräsident Steinmeier im Rahmen seiner Südamerika Reise „klare“ Worte zur Situation Venezuelas findet – weil sich das Land „nach Jahren der Autokratie und der Misswirtschaft am Rande des Abgrunds“ befinde. Steinmeier forderte freie Präsidentschaftswahlen, denn nur ein neuer Präsident „auf einer glaubwürdigen, legitimen Grundlage“ könne den Menschen in Venezuela Zukunft geben. Was ist das für eine deutsche Einmischung und was gibt ihm die Legitimität sich so zu äußern? Hat sich Bundespräsident Steinmeier jemals so für freie und demokratische Wahlen im illegal besetzten Palästina ausgesprochen oder einen israelischen Ministerpräsidenten kritisiert?

Verantwortung für Palästina und das palästinensische Volk


Tatsächlich mischt sich Kanzlerin Merkel nie in "innere Angelegenheiten" des "Jüdischen Staats" ein, obwohl diese eben keine "inneren" sind, sondern uns ebenso betreffen, die wir aus historischer Verantwortung heraus eine Verantwortung für Palästina und das palästinensische Volk haben, die immer wieder vergessen wird, aber solange besteht, bis Palästina frei ist.

Inzwischen ist es "Normalität" geworden, dass sich das Netanjahu-Regime in innere Angelegenheiten deutscher Politik und Kultur einmischt. Dass er nicht nur als Ministerpräsident, sondern auch als Kriegs-, Kultur- und Außenminister in einer Person versucht, sich einzumischen und immer mehr Einfluss zu nehmen und Druck auszuüben, darf nicht hingenommen werden. Dieser Einfluss und diese Machtfülle erleben wir in den letzten10 Jahren verstärkt. Werden wir demnächst eine Israelisierung in Deutschland erleben, die sich nochmals steigert? Netanjahu versucht, seine Judaisierung auch in Deutschland durchzuführen. Er, der das Recht der Palästinenser mit Füßen tritt, hat damit auch bei der AfD gepunktet, die ganz offen ihren Islam-Hass auslebt und sich damit in bester Gesellschaft mit der rechtsextremen Politik des "Jüdischen Staats" befindet. Außerdem versucht er ganz offen, einen Keil zwischen die europäischen Partner zu treiben, wenn er provokativ nicht nach München zur so genannten Sicherheitskonferenz kommt, aber nach Warschau fliegt, um dort die mehr als umstrittene Warschauer Anti-Iran-Konferenz zu besuchen. Nicht dass wir seine Abwesenheit in München bedauern, schickt er doch hochrangige Vertreter. Schließlich ist, wenn es um Krieg und Waffen geht, verkauft als „Sicherheit“, der "Jüdische Staat" immer dabei. Aber zeigt dieses Treiben doch, wie Netanjahu versucht, sich mit Iran-feindlichen und Islam-hassenden Staaten zu verbünden, um so einen Keil in die europäische Politik zu treiben, ganz nach Art seines Freundes Trump.

Respekt vor den Menschenrechten statt ungebremster Politik der unanständigen Rücksichtslosigkeit

So führt uns das wieder zum Thema, den Respekt, den deutsche Politiker von Muslimen einfordern, sollten sie ebenso den Muslimen in Deutschland erweisen und nicht immer alles nur durch die "jüdisch-christliche" Brille sehen. Das gebietet der Respekt vor den Menschenrechten, die sich immer mehr verlieren in einer ungebremsten Politik der unanständigen Rücksichtslosigkeit, ganz nach dem Vorbild USA und Israel.


Fußnoten:

(1) https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/bundestags-gutachten-aeussert-bedenken-an-guaido-anerkennung-16032440.html#void


Evelyn Hecht-Galinski, Tochter des ehemaligen Zentralratsvorsitzenden der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, ist Publizistin und Autorin. Ihre Kommentare für die NRhZ schreibt sie regelmäßig vom "Hochblauen", dem 1165 m hohen "Hausberg" im Badischen, wo sie mit ihrem Ehemann Benjamin Hecht lebt. (http://sicht-vom-hochblauen.de/) 2012 kam ihr Buch "Das elfte Gebot: Israel darf alles" heraus. Erschienen im tz-Verlag, ISBN 978-3940456-51-9 (print), Preis 17,89 Euro. Am 28. September 2014 wurde sie von der NRhZ mit dem vierten "Kölner Karls-Preis für engagierte Literatur und Publizistik" ausgezeichnet.

Online-Flyer Nr. 692  vom 13.02.2019

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