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Gewerkschaftsforum gegen Embargos, Sanktionen und Boykott in Damaskus
Westliche Bevölkerung von halluzinogener Täuschung befreien
Tim Anderson – interviewt von Andrea Duffour – übersetzt von Eva und Markus Heizmann

"Die Propaganda des 'Humanitären Krieges' hat die Realität auf den Kopf gestellt und das westliche Publikum dumm gemacht... Der westliche/imperiale Liberalismus und insbesondere der nordamerikanische Begriff der 'intelligenten Macht' haben unsere Sprache mit verzerrten Begriffen wie 'Revolution' (für reaktionäre, sektiererische Gewalt), 'Rebellen' (für westlich unterstützte Fanatiker und Söldner) und 'Aktivisten' (für Propagandisten, die von westlichen Regierungen bezahlt werden) kolonialisiert. Das Völkerrecht mit seinen Richtlinien gegen den Krieg wurde mit pseudo-legalen Doktrinen wie 'Responsibility to protect' und der ultimativen monströsen Erfindung des 'humanitären Krieges' aufgelöst... Wir sollten versuchen, unsere Sprache zu dekolonisieren und die Substanz der postkolonialen Errungenschaften im internationalen Völkerrecht/Menschenrecht wiederherzustellen. Wir haben eine Verantwortung für die Volksbildung. Wir sollten Vernunft und Beweise nutzen, um die westliche Bevölkerung von der halluzinogenen Täuschung zu befreien." Das sind Äußerungen aus einem Interview, das mit Tim Anderson am Rande des 3. Internationales Gewerkschaftsforum gegen Embargos, Sanktionen und Boykott in Damaskus im September 2019 geführt wurde. Die NRhZ veröffentlicht es in der deutschen Übersetzung von Eva und Markus Heizmann.


Tim Anderson in Damaskus am 8. September 2019 (Foto: gftu)

Warum bist du hierher nach Damaskus gekommen und was ist die Hauptbotschaft, die du in deinem Land deinem Volk zurückgeben möchtest?

TA: Dies ist mein neunter Besuch in Syrien während des Krieges. Ich bin sehr froh, an einer Solidaritätskonferenz der Gewerkschaft teilnehmen zu können, insbesondere mit so vielen Delegierten aus anderen Ländern, einschließlich Nordamerika und Europa. Das Ereignis war ein Durchbruch, meiner Meinung nach in Solidarität mit dem syrischen Volk, eine Abkehr von der falschen Idee eines "humanitären Kriegs" und ein Ausdruck der Opposition gegen den Wirtschaftskrieg, der gegen die gesamte Bevölkerung geführt wird. Die Botschaft des Forums an das westliche Publikum ist hoffentlich, dass es keinen Grund gibt, die Aggressionen westlicher Kriegstrolle zu fürchten, und dass es dringend notwendig ist, die Beteiligung westlicher Regierungen an einem völkermörderischen Wirtschaftskrieg, der darauf abzielt, die gesamte Nation auszuhungern, zu lähmen und zu zerstören, zu überprüfen und abzulehnen. Die WHO hat uns im vergangenen Jahr mitgeteilt, dass diese bösartigen "Sanktionen" täglich das Leben bedrohen. Idriss Jazairy, der UN-Sonderberichterstatter für die negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmaßnahmen auf die Wahrnehmung der Menschenrechte, sagte im vergangenen Jahr vor den Vereinten Nationen: "Es ist dringend erforderlich, alle Sanktionen aufzuheben, die sich negativ auf die Wahrnehmung der Menschenrechte von Syrern auswirken. Einseitige Zwangsmaßnahmen für landwirtschaftliche Betriebsmittel und Erzeugnisse, Arzneimittel, viele Dual-Use-Güter im Zusammenhang mit Wasser und Abwasser, öffentlicher Elektrizität und Transport und schließlich dem Wiederaufbau von Schulen, Krankenhäusern und anderen öffentlichen Gebäuden und Dienstleistungen sind zunehmend schwieriger zu rechtfertigen, wenn sie überhaupt jemals gerechtfertigt waren" (Jazairy 2018). Das westliche Publikum mag seine Lektion über den Wirtschaftskrieg gegen den Irak in den 90er-Jahren gelernt haben, scheint aber dies im Falle des schmutzigen Kriegs gegen Syrien noch nicht begriffen zu haben.

Was kannst du über "die Terroristen" und über die gefälschten Nachrichten/Lügen sagen, die wir in unserem Land in Bezug auf Syrien und seinen demokratisch gewählten Präsidenten Bashar Al-Assad hören?

TA: Die Propaganda des "Humanitären Krieges" hat die Realität auf den Kopf gestellt und das westliche Publikum dumm gemacht. Wir aus westlichen Kulturen haben diese Frage auf der Konferenz diskutiert, und der Grund für diese westliche Dummheit (die an eine fast endlose Reihe falscher Kriegsvorwände glaubt) liegt nur zum Teil in den schweren Desinformationskampagnen. Es scheint eine gewisse Neigung, insbesondere unter den westlichen Liberalen zu geben, auf eine "Retterrolle" in diesen humanitären Kriegen hereinzufallen, auf die Idee, dass die westlichen Liberale unbekannte Völker vor ihren angeblich "brutalen Diktatoren", die aus irgendeinem unbekannten Grund "ihr eigenes Volk töten", "retten" können. Trotz der Aufdeckung der falschen Kriegsvorwände gegen Libyen, Irak, Nicaragua, Syrien und Venezuela bleibt dieser romantische neokoloniale Mythos attraktiv. Selbst nachdem die meisten Feinde der syrischen Regierung (die sektiererischen "Dschihadisten" in Aleppo, Katar und al Jazeera, NATO-Berater) zugegeben haben, dass Präsident Assad sehr hohe Popularität in Syrien beibehalten hat, beharren westliche Regierungen und Medien auf einer lächerlichen Verteufelung ("tötet sein eigenes Volk" usw.). In Kapitel 5 des "Schmutzigen Krieges gegen Syrien" (Tim Anderson, 2016) habe ich die verschiedenen Umfragen über den syrischen Präsidenten und die Regierung in den ersten Jahren dieses langen Krieges dokumentiert.

Kannst du uns mehr Beispiele zum "Krieg der Sprache" geben und erklären, warum unsere Leute hier die Situation in Syrien nicht verstehen (wollen)?

TA: Der westliche/imperiale Liberalismus und insbesondere der nordamerikanische Begriff der "intelligenten Macht" haben unsere Sprache mit verzerrten Begriffen wie "Revolution" (für reaktionäre, sektiererische Gewalt), "Rebellen" (für westlich unterstützte Fanatiker und Söldner) und "Aktivisten " (für Propagandisten, die von westlichen Regierungen bezahlt werden) kolonialisiert. Das Völkerrecht mit seinen Richtlinien gegen den Krieg wurde mit pseudo-legalen Doktrinen wie der "Verantwortung zu schützen" (Responsibility to protect) und der ultimativen monströsen Erfindung des "humanitären Krieges", die von kooperierenden Nicht-Regierungsorganisationen wie Human Rights Watch, The White Helmets und Amnesty International gefördert wurden, aufgelöst. Wir müssen zugeben, dass sie in den westlichen Kulturen recht erfolgreich waren. Daraus folgt, dass diejenigen, die sich gegen Angriffskriege aussprechen und die das Recht der Völker auf Selbstbestimmung unterstützen, versuchen sollten, unsere Sprache zu dekolonisieren und die Substanz der postkolonialen Errungenschaften im internationalen Völkerrecht/Menschenrecht wiederherzustellen.

Wie können wir gegenüber diesem Mechanismus effizient Widerstand leisten?

TA: Wir haben, meine ich, eine Verantwortung für die Volksbildung. Wir sollten Vernunft und Beweise nutzen, um die westliche Bevölkerung von dieser halluzinogenen Täuschung zu befreien, die sie so dumm gemacht hat. Wie können beispielsweise westliche Medien diesen Mythos eines "Bürgerkriegs" in Syrien aufrechterhalten, wenn Israel und zwei NATO-Länder grosse Gebiete Syriens militärisch besetzen? Wie können sie es schaffen, die erfundenen Geschichten über "chemische Waffen" zu wiederholen, die von jedem unabhängigen Experten immer wieder entlarvt wurden? Die Ursachen dieser westlichen Dummheit müssen angegangen werden.

Welche Quellen aus und über Syrien kannst du empfehlen?

TA: Zuerst schlage ich vor, dass ehrliche und neugierige Menschen regelmäßig die leicht zugänglichen russischen, iranischen und syrischen Medien (z.B. Sputnik, RT, PressTV, FARS News und SANA) über Kriegsangelegenheiten konsultieren. Füge Telesur zu dieser Liste hinzu. Trotz konsequenter westlicher Versuche, zu blockieren und zu verbieten - jetzt auch durch Ausschlüsse aus den neuen Medienmonopole Google, YouTube, Twitter und Facebook und sogar viele ISPs - sind diese Quellen immer noch im Internet zugänglich. Vielleicht brauchst du heutzutage ein virtuelles Privatnetzwerk (VPN), um einige der Versuche zu vermeiden, blockiert oder zensiert zu werden. Das Anhören der sprichwörtlichen "anderen Seite" war früher ein Schlüsselprinzip für eine Diskussion.

Zweitens gibt es in Nordamerika einige neue Medienkanäle, die Folgendes bieten: Kritische, oft sehr gut recherchierte Inhalte zu den verschiedenen neuen Kriegen. Dazu gehören MINTPRESS, American Herald Tribune, Greanville Post, Black Agenda Report und Global Research. Eine Reihe der älteren "linken" Seiten (Counter Punch, Jacobin, Common Dreams) wurden vom westlichen liberalen Dogma übernommen und produzieren viel mehr unausgeglichene Inhalte.

Drittens: zum Krieg gegen Syrien und zur gesamten Region des Nahen Ostens können die LeserInnen meine Bücher konsultieren: „The Dirty War On Syria (2016, Global Research, Deutsch: „Der Schmutzige Krieg gegen Syrien, Liepsen Verlag, Marburg) und „Axis of Resistance“ (2019, Clarity Press, bisher nicht ins Deutsche übersetzt). Es gibt eine Reihe anderer kritischer Schriftsteller über den Krieg. In den ersten Jahren des Krieges gab es nur wenige von uns, aber unsere Zahl ist in den letzten Jahren gestiegen. Schau doch einfach, wer von den Massmedien schlecht behandelt wird, und vielleicht bist du dann auf der richtigen Spur!


Von den ÜbersetzerInnen hinzugefügt weitere Empfehlungen auf Deutsch:

Bücher:
Karam Khella: Syrien – von der Wiege der Menschheit bis zur Krise, TuP Verlag, Hamburg
Karam Khella: Die Geschichte der arabischen Völker, TuP Verlag, Hamburg
Eva und Markus Heizmann: Syrien – ein Land im Widerstand, TuP Verlag, Hamburg
Aktham Suleiman: Krieg und Chaos in Nahost, Nomen, Frankfur a.M.
Edward Said: Orientalismus, Fischer, Frankfurt a.M.
Karin Leukefeld: Syrien zwischen Schatten und Licht, Rotpunktverlag, Zürich
Hubert Krammer: Jenseits der Mythen -Imperialismus-Zionismus-Faschismus, Tup Verlag, Hamburg
Gérard Degeorge: Damaskus (Band 1 & 2), Turia + Kant Wien
Div. AutorInnen: LÜGE-MACHT-KRIEG, Tup Verlag, Hamburg

Webseiten:
http://www.nrhz.de/flyer/ (Neue Rheinische Zeitung)
https://www.globalresearch.ca/category/deutsch (Global research deutsch)
https://www.voltairenet.org/de (Voltaire Netzwerk auf deutsch)
https://infosyr.wordpress.com/ (Sehr guter Blog, leider nicht mehr aktualisiert)


Anmerkungen:

Englische Fassung des Interviews
https://www.cuba-si.ch/fr/wp-content/uploads/sites/4/2019/09/Interview-in-Damas-with-Tim-Anderson.pdf

Tim Anderson ist ehemaliger Dozent und Direktor des Zentrums für hegemoniale Gegenstudien and der Univeristät Sydney, Akademiker in Volkswirtschaftslehre, Experte für unabhängige Staaten im Pazifik und Lateinamerika und für imperialistische Interventionen, Autor des schmutzigen Krieges gegen Syrien, (2016) und von Achse des Widerstands (2019)

Andrea Duffour ist Delegierte der Vereinigung Schweiz-Kuba siehe vollständigen Bericht und Fotos zum Forum in Damaskus

Eva und Markus Heizmann, die Übersetzer des Interviews, sind ebenfalls Teilnehmer des Gewerkschaftsforums "Solidarität mit syrischen Arbeitern und Menschen zur Bekämpfung der Wirtschaftssanktionen, Imperialistischen Interventionen und Terrorismus", hier ihr Bericht dazu auf Deutsch:

3. Internationales Gewerkschaftsforum gegen Embargos, Sanktionen und Boykott
Mit dem Terror eines Wirtschaftskrieges konfrontiert
Von Markus Heizmann, Bündnis gegen den imperialistischen Krieg, Basel
NRhZ 719 vom 18.09.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=26212


Siehe auch:

Tim Anderson: "Die Achse des Widerstandes - Zu einem unabhängigen Nahen Osten"
Ein Plädoyer für die Wahrheit
Buchbesprechung von Markus Heizmann
NRhZ 722 vom 16.10.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=26274

Online-Flyer Nr. 722  vom 16.10.2019

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