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Literatur
"Mein Dörfchen Welt" - Autobiografie von Gina Pietsch
Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!
Buchbesprechung von Elke Zwinge-Makamizile
Wer sich die Neugierde auf das Künstlerleben in der DDR bewahrt hat, findet in Gina Pietschs Autobiografie eine epische Breite an persönlichen Erlebnissen in der jungen DDR, in ihrer Familie, später in ihrem beruflichen und persönlichem Umfeld in der DDR, im Ausland, dann nach dem Umbruch ihr Leben im Kapitalismus. Sie ist Tochter, Schwester, Mutter, Liebende, Ehefrau und in allen Lebensstationen Künstlerin. Gina Pietsch studierte Germanistik und Musik in Leipzig, absolvierte ein Schauspielstudium an der Hochschule Ernst Busch und studierte das Fach Chanson bei Gisela May an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin.
Gina Pietsch (Fotos: arbeiterfotografie.com)
Die hoch qualifizierte Schauspielerin und Chanson-Sängerin und jetzt Autorin schafft in ihrem Buch ein Panorama an persönlichen „Erlebnissen, Erfahrungen, Freuden und Verletzungen, Behaltenes und Verdrängtes“ (zitiert aus ihrem Vorwort). Gina Pietsch gibt einen authentischen Einblick in das Kulturleben der DDR durch ihre persönlichen, konkret gemachten Erfahrungen.
Ihre außergewöhnliche Authentizität verbindet subjektive Eindrücke und objektive Gegebenheiten mit ihrer „Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit“ (aus dem Vorwort). Das Erstaunliche dabei ist, dass sich im temporeichen, freien Lauf eines fast oralen Erzählens, sich auch die Leser gedanklich frei und unbevormundet fühlen. Mit dem Vertrauen auf Gina Pietschs Aufrichtigkeit vermögen die Leser dem Ereignisfluss und ihren Reflexionen auch mit einem „Spaß am Denken“ zu folgen.
Sie erzählt warmherzig von ihren Freundschaften mit Schall, Gundermann, Degenhardt, mit den Finks und vielen anderen. Ihre grundsätzliche Zuneigung und Wertschätzung ihrer Arbeitskollegen und persönlichen Freundinnen und Freunde führen zu einem produktiven voneinander Lernen. Das will sie auch.
Die zahlreichen Konzert-Auftritte mit ihren Gruppen „Oktoberclub“ und „Jahrgang 49“ in der DDR wie auch im westlichen Ausland, in Europa und in Lateinamerika, in Cuba und Vietnam, eingeladen zu Pressefesten der KPs und anderen befreundeten Organisationen, schildert sie mitreißend und witzig, oft im Schwung eines populären Liedes. Sie erzählt von Kampf- und Solidaritätsliedern, die sie in kurzem oder längerem Text in der Landessprache singt und die leider nicht in allen Ländern von Staats wegen willkommen sind. Was sie in Mexiko und Kolumbien erlebt, ist tief deprimierend.
Unterwegs ist sie auf Tourneen als Schauspielerin und Sängerin mit Texten von Bertolt Brecht, Peter Hacks, Kurt Tucholsky, Volker Braun, Ingeborg Bachmann, Erich Fried, Garcia Lorca, Nicolas Guillén, Mikis Theodorakis, Victor Jara, Dario Fo u.a., die sie künstlerisch wunderbar in ihren Auftritten adaptiert hat und viele uns heute noch nahe bringt.
Ich entdecke durch ihr Buch ihre - im Sozialismus sozialisierte - Persönlichkeit und die für mich fast unbekannt gebliebene DDR mit ihrem lebendigen, intensiven Kulturreichtum, dem staatlichen Kulturbetrieb und den kreativen, diskussionsfreudigen Künstlern weit über Einschränkungen einer so genannten Staatsräson hinaus.
In kleinen Episoden erfahren wir von Honeckers Vorliebe für das Optimismus verlangende Lied „Bau auf - bau auf“, wogegen der Oktoberclub lieber Brechts „Aubaulied“sang.
Mit Jakob Walcher, einem geschätzten Lehrer Brechts, sieht sie – wie von Karl Marx und Rosa Luxemburg gelernt – den Zweifel als die Tugend eines radikalen Sozialisten. Zweifel und Fragen auf dem Nährboden des Sozialismus, das ist ihre gemeinsame Überzeugung.
Jenseits jeglicher Engstirnigkeit und Fehlentscheidungen prägt das staatlich geförderte Schaffen und das intensive Verbreiten Bertolt Brechts und vieler anderer sozialistischer Künstler: Maler, Schriftsteller, Komponisten und Filmemacher das Kulturleben der DDR.
Ihren Brecht, den fast unerschöpflichen, in Zeiten der DDR wie in der BRD, präsentiert sie unter den verschiedensten Blickwinkeln, letztens so:“ Um uns selber müssen wir uns selber kümmern!“ Ein guter Wahlspruch auch für uns Freidenker.
Gina Pietsch erschließt uns in ihrer Autobiografie wie in ihren Bühnen-Auftritten, sozialistische, fortschrittliche Künstler, insbesondere aber Bertolt Brecht. Sie bringt uns die Protagonisten künstlerisch ungemein überzeugend, kenntnisreich und unterhaltend nahe, dabei nie einen eigenen Blick scheuend wie beispielsweise den auf Brechts ganz partiell patriarchalische Seite.
Bertolt Brechts dialektisches, historisches, materialistisches Denken ist - einmal verinnerlicht - grundsätzlich unauslöschbar und ist mit der Einheit von Kunst und Politik auch in anderen Programmen Gina Pietschs zu Mikis Theodorakis, Martin Luther, Hedy Lamarr nachvollziehbar spürbar. Heute steht sie zusammen mit ihrer Tochter auf der Bühne in schönstem gegenseitigem Ergänzen.
Nach Übernahme der DDR durch die BRD, hält Gina Pietsch folgerichtig die fortschrittliche, humanistische, internationalistische, linke Kultur gegen den offiziellen kapitalistischen Kulturbetrieb mit einer ihr eigenen künstlerischen Kraft und Aufrichtigkeit lebendig.
Gina Pietsch schildert im Detail den schwierigen Wechsel von staatlich gefördertem Kulturbetrieb zu einer marktorientierten Nachfrage, wobei sich linke Künstler auf linke Organisationen stützen müssen.
DDR-Bürger können sich mit diesem Buch auf Erinnerungspfade begeben und sich daran erfreuen. Heidrun Hegewald und Sabine Kebir haben dieses Buch sehr gewürdigt. Ellen Brombacher würdigt in ihrer Laudatio anlässlich der Verleihung des Preises für Solidarität und Menschenwürde, Gina Pietsch in ihrer Gesamtheit.
Gina Pietsch in ihrem Programm "200 Jahre Marx", Darmstadt 2018
Ich als Wessi stelle zusätzlich fest, wie sehr die offizielle Berichterstattung der BRD uns unwissend über das Kulturleben der DDR gelassen hatte, schlimmer noch, unglaublich, dass das Gerede von einer 2. deutschen Diktatur bis heute Fuß fassen kann. Dieses Buch gibt dem Leser Zuversicht auf Vergangenes und Zukünftiges.
Gina Pietsch würdigt die DDR als Teil einer progressiven Weltbewegung. Zusammen mit sozialistischen, progressiven Staaten und sozialistischen, linken Bewegungen in der 1. und 3. Welt sieht diese heute zwar anders aus als früher, aber mit der Entwicklung einer multipolaren Welt, einem praktizierten Internationalismus und der Einhaltung des Völkerrechts bleibt sie lebendig.
Dem ist Gina Pietsch als Künstlerin und Aktivistin in der VVN, bei den Freidenkern wie in einer breiten Friedensbewegung verbunden! „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“, eine in der DDR erworbene Maxime, begleiten unverrückbar ihr künstlerisches und persönliches Leben. Ihre Autobiografie gibt auch in dieser Hinsicht davon Zeugnis.
Gina Pietsch: Mein Dörfchen Welt
Verlag Neues Leben, Berlin 2017, 288 Seiten, gebunden, 19,99 Euro
Online-Flyer Nr. 722 vom 16.10.2019
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Literatur
"Mein Dörfchen Welt" - Autobiografie von Gina Pietsch
Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!
Buchbesprechung von Elke Zwinge-Makamizile
Wer sich die Neugierde auf das Künstlerleben in der DDR bewahrt hat, findet in Gina Pietschs Autobiografie eine epische Breite an persönlichen Erlebnissen in der jungen DDR, in ihrer Familie, später in ihrem beruflichen und persönlichem Umfeld in der DDR, im Ausland, dann nach dem Umbruch ihr Leben im Kapitalismus. Sie ist Tochter, Schwester, Mutter, Liebende, Ehefrau und in allen Lebensstationen Künstlerin. Gina Pietsch studierte Germanistik und Musik in Leipzig, absolvierte ein Schauspielstudium an der Hochschule Ernst Busch und studierte das Fach Chanson bei Gisela May an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin.
Gina Pietsch (Fotos: arbeiterfotografie.com)
Die hoch qualifizierte Schauspielerin und Chanson-Sängerin und jetzt Autorin schafft in ihrem Buch ein Panorama an persönlichen „Erlebnissen, Erfahrungen, Freuden und Verletzungen, Behaltenes und Verdrängtes“ (zitiert aus ihrem Vorwort). Gina Pietsch gibt einen authentischen Einblick in das Kulturleben der DDR durch ihre persönlichen, konkret gemachten Erfahrungen.
Ihre außergewöhnliche Authentizität verbindet subjektive Eindrücke und objektive Gegebenheiten mit ihrer „Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit“ (aus dem Vorwort). Das Erstaunliche dabei ist, dass sich im temporeichen, freien Lauf eines fast oralen Erzählens, sich auch die Leser gedanklich frei und unbevormundet fühlen. Mit dem Vertrauen auf Gina Pietschs Aufrichtigkeit vermögen die Leser dem Ereignisfluss und ihren Reflexionen auch mit einem „Spaß am Denken“ zu folgen.
Sie erzählt warmherzig von ihren Freundschaften mit Schall, Gundermann, Degenhardt, mit den Finks und vielen anderen. Ihre grundsätzliche Zuneigung und Wertschätzung ihrer Arbeitskollegen und persönlichen Freundinnen und Freunde führen zu einem produktiven voneinander Lernen. Das will sie auch.
Die zahlreichen Konzert-Auftritte mit ihren Gruppen „Oktoberclub“ und „Jahrgang 49“ in der DDR wie auch im westlichen Ausland, in Europa und in Lateinamerika, in Cuba und Vietnam, eingeladen zu Pressefesten der KPs und anderen befreundeten Organisationen, schildert sie mitreißend und witzig, oft im Schwung eines populären Liedes. Sie erzählt von Kampf- und Solidaritätsliedern, die sie in kurzem oder längerem Text in der Landessprache singt und die leider nicht in allen Ländern von Staats wegen willkommen sind. Was sie in Mexiko und Kolumbien erlebt, ist tief deprimierend.
Unterwegs ist sie auf Tourneen als Schauspielerin und Sängerin mit Texten von Bertolt Brecht, Peter Hacks, Kurt Tucholsky, Volker Braun, Ingeborg Bachmann, Erich Fried, Garcia Lorca, Nicolas Guillén, Mikis Theodorakis, Victor Jara, Dario Fo u.a., die sie künstlerisch wunderbar in ihren Auftritten adaptiert hat und viele uns heute noch nahe bringt.
Ich entdecke durch ihr Buch ihre - im Sozialismus sozialisierte - Persönlichkeit und die für mich fast unbekannt gebliebene DDR mit ihrem lebendigen, intensiven Kulturreichtum, dem staatlichen Kulturbetrieb und den kreativen, diskussionsfreudigen Künstlern weit über Einschränkungen einer so genannten Staatsräson hinaus.
In kleinen Episoden erfahren wir von Honeckers Vorliebe für das Optimismus verlangende Lied „Bau auf - bau auf“, wogegen der Oktoberclub lieber Brechts „Aubaulied“sang.
Mit Jakob Walcher, einem geschätzten Lehrer Brechts, sieht sie – wie von Karl Marx und Rosa Luxemburg gelernt – den Zweifel als die Tugend eines radikalen Sozialisten. Zweifel und Fragen auf dem Nährboden des Sozialismus, das ist ihre gemeinsame Überzeugung.
Jenseits jeglicher Engstirnigkeit und Fehlentscheidungen prägt das staatlich geförderte Schaffen und das intensive Verbreiten Bertolt Brechts und vieler anderer sozialistischer Künstler: Maler, Schriftsteller, Komponisten und Filmemacher das Kulturleben der DDR.
Ihren Brecht, den fast unerschöpflichen, in Zeiten der DDR wie in der BRD, präsentiert sie unter den verschiedensten Blickwinkeln, letztens so:“ Um uns selber müssen wir uns selber kümmern!“ Ein guter Wahlspruch auch für uns Freidenker.
Gina Pietsch erschließt uns in ihrer Autobiografie wie in ihren Bühnen-Auftritten, sozialistische, fortschrittliche Künstler, insbesondere aber Bertolt Brecht. Sie bringt uns die Protagonisten künstlerisch ungemein überzeugend, kenntnisreich und unterhaltend nahe, dabei nie einen eigenen Blick scheuend wie beispielsweise den auf Brechts ganz partiell patriarchalische Seite.
Bertolt Brechts dialektisches, historisches, materialistisches Denken ist - einmal verinnerlicht - grundsätzlich unauslöschbar und ist mit der Einheit von Kunst und Politik auch in anderen Programmen Gina Pietschs zu Mikis Theodorakis, Martin Luther, Hedy Lamarr nachvollziehbar spürbar. Heute steht sie zusammen mit ihrer Tochter auf der Bühne in schönstem gegenseitigem Ergänzen.
Nach Übernahme der DDR durch die BRD, hält Gina Pietsch folgerichtig die fortschrittliche, humanistische, internationalistische, linke Kultur gegen den offiziellen kapitalistischen Kulturbetrieb mit einer ihr eigenen künstlerischen Kraft und Aufrichtigkeit lebendig.
Gina Pietsch schildert im Detail den schwierigen Wechsel von staatlich gefördertem Kulturbetrieb zu einer marktorientierten Nachfrage, wobei sich linke Künstler auf linke Organisationen stützen müssen.
DDR-Bürger können sich mit diesem Buch auf Erinnerungspfade begeben und sich daran erfreuen. Heidrun Hegewald und Sabine Kebir haben dieses Buch sehr gewürdigt. Ellen Brombacher würdigt in ihrer Laudatio anlässlich der Verleihung des Preises für Solidarität und Menschenwürde, Gina Pietsch in ihrer Gesamtheit.
Gina Pietsch in ihrem Programm "200 Jahre Marx", Darmstadt 2018
Ich als Wessi stelle zusätzlich fest, wie sehr die offizielle Berichterstattung der BRD uns unwissend über das Kulturleben der DDR gelassen hatte, schlimmer noch, unglaublich, dass das Gerede von einer 2. deutschen Diktatur bis heute Fuß fassen kann. Dieses Buch gibt dem Leser Zuversicht auf Vergangenes und Zukünftiges.
Gina Pietsch würdigt die DDR als Teil einer progressiven Weltbewegung. Zusammen mit sozialistischen, progressiven Staaten und sozialistischen, linken Bewegungen in der 1. und 3. Welt sieht diese heute zwar anders aus als früher, aber mit der Entwicklung einer multipolaren Welt, einem praktizierten Internationalismus und der Einhaltung des Völkerrechts bleibt sie lebendig.
Dem ist Gina Pietsch als Künstlerin und Aktivistin in der VVN, bei den Freidenkern wie in einer breiten Friedensbewegung verbunden! „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“, eine in der DDR erworbene Maxime, begleiten unverrückbar ihr künstlerisches und persönliches Leben. Ihre Autobiografie gibt auch in dieser Hinsicht davon Zeugnis.
Gina Pietsch: Mein Dörfchen Welt
Verlag Neues Leben, Berlin 2017, 288 Seiten, gebunden, 19,99 Euro
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