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Globales
Im Sinne der Zivilisation denken und handeln
Der Zweite Weltkrieg – Vermeidbar?
Von Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait

Die herrschende mediale Propaganda nach dem Zweiten Weltkrieg bemüht sich, ihn als unvermeidbar darzustellen. Jedoch heutzutage deuten Dokumente, offizielle Erklärungen, Historiker und vor allem akademische Diskussionen an Universitäten auf andere Auswege hin. Der Zweite Weltkrieg solte weiter sorgfältig von Historikern und Denkern bearbeitet werden. Vorurteilsfrei. Er war die Antwort auf die Aggression Nazi-Deutschlands und erfolgte, um Europa vom Hitler-Faschismus zu befreien. Diese militärische Tatsache bedeutet aber nicht, dass der Zweite Weltkrieg mit seiner enormen Zerstörung und über 60 Millionen Menschenopfern die einzig mögliche Antwort auf Hitler gewesen sei, auch nicht die notwendige und rationale. Keineswegs ist dieses militärische Vorgehen als geschichtliches Vorbild anzusehen. Wenn Europa heute einen neuen Hitler hätte oder eine Aggression erlebte, wäre sicherlich eine ähnliche Antwort, also ein dritter Weltkrieg, undenkbar. Er würde wegen der heutigen Waffentechnik, auch ohne die bestehenden Massenvernichtungsmittel, die Extermination des Kontinentes bedeuten. Allein diese Realität macht den Krieg oder militärischen Einsatz mit gewaltsamen Folgen zu einem unzulässigen Mittel, das nur unzurechnungsfähige Personen befürworten könnten.

Der Westen auf Kurs der Selbstzerstörung mit dem Ersten Weltkrieg

Im 20. Jahrhundert ereilte den abendländischen Menschen das Verhängnis: Er verlor den Glauben an sich selbst, seine Kultur und die Religion, die diese Kultur hervorgebracht hatte. Sir Patrick Hastings, britischer Rechtsanwalt und Schriftsteller, erkennt 1948: „Der Krieg ist das Werk von einzelnen, nicht von Nationen.“ Wer sind die Staatsmänner, welche die Verantwortung für den Niedergang des Westens im 20. Jahrhundert tragen? George F. Kennan, Geostratege des Kalten Krieges, gelangt zum folgenden Schluss: „Alle Spuren führen auf den Ersten Weltkrieg zurück.“ Der Historiker Jacques Barzun bekräftigt George Kennans Standpunkt, der Erste Weltkrieg sei der Ausgangspunkt der Katastrophe gewesen. Der Ausbruch des Krieges im August 1914 war der Schlag, der die moderne westliche Welt auf ihren Kurs der Selbstzerstörung katapultierte. Immerhin waren die beiden Weltkriege die zerstörerischsten und blutigsten Kriege in der Geschichte, und es mag sich sehr wohl erweisen, dass sie den Anstoß zum Untergang der abendländischen Zivilisation gaben. War es wirklich notwendig, sechzig Millionen Menschenleben zu opfern, um Hitlers Niederlage zu erzwingen?

Verdeckte Anstiftung zum Krieg im Rechtsstaat Deutschland inakzeptabel

Die Zeit ist nach zwei Weltkriegen reif genug, um politisch, also im Sinne der Zivilisation, anzufangen zu denken und zu handeln. Sich in diesem Sinne publizistisch zu betätigen, ist die eigentlich sinnvolle Aufgabe jedes Forschungsinstituts, Außenpolitikers und Journalisten, anstatt öffentlich gezielt zu verwirren und verstellt zur Aggression anzustiften. Das seltsame Verhalten, verdeckt zum Krieg anzustiften, wie wir es häufig öffentlich erleben, ist in einem Rechtsstaat wie Deutschland inakzeptabel.

Churchill: Niemals hätte sich ein Krieg leichter verhindern lassen als der Zweite Weltkrieg

Eines Tages sagte US-Präsident Roosevelt dem britischen Premierminister Winston Churchill, dass er die Öffentlichkeit um Anregungen ersuche, wie der Zweite Weltkrieg benannt werden solle. Churchill erwiderte sofort: "'Der unnötige Krieg'. Niemals hätte sich ein Krieg leichter verhindern lassen als dieser, der eben alles vernichtet hat, was von der Welt, nach dem vorangegangenen Kampf noch übriggeblieben war." Hatte Churchill Recht? War der Zweite Weltkrieg wirklich ein „unnötiger Krieg“?

Der Ausgangspunkt aller Störungen und Unstimmigkeiten, die das Hitler-Deutschland zu eigenmächtigen Handlungen bewegten, lagen im Versailler Vertrag. Hitler und seinen Leuten gelingt es, die Macht zu ihrem Vorhaben zu erringen, um den Versailler Vertrag zu liquidieren und ihre Vorherrschaft in Europa zu etablieren. London verstand die Plausibilität von Hitlers Forderungen in Bezug auf Territorien mit deutschstämmigen Gruppen und zeigte sich bereit, Korrekturen des Versailler Vertrags anzunehmen. Solche Korrekturen des Versailler Vertrages hätten den Zweiten Weltkrieg verhindern können.

Anschluss Österreichs an das Dritte Reich unter Jubel der österreichischen Bevölkerung und mit Londoner Verständnis

Am 12. März 1938 erfolgte der Anschluss Österreichs an das Dritte Reich unter großer Unterstützung und Jubeln der österreichischen Bevölkerung und mit Londoner Verständnis, wie Außeminister Anthony Eden dem deutschen Londoner Botschafter, Joachim von Ribbentrop, sagte: „Die Leute in England haben begriffen, dass es irgendwann zu einer engeren Verbindung zwischen Deutschland und Österreich kommen muss.“

Abschluss des Münchner Abkommens am 29. September 1938 in Großbritannien bejubelt

Am 22. September 1938 bot Chamberlain auf der Godesberger Konferenz an, Hitlers Forderung nachzugeben, nämlich die Abtretung der Gebiete, in denen mehrheitlich Deutsche lebten. Hitler aber weitete seine Forderungen aus, u.a. sollten die Räumungsfristen der Sudentendeutschen-Gebiete verkürzt werden. Frankreich und die Tschechoslowakei reagierten mit militärischer Mobilisierung. Und auch Deutschland ließ Divisionen vorrücken. Die Gefahr eines Krieges lag erneut in der Luft.

Auf Vermittlung Italiens trafen sich daraufhin Hitler, Chamberlain, Benito Mussolini und der französische Premierminister Edouard Daladier am 29. September 1938 zur Münchner Konferenz, auf der das Münchner Abkommen unterzeichnet wurde in der Nacht zum 30. September. Die Tschechoslowakei, über deren Zukunft verhandelt wurde, war nicht eingeladen. In dem Münchner Abkommen verpflichtete sich das Deutsche Reich, auf weitere Gebietsforderungen im Osten zu verzichten.

Der Enthusiasmus zum Münchner Abkommen in Großbritannien und in der ganzen Welt war grandios. George VI. und seine Gemahlin erteilten der Politik des Appeasement (Beschwichtigung) ihren königlichen Segen. Der Premierminister war „der populärste Mann auf der Welt und wurde weltweit bejubelt“. So der deutsche Historiker Andreas Hillgruber. Chamberlain wurde als größter Engländer bezeichnet, der je gelebt hätte. Die Vertreter der Kirche schlossen sich dem allgemeinen Jubel an. Die anglikanische Kirche reagierte fast einhellig so, als ob die Männer von München vom Allmächtigen Gott geleitet worden seien. In allen Kirchen und Kathedralen Englands klangen die Glocken und fanden Dankgottesdienste statt.

Schock über Einmarsch der Wehrmacht in Prag

Und umso plump schockierender für die britische Elite und das britische Volk, dass gleich in darauffolgenden Tagen die Wehrmacht begann, in Richtung Prag zu mobilisieren. Als die deutsche Einnahme der Tschechoslowakei vollbracht war, trat Churchill im Unterhaus ans Rednerpult: „Wir haben eine totale, vernichtende Niederlage erlitten. Alles ist vorbei. ...“ Die Zerschlagung der Tschechoslowakei war eine militärische Operation, bei der deutsche Truppen am 15./16. März 1939 das verbliebene (tschechische) Staatsgebiet der Tschechoslowakischen Republik besetzten.

1937, gut ein Jahr vor der Münchner Konferenz war Lord Halifax, der dem neuen Premierminister Neville Chamberlain nahestand, von Göring nach Deutschland eingeladen worden. Danach hatte er den Führer in Berchtesgaden auf Einladung des deutschen Botschafter Joachim von Ribbentrop besucht.

Blankoscheck für die friedliche Eingliederung der deutschstämmigen Bevölkerungsgruppen Mitteleuropas ins Deutsche Reich


Zu Beginn dieser Begegnung hatte Halifax seinem Gastgeber im Namen Chamberlains eine außerordentlich wichtige Botschaft überbracht: Sofern sich „weitreichende Störungen“ vermeiden ließen, lägen sämtliche von Deutschland angestrebten Korrekturen des Versailler Vertrags in Mitteleuropa im Bereich des Möglichen. Dies war genau das, was Hitler hören wollte. Großbritannien würde also keinen Krieg vom Zaun brechen, um die Vereinigung mit Österreich, die Angliederung des Sudetenlandes an das Deutsche Reich oder die Rückkehr Danzigs ins Reichsgebiet zu verhindern. Ganz im Gegenteil, die Briten waren unter Umständen sogar bereit, als ehrliche Makler zu walten, um Deutschland den Erwerb der ihm von Rechts wegen zustehenden Gebiete zu ermöglichen – immer vorausgesetzt, dass alles auf ordentlichem und zivilisiertem Wege geschah.

Hitler hatte somit praktisch einen Blankoscheck für die friedliche Eingliederung der deutschstämmigen Bevölkerungsgruppen Mitteleuropas ins Reich erhalten; die einzige Bedingung lautete, dass „weitreichende Störungen“ zu vermeiden seien.

US-Präsident Franklin Delano Roosevelt: „Das ist euer Krieg, nicht unserer“

Im September 1938, als sich die Krise zuspitzte, machte US-Präsident Franklin Delano Roosevelt alle Hoffnungen auf eine US-Intervention zunichte. Er sagte klipp und klar: „Jene, die für den Fall eines Kriegs in Europa mit der sicheren Unterstützung der Vereinigten Staaten rechnen, täuschen sich vollkommen … Anzunehmen, die USA gehörten einer französisch-britischen Front gegen Hitler an, ist eine hundertprozentig falsche Interpretation … weil dies gegen das Neutralitätsgesetz (1930) verstoßen würde. Das ist euer Krieg, nicht unserer.“

Verwicklung in Krieg für das British Empire unerwünscht

In den letzten Augusttagen 1939 hatte Henderson, britischer Botschafter in Berlin, selbst auf eine friedliche Lösung der Danziger Frage gedrängt. Die Briten hatten in Osteuropa keine wichtigen Interessen zu verteidigen, die einen Krieg auf Leben und Tod mit dem Deutschen Reich gerechtfertigt hätten und waren zur Führung eines solchen auch gar nicht in der Lage. Das war der polnischen Regierung womöglich nicht klar, sonst hätten sie sich zu ihrem Schutz an die USA oder an die Sowjetunion gewandt, denn angesichts des aggressiven Vorgehens der Hitler-Regierung gerade nach dem Münchner Abkommen musste sich Polen dringend militärischen Beistand suchen. Immerhin schrieb Chamberlain in einem Brief an seine Schwester: „Großbritannien darf die zentrale Entscheidung für Frieden oder Krieg nicht aus der Hand geben und einem anderen Land überlassen“. Ausgerechnet das hat aber London getan, als es eine Garantie an Polen am 31. März 1939 erklärte, um es vor der deutschen Armee zu beschützen. Eine nutzlose, völlig sinnlose Garantie, weil London nicht in der Lage war, Polen militärisch vor Deutschland zu schützen.

Die lebenswichtigen Interessen Großbritanniens waren nicht im Osten, jedoch die Interessen des Deutschen Reichs, dessen Drang nach Osten gar keine Kollision mit den britischen Interessen implizierte. Deswegen ist es plausibel, dass man sich auch schon in jener Zeit vorstellte, dass London trotz der erklärten Garantie nicht gegen den deutschen Einmarsch in Osteuropa vorgehen würde.

"So sehr wir auch mit einer kleinen Nation sympathisieren mögen, die es mit einem großen und mächtigen Nachbarn zu tun bekommt, wir können es uns unter keinen Umständen leisten, das Britische Empire nur ihr zuliebe in einen Krieg zu verwickeln. Wenn wir schon kämpfen müssen, dann einzig und allein um einer größeren Sache willen." (Chamberlains denkwürdige Ansprache).

Zielsetzung britischer Politik: Wiedergutmachung des Unrechts von Versailles zur Schaffung eines stabilen Friedens

Warum sollen britische Soldaten sterben, damit die Tschechen weiterhin über drei Millionen unzufriedene Deutsche herrschen durften, die zuvor jahrhundertelang zufrieden unter den Habsburgern oder den Hohenzollern gelebt hatten? Somit entsprach das Münchner Abkommen allem Anschein nach sowohl britischen Prinzipien wie britischen Zielen, nämlich einen stabilen Frieden zu erreichen, indem das Unrecht von Versailles wiedergutgemacht würde. Benesch wurde also unter Druck gesetzt, damit er das Sudetenland an das Deutsche Reich abtrat und so den Wünschen der dortigen Bewohner seiner Tschechoslowakei Rechnung trug. Angesichts dieser heiklen Lage, die sicherlich Hitler durch die Berichte seines Außenministers von Ribbentrop sehr gut kannte, war es äußerst töricht, widersprüchlich und provokativ, in die Tschechoslowakei einzumarschieren, gerade nachdem er sich darüber mit London verständigt hatte. Es ist plausibel, dass die deutsche Militäroperation gegen Prag nach dem Münchner Abkommen eine eigenmächtige Operation einer kriegstreiberischen Clique in Hitlers Umgebung war und keine offizielle Handlung der deutschen Regierung. Doch wenn Chamberlain mit seiner strategischen Einschätzung richtig lag und es Englands ureigenes Interesse war, einen Krieg wegen des Sudetenlandes zu vermeiden, warum soll dann München eine Katastrophe gewesen sein?


Verfasst am 20.9.2020

Luz María de Stéfano Zuloaga de Lenkait ist chilenische Rechtsanwältin und Diplomatin (a.D.). Sie war tätig im Außenministerium und wurde unter der Militärdiktatur aus dem Auswärtigen Dienst entlassen. In Deutschland hat sie sich öffentlich engagiert für den friedlichen Übergang der chilenischen Militärdiktatur zum freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat, u.a. mit Erstellen von Gutachten für Mitglieder des Deutschen Bundestages und Pressearbeit, die Einheit beider deutschen Staaten als ein Akt der Souveränität in Selbstbestimmung der beiden UN-Mitglieder frei von fremden Truppen und Militärbündnissen, einen respektvollen rechtmäßigen Umgang mit dem vormaligen Staatsoberhaupt der Deutschen Demokratischen Republik Erich Honecker im vereinten Deutschland, für die deutsche Friedensbewegung, für bessere Kenntnis des Völkerrechts und seine Einhaltung, vor allem bei Politikern, ihren Mitarbeitern und in Redaktionen. Publikationen von ihr sind in chilenischen Tageszeitungen erschienen (El Mercurio, La Epoca), im südamerikanischen Magazin “Perfiles Liberales”, und im Internet, u.a. bei Attac, Portal Amerika 21, Palästina-Portal. Einige ihrer Gutachten (so zum Irak-Krieg 1991) befinden sich in der Bibliothek des Deutschen Bundestages.



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