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Inland
Land Bremen
Demokratische Landesverfassung im Totalitären Abseits?
Von Rudolph Bauer
Die Bremer Bürgerschaft (Landtag), das Parlament des norddeutschen Stadtstaats, bestehend aus Bremen und Bremerhaven, hat Ende Februar die Landesverfassung geändert. Die Lokalzeitung Weser-Kurier berichtete im Stadt-Teil unter der Überschrift „Kampf gegen Nazismus künftig Staatsziel“ wie folgt: „Im Land Bremen ist künftig nicht nur der Staat, sondern auch jeder Einzelne verpflichtet, antidemokratische Bestrebungen die Stirn zu bieten. Das gilt insbesondere für die Wiederbelebung, Verherrlichung oder Rechtfertigung des Nationalsozialismus, aber auch für den Kampf gegen rassistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Aktivitäten.“
Im zweiten Jahr der Waffen- und Kriegsgeräte-Lieferungen an das faschistische Ukraine-Regime und 78 Jahre nach der Kapitulation des Nazi-Militarismus erscheint der aktuelle Beschluss der Verfassungsänderung in Bremen wie ein Alibi: Dient die Entscheidung der Bürgerschaft dazu, abzulenken von der Anlandung riesiger Mengen US-amerikanischen Kriegsmaterials in Bremerhaven zum Weitertransport an das Militärregime in der Ukraine? Motto: Nie wieder Faschismus, aber gern wieder Krieg!
Oder soll damit dem Eindruck widersprochen werden, dass die als pandemiebedingt begründeten „Hygiene“-Maßnahmen einen Teil der Bremerinnen und Bremer an nationalsozialistische Einschränkungen der Freiheitsrechte und an die NS-Gesundheitspolitik erinnert haben? Motto: Wir, die wir gegen die „Wiederbelebung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft“ (neuer Artikel 1 a) vorgehen, sind über jeden Verdacht erhaben, in der deutschen Tradition nationalsozialistischer Unterdrückung und Ausgrenzung zu handeln!
Oder soll der Passus die Kampfaufmärsche der in Bremen als Antifa verkleideten Autoritären und Spritzenfanatiker rechtfertigt, wenn es heißt, dass es die „Verantwortung jeder und jedes Einzelnen“ sei, den besagten „Aktivitäten entschieden entgegenzutreten“ (ebd.)? Motto: Es lebe Denunziantentum und private Lynchjustiz!
Aus juristischer Sicht scheint der neue Bremer Verfassungsartikel 1 a hinsichtlich seines konkreten normativen Gehalts relativ belanglos zu sein. Als Teil der Staatsziele erscheinen die Formulierungen einerseits so allgemein, dass daraus keine unmittelbaren Rechtsfolgen abgeleitet werden können.
Die Formulierungen sind jedoch so plakativ, programmatisch und bekenntnishaft, dass sie totalitäre Wirkungen entfalten können. Dies umso mehr, als gegenwärtig mit dem Nazi-Verdacht und mit Unterstellungen wie dem des Antisemitismus und des Rassismus gegen die Demokratiebewegung autoritäre Stimmung gemacht und gefährliche Hetze betrieben wird.
Fürs erste können die Formulierungen eine Begründung bezwecken, wenn etwa die Vergabe öffentlicher Räume (z. B. für israel- oder ukrainekritische Veranstaltungen oder für solche der außerparlamentarisch oppositionellen Demokratiebewegung) verweigert wird. Der Artikel 1 a kann ferner beispielsweise auch dazu dienen, den Entzug der Förderung bestimmter Vorhaben zu begründen, die Gemeinnützigkeit zu versagen bzw. abzuerkennen, Bankkonten zu sperren, Überwachungsmaßnahmen zu legitimieren, Hausdurchsuchungen und Festnahmen zu legalisieren.
Auf längere Sicht ist nicht auszuschließen, dass Artikel 1 a der Bremischen Landesverfassung auf „legalem Wege“ bewirkt, die Meinungsfreiheitsäußerung einzuschränken und die Chancenungleichheit politischer Kräfte zu rechtfertigen. Allein die Möglichkeit der antidemokratischen Deutung und Anwendung des neuen Verfassungsartikels 1 a lässt aufhorchen. Aber vergebens erwartete man bisher in der Bremer Öffentlichkeit eine Auseinandersetzung darüber. Auch in der Zeit vor der Verabschiedung der Verfassungsänderung wurde darüber nicht eingehend berichtet und diskutiert.
Die Parteien haben die tendenziell demokratiefeindliche Verfassungsänderung einmütig beschlossen. Die Medien erhoben und erheben keinen Einspruch. Die Juristen in der Rechtsprechung und an der Bremer Universität schweigen. Bei der im Mai angesetzten Wahl zur Bremer Bürgerschaft werden harmlose Themen plakatiert.
Am 20. März 2023 wurde die Verfassungsänderung im Gesetzblatt der Freien Hansestadt Bremen verkündet. Seitdem ist die Änderung in Kraft. Aber viele Fragen bleiben offen, etwa:
Online-Flyer Nr. 810 vom 26.04.2023
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Inland
Land Bremen
Demokratische Landesverfassung im Totalitären Abseits?
Von Rudolph Bauer
Die Bremer Bürgerschaft (Landtag), das Parlament des norddeutschen Stadtstaats, bestehend aus Bremen und Bremerhaven, hat Ende Februar die Landesverfassung geändert. Die Lokalzeitung Weser-Kurier berichtete im Stadt-Teil unter der Überschrift „Kampf gegen Nazismus künftig Staatsziel“ wie folgt: „Im Land Bremen ist künftig nicht nur der Staat, sondern auch jeder Einzelne verpflichtet, antidemokratische Bestrebungen die Stirn zu bieten. Das gilt insbesondere für die Wiederbelebung, Verherrlichung oder Rechtfertigung des Nationalsozialismus, aber auch für den Kampf gegen rassistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Aktivitäten.“
Im zweiten Jahr der Waffen- und Kriegsgeräte-Lieferungen an das faschistische Ukraine-Regime und 78 Jahre nach der Kapitulation des Nazi-Militarismus erscheint der aktuelle Beschluss der Verfassungsänderung in Bremen wie ein Alibi: Dient die Entscheidung der Bürgerschaft dazu, abzulenken von der Anlandung riesiger Mengen US-amerikanischen Kriegsmaterials in Bremerhaven zum Weitertransport an das Militärregime in der Ukraine? Motto: Nie wieder Faschismus, aber gern wieder Krieg!
Oder soll damit dem Eindruck widersprochen werden, dass die als pandemiebedingt begründeten „Hygiene“-Maßnahmen einen Teil der Bremerinnen und Bremer an nationalsozialistische Einschränkungen der Freiheitsrechte und an die NS-Gesundheitspolitik erinnert haben? Motto: Wir, die wir gegen die „Wiederbelebung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft“ (neuer Artikel 1 a) vorgehen, sind über jeden Verdacht erhaben, in der deutschen Tradition nationalsozialistischer Unterdrückung und Ausgrenzung zu handeln!
Oder soll der Passus die Kampfaufmärsche der in Bremen als Antifa verkleideten Autoritären und Spritzenfanatiker rechtfertigt, wenn es heißt, dass es die „Verantwortung jeder und jedes Einzelnen“ sei, den besagten „Aktivitäten entschieden entgegenzutreten“ (ebd.)? Motto: Es lebe Denunziantentum und private Lynchjustiz!
Aus juristischer Sicht scheint der neue Bremer Verfassungsartikel 1 a hinsichtlich seines konkreten normativen Gehalts relativ belanglos zu sein. Als Teil der Staatsziele erscheinen die Formulierungen einerseits so allgemein, dass daraus keine unmittelbaren Rechtsfolgen abgeleitet werden können.
Die Formulierungen sind jedoch so plakativ, programmatisch und bekenntnishaft, dass sie totalitäre Wirkungen entfalten können. Dies umso mehr, als gegenwärtig mit dem Nazi-Verdacht und mit Unterstellungen wie dem des Antisemitismus und des Rassismus gegen die Demokratiebewegung autoritäre Stimmung gemacht und gefährliche Hetze betrieben wird.
Fürs erste können die Formulierungen eine Begründung bezwecken, wenn etwa die Vergabe öffentlicher Räume (z. B. für israel- oder ukrainekritische Veranstaltungen oder für solche der außerparlamentarisch oppositionellen Demokratiebewegung) verweigert wird. Der Artikel 1 a kann ferner beispielsweise auch dazu dienen, den Entzug der Förderung bestimmter Vorhaben zu begründen, die Gemeinnützigkeit zu versagen bzw. abzuerkennen, Bankkonten zu sperren, Überwachungsmaßnahmen zu legitimieren, Hausdurchsuchungen und Festnahmen zu legalisieren.
Auf längere Sicht ist nicht auszuschließen, dass Artikel 1 a der Bremischen Landesverfassung auf „legalem Wege“ bewirkt, die Meinungsfreiheitsäußerung einzuschränken und die Chancenungleichheit politischer Kräfte zu rechtfertigen. Allein die Möglichkeit der antidemokratischen Deutung und Anwendung des neuen Verfassungsartikels 1 a lässt aufhorchen. Aber vergebens erwartete man bisher in der Bremer Öffentlichkeit eine Auseinandersetzung darüber. Auch in der Zeit vor der Verabschiedung der Verfassungsänderung wurde darüber nicht eingehend berichtet und diskutiert.
Die Parteien haben die tendenziell demokratiefeindliche Verfassungsänderung einmütig beschlossen. Die Medien erhoben und erheben keinen Einspruch. Die Juristen in der Rechtsprechung und an der Bremer Universität schweigen. Bei der im Mai angesetzten Wahl zur Bremer Bürgerschaft werden harmlose Themen plakatiert.
Am 20. März 2023 wurde die Verfassungsänderung im Gesetzblatt der Freien Hansestadt Bremen verkündet. Seitdem ist die Änderung in Kraft. Aber viele Fragen bleiben offen, etwa:
- Was genau sind "antisemitische Aktivitäten"?
- Worauf konkret bezieht sich die Formulierung betr. "rassistischen ... und sonstigen menschenverachtenden Aktivitäten"?
- Wie genügen „alle (sic!) staatliche(n) Organisationen“ ihrer „Verpflichtung“, diesen „Aktivitäten entschieden entgegenzutreten"?
- Was heißt es im Kontext der Verpflichtung staatlicher Organisationen konkret, "entgegenzutreten" – und zwar „entschieden entgegenzutreten"?
- Wie genügt jede und jeder Einzelne der ihm durch die Verfassung auferlegten Verantwortung, besagten Aktivitäten "entgegenzutreten" – und zwar "entschieden entgegenzutreten"?
- Wie und worin unterscheiden sich die „Verpflichtung“ staatlicher Organisationen von der „Verantwortung“ jeder und jedes Einzelnen?
- Auf wen bezieht sich die Verantwortung jeder und jedes Einzelnen: ausschließlich auf in Bremen wohnhafte deutsche Staatsbürger oder auch auf Bürger anderer Staatsangehörigkeit, auf Bürger ab welchen Alters?
- Kann gegen diese Änderung der Landesverfassung oder gegen Teile dieser Änderung beim Verfassungsgericht Einspruch erhoben werden?
- Gibt es vergleichbare Verfassungsartikel in anderen Landesverfassungen der Bundesrepublik, oder ist die Verfassungsänderung in Bremen eine Art bundessrepublikanischer Testballon?
- Was erwartet die Bürgerinnen und Bürger im Rahmen einer zusätzlichen zu erwartenden (straf-)gesetzlichen Kodifizierung der erfolgten Verfassungsänderung?
Online-Flyer Nr. 810 vom 26.04.2023
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