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Krieg und Frieden
Rede bei der Demontration "Nein zu Kriegen" am 25. November 2023 in Berlin
Hoch die Internationale Solidarität! Freiheit für Palästina!
Von Iris Hefets und Nadija Samour
Iris Hefets: Vor 21 Jahren habe ich – wortwörtlich – meine Familie aus Israel zur Auswanderung nach Berlin gezwungen. Sie waren damit unglücklich, ich sah aber keine Zukunft in einer zunehmend militaristischen Gesellschaft. Kurz darauf war ich auf der Straße mit Hunderttausenden aller Couleur in Berlin, die gegen den Krieg im Irak demonstrierten. Als Israelin mit so vielen Menschen zusammen gegen den Krieg zu protestieren, ich dachte wirklich, dass ich mitten in einem Traum gelandet bin. Das war Deutschland 2003, in dem Nationalismus, Militarismus und Krieg noch umstritten waren. Ein Deutschland, in dem auch noch viele Menschen aus eigener Erfahrung wussten, was Krieg bedeutet. 20 Jahre später werden Menschen, die zum Waffenstillstand aufrufen, als Putin-Versteher und Hamas-Unterstützer denunziert. Das macht Angst.
Freiheit für Palästina - Foto: Heinz Eckel (Arbeiterfotografie)
Nadija Samour: Ja, 20 Jahre später leben wir in einem Deutschland, in dem die bedingungslose Solidarität mit Kriegsverbrechen und Genozid Staatsräson ist, und in dem Palästinenser:innen und ihre Unterstützer:innen de facto keine Grundrechte mehr haben.
Ich möchte uns alle daran erinnern, was gerade im Gaza-Streifen passiert, denn es scheint so, als würden die deutschen Medien versuchen, das unermessliche Leid, verursacht durch die israelische Kriegsmaschinerie, mit der vollsten Unterstützung der USA und der EU, zu verzerren und zu leugnen. Während wir hier stehen, wurden mehr als 14 800 Menschen ermordet, die Hälfte von ihnen Kinder. Mehr als 6800 liegen noch immer unter den Trümmern zerstörter Wohnhäuser und Schulen. 1,7 Millionen Menschen sind auf der Flucht, das sind 77 Prozent der gesamten Bevölkerung eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt. Und dabei stellt sich die Frage: wohin sollen sie fliehen? Denn der Gaza-Streifen ist nicht nur seit Jahrzehnten belagert und besetzt, sondern ist auch noch seit dem 9.Oktober komplett abgeschnitten von Treibstoff, Strom, Wasser und Nahrungsmitteln, ohne dass die internationale Gemeinschaft etwas unternommen hätte, um Leben zu retten. Fast 100 Journalist:innen sind im Gaza-Streifen und im Westjordanland von der israelischen Armee ermordet worden, medizinisches Personal, Krankenhäuser und Ambulanzen, Schulen, Flüchtlingslager, Moscheen und Kirchen – alles wird bombardiert, zerstört, und dann wird auch noch behauptet, die Opfer seien selbst schuld, weil sie sich angeblich mit der Hamas gemein machen würden.
Aber die bedingungslose Solidarität mit Kriegsverbrechen und Genozid hat in Deutschland nicht erst seit Oktober die Politik bestimmt. Die Normalisierung und die vollste Unterstützung mit Wort und Tat von israelischem Siedlungskolonialismus, von Apartheid, und von Militärbesatzung der palästinensischen Gebiete hat ja gerade Deutschland den Weg dahin geebnet, wieder als Großmacht in der Weltpolitik mitzumischen.
Iris Hefets: Nach dem letzten Weltkrieg musste sich Deutschland rehabilitieren. Weil die Deutschen mit den direkten Opfern nicht sprechen konnten, weil sie entweder von ihnen ermordet waren oder, wenn sie entkommen konnten, von Deutschland nichts mehr wissen wollten, wurde ein passendes Ersatzobjekt für die Wiedergutmachung gefunden: der israelische Staat.
Das war eine gute Lösung für alle Beteiligten. Adenauer konnte weiter mit alten Nazis Deutschlands Wiederaufbau betreiben. Ben Gurion, der für die erste ethnische Säuberung in Palästina verantwortlich war, erhielt dringend benötigtes Geld. Eine Hand wäscht die andere.
Es waren vor allem zivile Initiativen, die in Deutschland die öffentliche Auseinandersetzung mit tief sitzendem Antisemitismus und den begangenen Verbrechen angestoßen haben. Beispielhaft seien Projekte wie die Stolpersteine oder die Orte der Erinnerung im Bayrischen Viertel genannt.
Die deutsche Politik hat dann diese moralische Goldmine entdeckt, hat „die Juden“ als Objekt der Wiedergutmachung gewählt und Israel als seine Repräsentanz. Aus „den Juden“, die fast vernichtet wurden, weil sie für das „das Böse“ standen, sind „die Guten“ geworden. Sehr bequem.
Heute stellen die hier lebenden etwa 200.000 Jüdinnen und Juden weder eine politische, noch eine ökonomische oder elektorale Macht dar. Der Zentralrat der Juden – der noch zu Zeiten von Heinz Galinski und Ignaz Bubis mit anderen Minderheiten kooperierte und sich mit ihnen solidarisierte – wird vom deutschen Staat finanziert und gegen Muslime instrumentalisiert.
In den 1930er Jahren haben auch viele deutsche Jüdinnen und Juden den gegen sie gerichteten Rassismus verleugnet und waren sicher, dass die Deutschen „nur“ etwas gegen Ostjuden haben und dass sie geschützt werden, weil sie im Ersten Weltkrieg für Deutschland kämpften. Wenn es heute gegen Muslime geht, wird es morgen auch wieder gegen Juden gehen.
Nadija Samour: Gleichzeitig hat Deutschland die Palästinenser:innen zu Staatsfeinden erhoben, und all die barbarischen Eigenschaften wie Antisemitismus, Frauenhass, Queerphobie usw. werden auf sie projiziert. Die Schaffung dieses Feindbilds dient einem deutschen Nationalismus, der wieder wer in der Welt sein will. Israel dient dabei dem zur Schau stellen eines Ersatznationalismus. Ein geläutertes Großdeutschland, das seine tödlichen Grenzen aufrüstet, mit Massenabschiebungen droht, rassistische Ausschlüsse durch die Verschärfung des Aufenthalts- und Einbürgerungsrecht produziert, und jeglichen Widerstand dagegen mit Polizeigewalt, Demonstrationsverboten, und Diffamierungen zu verhindert versucht. Ein geläutertes Großdeutschland, das seinen Standortnationalismus an Rüstungsexporten misst, während es meint, mit seinem Werteimperialismus eine reine Weste bewahren zu können.
Iris Hefets: Heute fehlt es an zivilem Widerstand gegen diese erschreckende totalitäre Tendenzen, die unter dem Deckmantel des „Kampfs für die westlichen Werte“ in der Ukraine oder dem des „Kampfs gegen Antisemitismus“ erkennbar sind. Dabei ist der Zusammenschluss Adenauer-Globke-Ben-Gurion-Ethnische Säuberung heute in der Form von Scholz-Habeck-AfD-Netanyahu-Genozid in Gaza lebendig oder, besser gesagt, tödlich.
2010 habe ich einen Artikel in der taz veröffentlicht – damals konnte ich in der deutschen Presse noch veröffentlichen – der „Nur auf Zehenspitzen gehen“ hieß. Er fing so an: „Was haben die beiden Professoren Ilan Pappe (Israel), Norman Finkelstein (USA) und der Publizist Hajo Meyer (Deutschland) gemeinsam? Alle drei sind Juden, Überlebende des Holocaust beziehungsweise deren Nachkommen sowie vehemente Kritiker der israelischen Politik.
Was haben die Stadt München, die Trinitatiskirche in Berlin, die Heinrich-Böll- und die Rosa-Luxemburg-Stiftung gemein? Sie alle haben, nach anfänglichen Zusagen, Ilan Pappe beziehungsweise Norman Finkelstein wieder ausgeladen und ihnen versprochene Veranstaltungsräume verwehrt – so wie es die Heiliggeistkirche in Frankfurt vor ein paar Jahren bereits einmal mit Hajo Meyer getan hatte. Die genannten Institutionen gaben damit dem Druck sich proisraelisch gebender Kreise nach, die Finkelstein, Pappe und Meyer sogar als „Antisemiten“ denunzierten.“
Das waren die Anfänge der Säuberungsaktionen des Staates, die durch vermeintlich progressive Akteure – nicht die AfD oder andere braune Organisationen – umgesetzt werden. Dabei werden Kinder und mittlerweile Enkelkinder von Holocaustüberlebenden von deutschen vorgeblich „judenfreundlichen“ Politikern belehrt, was Antisemitismus ist.
Das deutsche Grundgesetz wird entleert, wenn der Bundestag Gesetzgebung durch „Resolutionen“ ersetzt. Die Anti-BDS-Resolution des Bundestages, die von der AfD bis zur Linken fast ausnahmslos unterstützt wurde, war ein alarmierendes Zeichen. Die Abgeordneten wussten, dass deren Inhalt als Gesetz keine Chance hatte, weil der Beschluss gegen das im Grundgesetz verankerte Recht auf Meinungsfreiheit verstieß. Das Perfide ist, dass gegen eine solche Resolution juristisch nichts zu unternehmen ist, weil sie juristisch nicht bindend ist. Jetzt droht uns eine weitere Resolution unter der Überschrift „Jüdisches Leben in Deutschland schützen“. Wer danach noch Israel kritisiert, also sich des so genannten israelbezogenen Antisemitismus schuldig macht, riskiert, nicht eingebürgert oder abgeschoben zu werden.
Die AfD muss gar nicht mehr an die Regierung kommen, ihre ausländerfeindliche Agenda wird schon umgesetzt. Aber auch die Deutschen sollten sich nicht in Sicherheit wiegen, so riskieren dann zum Beispiel Kultureinrichtungen, die israelkritischen Stimmen Raum geben, ihre weitere Finanzierung. Dagegen war noch geradezu harmlos, dass unserer Organisation, der JS für gerechten Frieden in Nahost, schon vor einigen Jahren im Namen des Kampfes gegen Antisemitismus das Bankkonto bei der BFS gekündigt wurde. Jüdinnen und Juden, die nicht in das aktuelle deutsche Judenbild passen, sind unerwünscht.
Ich wurde eingeladen hier zu sprechen, weil ich mich vor fünf Wochen nicht von einem grundgesetzwidrigen Versammlungsverbot zum Schweigen bringen lassen wollte. Die JS durfte nicht auf dem Oranienplatz demonstrieren, also ging ich allein mit einem Schild „Als Israelin und Jüdin: Stoppt den Genozid in Gaza“ zum Hermannplatz in Neukölln und wurde von der Berliner Polizei in Gewahrsam genommen. Nach polizeilicher Überprüfung entschuldigten sich die Polizisten bei mir, weil ich nach dem Grundgesetz im Recht war, und ich wurde wieder zum Platz begleitet, wo ich etwa zwei Stunden mit dem Schild stehen konnte. Vor 2 Wochen, während einer von jüdischen und israelischen Künstlern organisierten Demo für einen sofortigen Waffenstillstand wurde ich mit dem gleichen Schild wieder in Gewahrsam genommen, das Schild wurde beschlagnahmt und die Polizei erstattete gegen mich Strafanzeige wegen Volksverhetzung. So erging es auch anderen bei dieser Demonstration. Diese Fälle gehen übrigens in die Statistik antisemitischer Straftaten seit dem 07.10.2023 ein.
Nadija Samour: Als Anwältin, die viele Mandate aus der palästinensischen Gemeinde erhält, kann ich berichten, dass uns anti-palästinensische und anti-jüdische Repression, wie sie Iris beschreibt, seit vielen Jahren sehr gut bekannt ist. Menschen verlieren ihre Arbeit und ihr Aufenthaltsrecht, Kunst- und Kulturinstitutionen verlieren ihre Förderung, Polizeigewalt gegen Demonstrierende wird bejubelt, es herrscht eine erschreckende Stimmungsmache in den Medien und ein generelles Klima der Einschüchterung. Doch seit Oktober erleben wir ein Ausmaß all dessen, das selbst ich nicht habe kommen sehen. Alleine in Berlin sind im Oktober per Allgemeinverfügung alle Palästina-Demonstrationen pauschal verboten worden. Die pro-israelischen Jubeldemos, organisiert durch den Staatsapparat selbst, fielen natürlich nicht unter dieses Verbot.
In Neukölln, ein arabisch-geprägter Arbeiterkiez, beherrschte die Polizei die Straßen in einem Klima der Straflosigkeit. Arabisch aussehende Menschen wurden willkürlich auf der Straße angehalten, durchsucht und registriert. Schulkinder wurden Disziplinarmaßnahmen und Gewalt durch Lehrer:innen ausgesetzt, weil die Berliner Schulsenatorin die Kuffiyah oder andere palästinensische Symbole verbieten wollte. Und wir haben es nun mit tausenden Gerichtsverfahren gegen Menschen zu tun, die ihr grundrechtlich verbrieftes Versammlungsrecht wahrnehmen wollten. Aber – Wir müssen es klar und deutlich sagen: es waren die täglichen, unbeugsamen Versammlungen auf der Sonnenallee und anderen Teilen der Stadt, die es letztlich schafften, die Demonstrationsverbote zu durchbrechen. Es war die Solidarität zehntausender Berliner:innen und Internationalist:innen, die das Existenzrecht von Palästinenser:innen erkämpft haben.
Auch heute, hier auf dieser Demonstration ist es wichtig, Solidarität mit dem palästinensischen Volk laut und deutlich einzufordern. Warum? Das sagt uns einer der bekanntesten palästinensischen Intellektuellen, Edward Said: „Denken Sie an die Solidarität mit dem palästinensischen Volk hier und überall in Lateinamerika, Afrika, Europa, Asien und Australien, und denken Sie auch daran, dass es eine Sache gibt, für die sich viele Menschen engagieren, trotz der Schwierigkeiten und schrecklichen Hindernisse. Und warum? Weil es eine gerechte Sache ist, ein edles Ideal, ein moralisches Streben nach Gleichheit und Menschenrechten.“
Hoch die Internationale Solidarität! Freiheit für Palästina!
Vielen Dank
Iris Hefets ist Diplom Psychologin und im Vorstand des Vereins „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden“ in Berlin. Nadija Samour ist eine deutsch-palästinensische Rechtsanwältin für Internationales Strafrecht und Kriminologie in Berlin.
Online-Flyer Nr. 822 vom 01.12.2023
Druckversion
Krieg und Frieden
Rede bei der Demontration "Nein zu Kriegen" am 25. November 2023 in Berlin
Hoch die Internationale Solidarität! Freiheit für Palästina!
Von Iris Hefets und Nadija Samour
Iris Hefets: Vor 21 Jahren habe ich – wortwörtlich – meine Familie aus Israel zur Auswanderung nach Berlin gezwungen. Sie waren damit unglücklich, ich sah aber keine Zukunft in einer zunehmend militaristischen Gesellschaft. Kurz darauf war ich auf der Straße mit Hunderttausenden aller Couleur in Berlin, die gegen den Krieg im Irak demonstrierten. Als Israelin mit so vielen Menschen zusammen gegen den Krieg zu protestieren, ich dachte wirklich, dass ich mitten in einem Traum gelandet bin. Das war Deutschland 2003, in dem Nationalismus, Militarismus und Krieg noch umstritten waren. Ein Deutschland, in dem auch noch viele Menschen aus eigener Erfahrung wussten, was Krieg bedeutet. 20 Jahre später werden Menschen, die zum Waffenstillstand aufrufen, als Putin-Versteher und Hamas-Unterstützer denunziert. Das macht Angst.
Freiheit für Palästina - Foto: Heinz Eckel (Arbeiterfotografie)
Nadija Samour: Ja, 20 Jahre später leben wir in einem Deutschland, in dem die bedingungslose Solidarität mit Kriegsverbrechen und Genozid Staatsräson ist, und in dem Palästinenser:innen und ihre Unterstützer:innen de facto keine Grundrechte mehr haben.
Ich möchte uns alle daran erinnern, was gerade im Gaza-Streifen passiert, denn es scheint so, als würden die deutschen Medien versuchen, das unermessliche Leid, verursacht durch die israelische Kriegsmaschinerie, mit der vollsten Unterstützung der USA und der EU, zu verzerren und zu leugnen. Während wir hier stehen, wurden mehr als 14 800 Menschen ermordet, die Hälfte von ihnen Kinder. Mehr als 6800 liegen noch immer unter den Trümmern zerstörter Wohnhäuser und Schulen. 1,7 Millionen Menschen sind auf der Flucht, das sind 77 Prozent der gesamten Bevölkerung eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt. Und dabei stellt sich die Frage: wohin sollen sie fliehen? Denn der Gaza-Streifen ist nicht nur seit Jahrzehnten belagert und besetzt, sondern ist auch noch seit dem 9.Oktober komplett abgeschnitten von Treibstoff, Strom, Wasser und Nahrungsmitteln, ohne dass die internationale Gemeinschaft etwas unternommen hätte, um Leben zu retten. Fast 100 Journalist:innen sind im Gaza-Streifen und im Westjordanland von der israelischen Armee ermordet worden, medizinisches Personal, Krankenhäuser und Ambulanzen, Schulen, Flüchtlingslager, Moscheen und Kirchen – alles wird bombardiert, zerstört, und dann wird auch noch behauptet, die Opfer seien selbst schuld, weil sie sich angeblich mit der Hamas gemein machen würden.
Aber die bedingungslose Solidarität mit Kriegsverbrechen und Genozid hat in Deutschland nicht erst seit Oktober die Politik bestimmt. Die Normalisierung und die vollste Unterstützung mit Wort und Tat von israelischem Siedlungskolonialismus, von Apartheid, und von Militärbesatzung der palästinensischen Gebiete hat ja gerade Deutschland den Weg dahin geebnet, wieder als Großmacht in der Weltpolitik mitzumischen.
Iris Hefets: Nach dem letzten Weltkrieg musste sich Deutschland rehabilitieren. Weil die Deutschen mit den direkten Opfern nicht sprechen konnten, weil sie entweder von ihnen ermordet waren oder, wenn sie entkommen konnten, von Deutschland nichts mehr wissen wollten, wurde ein passendes Ersatzobjekt für die Wiedergutmachung gefunden: der israelische Staat.
Das war eine gute Lösung für alle Beteiligten. Adenauer konnte weiter mit alten Nazis Deutschlands Wiederaufbau betreiben. Ben Gurion, der für die erste ethnische Säuberung in Palästina verantwortlich war, erhielt dringend benötigtes Geld. Eine Hand wäscht die andere.
Es waren vor allem zivile Initiativen, die in Deutschland die öffentliche Auseinandersetzung mit tief sitzendem Antisemitismus und den begangenen Verbrechen angestoßen haben. Beispielhaft seien Projekte wie die Stolpersteine oder die Orte der Erinnerung im Bayrischen Viertel genannt.
Die deutsche Politik hat dann diese moralische Goldmine entdeckt, hat „die Juden“ als Objekt der Wiedergutmachung gewählt und Israel als seine Repräsentanz. Aus „den Juden“, die fast vernichtet wurden, weil sie für das „das Böse“ standen, sind „die Guten“ geworden. Sehr bequem.
Heute stellen die hier lebenden etwa 200.000 Jüdinnen und Juden weder eine politische, noch eine ökonomische oder elektorale Macht dar. Der Zentralrat der Juden – der noch zu Zeiten von Heinz Galinski und Ignaz Bubis mit anderen Minderheiten kooperierte und sich mit ihnen solidarisierte – wird vom deutschen Staat finanziert und gegen Muslime instrumentalisiert.
In den 1930er Jahren haben auch viele deutsche Jüdinnen und Juden den gegen sie gerichteten Rassismus verleugnet und waren sicher, dass die Deutschen „nur“ etwas gegen Ostjuden haben und dass sie geschützt werden, weil sie im Ersten Weltkrieg für Deutschland kämpften. Wenn es heute gegen Muslime geht, wird es morgen auch wieder gegen Juden gehen.
Nadija Samour: Gleichzeitig hat Deutschland die Palästinenser:innen zu Staatsfeinden erhoben, und all die barbarischen Eigenschaften wie Antisemitismus, Frauenhass, Queerphobie usw. werden auf sie projiziert. Die Schaffung dieses Feindbilds dient einem deutschen Nationalismus, der wieder wer in der Welt sein will. Israel dient dabei dem zur Schau stellen eines Ersatznationalismus. Ein geläutertes Großdeutschland, das seine tödlichen Grenzen aufrüstet, mit Massenabschiebungen droht, rassistische Ausschlüsse durch die Verschärfung des Aufenthalts- und Einbürgerungsrecht produziert, und jeglichen Widerstand dagegen mit Polizeigewalt, Demonstrationsverboten, und Diffamierungen zu verhindert versucht. Ein geläutertes Großdeutschland, das seinen Standortnationalismus an Rüstungsexporten misst, während es meint, mit seinem Werteimperialismus eine reine Weste bewahren zu können.
Iris Hefets: Heute fehlt es an zivilem Widerstand gegen diese erschreckende totalitäre Tendenzen, die unter dem Deckmantel des „Kampfs für die westlichen Werte“ in der Ukraine oder dem des „Kampfs gegen Antisemitismus“ erkennbar sind. Dabei ist der Zusammenschluss Adenauer-Globke-Ben-Gurion-Ethnische Säuberung heute in der Form von Scholz-Habeck-AfD-Netanyahu-Genozid in Gaza lebendig oder, besser gesagt, tödlich.
2010 habe ich einen Artikel in der taz veröffentlicht – damals konnte ich in der deutschen Presse noch veröffentlichen – der „Nur auf Zehenspitzen gehen“ hieß. Er fing so an: „Was haben die beiden Professoren Ilan Pappe (Israel), Norman Finkelstein (USA) und der Publizist Hajo Meyer (Deutschland) gemeinsam? Alle drei sind Juden, Überlebende des Holocaust beziehungsweise deren Nachkommen sowie vehemente Kritiker der israelischen Politik.
Was haben die Stadt München, die Trinitatiskirche in Berlin, die Heinrich-Böll- und die Rosa-Luxemburg-Stiftung gemein? Sie alle haben, nach anfänglichen Zusagen, Ilan Pappe beziehungsweise Norman Finkelstein wieder ausgeladen und ihnen versprochene Veranstaltungsräume verwehrt – so wie es die Heiliggeistkirche in Frankfurt vor ein paar Jahren bereits einmal mit Hajo Meyer getan hatte. Die genannten Institutionen gaben damit dem Druck sich proisraelisch gebender Kreise nach, die Finkelstein, Pappe und Meyer sogar als „Antisemiten“ denunzierten.“
Das waren die Anfänge der Säuberungsaktionen des Staates, die durch vermeintlich progressive Akteure – nicht die AfD oder andere braune Organisationen – umgesetzt werden. Dabei werden Kinder und mittlerweile Enkelkinder von Holocaustüberlebenden von deutschen vorgeblich „judenfreundlichen“ Politikern belehrt, was Antisemitismus ist.
Das deutsche Grundgesetz wird entleert, wenn der Bundestag Gesetzgebung durch „Resolutionen“ ersetzt. Die Anti-BDS-Resolution des Bundestages, die von der AfD bis zur Linken fast ausnahmslos unterstützt wurde, war ein alarmierendes Zeichen. Die Abgeordneten wussten, dass deren Inhalt als Gesetz keine Chance hatte, weil der Beschluss gegen das im Grundgesetz verankerte Recht auf Meinungsfreiheit verstieß. Das Perfide ist, dass gegen eine solche Resolution juristisch nichts zu unternehmen ist, weil sie juristisch nicht bindend ist. Jetzt droht uns eine weitere Resolution unter der Überschrift „Jüdisches Leben in Deutschland schützen“. Wer danach noch Israel kritisiert, also sich des so genannten israelbezogenen Antisemitismus schuldig macht, riskiert, nicht eingebürgert oder abgeschoben zu werden.
Die AfD muss gar nicht mehr an die Regierung kommen, ihre ausländerfeindliche Agenda wird schon umgesetzt. Aber auch die Deutschen sollten sich nicht in Sicherheit wiegen, so riskieren dann zum Beispiel Kultureinrichtungen, die israelkritischen Stimmen Raum geben, ihre weitere Finanzierung. Dagegen war noch geradezu harmlos, dass unserer Organisation, der JS für gerechten Frieden in Nahost, schon vor einigen Jahren im Namen des Kampfes gegen Antisemitismus das Bankkonto bei der BFS gekündigt wurde. Jüdinnen und Juden, die nicht in das aktuelle deutsche Judenbild passen, sind unerwünscht.
Ich wurde eingeladen hier zu sprechen, weil ich mich vor fünf Wochen nicht von einem grundgesetzwidrigen Versammlungsverbot zum Schweigen bringen lassen wollte. Die JS durfte nicht auf dem Oranienplatz demonstrieren, also ging ich allein mit einem Schild „Als Israelin und Jüdin: Stoppt den Genozid in Gaza“ zum Hermannplatz in Neukölln und wurde von der Berliner Polizei in Gewahrsam genommen. Nach polizeilicher Überprüfung entschuldigten sich die Polizisten bei mir, weil ich nach dem Grundgesetz im Recht war, und ich wurde wieder zum Platz begleitet, wo ich etwa zwei Stunden mit dem Schild stehen konnte. Vor 2 Wochen, während einer von jüdischen und israelischen Künstlern organisierten Demo für einen sofortigen Waffenstillstand wurde ich mit dem gleichen Schild wieder in Gewahrsam genommen, das Schild wurde beschlagnahmt und die Polizei erstattete gegen mich Strafanzeige wegen Volksverhetzung. So erging es auch anderen bei dieser Demonstration. Diese Fälle gehen übrigens in die Statistik antisemitischer Straftaten seit dem 07.10.2023 ein.
Nadija Samour: Als Anwältin, die viele Mandate aus der palästinensischen Gemeinde erhält, kann ich berichten, dass uns anti-palästinensische und anti-jüdische Repression, wie sie Iris beschreibt, seit vielen Jahren sehr gut bekannt ist. Menschen verlieren ihre Arbeit und ihr Aufenthaltsrecht, Kunst- und Kulturinstitutionen verlieren ihre Förderung, Polizeigewalt gegen Demonstrierende wird bejubelt, es herrscht eine erschreckende Stimmungsmache in den Medien und ein generelles Klima der Einschüchterung. Doch seit Oktober erleben wir ein Ausmaß all dessen, das selbst ich nicht habe kommen sehen. Alleine in Berlin sind im Oktober per Allgemeinverfügung alle Palästina-Demonstrationen pauschal verboten worden. Die pro-israelischen Jubeldemos, organisiert durch den Staatsapparat selbst, fielen natürlich nicht unter dieses Verbot.
In Neukölln, ein arabisch-geprägter Arbeiterkiez, beherrschte die Polizei die Straßen in einem Klima der Straflosigkeit. Arabisch aussehende Menschen wurden willkürlich auf der Straße angehalten, durchsucht und registriert. Schulkinder wurden Disziplinarmaßnahmen und Gewalt durch Lehrer:innen ausgesetzt, weil die Berliner Schulsenatorin die Kuffiyah oder andere palästinensische Symbole verbieten wollte. Und wir haben es nun mit tausenden Gerichtsverfahren gegen Menschen zu tun, die ihr grundrechtlich verbrieftes Versammlungsrecht wahrnehmen wollten. Aber – Wir müssen es klar und deutlich sagen: es waren die täglichen, unbeugsamen Versammlungen auf der Sonnenallee und anderen Teilen der Stadt, die es letztlich schafften, die Demonstrationsverbote zu durchbrechen. Es war die Solidarität zehntausender Berliner:innen und Internationalist:innen, die das Existenzrecht von Palästinenser:innen erkämpft haben.
Auch heute, hier auf dieser Demonstration ist es wichtig, Solidarität mit dem palästinensischen Volk laut und deutlich einzufordern. Warum? Das sagt uns einer der bekanntesten palästinensischen Intellektuellen, Edward Said: „Denken Sie an die Solidarität mit dem palästinensischen Volk hier und überall in Lateinamerika, Afrika, Europa, Asien und Australien, und denken Sie auch daran, dass es eine Sache gibt, für die sich viele Menschen engagieren, trotz der Schwierigkeiten und schrecklichen Hindernisse. Und warum? Weil es eine gerechte Sache ist, ein edles Ideal, ein moralisches Streben nach Gleichheit und Menschenrechten.“
Hoch die Internationale Solidarität! Freiheit für Palästina!
Vielen Dank
Iris Hefets ist Diplom Psychologin und im Vorstand des Vereins „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden“ in Berlin. Nadija Samour ist eine deutsch-palästinensische Rechtsanwältin für Internationales Strafrecht und Kriminologie in Berlin.
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