SUCHE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Druckversion
Globales
Zwei Staaten – keine Lösung
Die plötzliche Lust des Westens auf eine Zwei-Staatenlösung
Von Markus Heizmann (Bündnis gegen Krieg, Basel)
Aufgeregt wird dem Mainstreampublikum berichtet, dass nun Spanien, Irland und Norwegen die Eigenstaatlichkeit Palästinas anerkennen. Der berühmte Außerirdische, der die Geschehnisse auf unserem seltsamen Planeten beobachtet, kann wirklich nur noch den Kopf schütteln. Welcher Staat soll denn hier bitte anerkannt werden? Der in die Steinzeit zurück gebombte Gazastreifen? Das von immer neuen Siedlungen penetrierte Westjordanland? Die verbleibenden Reste von Al-Quds (Jerusalem)? Oder doch lieber Palästina in den Grenzen von 1967? Und falls dies der Fall wäre: Wer soll dann die völkerrechtswidrig besetzten palästinensischen Gebiete räumen? Den Staat Palästina anzuerkennen ist gegenwärtig weiter nichts als purer Zynismus. Erst lässt die «westliche Wertegemeinschaft» zu, dass Israel im Namen seines «Rechts auf Selbstverteidigung» und immer bezugnehmend auf den Holocaust und den anwachsenden Antisemitismus, sämtliche Grundlagen zerstört, welche zu einer palästinensischen Eigenstaatlichkeit führen könnten. Zerstört wird auch jeglicher Friedensprozess. Israel bricht, analog zu seinem großen Bruder USA, die unterzeichneten Verträge noch bevor die Tinte auf dem Papier trocken ist.
Offensichtlicher Genozid
Nun, da der Genozid am palästinensischen Volk immer offensichtlicher wird, bequemen sich die ersten europäischen Staaten dazu, Palästina als Staat zu anerkennen. Das zionistische Israel mit all seinen Menschenrechtsverletzungen, mit all seinem Landraub, seinen illegalen Siedlungen und seiner Vertreibungspolitik wird von eben diesen Staaten jedoch schon längst anerkannt und zwar nicht als ein Mitglied der Staatengemeinschaft wie jedes andere auch, nein Israel genießt seit seiner Gründung in mehrerer Hinsicht einen Sonderstatus: Das religiös zionistische Israel wird als «einzige Demokratie des Nahen Ostens» apostrophiert. Mit Hinweis auf den Holocaust kann sich Israel die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen, darunter Folter, Aushungerung der Bevölkerung des Gazastreifens, Vertreibung u.a.m. erlauben. Flächendeckende Bombardierungen, zum Teil mit international geächteten Waffen. Mit Hinweis auf das Totschlagargument «Antisemitismus» hat es Israel bisher geschafft, sämtliche Kritik mundtot zu machen und so das Täter- Opfer-Verhältnis umzukehren. Der Staat Israel hat keine definierten Grenzen, meint also demzufolge, sich immer weiter ausdehnen zu «dürfen».
Interne Widersprüche?
Aktuell wird auf die internen Widersprüche innerhalb der israelischen Gesellschaft hingewiesen. Netanjahu und seine Entourage – so das Argument – würden nur ihre eigenen Interessen vertreten, sowohl das palästinensische als auch das israelische Volk sei ihnen vollkommen egal. Korruption sei in Israel omnipräsent. Dem kann bestimmt nicht widersprochen werden. Die Fragen, die sich allerdings dazu stellen sind: Wann war das jemals anders? Und wo sind die Alternativen dazu? Jede israelische Regierung von Ben Gurion bis zu Netanjahu hat stets vollmundig von «Frieden» gesprochen und danach in stetig steigender Kadenz das palästinensische Volk angegriffen. Widersprüche innerhalb der israelischen Gesellschaft mag es insofern gerben, als es natürlich ein Machtgerangel zwischen den einzelnen Fraktionen gibt. In der Sache selbst sind sich die zionistischen Eliten allerdings einig: Kein Fußbreit Boden des geraubten Landes wird zurückgegeben! Im Gegenteil wird der Landraub vorangetrieben. Seien es ständige Angriffe gegen Syrien, seien es klandestine oder offene Angriffe gegen Iran oder andere Länder: Vor keiner Eskalation, und sei es um den Preis eines Flächenbrandes, scheuen sie sich.
Wie Pech und Schwefel
Die Kriegsverbrechen, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, welche unter dem Befehl von Netanjahu, Gallant und der übrigen israelischen Junta verübt werden, sprechen für sich: Etwa 36.000 getötete PalästinenserInnen, etwa 80.000 verletzte PalästinenserInnen. (1) Hinzu kommen die so gut wie totale Zerstörung der Infrastruktur des Gazastreifens, zerbombte Krankenhäuser, zerbombte Schulen, zerbombte Universitäten, zerstörte Wasser- und Stromversorgung usw. Kaum oder nur unzulänglich erwähnt werden die durch die Angriffe oft für den Rest ihres Lebens traumatisierten Kinder. Was für eine Generation wächst da heran? Trotz alledem steht der «Wertewesten» nach wie vor hinter der militärischen Bastion im arabischen Raum, die «Israel» genannt wird. Nach wie vor liefert der Westen noch mehr Waffen nach Israel, wohl wissend, dass diese Waffen noch mehr Massaker verursachen. Vor diesem Hintergrund ist es nur scheinbar erstaunlich, dass aus der Junta deren zwei – nämlich Netanjahu und Gallant – heraus gepflückt werden, damit sie sich vor dem IGH (2) verantworten sollen. Man stelle sich das vor! Israelische Kriegsverbrechen sollen untersucht werden! Kann das denn angehen? Allein der Gedanke, Israel könne sich des geringsten Vergehens schuldig machen, ist doch schon die Mutter aller antisemitischen Ressentiments! Wohl eher die Mutter aller Heuchelei! Wie reagiert zum Beispiel diese so genannte «israelische Opposition», die doch alles so viel besser und menschlicher machen würde als Netanjahu und seine Clique? Richtig: Sie stellen sich hinter die Angeklagten. Sie empören sich und sie sprechen von «einem fatalen Fehler des IGH». (3) Mit anderen Worten: sie halten zusammen wie Pech und Schwefel, komme was wolle!
Ist es Naivität?
Wer unter den gegebenen Umständen noch immer von einer Zwei-Staatenlösung spricht, ist entweder hoffnungslos naiv oder steuert bewusst einen Kurs, der das palästinensische Volk direkt ins endgültige Verderben führt. Netanjahu hat – Anklage hin oder her – bereits mehrfach betont, dass es unter ihm keinen palästinensischen Staat geben werde. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass seine Nachfolgerin oder sein Nachfolger diese Doktrin ändern wird. All zu sehr wurde die bisherige zionistische Politik der Aggression, Zerstörung und Vertreibung von Israels großen Brüdern USA und NATO nicht nur gutgeheißen sondern geradezu gefördert. Warum also ändern, was in der Vergangenheit so erfolgreich für die Zionisten war? In der Realität bedeutet dies: sollte irgendwann in naher Zukunft in der jetzigen politischen Konstellation tatsächlich ein Staat Palästina gegründet werden (in welchen Grenzen soll das sein?), wird dies den Krieg gegen diesen Staat bedeuten: Am Montagabend wird der Staat Palästina feierlich ausgerufen, am Dienstagmorgen wird Israel angreifen. Warum? Keine Sorge, einen Grund, den die Weltgemeinschaft dann gefälligst zu akzeptieren hat, werden sie finden! Womit wir bei den Gründen für den aktuellen Genozid im Gazastreifen wären, diesem ominösen 7. Oktober 2023, dem Tag des «Terrorangriffs der Hamas».
Der «Terrorangriff der Hamas»
Auch wenn eine Lüge 1000mal wiederholt wird, so bleibt sie doch eine Lüge. Israel wurde am 7. Oktober 2023 nicht von der Hamas angegriffen, sondern von den Kräften des bewaffneten Widerstandes im Gazastreifen, von denen die Hamas ein wichtiger Teil, aber eben nur ein Teil ist. Dazu ist es wichtig anzumerken, dass Israel nicht von außen angegriffen wurde, sondern die von Israel unter Blockade gehaltene Bevölkerung setzt sich zur Wehr. Wie dies am 7. Oktober geschehen ist, wurde bisher von keiner unabhängigen Instanz untersucht. Sämtliche behaupteten Verbrechen der Hamas bzw. der Widerstandskämpfer beruhen also allein auf den Aussagen israelischer Behörden oder israelischer Individuen. Wir sind letztendlich außerstande zu beurteilen, ob die Beschuldigungen Israels, sei es gegen die Hamas, sei es gegen die UNRWA oder sei es gegen andere der Wahrheit entsprechen oder nicht. Wir können jedoch eines mit Sicherheit sagen: Bis zum Beweis der Schuld gilt für Angeklagte die Unschuldsvermutung. Kein einziger der von Israel behauptenden Vorfälle wurde untersucht. Stattdessen hat Israel den Gazastreifen mit flächendeckenden Bombardierungen überzogen, die Bevölkerung vertrieben und verübt bis heute Gräueltaten, welche zur Genüge beschrieben und dokumentiert wurden.
Wenn wir fair sind, dann gilt auch hier für alle Angeklagten die Unschuldsvermutung. Für Netanjahu und Gallant jedoch ist die Anklage, die gegen sie erhoben wird, «mehr als empörend». Wohl eher nicht. Wohl eher ein symbolischer Akt, denn allein die Tatsache, dass nebst zwei mutmaßlichen israelischen Kriegsverbrechern (Netanjahu und Gallant) drei mutmaßliche Täter der Hamas (Jahia Sinwar, Mohammed Diab, und Ismail Haniyeh) mit angeklagt werden, darf zumindest als fragwürdig bezeichnet werden.
Folgen in der Praxis
Weder die eingangs erwähnte Anerkennung Palästinas durch Spanien, Irland und Norwegen noch die Anklage des IGH wird signifikante Folgen in der Praxis haben. Netanjahu und Gallant werden sich mit Sicherheit nicht vor dem IGH verantworten müssen. Weder werden sie von Israel ausgeliefert werden noch von einem Land, in welches sie möglicherweise noch reisen werden. (Sie werden sich allerdings sehr wohl überlegen müssen, wohin sie in Zukunft noch reisen werden, aber was soll`s?)
Palästina wird bis jetzt von 143 Staaten innerhalb der UNO anerkannt. Mit Spanien, Irland und Norwegen erhöht sich diese Zahl nun auf 146 Staaten. Auch hier: Was soll’s? Mehr als symbolischen Charakter hat auch das nicht. Wer immer meint, dadurch würde ein palästinensischer Staat und somit eine Zwei-Staatenlösung in greifbare Nähe rücken, täuscht sich hoffentlich, denn ein Staat Palästina neben Israel, würde eine Zementierung des Krieges und mit großer Wahrscheinlichkeit das endgültige Ende Palästinas bedeuten. Wo also liegt die Lösung?
Südafrika als Beispiel
Bestimmt nicht in zwei Staaten! In der Realität ist es richtig, Israel als Apartheidsystem zu bezeichnen. Genau dort sehen wir auch die Lösung: Das Apartheidsystem in Südafrika wurde nicht beseitigt, indem Südafrika in einen «weißen» Rassistenstaat und in eine «farbige» Republik geteilt wurde, keine «Zwei-Staatenlösung» also. Es wurde nach der Maxime «one man on vote» verfahren und so eine neue Regierung gebildet. Ohne jeden Zweifel kann diese südafrikanische Regierung nun in bestimmten Belangen kritisiert werden – welche Regierung kann das nicht? Ebenfalls ohne jeden Zweifel kann jedoch konstatiert werden: Alle Menschen in Südafrika leben heute besser als sie je unter der Apartheid lebten. Dass die richtigen hard-core-Rassisten das Land verlassen haben, schmälert diese Aussage nicht.
Südafrika kann für Palästina als Beispiel wenn nicht gar als Blaupause genommen werden: Was hinzugenommen werden muss, ist das (übrigens von der UNO garantierte) (4) Rückkehrrecht für alle seit 1948 Vertriebenen. Dann kann in allen Teilen des Landes, sei es das so genannte «israelische Kernland», seien es die besetzten Gebiete oder sei es der Gazastreifen, nach entsprechender Vorbereitung, so wie das auch in Südafrika geschehen ist, gewählt werden.
Es mag nun eingewandt werden, ein solches Vorgehen sei illusorisch, weil ja die ganze Welt davon überzeugt zu sein scheint, eine Zwei-Staatenlösung sei die einzige Lösung. Seit 1948 wird von dieser Zwei-Staatenlösung gesprochen, und noch immer ist am Ende des Tunnels kein Licht zu erkennen. Ein einziger Staat, in dem alle Menschen, Moslems, Juden, Christen, Atheisten gleichberechtigt und friedlich miteinander leben, hat keine Alternative. Voraussetzung ist, dass sich der «Wertewesten», der nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems ist, endlich aufhört, sich einzumischen. Dazu allerdings braucht es Druck von unten.
Fußnoten:
1 Dies sind nicht etwa von der Hamas publizierte Zahlen, sie stammen von «Statista». Statista ist eine deutsche Online-Plattform für Statistik, die Daten von Markt- und Meinungsforschungsinstitutionen sowie aus Wirtschaft und amtlicher Statistik zugänglich macht.
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1417316/umfrage/opferzahlen-im-terrorkrieg-der-hamas-gegenisrael/ (Letzter Zugriff Mai 2024)
2 https://www.icj-cij.org/home (Letzter Zugriff Mai 2024)
3 https://www.nzz.ch/podcast/icc-haftbefehl-gegen-netanyahu-israel-ist-empoert-nzz-akzent-ld.1831611 (Letzter Zugriff Mai 2024)
4 https://www.unrwa.org/content/resolution-194 (letzter Zugriff Mai 2024)
Online-Flyer Nr. 831 vom 31.05.2024
Druckversion
Globales
Zwei Staaten – keine Lösung
Die plötzliche Lust des Westens auf eine Zwei-Staatenlösung
Von Markus Heizmann (Bündnis gegen Krieg, Basel)
Aufgeregt wird dem Mainstreampublikum berichtet, dass nun Spanien, Irland und Norwegen die Eigenstaatlichkeit Palästinas anerkennen. Der berühmte Außerirdische, der die Geschehnisse auf unserem seltsamen Planeten beobachtet, kann wirklich nur noch den Kopf schütteln. Welcher Staat soll denn hier bitte anerkannt werden? Der in die Steinzeit zurück gebombte Gazastreifen? Das von immer neuen Siedlungen penetrierte Westjordanland? Die verbleibenden Reste von Al-Quds (Jerusalem)? Oder doch lieber Palästina in den Grenzen von 1967? Und falls dies der Fall wäre: Wer soll dann die völkerrechtswidrig besetzten palästinensischen Gebiete räumen? Den Staat Palästina anzuerkennen ist gegenwärtig weiter nichts als purer Zynismus. Erst lässt die «westliche Wertegemeinschaft» zu, dass Israel im Namen seines «Rechts auf Selbstverteidigung» und immer bezugnehmend auf den Holocaust und den anwachsenden Antisemitismus, sämtliche Grundlagen zerstört, welche zu einer palästinensischen Eigenstaatlichkeit führen könnten. Zerstört wird auch jeglicher Friedensprozess. Israel bricht, analog zu seinem großen Bruder USA, die unterzeichneten Verträge noch bevor die Tinte auf dem Papier trocken ist.
Offensichtlicher Genozid
Nun, da der Genozid am palästinensischen Volk immer offensichtlicher wird, bequemen sich die ersten europäischen Staaten dazu, Palästina als Staat zu anerkennen. Das zionistische Israel mit all seinen Menschenrechtsverletzungen, mit all seinem Landraub, seinen illegalen Siedlungen und seiner Vertreibungspolitik wird von eben diesen Staaten jedoch schon längst anerkannt und zwar nicht als ein Mitglied der Staatengemeinschaft wie jedes andere auch, nein Israel genießt seit seiner Gründung in mehrerer Hinsicht einen Sonderstatus: Das religiös zionistische Israel wird als «einzige Demokratie des Nahen Ostens» apostrophiert. Mit Hinweis auf den Holocaust kann sich Israel die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen, darunter Folter, Aushungerung der Bevölkerung des Gazastreifens, Vertreibung u.a.m. erlauben. Flächendeckende Bombardierungen, zum Teil mit international geächteten Waffen. Mit Hinweis auf das Totschlagargument «Antisemitismus» hat es Israel bisher geschafft, sämtliche Kritik mundtot zu machen und so das Täter- Opfer-Verhältnis umzukehren. Der Staat Israel hat keine definierten Grenzen, meint also demzufolge, sich immer weiter ausdehnen zu «dürfen».
Interne Widersprüche?
Aktuell wird auf die internen Widersprüche innerhalb der israelischen Gesellschaft hingewiesen. Netanjahu und seine Entourage – so das Argument – würden nur ihre eigenen Interessen vertreten, sowohl das palästinensische als auch das israelische Volk sei ihnen vollkommen egal. Korruption sei in Israel omnipräsent. Dem kann bestimmt nicht widersprochen werden. Die Fragen, die sich allerdings dazu stellen sind: Wann war das jemals anders? Und wo sind die Alternativen dazu? Jede israelische Regierung von Ben Gurion bis zu Netanjahu hat stets vollmundig von «Frieden» gesprochen und danach in stetig steigender Kadenz das palästinensische Volk angegriffen. Widersprüche innerhalb der israelischen Gesellschaft mag es insofern gerben, als es natürlich ein Machtgerangel zwischen den einzelnen Fraktionen gibt. In der Sache selbst sind sich die zionistischen Eliten allerdings einig: Kein Fußbreit Boden des geraubten Landes wird zurückgegeben! Im Gegenteil wird der Landraub vorangetrieben. Seien es ständige Angriffe gegen Syrien, seien es klandestine oder offene Angriffe gegen Iran oder andere Länder: Vor keiner Eskalation, und sei es um den Preis eines Flächenbrandes, scheuen sie sich.
Wie Pech und Schwefel
Die Kriegsverbrechen, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, welche unter dem Befehl von Netanjahu, Gallant und der übrigen israelischen Junta verübt werden, sprechen für sich: Etwa 36.000 getötete PalästinenserInnen, etwa 80.000 verletzte PalästinenserInnen. (1) Hinzu kommen die so gut wie totale Zerstörung der Infrastruktur des Gazastreifens, zerbombte Krankenhäuser, zerbombte Schulen, zerbombte Universitäten, zerstörte Wasser- und Stromversorgung usw. Kaum oder nur unzulänglich erwähnt werden die durch die Angriffe oft für den Rest ihres Lebens traumatisierten Kinder. Was für eine Generation wächst da heran? Trotz alledem steht der «Wertewesten» nach wie vor hinter der militärischen Bastion im arabischen Raum, die «Israel» genannt wird. Nach wie vor liefert der Westen noch mehr Waffen nach Israel, wohl wissend, dass diese Waffen noch mehr Massaker verursachen. Vor diesem Hintergrund ist es nur scheinbar erstaunlich, dass aus der Junta deren zwei – nämlich Netanjahu und Gallant – heraus gepflückt werden, damit sie sich vor dem IGH (2) verantworten sollen. Man stelle sich das vor! Israelische Kriegsverbrechen sollen untersucht werden! Kann das denn angehen? Allein der Gedanke, Israel könne sich des geringsten Vergehens schuldig machen, ist doch schon die Mutter aller antisemitischen Ressentiments! Wohl eher die Mutter aller Heuchelei! Wie reagiert zum Beispiel diese so genannte «israelische Opposition», die doch alles so viel besser und menschlicher machen würde als Netanjahu und seine Clique? Richtig: Sie stellen sich hinter die Angeklagten. Sie empören sich und sie sprechen von «einem fatalen Fehler des IGH». (3) Mit anderen Worten: sie halten zusammen wie Pech und Schwefel, komme was wolle!
Ist es Naivität?
Wer unter den gegebenen Umständen noch immer von einer Zwei-Staatenlösung spricht, ist entweder hoffnungslos naiv oder steuert bewusst einen Kurs, der das palästinensische Volk direkt ins endgültige Verderben führt. Netanjahu hat – Anklage hin oder her – bereits mehrfach betont, dass es unter ihm keinen palästinensischen Staat geben werde. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass seine Nachfolgerin oder sein Nachfolger diese Doktrin ändern wird. All zu sehr wurde die bisherige zionistische Politik der Aggression, Zerstörung und Vertreibung von Israels großen Brüdern USA und NATO nicht nur gutgeheißen sondern geradezu gefördert. Warum also ändern, was in der Vergangenheit so erfolgreich für die Zionisten war? In der Realität bedeutet dies: sollte irgendwann in naher Zukunft in der jetzigen politischen Konstellation tatsächlich ein Staat Palästina gegründet werden (in welchen Grenzen soll das sein?), wird dies den Krieg gegen diesen Staat bedeuten: Am Montagabend wird der Staat Palästina feierlich ausgerufen, am Dienstagmorgen wird Israel angreifen. Warum? Keine Sorge, einen Grund, den die Weltgemeinschaft dann gefälligst zu akzeptieren hat, werden sie finden! Womit wir bei den Gründen für den aktuellen Genozid im Gazastreifen wären, diesem ominösen 7. Oktober 2023, dem Tag des «Terrorangriffs der Hamas».
Der «Terrorangriff der Hamas»
Auch wenn eine Lüge 1000mal wiederholt wird, so bleibt sie doch eine Lüge. Israel wurde am 7. Oktober 2023 nicht von der Hamas angegriffen, sondern von den Kräften des bewaffneten Widerstandes im Gazastreifen, von denen die Hamas ein wichtiger Teil, aber eben nur ein Teil ist. Dazu ist es wichtig anzumerken, dass Israel nicht von außen angegriffen wurde, sondern die von Israel unter Blockade gehaltene Bevölkerung setzt sich zur Wehr. Wie dies am 7. Oktober geschehen ist, wurde bisher von keiner unabhängigen Instanz untersucht. Sämtliche behaupteten Verbrechen der Hamas bzw. der Widerstandskämpfer beruhen also allein auf den Aussagen israelischer Behörden oder israelischer Individuen. Wir sind letztendlich außerstande zu beurteilen, ob die Beschuldigungen Israels, sei es gegen die Hamas, sei es gegen die UNRWA oder sei es gegen andere der Wahrheit entsprechen oder nicht. Wir können jedoch eines mit Sicherheit sagen: Bis zum Beweis der Schuld gilt für Angeklagte die Unschuldsvermutung. Kein einziger der von Israel behauptenden Vorfälle wurde untersucht. Stattdessen hat Israel den Gazastreifen mit flächendeckenden Bombardierungen überzogen, die Bevölkerung vertrieben und verübt bis heute Gräueltaten, welche zur Genüge beschrieben und dokumentiert wurden.
Wenn wir fair sind, dann gilt auch hier für alle Angeklagten die Unschuldsvermutung. Für Netanjahu und Gallant jedoch ist die Anklage, die gegen sie erhoben wird, «mehr als empörend». Wohl eher nicht. Wohl eher ein symbolischer Akt, denn allein die Tatsache, dass nebst zwei mutmaßlichen israelischen Kriegsverbrechern (Netanjahu und Gallant) drei mutmaßliche Täter der Hamas (Jahia Sinwar, Mohammed Diab, und Ismail Haniyeh) mit angeklagt werden, darf zumindest als fragwürdig bezeichnet werden.
Folgen in der Praxis
Weder die eingangs erwähnte Anerkennung Palästinas durch Spanien, Irland und Norwegen noch die Anklage des IGH wird signifikante Folgen in der Praxis haben. Netanjahu und Gallant werden sich mit Sicherheit nicht vor dem IGH verantworten müssen. Weder werden sie von Israel ausgeliefert werden noch von einem Land, in welches sie möglicherweise noch reisen werden. (Sie werden sich allerdings sehr wohl überlegen müssen, wohin sie in Zukunft noch reisen werden, aber was soll`s?)
Palästina wird bis jetzt von 143 Staaten innerhalb der UNO anerkannt. Mit Spanien, Irland und Norwegen erhöht sich diese Zahl nun auf 146 Staaten. Auch hier: Was soll’s? Mehr als symbolischen Charakter hat auch das nicht. Wer immer meint, dadurch würde ein palästinensischer Staat und somit eine Zwei-Staatenlösung in greifbare Nähe rücken, täuscht sich hoffentlich, denn ein Staat Palästina neben Israel, würde eine Zementierung des Krieges und mit großer Wahrscheinlichkeit das endgültige Ende Palästinas bedeuten. Wo also liegt die Lösung?
Südafrika als Beispiel
Bestimmt nicht in zwei Staaten! In der Realität ist es richtig, Israel als Apartheidsystem zu bezeichnen. Genau dort sehen wir auch die Lösung: Das Apartheidsystem in Südafrika wurde nicht beseitigt, indem Südafrika in einen «weißen» Rassistenstaat und in eine «farbige» Republik geteilt wurde, keine «Zwei-Staatenlösung» also. Es wurde nach der Maxime «one man on vote» verfahren und so eine neue Regierung gebildet. Ohne jeden Zweifel kann diese südafrikanische Regierung nun in bestimmten Belangen kritisiert werden – welche Regierung kann das nicht? Ebenfalls ohne jeden Zweifel kann jedoch konstatiert werden: Alle Menschen in Südafrika leben heute besser als sie je unter der Apartheid lebten. Dass die richtigen hard-core-Rassisten das Land verlassen haben, schmälert diese Aussage nicht.
Südafrika kann für Palästina als Beispiel wenn nicht gar als Blaupause genommen werden: Was hinzugenommen werden muss, ist das (übrigens von der UNO garantierte) (4) Rückkehrrecht für alle seit 1948 Vertriebenen. Dann kann in allen Teilen des Landes, sei es das so genannte «israelische Kernland», seien es die besetzten Gebiete oder sei es der Gazastreifen, nach entsprechender Vorbereitung, so wie das auch in Südafrika geschehen ist, gewählt werden.
Es mag nun eingewandt werden, ein solches Vorgehen sei illusorisch, weil ja die ganze Welt davon überzeugt zu sein scheint, eine Zwei-Staatenlösung sei die einzige Lösung. Seit 1948 wird von dieser Zwei-Staatenlösung gesprochen, und noch immer ist am Ende des Tunnels kein Licht zu erkennen. Ein einziger Staat, in dem alle Menschen, Moslems, Juden, Christen, Atheisten gleichberechtigt und friedlich miteinander leben, hat keine Alternative. Voraussetzung ist, dass sich der «Wertewesten», der nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems ist, endlich aufhört, sich einzumischen. Dazu allerdings braucht es Druck von unten.
Fußnoten:
1 Dies sind nicht etwa von der Hamas publizierte Zahlen, sie stammen von «Statista». Statista ist eine deutsche Online-Plattform für Statistik, die Daten von Markt- und Meinungsforschungsinstitutionen sowie aus Wirtschaft und amtlicher Statistik zugänglich macht.
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1417316/umfrage/opferzahlen-im-terrorkrieg-der-hamas-gegenisrael/ (Letzter Zugriff Mai 2024)
2 https://www.icj-cij.org/home (Letzter Zugriff Mai 2024)
3 https://www.nzz.ch/podcast/icc-haftbefehl-gegen-netanyahu-israel-ist-empoert-nzz-akzent-ld.1831611 (Letzter Zugriff Mai 2024)
4 https://www.unrwa.org/content/resolution-194 (letzter Zugriff Mai 2024)
Online-Flyer Nr. 831 vom 31.05.2024
Druckversion
NEWS
KÖLNER KLAGEMAUER
FOTOGALERIE