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Aktueller Online-Flyer vom 16. Oktober 2024  

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Medien
Anhörung beim Europarat in Straßburg am 1. Oktober 2024
Ich bin frei, weil ich mich des Journalismus schuldig bekannt habe
Von Julian Assange

Julian Assange nahm am 1. Oktober 2024 an einer parlamentarischen Anhörung des Europarats in Straßburg teil. Der Europarat bezeichnet sich als "führende Menschenrechtsorganisation Europas" mit 46 Mitgliedstaaten, von denen 27 der EU angehören. Auch Russland war ursprünglich Mitglied des Europarats, wurde aber ausgeschlossen. In einer Pressemitteilung heißt es: "Die Anhörung wird vom Ausschuss für Rechtsfragen und Menschenrechte der Versammlung im Rahmen eines Berichts zu diesem Thema organisiert... In einem kürzlich veröffentlichten Entschließungsentwurf, der auf demselben Bericht beruht, brachte der Ausschuss seine tiefe Besorgnis über die unverhältnismäßig harte Behandlung Assanges zum Ausdruck, warnte vor ihrer 'abschreckenden Wirkung' und forderte die USA, einen Beobachterstaat des Europarates, auf, die von ihm und Wikileaks aufgedeckten mutmaßlichen Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen." Julian Assange äußerte sich u.a. wie folgt:

Sehr geehrte Damen und Herren, der Übergang von jahrelanger Gefangenschaft in einem Hochsicherheitsgefängnis zu einem Treffen hier vor den Vertretern von 46 Nationen und 700 Millionen Menschen ist ein tiefgreifender und surrealer Wandel. Die Erfahrung jahrelanger Isolation in einer kleinen Zelle ist schwer zu vermitteln. Man verliert das Selbstgefühl und es bleibt nur die reine Essenz der Existenz.

Ich bin noch nicht in der Lage, über das zu sprechen, was ich ertragen habe. Der unerbittliche Kampf ums Überleben, sowohl körperlich als auch geistig. Ebenso wenig kann ich über den Tod durch Erhängen, Mord und die medizinische Vernachlässigung meiner Mitgefangenen sprechen... Ich habe buchstäblich und im übertragenen Sinn einen weiten Weg zurückgelegt, um heute hier vor Ihnen zu stehen. Ich werde bald damit beginnen, die Umstände meiner Inhaftierung und Verurteilung sowie die daraus resultierenden Auswirkungen auf die Menschenrechte zu untersuchen. Doch wie so viele der Bemühungen in meinem Fall, ob sie nun von Parlamentariern, Präsidenten, Premierministern, dem Papst, UN-Beamten und Diplomaten, Gewerkschaften, Juristen und Medizinern, Akademikern, Aktivisten oder Bürgern kamen, hätte keine davon notwendig sein sollen. Keine der Erklärungen, Resolutionen, Berichte, Filme, Artikel, Veranstaltungen, Spendenaktionen, Proteste und Briefe der letzten 14 Jahre hätte notwendig sein sollen. Aber sie alle waren notwendig, denn ohne sie hätte ich nie wieder Tageslicht gesehen. Diese beispiellose globale Anstrengung war notwendig, weil viele der rechtlichen Schutzmaßnahmen, die es gab, nur auf dem Papier existierten und nicht in einer auch nur annähernd angemessenen Zeit wirksam wurden.

Ich habe mich letztendlich für die Freiheit und für realisierbare Gerechtigkeit entschieden. Nachdem ich jahrelang inhaftiert war und eine 175-jährige Haftstrafe ohne wirksame Abhilfe in Aussicht hatte, ist mir Gerechtigkeit nun verwehrt, da die US-Regierung in ihrem Geständnis schriftlich darauf bestand, dass ich wegen des mir aufgrund ihres Auslieferungsersuchens angetanen Rechtsmittels keine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einreichen oder sogar einen Antrag auf Informationsfreiheit stellen darf.

Ich möchte das ganz klarstellen. Ich bin heute nicht frei, weil das System funktioniert hat. Ich bin heute nach Jahren der Haft frei, weil ich mich des Journalismus schuldig bekannt habe. Ich habe mich schuldig bekannt, Informationen von einer Quelle gesucht zu haben. Ich habe mich schuldig bekannt, Informationen von einer Quelle erhalten zu haben. Und ich habe mich schuldig bekannt, die Öffentlichkeit über diese Informationen informiert zu haben. Ich habe mich in keiner anderen Hinsicht schuldig bekannt.

Ich hoffe, dass meine heutige Aussage dazu dienen kann, die Schwächen der bestehenden Schutzmaßnahmen aufzuzeigen und jenen zu helfen, deren Fälle weniger sichtbar, aber ebenso verwundbar sind. Als ich aus dem Kerker von Belmarsh heraustrat, schien die Wahrheit weniger erkennbar, und ich bedauere, wie viel Boden sie in dieser Zeit verloren hat. Wie die Äußerung der Wahrheit untergraben, angegriffen, geschwächt und verringert wurde. Ich sehe mehr Straflosigkeit, mehr Geheimhaltung, mehr Vergeltungsmaßnahmen für das Aussprechen der Wahrheit und mehr Selbstzensur. Es ist schwer, keine Grenze zwischen der Strafverfolgung durch die US-Regierung und mir zu ziehen. Sie überschreitet den Rubikon, indem sie den Journalismus international kriminalisieren, was zu dem tatsächlichen Klima der Meinungsfreiheit führt, wie es heute herrscht.


Montage: Rudolph Bauer


Komplette Abschrift der Rede von Julian Assange (englischsprachig) - betitelt mit "My Naivete Was Believing in the Law"
https://consortiumnews.com/2024/10/01/assange-im-free-because-i-pled-guilty-to-journalism/?eType=EmailBlastContent&eId=c5e55cd4-c28b-42af-8719-94afd51b6baa

Deutschsprachige Übersetzung der Rede von Julian Assange:
https://consortiumnews.com/de/2024/10/01/assange-im-free-because-i-pled-guilty-to-journalism/

Pressemiteilung des Europarats:
https://www.coe.int/de/web/portal/-/julian-assange-to-attend-a-pace-hearing-in-strasbourg-on-his-detention-and-conviction-and-their-chilling-effect-on-human-rights-1

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