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Lokales
Interview mit Kerstin Engelhard von "Kein Mensch ist illegal" und Rom e.V.
"Man schafft bewusst Hürden..."
Von Carl H. Ewald
Carl H. Ewald: Frau Engelhard, warum ist es wichtig, für Bleiberecht von Flüchtlingen zu demonstrieren?
Kerstin Engelhard: In Deutschland leben seit zehn, fünfzehn oder mehr Jahren Flüchtlinge unter miserablen Lebensbedingungen - eingepfercht in "Flüchtlingswohnheime", anders kann man es nicht bezeichnen:
Sie haben keine Möglichkeit, sich eine Wohnung zu mieten, sie haben keine Möglichkeit, arbeiten zu gehen - sie bekommen keine Arbeitserlaubnis. Ihre Kinder können, wenn sie die Schule besucht haben, keine Ausbildung machen, nicht studieren... Und diese Menschen haben - obwohl sie seit langem hier leben - keinerlei Perspektive, keinerlei Möglichkeit, sich hier ein neues Leben aufzubauen.
Kerstin Engelhard
Foto: Carl H. Ewald
Uns ist es wichtig, noch einmal Druck auf die Politik auszuüben: Im November findet die Innenministerkonferenz statt, wo wahrscheinlich über ein Bleiberecht entschieden wird... Es ist zu erwarten, dass es relativ restriktiv gehandhabt werden wird, und wir wollen durch diese Demo einfach noch einmal Druck machen.
Wie ist die Haltung des nordrhein-westfälischen Innenministers bei diesem Thema?
Recht restriktiv im Vergleich zu anderen Bundesländern... Zum Beispiel in Berlin oder in der Stadt Brandenburg, ist es so, dass Flüchtlinge, die dort länger als sechs Jahre leben, gar nicht mehr abgeschoben werden, bis eine endgültige Entscheidung über eine Bleiberechtsregelung erfolgt. In Nordrein-Westfalen wird das nicht so gehandhabt, hier wird fleißig abgeschoben!
Der Innenminister des Landes handhabt das sehr restriktiv, das Bleiberecht ist an ziemlich hohe Auflagen geknüpft, zum Beispiel an "gute Deutschkenntnisse". Was in sofern recht widersinnig ist, weil die meisten Flüchtlinge ohne festen Aufenthaltsstatus gar kein Geld haben, einen Sprachkurs zu besuchen. Die Sprachkurse sind sehr teuer, und man schafft bewusst Hürden, so dass nur ein ganz geringer Teil der Flüchtlinge davon profitieren wird.
Was kostet solch ein Sprachkurs?
Ein paar hundert Euro für drei Monate - genaue Zahlen kann ich Ihnen nicht nennen. Denn die Klienten, mit denen wir zu tun haben, haben ohnehin nicht das Geld, solche Sprachkurse zu besuchen...
Und dafür gibt es keine Unterstützung?
Nein, es gibt Unterstützung für Flüchtlinge, die einen festen Aufenthaltsstatus haben. Die sind ja sogar gezwungen, an so genannten "Integrationskursen" teilzunehmen. Das ist an sich ja auch sinnvoll, nur müsste man eben auch anderen Flüchtlingen, die hier leben, die sich hier eine Perspektive aufbauen wollen, erst einmal die Möglichkeit geben, Deutsch zu lernen.
Ich arbeite hauptamtlich auch beim Rom e.V., einem Verein zu Unterstützung von Roma-Flüchtlingen, und gerade diese sind davon ganz besonders betroffen. Denn sie sind zu großen Teilen Bürgerkriegsflüchtlinge, kommen oft aus den unteren Schichten, können vielfach nicht lesen oder schreiben und haben hier ganz große Schwierigkeiten, wenn man ihnen keine Möglichkeiten gibt, sich eben auch zu integrieren, Deutschkenntnisse zu erwerben, sich eine eigene Wohnung zu nehmen...
Gerade diese Flüchtlinge sind oft schon seit sehr langer Zeit hier, leben in Wohnheimen, kommen schon mit psychischen Krankheiten, traumatisiert durch ihre Bürgerkriegserlebnisse, hierhin. Sie müssen dann auf engstem Raum, unter den unmenschlichsten Bedingungen in den Flüchtlingswohnheimen leben. Anstatt dass diese Traumatisierung dann behandelt und geheilt wird, werden sie oft dadurch noch auf andere Art und Weise psychisch krank...
Ein aktueller Fall in einem Wohnheim hier in Köln: Ein Romaflüchtling, ein Familienvater, bekam "Besuch" von der Polizei, weil wohl seine "Rückführung" organisiert werden sollte. Er wurde dann von der Polizei äußerst unflätig behandelt: Der Flüchtling fragte nur ganz höflich, ob er nicht seinen Anwalt kontaktieren dürfe, was ihm verweigert wurde. Und dann wurde er dermaßen psychisch in die Enge getrieben, so dass er aus lauter Angst vor seiner Abschiebung aus dem Fenster seiner Wohnung im zweiten Stock sprang. Und als er mit beiden gebrochenen Beinen auf dem Boden lang, haben mehrere Zeugen beobachtet, wie von der Polizei noch auf ihn eingetreten wurde...(Die NRhZ berichtete)
Hat sich die Wahrnehmung der Roma in der deutschen Öffentlichkeit verändert?
Nein, sie tendiert eher zum Negativen hin. Sie gelten immer noch als "Zigeuner"... im letzten und vorletzten Jahr kursierte immer noch recht häufig bei der "Bildzeitung" und im "Express" der Begriff "Klaukids". Aber es ist klar, dass Menschen, die hier unter solchen Bedingungen leben müssen, die von Sozialleistungen leben müssen, die dreißig Prozent unter dem liegen, was ein deutscher Hartz IV Empfänger bekommt... dass solche Menschen auch schon einmal ins Kleinkriminellenmilieu geraten können, finde ich äußerst logisch. Wenn Deutsche unter solchen Bedingungen leben müssten, wäre das genauso!
Und gerade hier in Köln sind die Roma mitunter die größte Flüchtlingsgruppe und die, die unter den miserabelsten Bedingungen leben. Wenn man ihnen keine Möglichkeit zur Integration gibt, ist es klar, dass auch schon einmal Taschendiebstähle vorkommen können. Aber nur diese Seite wird in der deutschen Öffentlichkeit gesehen... Sie gelten als "Zigeuner" oder als Diebe, aber warum das so ist, darüber denkt niemand nach!
Was würden Sie sich von den deutschen Innenministern wünschen?
Ich würde mir vor allen Dingen wünschen, dass deutsche oder auch andere Politiker gezwungen wären, einmal einen Monat lang in einem Flüchtlingswohnheim zu wohnen! Ich glaube, das würde sehr viel an ihrer Perspektive ändern, und ich glaube, dann hätten wir hier auch eine andere Politik!
Frau Engelhard, vielen Dank für dieses Interview!
Hier das ganze Interview hören
Lesen Sie auch dazu "Festung Europa - Imperium der Schande", und sehen Sie den Film "Hinter Gittern - Flüchtlinge in Abschiebehaft"
Weitere Links:
Kein Mensch ist illegal (Köln)
Rom e.V.
Online-Flyer Nr. 65 vom 10.10.2006
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Interview mit Kerstin Engelhard von "Kein Mensch ist illegal" und Rom e.V.
"Man schafft bewusst Hürden..."
Von Carl H. Ewald
Carl H. Ewald: Frau Engelhard, warum ist es wichtig, für Bleiberecht von Flüchtlingen zu demonstrieren?
Kerstin Engelhard: In Deutschland leben seit zehn, fünfzehn oder mehr Jahren Flüchtlinge unter miserablen Lebensbedingungen - eingepfercht in "Flüchtlingswohnheime", anders kann man es nicht bezeichnen:
Sie haben keine Möglichkeit, sich eine Wohnung zu mieten, sie haben keine Möglichkeit, arbeiten zu gehen - sie bekommen keine Arbeitserlaubnis. Ihre Kinder können, wenn sie die Schule besucht haben, keine Ausbildung machen, nicht studieren... Und diese Menschen haben - obwohl sie seit langem hier leben - keinerlei Perspektive, keinerlei Möglichkeit, sich hier ein neues Leben aufzubauen.
Kerstin Engelhard
Foto: Carl H. Ewald
Uns ist es wichtig, noch einmal Druck auf die Politik auszuüben: Im November findet die Innenministerkonferenz statt, wo wahrscheinlich über ein Bleiberecht entschieden wird... Es ist zu erwarten, dass es relativ restriktiv gehandhabt werden wird, und wir wollen durch diese Demo einfach noch einmal Druck machen.
Wie ist die Haltung des nordrhein-westfälischen Innenministers bei diesem Thema?
Recht restriktiv im Vergleich zu anderen Bundesländern... Zum Beispiel in Berlin oder in der Stadt Brandenburg, ist es so, dass Flüchtlinge, die dort länger als sechs Jahre leben, gar nicht mehr abgeschoben werden, bis eine endgültige Entscheidung über eine Bleiberechtsregelung erfolgt. In Nordrein-Westfalen wird das nicht so gehandhabt, hier wird fleißig abgeschoben!
Der Innenminister des Landes handhabt das sehr restriktiv, das Bleiberecht ist an ziemlich hohe Auflagen geknüpft, zum Beispiel an "gute Deutschkenntnisse". Was in sofern recht widersinnig ist, weil die meisten Flüchtlinge ohne festen Aufenthaltsstatus gar kein Geld haben, einen Sprachkurs zu besuchen. Die Sprachkurse sind sehr teuer, und man schafft bewusst Hürden, so dass nur ein ganz geringer Teil der Flüchtlinge davon profitieren wird.
Was kostet solch ein Sprachkurs?
Ein paar hundert Euro für drei Monate - genaue Zahlen kann ich Ihnen nicht nennen. Denn die Klienten, mit denen wir zu tun haben, haben ohnehin nicht das Geld, solche Sprachkurse zu besuchen...
Und dafür gibt es keine Unterstützung?
Nein, es gibt Unterstützung für Flüchtlinge, die einen festen Aufenthaltsstatus haben. Die sind ja sogar gezwungen, an so genannten "Integrationskursen" teilzunehmen. Das ist an sich ja auch sinnvoll, nur müsste man eben auch anderen Flüchtlingen, die hier leben, die sich hier eine Perspektive aufbauen wollen, erst einmal die Möglichkeit geben, Deutsch zu lernen.
Ich arbeite hauptamtlich auch beim Rom e.V., einem Verein zu Unterstützung von Roma-Flüchtlingen, und gerade diese sind davon ganz besonders betroffen. Denn sie sind zu großen Teilen Bürgerkriegsflüchtlinge, kommen oft aus den unteren Schichten, können vielfach nicht lesen oder schreiben und haben hier ganz große Schwierigkeiten, wenn man ihnen keine Möglichkeiten gibt, sich eben auch zu integrieren, Deutschkenntnisse zu erwerben, sich eine eigene Wohnung zu nehmen...
Gerade diese Flüchtlinge sind oft schon seit sehr langer Zeit hier, leben in Wohnheimen, kommen schon mit psychischen Krankheiten, traumatisiert durch ihre Bürgerkriegserlebnisse, hierhin. Sie müssen dann auf engstem Raum, unter den unmenschlichsten Bedingungen in den Flüchtlingswohnheimen leben. Anstatt dass diese Traumatisierung dann behandelt und geheilt wird, werden sie oft dadurch noch auf andere Art und Weise psychisch krank...
Ein aktueller Fall in einem Wohnheim hier in Köln: Ein Romaflüchtling, ein Familienvater, bekam "Besuch" von der Polizei, weil wohl seine "Rückführung" organisiert werden sollte. Er wurde dann von der Polizei äußerst unflätig behandelt: Der Flüchtling fragte nur ganz höflich, ob er nicht seinen Anwalt kontaktieren dürfe, was ihm verweigert wurde. Und dann wurde er dermaßen psychisch in die Enge getrieben, so dass er aus lauter Angst vor seiner Abschiebung aus dem Fenster seiner Wohnung im zweiten Stock sprang. Und als er mit beiden gebrochenen Beinen auf dem Boden lang, haben mehrere Zeugen beobachtet, wie von der Polizei noch auf ihn eingetreten wurde...(Die NRhZ berichtete)
Hat sich die Wahrnehmung der Roma in der deutschen Öffentlichkeit verändert?
Nein, sie tendiert eher zum Negativen hin. Sie gelten immer noch als "Zigeuner"... im letzten und vorletzten Jahr kursierte immer noch recht häufig bei der "Bildzeitung" und im "Express" der Begriff "Klaukids". Aber es ist klar, dass Menschen, die hier unter solchen Bedingungen leben müssen, die von Sozialleistungen leben müssen, die dreißig Prozent unter dem liegen, was ein deutscher Hartz IV Empfänger bekommt... dass solche Menschen auch schon einmal ins Kleinkriminellenmilieu geraten können, finde ich äußerst logisch. Wenn Deutsche unter solchen Bedingungen leben müssten, wäre das genauso!
Und gerade hier in Köln sind die Roma mitunter die größte Flüchtlingsgruppe und die, die unter den miserabelsten Bedingungen leben. Wenn man ihnen keine Möglichkeit zur Integration gibt, ist es klar, dass auch schon einmal Taschendiebstähle vorkommen können. Aber nur diese Seite wird in der deutschen Öffentlichkeit gesehen... Sie gelten als "Zigeuner" oder als Diebe, aber warum das so ist, darüber denkt niemand nach!
Was würden Sie sich von den deutschen Innenministern wünschen?
Ich würde mir vor allen Dingen wünschen, dass deutsche oder auch andere Politiker gezwungen wären, einmal einen Monat lang in einem Flüchtlingswohnheim zu wohnen! Ich glaube, das würde sehr viel an ihrer Perspektive ändern, und ich glaube, dann hätten wir hier auch eine andere Politik!
Frau Engelhard, vielen Dank für dieses Interview!
Hier das ganze Interview hören
Lesen Sie auch dazu "Festung Europa - Imperium der Schande", und sehen Sie den Film "Hinter Gittern - Flüchtlinge in Abschiebehaft"
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